Literarische Charakteristik

Gar nicht ein­mal so sel­ten pas­siert das hier:

Ori­gi­nal­stel­le:

Die­se Abge­neigt­heit, sich mir zu schmie­gen, ja die­se stol­ze Art mir aus­zu­wei­chen, erregt in mir die wid­rigs­ten Gefüh­le. – Es ist ein sub­li­mer Gedan­ke , die Blu­me, die auf dem Prunk ihrer glän­zen­den Far­ben so stolz tut, gebro­chen und dahin­wel­ken zu sehen“ (aus: „Die Eli­xie­re des Teu­fels“ von E.T.A. Hoffmann)

Aus einer Cha­rak­te­ris­tik (fik­tiv):

Aure­lie ist ein stol­zes Mäd­chen, die sich nicht schnell ande­ren Per­so­nen gefü­gig zeigt (S.64,Z.2–4)“

Dumm ist nur, dass die oben zitier­te Ori­gi­nal­stel­le von der Stief­mut­ter der zu cha­rak­te­ri­sie­ren­den Figur in wört­li­cher Rede in einer Situa­ti­on gespro­chen wird, die sich mit Fug und Recht als gemei­ne Intri­ge beschrei­ben lässt.

In der letz­ten Woche kam mir erst­ma­lig der Gedan­ke, wie man den SuS die­se Pro­ble­ma­tik bewusst machen könn­te. Ich bin mit einen Per­sön­lich­keits­test ein­ge­stie­gen, den man in die­sem Mate­ri­al­klein­od fin­den kann. Die SuS soll­ten sich auf einer Ska­la von ‑3 bis 3 hin­sicht­lich bestimm­ter Cha­rak­ter­merk­ma­le selbst ein­schät­zen (Selbst­sicht), z.B. „ratio­nal“, „extro­ver­tiert“ usw. Auf der Rück­sei­te des Zet­tels befand sich ein iden­ti­scher Fra­ge­bo­gen, der jedoch für den Betrof­fe­nen Schü­ler von einem Mit­schü­ler aus­ge­füllt wur­de (Fremd­sicht). Das geht natür­lich nicht mit jeder Klas­se, da man einen Part­ner braucht, der einen gut kennt. Oh Wun­der – es gab neben Über­ein­stim­mun­gen natür­lich auch Abwei­chun­gen – und es konn­te auch kaum jemand erwar­ten, sei­nen Zet­tel end­lich zurück­zu­be­kom­men… Wich­tig dabei ist natür­lich, den SuS klar­zu­ma­chen, dass man als Leh­rer die­se Zet­tel weder ein­sam­meln noch anschau­en wird.

Dann ist der Fokus schon ganz gut auf die Pro­ble­ma­tik der obi­gen Aus­sa­ge in der Cha­rak­te­ris­tik fokus­siert. Eigen- und Fremd­wahr­neh­mung kön­nen dane­ben­lie­gen. Aber auf was kann man sich denn in einem Text verlassen?

1. Der Erzähler

… kann ein Schelm sein, indem er die Wahr­neh­mung des Lesers len­ken möch­te – häu­fig in der aukt­oria­len Gestalt. Dem neu­tra­len Erzäh­ler darf man da z.B. mehr trauen.

2. Aus­sa­gen ande­rer Figuren

… sind bei emo­tio­na­ler Befan­gen­heit kri­tisch zu hin­ter­fra­gen, gele­gent­lich aber durch­aus hilf­reich, z.B. wenn meh­re­re unter­schied­li­che Cha­rak­te­re die glei­che Ansicht teilen.

3. Aus­sa­gen der zu cha­rak­te­ri­sie­ren­den Figur

… auch nicht ganz unpro­ble­ma­tisch. Selbst ein Com­pu­ter­ge­hirn wie HAL kann in der Selbst­dar­stel­lung danebenliegen.

4. Das Ver­hal­ten einer Figur

…emp­fin­de ich als eine der noch ver­läss­lichs­ten Quel­len. Infor­ma­tio­nen dar­über sind zudem aus eige­nen Aus­sa­gen der Figur, Aus­sa­gen von ande­ren Figu­ren oder dem Erzäh­ler ableitbar.

Nach die­ser Stun­de kam in der Über­ar­bei­tung einer mit Ether­pad in Grup­pen erstell­ten Haus­auf­ga­be die­ser Text her­aus – 1:1 über­nom­men, 9. Klasse:

In dem Buch “Die Eli­xie­re des Teu­fels” von E. T. A. Hoff­mann wird man auf eine der Haupt­fi­gu­ren auf­merk­sam, namens Aure­lie. Sie ist die Toch­ter des Barons und die Gelieb­te des Medardus, des­sen Mön­ches­le­ben in dem Buch beschrie­ben wird und die Haupt­fi­gur ist und ihren Bru­der umbrachte.
Aure­lie wird von Rhein­hold als ein „ blö­des uner­fah­re­nes Mäd­chen” (Z.46, S. 26),  doch gleich­zei­tig auch als hüb­sche Frau ange­se­hen ( S.27 Z.45). Rhein­hold erzählt Medardus, dass „Aure­lie  immer mehr das Eben­bild ihrer Mut­ter wurde”.
Ver­gli­chen dazu ist (S.45 Z.13) von dem glei­chen die Beschrei­bung der Mut­ter: Sie sei eine „Braut, ein her­li­ches von der Natur reich aus­ge­stat­te­tes Wesen”.
Nur mit „unbe­schreib­li­cher Zartheit”(Z. 46, S. 22) kann sie sich einem öff­nen, ansons­ten bleibt sie in sich ver­schlos­sen und frisst alles in sich hinein.
„Aure­lie, das lie­be, ahnungs­vol­le Kind, zer­floss in Trä­nen ”(S.48 Z.26), als sie Euphe­mies wah­ren Absich­ten von der Hei­rat des Vaters ahnt, jedoch, aus Schüch­tern­heit bedrückt, sagt sie nichts, statt­des­sen weint sie nur demonstrativ .
Aure­lie ist Euphemie´s Gegen­bild, das bedeu­tet auch das ihr Ver­hal­ten mit dem von ihrer Stief­mut­ter Euphe­mie nicht über­ein­stimmt. Denn ”ihre Anspruchs­lo­sig­keit, ihr stil­les Fromm­tun, hin­ter dem sich ein unleid­li­cher Stolz ver­steckt, ärger­t” (S.63 Z.40) die­ser. Euphe­mie ist gegen­über Aure­lie eine ego­is­tisch wir­ken­de Per­son, die kei­ne Rück­sicht auf Ver­lus­te nimmt.
Euphe­mie stellt Aure­lie gegen­über Medardus als “gutes Kin­d” (S.57 Z.36) dar. Bei der Durch­set­zung ihres Pla­nes hät­te sie “es nur mit Her­mo­gen zu tun” (S.57 Z.34) und nicht mit Aurelie.
Sie meint, ent­ge­gen ihrer Vor­stel­lun­gen dass Aure­lie ein ande­res, immer zufrie­den­des Gesicht zeigt, statt das ech­te, mit gro­ßem Selbst­wert­ge­fühl, und beken­nen­der Liebe.
Die­se spricht nur im Beicht­stuhl zu ihrer “verbotenen Lie­be” (S.35 Z.2) Medardus ihre Gefüh­le offen aus (S.35 Z.8), doch auch hier war sie “im Wahn­sinn hoff­nungs­lo­ser Ver­zweif­lun­g” (S.35 Z.5) und steht nicht dazu. Durch ihr Ver­schwin­den wird ihre Unent­schlos­sen­heit noch­mals deutlich.
Zusam­men­fas­send kann man sagen, dass sie einer­seits unschul­dig, ande­rer­seits lei­den­schaft­lich in Medardus ver­liebt ist, durch Unent­schlos­sen­heit und Lei­den­schaft geprägt.