Die Schule muss ein Raum ohne noch mehr Bildschirmzeit bleiben!

Zuneh­mend erle­be ich in Bera­tungs­si­tua­tio­nen, dass sich Leh­rer­kol­le­gi­en – vor­wie­gend im gym­na­sia­len Bereich – gegen eine 1:1 Aus­stat­tung aus­spre­chen und – falls sich das durch öffent­li­chen Druck nicht ver­hin­dern lässt – dann wenigs­tens für eine mög­lichst spä­te, etwa in der Oberstufe.

Tat­säch­lich hal­te ich es für falsch, den Grad der Digi­ta­li­tät einer Schu­le an der mög­lichst häu­fi­gen Nut­zung digi­ta­ler Gerä­te zu mes­sen. 1:1‑Klassen mit eltern­fi­nan­zier­ten Gerä­ten sind noch lan­ge kein Garant dafür, dass die poten­tia­le digi­ta­ler Werk­zeu­ge auch tat­säch­lich genutzt wer­den. Die­se Gerä­te stel­len eine Stö­rung dar – eine wort­wört­li­che durch ihr Ablen­kungs­po­ten­ti­al – aber eben auch eine sys­te­mi­sche Stö­rung und (eta­blier­te) Sys­te­me kon­fi­gu­rie­ren sich immer so um, dass die Aus­wir­kun­gen von Stö­run­gen mini­miert wer­den. Das geschieht auch in Sys­te­men, die eine 1:1‑Ausstattung haben: Nach außen gibt es gar nicht so sel­ten deut­lich posi­ti­ve Dar­stel­lun­gen, wohin­ge­gen die natür­lich im Inne­ren vor­han­de­nen Schwie­rig­kei­ten und Kon­flik­te aus­ge­blen­det sind – dabei lie­ße sich dar­an m.E. viel lernen.

Daher ist aus Sicht des Sys­tems völ­lig logisch, Gerä­te nicht stän­dig im Unter­richt prä­sent zu haben oder wenn, dann in mög­lichst spä­ten Ent­wick­lungs­pha­sen. Bemer­kens­wert sind dabei oft die Art und Wei­se des Dis­kur­ses mit den seit Jah­ren wie­der­keh­ren­den Argu­men­ten. Alle gän­gi­gen Argu­men­te sind seit Jah­ren dis­ku­tiert und wis­sen­schaft­lich ein­ge­ord­net, man­che bis heu­te nicht zufrie­den­stel­lend aus­dis­ku­tiert, aber eben­die­se Dis­kus­sio­nen müs­sen immer wie­der neu geführt wer­den und der Anspruch, „dass das ja alles all­mäh­lich klar sein müss­te“, läuft ins Lee­re – weil der Pro­zess zu Ein­sich­ten führt und nicht das blo­ße Lesen.

Die­se Art des Argu­men­tie­rens und Strei­tens ist nie spe­zi­fisch für ein Sys­tem. Ich hal­te es mit für eine Fol­ge, dass es nur wenig Res­sour­cen zur schul­über­grei­fen­den Zusam­men­ar­beit gibt. Daher wie­der­ho­len sich Struk­tu­ren eben wie­der und wieder.

Ich habe kei­ne Lösun­gen und kei­ne kla­ren Ant­wor­ten als Bera­ten­der. Ich kann im bes­ten Fall dafür sor­gen, dass es noch mehr, dafür aber ande­re Fra­gen mit brei­te­rem Fokus gibt. Ich kann dafür sor­gen, dass ande­re Per­spek­ti­ven wahr­ge­nom­men wer­den. Aber ich kann „nicht machen, dass alles gut wird“ – dafür braucht es schul­in­ter­ne Vor­aus­set­zun­gen. Jedoch gibt es in den statt­fin­den­den Dis­kur­sen ein paar Grund­struk­tu­ren, deren Kennt­nis hilf­reich bei der Ein­ord­nung bestimm­ter Äuße­run­gen sein kann.

Der Strohmann

Beim Stroh­mann-Argu­ment wird der Ein­druck erzeugt, dass ein geg­ne­ri­sches Argu­ment wider­legt wird, obwohl eigent­lich ein Argu­ment zurück­ge­wie­sen wird, das der Geg­ner gar nicht vor­ge­tra­gen hat, son­dern ihm ledig­lich unter­stellt wur­de. (Quel­le)

Bei­spie­le:

Die Kin­der müs­sen ver­läss­lich das Lesen, Schrei­ben und Rech­nen lernen“

Es ist für die kogni­ti­ve Ent­wick­lung wich­tig, auf Papier zu schreiben“

Es gibt tat­säch­lich ein­zel­ne (in mei­nen Augen eher nai­ve) medi­en­päd­ago­gi­sche Posi­tio­nen, die die­se Behaup­tun­gen ableh­nen oder im digi­ta­len Zeit­al­ter rela­ti­viert sehen wol­len. Das sind aber Ausnahmen.

In der Regel behaup­tet das von den Befür­wor­tern von 1:1‑Klassen an Schu­len nie­mand, son­dern impli­zit wird von den Skep­ti­kern ange­nom­men, dass von nun an aus­schließ­lich mit dem jewei­li­gen Gerät gear­bei­tet wer­den muss. Gemeint ist aber gemein­hin ledig­lich, dass von nun an auch mit dem Gerät gear­bei­tet wer­den kann.

 

Die Monokausalität

Bei einer mono­kau­sa­len Erklä­rung wird ange­nom­men, dass genau ein (alt­grie­chisch μόνος monos ‚allei­nig‘, ‚ein­zig‘) Ereig­nis ein wei­te­res Ereig­nis ver­ur­sacht. Es ist auch mög­lich, dass die­ses eine ursäch­li­che Ereig­nis meh­re­re Wir­kun­gen ent­fal­tet. (Quel­le)

Bei­spie­le:

Seit der Digi­ta­li­sie­rung wer­den Leis­tun­gen von Schüler:innen noch schlechter.“

Durch die Digi­ta­li­sie­rung nimmt die Anstren­gungs­be­reit­schaft von Schüler:innen dras­tisch ab.“

Bei­des ist in den PISA-Gewin­ner­län­dern nicht der Fall. Dass Tai­wan oder Finn­land Deutsch­land im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung „gering­fü­gig“ vor­aus sind (wobei die Sache mit der Leis­tungs­stei­ge­rung in Finn­land rück­läu­fig ist), bele­gen die neus­ten Ergeb­nis­se. Es besteht damit zumin­dest Grund zu der Annah­me, dass wei­te­re Fak­to­ren dabei eine Rol­le spie­len könnten.

Eine der nahe­lie­gen­den Ursa­chen ist für mich der weit­ge­hend unre­flek­tier­te Umgang mit Medi­en­the­men in der Brei­te der Zivil­ge­sell­schaft und es wäre gera­de an Schu­le für eine ent­spre­chen­de Kom­pen­sa­ti­on zu sor­gen (s.u.).

Etwas wei­ter her­ge­holt sind für mich dabei gene­rel­le gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen aus­schlag­ge­bend: Wenn es z.B. mehr Arbeit gibt, als Men­schen, die sie erle­di­gen und Sozi­al­leis­tun­gen ein grund­stän­dig wür­di­ges Leben garan­tie­ren, muss ein Indi­vi­du­um in der Eigen­wahr­neh­mung vie­ler immer weni­ger leis­ten, um Arbeit zu fin­den. Dass die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Jobs im Gegen­satz dazu immer grö­ße­re Anfor­de­run­gen stel­len – auch und vor allem in Hin­blick auf digi­ta­le Fer­tig­kei­ten, steht auf einem ande­ren Blatt. Wir leben in einem rei­chen Land, in dem die Per­spek­ti­ve, noch mehr Wohl­stand errei­chen zu kön­nen, gar nicht so arg rea­lis­tisch ist wie z.B. in Schwel­len­län­dern. Das könn­te zumin­dest ansatz­wei­se Aus­wir­kun­gen auf die Anstren­gungs­be­reit­schaft haben.

 

Cherrypicking

Bei­spiel:

Die Kin­der ver­brin­gen schon viel zu viel Zeit in der Frei­zeit am digi­ta­len Gerät. Es muss bild­schirm­freie Zei­ten und Orte geben.“

Eigent­lich ist das zusätz­lich ein Stroh­mann, denn auch Ver­fech­ter von 1:1‑Klassen wür­den durch­aus beja­hen, dass Expe­ri­men­tie­ren am rea­len Gegen­stand, Sport­un­ter­richt und Dis­kus­sio­nen mit ech­ten Men­schen ohne die Prä­senz von digi­ta­len Gerä­ten wirk­lich sinn­vol­le Aktio­nen sind. Ich set­ze z.B. bis heu­te im Che­mie­un­ter­richt wenig Digi­ta­les ein – dafür gibt es da viel zu viel zu den­ken, bau­en, rie­chen, schau­en, hören usw..

Span­nend ist für mich an die­sem Argu­ment etwas völ­lig ande­res: Es impli­ziert, dass im Bereich der Frei­zeit unkon­trol­lier­ba­res, über­bor­den­des und in der Sum­me schäd­li­ches Medi­en­ver­hal­ten statt­fin­det, wel­ches durch expli­zit „medi­en­freie Räu­me“ kom­pen­siert wer­den muss – aktu­el­le Erkennt­nis­se aus Skan­di­na­vi­en schei­nen das zumin­dest für den Ele­men­tar- und Prim­ar­be­reich zu bestä­ti­gen – wer­den aber gene­ra­li­sie­rend wahrgenommen.

Es ist kei­nes­wegs so, dass Schwe­den sich gene­rell von digi­ta­len Medi­en abkehrt, man tut das im Ele­men­tar- und Prim­ar­be­reich. In der Regel erfolgt die Eta­blie­rung von 1:1‑Klassen in Deutsch­land ab Klas­se 7. Das ist in die­ser Alters­stu­fe sogar in Tei­len von unbe­streit­bar sehr kon­ser­va­ti­ven medi­en­päd­ago­gi­schen Posi­tio­nen gedeckt (vgl. Lan­kau, Spit­zer, Zierer).

Ange­nom­men, dass das mit dem schäd­li­chen Medi­en­kon­sum in der Sum­me stimmt (was – dif­fe­ren­ziert betrach­tet – nicht so ganz tri­vi­al zu beant­wor­ten sein dürf­te): Wer trägt dann die Ver­ant­wor­tung dafür? Kin­der und Jugend­li­che sind sehr oft Spie­gel ihrer Vor­bil­der. Gar nicht so weni­ge die­ser Vor­bil­der neh­men das Han­dy beim Auto­fah­ren in die Hand, legen es beim Essen nicht weg oder nut­zen es inten­siv in beruf­li­chen Kon­tex­ten, die als lang­wei­lig erlebt wer­den – man set­ze sich ein­mal ganz hin­ten in z.B. eine Leh­ren­den­kon­fe­renz. Aber da liegt der Fall ja völ­lig anders als bei Schü­lern, die sich im Unter­richt ablenken.

Es gibt – zumin­dest für medi­en­kom­pe­ten­te Eltern – ja durch­aus Hand­lungs­op­tio­nen. Wenn man aner­kennt, dass der Umgang mit der digi­ta­len Welt eine grund­le­gen­de Fer­tig­keit sein wird, wozu auch Ver­ein­ba­run­gen und Impuls­kon­trol­le gehö­ren, war­um liegt dann die Lösung dar­in, die­se Opti­on aus Schu­le weit­ge­hend her­aus­zu­hal­ten oder mög­lichst spät ein­zu­üben? Immer­hin set­zen beruf­li­che Schu­len die­se Fer­tig­kei­ten bei der Auf­nah­me der Schüler:innen vor­aus oder soll­ten das zumin­dest in Nie­der­sach­sen auf dem Papier vor­aus­set­zen können.

Der Charme der 1:1‑Ausstattung liegt dar­in, dass digi­ta­le Arbeits­tech­ni­ken und der Gebrauch als Lern­werk­zeug (statt als Kon­sum­ge­rät) in Schu­le nie­der­schwel­lig statt­fin­den kann und über­haupt erst auch für kur­ze Pha­sen zugäng­lich wird, was Kof­fer- und Schrank­lö­sun­gen auf­grund des erhöh­ten Auf­wan­des bei Buchung und Trans­port so nicht bieten.

Wie die Bild­schirm­zeit im häus­li­chen Bereich von Eltern ver­ant­wor­tet wird, besteht die­se Mög­lich­keit in der Schu­le grund­sätz­lich für die Lehr­kräf­te – es gibt hier sogar tech­ni­sche Lösun­gen dafür.

 

Projektionen

Die­ser Bereich ist immens sen­si­bel. Vie­le Lehr­kräf­te neh­men sehr wohl drei Din­ge wahr:

  • die digi­ta­li­sier­te Gesell­schaft wan­delt sich auf bis­her nicht erleb­te Art und Weise
  • die eige­ne Kom­pe­tenz kann nicht Schritt hal­ten im Umgang mit aktu­el­len Entwicklungen
  • vie­les scheint mit vie­lem zusam­men­zu­hän­gen und ist daher schwie­rig zu greifen

All dies erzeugt immense Unsi­cher­hei­ten, die sich manch­mal in Kon­flik­ten unschön kana­li­sie­ren. Für mich bringt es Fried­rich Glasl gut auf den Punkt:

Jede Per­so­nen neigt unter­schied­lich stark dazu, eige­ne Schwä­chen nur schwer anneh­men zu kön­nen, was zu inne­ren Span­nun­gen führt. Damit ver­bun­de­ne Ver­hal­tens­wei­sen wer­den in der Fol­ge ande­ren zuge­schrie­ben oder sogar als von die­sen ver­ur­sacht erlebt, was aller­dings mit Selbst­vor­wür­fen und Schuld­ge­füh­len ein­her­geht. Es droht dadurch ein Teu­fels­kreis von zuneh­men­der Anspan­nung, neu­en Pro­jek­tio­nen und ggf. Über­re­ak­tio­nen gegen­über Ande­ren, die wei­te­re Span­nun­gen und Frus­tra­tio­nen erzeu­gen. (Quel­le)

Nicht nur im digi­ta­len Bereich bekom­men enga­gier­te Kolleg:innen in Dis­kus­sio­nen oft eini­ges an Pro­jek­tio­nen aus dem Kol­le­gi­um ab, weil sie einem The­ma eine fass­ba­re Angriffs­flä­che bie­ten: „Du woll­test ja immer schon …“ „Wegen dir haben wir …“ usw. Oft wer­den sie dar­über­hin­aus im öffent­li­chen Dis­kurs in der Situa­ti­on nicht aus­rei­chend von ihren Schul­lei­tun­gen geschützt, da die­se selbst immer mehr in Anhän­gig­kei­ten gegen­über dem Kol­le­gi­um geraten.

In schlimms­ten Fall sehen das ande­re enga­gier­te Kolleg:innen, wor­auf sie sich selbst auch nicht mehr öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen aus­set­zen und der Dis­kurs dann letzt­lich eher von den kon­ser­va­tiv-bewah­ren­den Kräf­ten getra­gen wird.

Als Bera­ter von außen ist es nicht sehr tra­gisch, Opfer von Pro­jek­tio­nen zu wer­den – das lässt sich durch ent­spre­chen­de Hand­lungs­mus­ter und rhe­to­ri­sche Stra­te­gien gut auf­fan­gen. Ich bin am nächs­ten Tag wie­der weg.

Jemand, der im jewei­li­gen Sys­tem Wur­zeln hat und noch län­ge­re Zeit leben muss, wird sich zwei­mal über­le­gen, sich zur Pro­jek­ti­ons­flä­che zu machen, wenn ihm/ihr die­ses „Glück“ ein­mal wider­fah­ren ist oder er/sie Kolleg:innen in die­sen Situa­tio­nen erlebt hat.

Was müssen wir zukünftig wissen und können?

Es geht hoch her in Bil­dungs­dis­kus­sio­nen. Ein Mathe­ma­tik­pro­fes­sor aus NRW äußert sich kri­tisch zum Stand der aktu­el­len Mathe­ma­tik­di­dak­tik. Bil­dungs­t­wit­ter geht steil nach eher kon­ser­va­ti­ven Äuße­run­gen einer ehe­ma­li­gen Lehr­kraft zu neu­en Prü­fungs­for­ma­ten. Im Kern geht es um die Fra­ge, was ein Indi­vi­du­um in einer Welt der Digi­ta­li­tät indi­vi­du­ell beherr­schen muss und was über Kom­pe­ten­zen in einer digi­ta­li­sier­ten Welt durch digi­ta­le Tech­no­lo­gie (die meist nur ein Por­tal in einen vir­tu­el­len gesell­schaft­li­chen Raum bie­tet) mehr oder min­der mit­tel­bar erschlos­sen wer­den kann.

  • Man muss nicht mehr pro­gram­mie­ren kön­nen. Das wer­den Maschi­nen bald bes­ser und auto­ma­ti­siert machen.“
  • Man muss bestimm­te krea­ti­ve Pro­duk­te bzw. Vor­stu­fen davon nicht selbst erstel­len kön­nen. Nur die wenigs­ten Men­schen kön­nen mit den Leis­tun­gen von KI-Sys­te­men konkurrieren.“
  • Man muss Tech­nol­gie nicht ver­ste­hen. Die kom­pe­ten­te Benut­zung ist ausreichend.“

Vie­le Annah­men über die Zukunft sind Annah­men. Wir wis­sen nichts dar­über, was gesell­schaft­lich und poli­tisch gesche­hen wird, ob sich z.B. Demo­kra­tien mit ihren recht lang­wie­ri­gen poli­ti­schen Pro­zes­sen gegen auto­kra­ti­sche Staat­for­men vor allem wirt­schaft­lich behaup­ten wer­den, die eben durch ihre auto­kra­ti­schen Struk­tu­ren Pro­ble­men wie denen in Kon­text des Kli­ma­wan­dels viel effek­ti­ver ent­ge­gen­tre­ten kön­nen. Wir wis­sen selbst in Demo­kra­tien nicht, wel­che Effek­te durch z.B. Lob­by­is­mus lang­fris­tig die Gesell­schaft bestim­men werden.

Das mit den „Kom­pe­ten­zen von mor­gen“ ist ein wun­der Punkt in plau­si­bel klin­gen­den Model­len wie VUCA, BANI, die sich an Beschrei­bun­gen ver­su­chen, aus deren Buz­zwords sich aber kei­nes­falls kon­kre­te­re Hand­lun­gen ablei­ten lassen.

Damit rei­hen sich die­se Model­le wie vie­le ande­re struk­tu­rell in den Rei­gen von z.B. Sprach­mo­del­len ein, die Gegen­wart repro­du­zie­ren, kei­nes­falls aber dar­über hin­aus­ge­hen (kön­nen).

Weil alles so unbe­stimmt ist, scheint der Griff nach der guten, alten Zeit schlüs­sig: Das hat funk­tio­niert. Das ist die Grund­la­ge unse­rer immer noch sehr star­ken deut­schen Wirt­schaft, Anstren­gungs­be­reit­schaft, Ler­nen, sich mehr oder min­der lie­be­voll lei­ten las­sen. Und bei­de Lager rhe­to­ri­sie­ren unter dem Deck­man­tel der Sach­lich­keit mehr oder min­der pola­ri­sie­rend auf­ein­an­der ein.

Struk­tu­rell erin­nert mich das an sehr alte Kon­zep­te und Per­spek­ti­ven auf die Welt: Die Mate­ria­lis­ten mit ihrem eher kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Ansatz und die Idea­lis­ten mit ihrem Glau­ben an die Ent­wick­lungs­fä­hig­keit des Menschen.

Autopoesis des Individuums ist eine (idealistische) Utopie

Eine bestimm­te Art des Ler­nens fin­det bei mir über Sinn­stif­tung statt: Wenn ich ein Ziel habe – etwa für eine Grup­pe Gitar­re spie­len zu kön­nen – dann wer­de ich natür­lich das Gitar­re­spie­len je nach Bega­bung viel schnel­ler ler­nen als wenn ich von mei­nen Eltern dazu gezwun­gen wer­den, Gitar­re zu spie­len. Letz­te­res schließt aber nicht per se aus, dass ich es in mei­nem Leben irgend­wann bereu­en könn­te, nicht doch das Gitar­ren­spie­len erlernt zu haben, weil ich eben noch nicht weiß, wie mein Leben ver­lau­fen wird. Ande­re – wie in dem Bei­spiel mei­ne Eltern – haben auf­grund ihrer Lebens­er­fah­rung eine Vor­stel­lung, wie es ver­lau­fen könn­te – die habe ich selbst zu die­sem Zeit­punkt viel­leicht nicht.

Wohl­wol­lend und bezo­gen auf Schu­le sind nun Cur­ri­cu­la („Lehr­plä­ne“) schlicht nach Vor­stel­lun­gen von dem auf­ge­baut, was ein auch immer gear­te­tes Kol­lek­tiv von Men­schen denkt, was im Leben von jun­gen Men­schen eine Rol­le spie­len könn­te – aber eben nicht muss. Und der Streit dar­über, was das genau ist, fin­det auf meh­re­ren Ebe­nen statt.

  • In wel­chem Maß soll­te Sinn­stif­tung beim Lern­pro­zess die allei­ni­ge Rol­le spielen?
  • In wel­chem Maß sind kom­plett indi­vi­dua­li­sier­te Lern­pro­zes­se mit wel­chem Sys­tem wie abbildbar?
  • In wel­chem Ver­hält­nis ste­hen Meta­kon­zep­te wie z.B. die Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung zu den für ihren Erwerb not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen wie Wis­sen oder Kennt­nis­se von Informationen?

Kom­pe­tenz­ler wer­den ant­wor­ten, dass Kom­pe­ten­zen sich ja immer an einem kon­kre­ten Sach­ge­gen­stand ent­wi­ckeln – ich stel­le ver­mehrt fest, dass ich von immer mehr Dumm­heit umge­ben bin – poli­tisch erle­ben wir das gera­de ganz hübsch mit dem Auf­stieg rech­ter Par­tei­en – über­all auf der Welt. Die loka­le Wirt­schaft klagt, dass Aus­zu­bil­den­de immer weni­ger wis­sen und kön­nen, was für den jewei­li­gen Beruf rele­vant ist. In mei­nem Stu­di­um neh­me ich gar nicht so wenig Men­schen wahr, die Ler­nen als sehr kon­sum­ori­en­tiert wahr­neh­men – es muss ihnen „gemacht wer­den“. Das Netz quillt über von Inhal­ten, die aus einer huma­nis­ti­schen Per­spek­ti­ve zumin­dest bemer­kens­wert sind: Por­no­gra­fie, Selbst­dar­stel­lung, Beau­ty­wahn, die x‑te durch­aus gesund­heits­ge­fähr­den­de Tik­Tok-Chall­enge, Kom­mu­ni­ka­ti­on auf opti­mier­ba­rem Niveau. Rein quan­ti­ta­tiv schei­nen mir die Schät­ze und Sup­port­sys­te­me dage­gen „leicht“ unter­re­prä­sen­tiert zu sein.

Trotz­dem wer­den vie­le Ver­fech­ter „neu­er Lern- und Schul­kon­zep­te“ nicht müde, die Vor­tei­le und Mög­lich­kei­ten, die das Inter­net bie­tet, immer wie­der ins Feld zu füh­ren. Kri­tik dar­an wird gar nicht so sel­ten als Kul­tur­pes­sim­i­mus abgetan.

Auto­poe­sis im Sin­ne einer huma­nis­ti­schen Denk­wei­se benö­tigt Vor­aus­set­zun­gen, die es im Rah­men von Bil­dungs­pro­zes­sen oft erst zu ent­wi­ckeln gilt. Die Vor­aus­set­zun­gen dafür sind in einer Gesell­schaft, die mate­ri­ell im Gro­ßen und Gan­zen sehr gut ver­sorgt ist, gar nicht immer „von sich aus“ gege­ben. Ich hal­te die­ses Kon­zept daher zuneh­mend für ein äußerst optimistisches.

Das Modalverb aus dem Titel dieses Artikels

Der Titel die­ses Arti­kels ent­hält das Modal­verb „müs­sen“. Dem Wesen nach ist das schon ziem­lich auto­kra­tisch. Es könn­te sein, dass etwas gemusst wird, was u.U. im ers­ten Moment gar kei­ne Freu­de macht und des­sen Sinn sich dem Indi­vi­du­um auch nicht sofort erschließt. Klar kann ich Kon­ver­sa­ti­on n einer Fremd­spra­che mitt­ler­wei­le ohne Fremd­spra­chen­kennt­nis­se betrei­ben. Und klar wird sich die­se Tech­no­lo­gie bald sehr weit ent­wi­ckelt haben – viel weni­ger Mühe und wesent­lich spaß­be­ton­ter als z.B. Voka­beln zu ler­nen. Das mit den Fremd­spra­chen ist nur ein Bei­spiel. Als ange­hen­der Infor­ma­tik­leh­rer den­ke ich da an Kon­zep­te wie das Binär­sys­tem oder Sor­tier­al­go­rith­men – braucht man nicht, nur wird man sein Leben lang von Tech­no­lo­gie umge­ben sein, die dar­auf auf­bau­en­de Kon­zep­te nutzt. Das Nicht­wis­sen kann gut gehen, muss es aber nicht.

Mein Plä­doy­er ist daher eines für mehr Sanft­mut mit Men­schen, die das „Müs­sen“ in den Mit­tel­punkt ihres Han­delns als z.B. Lehr­per­son stel­len. Auch sie könn­ten selbst in einer stark ver­än­der­ten Welt in Tei­len immer nicht rich­tig liegen.

 

Dieses Jahr im Abitur in der Vaterrolle – eine Elternrede

Eine Elternrede zum Abitur

Ich durf­te in die­sem Jahr die Eltern­re­de hal­ten. Der Song, von dem die Rede ist:

Akti­vie­ren Sie Java­Script um das Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=xMat6dqM298

Die beson­de­re Chall­enge lag dar­in, dass ich auch selbst Kol­le­ge und auch medi­en­päd­ago­gi­scher Bera­ter im Land­kreis bin. Da muss man sich ganz sicher mit den unter­schied­li­chen Rol­len sein.

 

Die Rede

Ihr habt es geschafft. Ihr habt Abitur. Euch steht jetzt jede Aus­bil­dung offen – zumin­dest die, die nicht an einem Noten­schnitt oder einer Ein­gangs­prü­fung hängt. Kei­ne Fra­gen nach Noten oder dem Schul­tag mehr zu Hau­se. Das mit dem frü­hen Auf­ste­hen ist auch für eine Wei­le erle­digt. Für die meis­ten steht wohl ein chil­li­ger Som­mer an.

Gro­ßer Dank an die­ser Stel­le an eure Lehr­kräf­te. Ich konn­te haut­nah erle­ben, wie sehr so man­chen Kolleg:innen mit euch mit­ge­fie­bert haben. Und jetzt müsst ihr nur noch her­aus­fin­den, wie euer per­sön­li­cher Geist aus der Fla­sche fährt. Das Gemei­ne ist das Wört­chen „nur“ dabei in unse­rer Zeit. Das ver­ges­sen wir Älte­ren ger­ne. Denn es gibt so viel! Abun­dance. Über­fluss – über den wir Älte­ren im Digi­tal­be­reich oft sehr klagen.

Mir ist vor nicht all­zu lan­ger Zeit eine Unter­hal­tung pas­siert. Mit einem jun­gen Men­schen wie euch. Die­ser Mensch hat­te sich das drit­te Mal für eine Ände­rung des Stu­di­en­gan­ges ent­schie­den und wuss­te immer noch nicht, ob das jetzt rich­tig wäre. Papa war so mit­tel amu­sed. Druck. Ich muss­te an einen Song von Tina Dico denken.

Some­ti­mes the fas­test way to get the­re is to go slow
and some­ti­mes, if you wan­na hold on, you got to let go.“

Eigent­lich lässt man es bes­ser auf Eng­lisch, weil es im Deut­schen viel von sei­ner Kraft ver­liert. Aber nicht jeder hier heu­te kann Eng­lisch. Des­we­gen ver­su­che ich es einmal.

Manch­mal ist der schnells­te Weg, um anzu­kom­men, lang­sam zu gehen.
Und manch­mal musst du etwas los­las­sen, um dabei­blei­ben zu können.“

Den bis­he­ri­gen Weg sind Men­schen mit euch gegan­gen. Ein gan­zes Dorf: Eure Fami­lie, eure Lehr­kräf­te – hier und an eurer Grund­schu­le, eure Ver­wand­ten, viel­leicht eure Trai­ner in den Sport­ver­ei­nen, viel­leicht Mit­ar­bei­ten­de und Ehren­amt­li­che in der Jugend­ar­beit und Kir­chen und sozia­len Ver­bän­den, Men­schen, die euch in der KiTa betreut haben, vie­le Men­schen, ohne die ihr viel­leicht jetzt nicht gera­de hier, gera­de heu­te sit­zen wür­det. Übri­gens: In einer der für mich schöns­ten Schu­len Nie­der­sach­sens! Und ich kom­me viel her­um. Ohne Schul­trä­ger, ohne Poli­tik , das Team der Schul­lei­tung (über die wir ger­ne eher meckern), ohne Per­so­nal wie Haus­meis­ter, Raumpfleger:innen, Sekretär:innen, Schul­so­zi­al­ar­beit – alles nicht mög­lich. Dan­ke an Sie alle.

Ihr habt viel­leicht schon heu­te Abend oder in der nächs­ten Wochen eine gute Chan­ce, man­chen von die­sen Men­schen gegen­über etwas los­zu­wer­den. Sagt es ihnen. Ein Lob wärmt. Kri­tik zeigt immer Inter­es­se. Schwei­gen ver­un­si­chert. Im Leben zer­bricht deut­lich häu­fi­ger etwas an dem, was nicht gesagt wird als an dem, was gesagt wird.

Viel­leicht erin­nert ihr heu­te am ehes­tens die immer­wäh­ren­den ner­vi­gen Fra­gen, wie es in der Schu­le war oder das gemein­sa­me, manch­mal etwas müh­se­li­ge gemein­sa­me Üben mit irgend­wem, wenn etwas in der Schu­le nicht so gelau­fen ist. Viel­leicht erin­nert ihr euch jetzt eher an das immer­wäh­ren­de Bewer­tet­wer­den. Das geht lei­der noch ein wenig wei­ter. Viel­leicht erin­nern wir Eltern uns an so man­chen Gefühls­aus­bruch und Zwei­fel an unse­ren Fähig­kei­ten, an apo­ka­lyp­ti­sche Par­tys, War­ten in Auto­kor­sos mit Eltern in Jog­gings­an­zü­gen vor der Par­ty und nächt­li­che Nah­rungs­ge­lüs­te nach sol­chen – gera­de in der letz­ten Zeit.
Viel­leicht mischen sich aber auch sen­ti­men­ta­le­re Töne in die­se Rück­schau. Bei euch, weil eurer Weg eigent­lich erst beginnt und mit jedem eurer Schrit­te wei­ter ent­steht, für uns Eltern, weil sich für uns etwas ändert – sodass wir uns gele­gent­lich bald wün­schen wer­den, end­lich wie­der ein­mal eine ver­wüs­te­te Küche oder Woh­nung auf­zu­räu­men oder Wäsche aus dem Puma­kä­fig waschen zu dür­fen. Schließ­lich ja noch gar nicht so lan­ge her, dass ihr auf eine Arm­län­ge von uns gepasst habt.

Some­ti­mes, if you wan­na hold on, you got to let go.“

Eini­ge von euch wis­sen viel­leicht schon fel­sen­fest, was sie machen wol­len. Ich wuss­te das auch. Ich woll­te in eurem Alter auf gar kei­nen Fall Leh­rer wer­den, weil mei­ne Mut­ter woll­te, dass ich Leh­rer wer­de. Ich woll­te auf jeden Fall nie mehr als zwei Kin­der. Und eine fes­te Bezie­hung konn­te ich mir erst­mal auch nicht vor­stel­len. Viel­leicht ver­mu­tet ihr es schon: Davon ist jetzt nicht so viel genau so gekom­men. Das geht bis heu­te so.
Eini­ge von euch aber wis­sen viel­leicht auch gar nicht oder gar nicht so ganz sicher, wie es wei­ter­geht und fra­gen sich jetzt viel­leicht: Was wer­de ich tun? Wel­cher Weg ist der Rich­ti­ge für mich? Habe ich die rich­ti­ge Ent­schei­dung getrof­fen? Schaf­fe ich das? Ich mache viel­leicht schon ein Jahr etwas ande­res – was ist, wenn ich es danach immer noch nicht weiß? Und was ist, wenn ich nichts fin­de? Was ist, wenn ich es nicht schaffe?

Some­ti­mes the fas­test way to get the­re is to go slow.“

Jeder von euch ist heu­te schon­mal hier.

Wie­der ein­mal ein skan­di­na­vi­sches Land hat die­se Fra­gen schon lan­ge im Blick. In Däne­mark kann man für über­schau­ba­re Prei­se für eini­ge Zeit in eine der „fol­kehø­js­ko­le“ (Volks­hoch­schu­le) gehen, die als Inter­nat kon­zi­piert sind – sie haben nur sehr wenig mit ihren deut­schen Pen­dants zu tun. Kur­se zu Hea­vy Metal in einer z.B. klös­ter­li­chen Umge­bung sind dort kein Wider­spruch. Es gibt kei­ne Zie­le, kei­ne Prü­fun­gen, kei­ne Zer­ti­fi­ka­te. Im Mit­tel­punkt ste­hen der Mensch, das Mit­ein­an­der, der mitt­ler­wei­le inter­na­tio­na­le Dia­log. Es geht dar­um, zu sich zu kom­men, lang­sam zu gehen, um dann eine ers­te Ent­schei­dung dar­über zu tref­fen, wie es wei­ter­geht. Gerüch­te­hal­ber sol­len däni­sche Bildungspolitiker:innen berech­net haben, dass die „ fol­kehø­js­ko­le“ dem däni­schen Staat trotz der teu­ren Inter­nats­struk­tur mehr Geld spart als sie an Kos­ten ver­ur­sacht. (Jetzt kommt etwas Poli­tik: Gerüch­te­hal­ber sol­len jen­seits der Lan­des­gren­ze zu Däne­mark aber auch Wär­me­pum­pen selbst in unsa­nier­ten Alt­bau­ten im Win­ter wirt­schaft­lich funktionieren.)
Es gibt neben den däni­schen „fol­kehø­js­ko­le“ vie­le Mög­lich­kei­ten in Deutsch­land, Euro­pa, teil­wei­se sogar in der gan­zen Welt, sich für eine Wei­le in Gesell­schaft ein­zu­brin­gen und Selbst­stän­dig­keit zu erpro­ben, Druck zu neh­men für eine Zeit.
Wenn man sich nicht ent­schei­den kann, ist Druck immer der schlech­tes­te Bera­ter, den ihr bekom­men könnt. Bei fast jedem Ange­bot, mit dem Druck auf euch aus­ge­übt wird, soll­tet ihr miss­trau­isch wer­den. Lei­der muss man auch das immer wie­der sagen: Gera­de ihr Frau­en. Übri­gens nahe­zu egal, in wel­chem Lebensbereich.

Some­ti­mes the fas­test way to get the­re is to go slow.“

Läufer:innen wis­sen das: Die Sekun­den, die man am Anfang gewinnt, legt man spä­ter in Minu­ten obendrauf.

Aber ent­schei­den müsst ihr euch in einer Welt, die alles bie­tet und in einem Staat, der zuneh­mend jeden von euch braucht. Und ihr könnt es! Weil ihr Abitur und damit eine Wahl habt! Eine Wahl zu haben ist Luxus und nicht selbst­ver­ständ­lich. Dum­mer­wei­se gehört zu einer Wahl eine Ent­schei­dung. Und ja: Wah­len kön­nen manch­mal dumm ausgehen.

Wie Heinz Rudolf Kun­ze in irgend­ei­nem Jahr­hun­dert mal gesun­gen hat: Eige­ne Wege ent­ste­hen ja erst beim Gehen – nicht durch Zögern und Abwar­ten des ver­meint­lich Opti­ma­le­ren. Und das, was euch prä­gen wird, sind die Umwe­ge, die ihr gehen wer­det, z.B. die Par­tys, auf die ihr nicht geht, son­dern gera­tet, die Gesprä­che, die ihr nicht führt, son­dern die euch pas­sie­ren. Das Gespräch vom Anfang die­ser Rede wird z.B. für mich bleiben.

Wir Eltern müs­sen gemein­sam mit dem gesam­ten Dorf an Men­schen, mit dem ihr auf­ge­wach­sen seid – eure Lehr­kräf­te sind ja z.B. hier, dar­auf ver­trau­en, dass wir euch dafür alles mit­ge­ge­ben haben, damit ihr für euch ent­schei­den könnt und an den ver­meint­li­chen Feh­lern wach­sen wer­det. Wir müs­sen euch ver­trau­en, aber vor allem auch uns selbst, dass wir doch mehr rich­tig als falsch gemacht haben. Erzie­hung ist schließ­lich wie Bör­se: Hin­ter­her ist immer einfach.

Some­ti­mes, if you wan­na hold on, you got to let go“

Ihr wer­det alle euren Weg machen. Das weiß ich z.B. von zahl­rei­chen Gesprä­chen mit Ehe­ma­li­gen, die mir pas­siert sind. Wir ver­ges­sen in Deutsch­land ger­ne, dass es uns im Wesent­li­chen sehr gut geht, dass wir zumeist min­des­tens in war­men Woh­nun­gen mit genug zu essen in einem fried­li­chen Land sitzen.

Die Zukunft kann heut­zu­ta­ge manch­mal Angst machen. Ver­gesst aber nicht: Das ist nur die Zukunft, die wir nicht gestal­ten, die wir in unse­rem Den­ken so las­sen. Wir gestal­ten von nun an noch mehr mit euch. Als Dorf. Mit euren Wegen und Ent­schei­dun­gen. Ihr macht was draus, da bin ich mir sicher.

Some­ti­mes the fas­test way to get the­re is to go slow
and some­ti­mes, if you wan­na hold on, you got to let go“

Wie Sprachmodelle unsere Gesellschaft verändern werden

Ein Blick ins Klassenzimmer

Mar­tha hat eine Eng­lisch­haus­auf­ga­be bekom­men. Sie soll einen Text über die drei bekann­tes­ten Sehens­wür­dig­kei­ten von New York schrei­ben. New York steht im Zen­trum der aktu­el­len Unit im Eng­lisch­buch. Mar­tha ist nicht sehr gut in Eng­lisch. Aber die App auf ihrem Han­dy ist direkt an ChatGPT ange­dockt. ChatGPT ist eine künst­li­che Intel­li­genz, die auf mög­lichst natür­li­che Text­aus­ga­be opti­miert ist. Mar­tha tippt in ihre App: „Wri­te an artic­le about the three most famous sights in New York.“, denn das ist die Auf­ga­ben­stel­lung, die ihre Leh­re­rin ihr gege­ben hat. Her­aus kommt fol­gen­der Text (abge­druckt ist die unver­än­der­te Ausgabe):

New York City is one of the world’s most vibrant and exci­ting desti­na­ti­ons. Known for its diver­se cul­tu­re, bust­ling streets, and ico­nic land­marks, the city is a hub of enter­tain­ment and com­mer­ce. From the bright lights of Times Squa­re to the gran­deur of the Sta­tue of Liber­ty, New York offers a wealth of sights to explo­re. In this artic­le, we will take a clo­ser look at the three most famous sights in the city.

1. The Sta­tue of Liberty

The Sta­tue of Liber­ty is one of the most ico­nic land­marks in New York City. Loca­ted on Liber­ty Island, the sta­tue was gifted to the United Sta­tes by the peo­p­le of France in 1886 as a sym­bol of free­dom and demo­cra­cy. The sta­tue is 151 feet tall and is made of cop­per pla­tes, which have tur­ned green over time due to weathering.

Visi­tors can take a fer­ry to Liber­ty Island and climb to the top of the pedes­tal or even to the crown of the sta­tue for pan­o­r­amic views of the city sky­line and har­bor. The sta­tue is also visi­ble from Bat­tery Park in Lower Man­hat­tan, whe­re visi­tors can take in the stun­ning view of the sta­tue against the back­drop of the city.

1. The Empire Sta­te Building

The Empire Sta­te Buil­ding is a towe­ring sky­scra­per loca­ted in Mid­town Man­hat­tan. It was com­ple­ted in 1931 and was the world’s tal­lest buil­ding until 1971. The buil­ding stands at 1,454 feet tall and has 102 flo­ors. Visi­tors can take an ele­va­tor to the obser­va­ti­on deck on the 86th flo­or for breath­ta­king views of the city sky­line. On a clear day, visi­tors can see up to 80 miles in every direction.

The Empire Sta­te Buil­ding has been fea­tured in num­e­rous movies and is a popu­lar tou­rist desti­na­ti­on. The building’s art deco archi­tec­tu­re is a sight to behold, and the night­ti­me light­ing dis­play is an ico­nic part of the city skyline.

1. Cen­tral Park

Cen­tral Park is a vast green space loca­ted in the heart of Man­hat­tan. The park covers 843 acres and is a popu­lar desti­na­ti­on for both locals and tou­rists. Visi­tors can explo­re the park on foot, by bike, or even by hor­se-drawn car­ria­ge. The park fea­tures num­e­rous wal­king paths, gar­dens, lakes, and ponds, as well as famous land­marks such as the Cen­tral Park Zoo and the Bethes­da Fountain.

In the win­ter, visi­tors can go ice-ska­ting at the Woll­man Rink, and in the sum­mer, the­re are num­e­rous con­certs and events held in the park. Cen­tral Park is a wel­co­me respi­te from the hust­le and bust­le of the city and pro­vi­des a tran­quil oasis in the heart of Manhattan.

In con­clu­si­on, New York City is home to many famous sights, but the Sta­tue of Liber­ty, Empire Sta­te Buil­ding, and Cen­tral Park are three of the most ico­nic. The­se land­marks repre­sent the city’s histo­ry, cul­tu­re, and natu­ral beau­ty and are must-see desti­na­ti­ons for anyo­ne visi­ting the city. Whe­ther you’­re a first-time visi­tor or a lifel­ong New Yor­ker, the­se sights never cea­se to ama­ze and inspire.

Mar­tha mel­det sich und liest ihren Text vor. Ihre Lehr­kraft ist ver­wun­dert. Die­ser Text ent­spricht über­haupt nicht Mart­has bis­her im Unter­richt gezeig­ten Fähig­kei­ten. Sie hat den Ver­dacht, dass die­ser Text von irgend­wo­her kopiert sein könn­te – fin­det im Netz aber nichts. Mar­tha erhält eine gute Note.

Han­nes und Fred prä­sen­tie­ren ihren Text im Unter­richt. Eigent­lich lässt sich zum Inhalt wenig Schlech­tes sagen, aber das Geschrie­be­ne erin­nert dann doch mehr an Gespro­che­nes: Satz­zei­chen­in­fla­ti­on am Satz­en­de, kaum Groß- und Klein­schrei­bung und die Zei­chen­set­zung ist opti­mier­bar – oder gar nicht erst vor­han­den. Han­nes und Fred kopie­ren ihren Text dar­auf­hin in https://www.deepl.com/write . Das ist ein KI-basier­ter Web­dienst, der kei­ne Daten sam­melt und bis 2000 Zei­chen kos­ten­los ohne Account nutz­bar ist. Deepl ist eigent­lich ein sehr gutes Über­set­zungs­werk­zeug, kann in einer Beta­ver­si­on jetzt aber auch Tex­te sti­lis­tisch über­ar­bei­ten. Han­nes und Fred schau­en sich die vor­ge­schla­ge­nen Ände­run­gen an. Eini­ges gefällt ihnen, eini­ges scheint den Sinn ihres Tex­tes zu stark zu ver­än­dern. Sie ent­schei­den sich dazu, eini­ge Pas­sa­gen zu ändern, weil sie durch die Ände­run­gen wirk­lich bes­ser klingen.

Die­se bei­den Bei­spie­le zei­gen, was heu­te für alle bereits mit sprach­ba­sier­ter künst­li­cher Intel­li­genz mög­lich ist. Wäh­rend das ers­te Bei­spiel in vie­len Kol­le­gi­en in deut­schen Schu­len für Auf­ruhr sorgt, wenn das Poten­ti­al von Sprach­mo­del­len dort über­haupt ankommt, zeigt das zwei­te Bei­spiel, dass Sprach­mo­del­le gera­de unsi­che­re Schrei­ber sehr gut unter­stüt­zen könnten.

Die Auseinandersetzung über ChatGPT in sozialen Netzwerken

Zwi­schen die­sen bei­den Polen bewe­gen sich manch­mal emo­tio­nal sehr auf­ge­la­de­ne Dis­kus­sio­nen in sozia­len Netz­wer­ken. Die einen sehen bestehen­de Struk­tu­ren und Auf­ga­ben­for­ma­te in Gefahr, die ande­re expe­ri­men­tie­ren mutig mit den sich erge­ben­den neu­en Mög­lich­kei­ten. Die­se Expe­ri­men­te bewe­gen sich oft pri­mär auf einer phä­no­me­no­lo­gi­schen Ebe­ne: Im Kern geht es dar­um, die Ein­ga­ben („Prompts“) zu fin­den, die eine vor­her erdach­te Auf­ga­ben­stel­lung mit Hil­fe eines Sprach­mo­dells opti­mal lösen.

Natür­lich bleibt die Aus­ein­an­der­set­zung vor­erst phä­no­me­no­lo­gisch. Man gibt sich Tipps, wel­che Ein­ga­ben zu einem gewünsch­ten Ergeb­nis füh­ren und wie der Chat­Bot in z.B. eine ande­re Rol­le ein­neh­men kann. Das klappt auf der Ober­flä­che. Die tech­ni­schen Abläu­fe in einem Sprach­mo­dell sind gar nicht so leicht zu verstehen.

Was ist ein Sprachmodell eigentlich?

Ein Sprach­mo­dell ist eine sehr kom­ple­xe Soft­ware, die zur Klas­se der künst­li­chen Intel­li­genz gezählt wird. Schon der Begriff „Intel­li­genz“ ist je nach Fach­dis­zi­plin nicht ein­fach zu defi­nie­ren. Daher spre­chen eini­ge Fach­leu­te lie­ber von „maschi­nel­lem Ler­nen“, was das Defi­ni­ti­ons­pro­blem jedoch ledig­lich auf den Begriff des Ler­nens ver­schiebt. Als Aus­weg aus die­sem Dilem­ma haben eine Rei­he von Autor:innen nicht nur aus dem Infor­ma­tik­um­feld fol­gen­de Arbeits­de­fi­ni­ti­on für künst­li­che Intel­li­genz vorgeschlagen:

Künst­li­che Intel­li­genz bezeich­net die Fähig­keit von Com­pu­ter­sys­te­men, auf sie zuge­schnit­te­ne Auf­ga­ben selbst­tä­tig zu lösen, die auf­grund ihrer Kom­ple­xi­tät bis­lang mensch­li­che Fähig­kei­ten erfor­der­ten”1

Ange­wen­det: Sprach­mo­del­le lösen nun selbst­stän­dig das Pro­blem der Erstel­lung von Tex­ten auf Basis von Ein­ga­ben, die Nutzer:innen vor­ge­ben. Aber wie machen sie das?

In den Anfangs­zei­ten von künst­li­cher Intel­li­genz waren die Auf­ga­ben und Mög­lich­kei­ten von IT-Sys­te­men noch etwas beschränk­ter. Ein sehr ein­fa­ches Bei­spiel sind die dama­li­gen Obst­waa­gen in den Fri­sche­ab­tei­lun­gen der Super­märk­te. Der Kun­de füll­te eine Ware in einen Beu­tel, ging zur einer Waa­ge, leg­te den Beu­tel auf und drück­te eine Tas­te mit einem Sym­bol oder einer Num­mer. Die Waa­ge druck­te dann einen Kas­sen­zet­tel mit Strich­code aus. Es waren aber nicht alle Kun­den ehr­lich, so dass man auf die Idee kam, die­se Waa­gen durch eine Kame­ra zu ergän­zen, mit deren Hil­fe die auf­ge­leg­te Ware erkannt wer­den konn­te, z.B. anhand von Grö­ße oder Far­be. Im Prin­zip konn­te man drei Fäl­le unterscheiden:

a) Wenn der Tas­ten­druck des Kun­den zur erkann­ten Ware pass­te, war die Ent­schei­dung eindeutig.

b) Wenn der Tas­ten­druck ein­deu­tig nicht zur auf­ge­leg­ten Ware pass­te, konn­te ein alter­na­ti­ver Kas­sen­zet­tel gedruckt werden.

c) Wenn die Erken­nung selbst unein­deu­tig war, d.h. zwei Pro­duk­te in Fra­ge kom­men wür­den, aber der Kun­de z.B. die Tas­te mit dem teu­re­ren Pro­dukt gedrückt hat, wur­de natür­lich die teu­re­re Vari­an­te gewählt – gleich­zei­tig ließ sich die­se Situa­ti­on abspei­chern, so dass sie für die Zukunft mit berück­sich­tigt wer­den konnte.

Die­se Waa­ge erzeug­te also auf Basis von Ein­ga­ben und der Bil­der der Kame­ra (Ein­ga­be­schicht) Daten, die sie ver­ar­bei­te­te (Ver­ar­bei­tungs­schicht). Bei der Ver­ar­bei­tung flos­sen die Ein­ga­be­da­ten eben­so ein, wie gespei­cher­te Fäl­le aus einer Daten­bank. Die Daten wur­den unter­ein­an­der gewich­tet, mit einer Daten­bank vol­ler Stan­dard­fäl­le abge­gli­chen und dann eine Aus­ga­be in Form eines Kas­sen­zet­tels erzeugt (Ausgabeschicht).Mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit stimm­ten dann Kas­sen­zet­tel und Pro­dukt tat­säch­lich über­ein. Die Wahr­schein­lich­keit der Über­ein­stim­mung war umso grö­ßer, je mehr Stan­dard­fäl­le in der Daten­bank der Waa­ge erfasst wur­den und je mehr Ein­ga­ben die „intel­li­gen­te Waa­ge“ bereits ver­ar­bei­tet hat­te. Softwarentwickler:innen konn­ten die Stan­dard­fäl­le in Form einer Daten­bank vorgeben.

Sprach­mo­del­le funk­tio­nie­ren nach einem ähn­li­chen Prin­zip, nur dass die Stan­dard­fäl­le und Aus­ga­ben ungleich kom­ple­xer sind als bei dem Bei­spiel der Waa­ge. Zudem ist ver­hält­nis­mä­ßig wenig dar­über bekannt, mit wel­chen Daten die zugrun­de­lie­gen­den Daten­ban­ken gefüllt wur­den. Letzt­lich gilt aber auch hier, dass die Aus­ga­ben ledig­lich mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit kor­rekt sind oder gar zur Anfra­ge des Nut­zen­den pas­sen – daher ver­hal­ten sich Han­nes und Fred deut­lich smar­ter als Martha.

Es mag auf den ers­ten Blick erstau­nen, dass Sprach­mo­del­le Aus­ga­ben in der momen­ta­nen Qua­li­tät lie­fern. Wir hal­ten Spra­che für ein kom­ple­xes Sys­tem und wür­den einer Maschi­ne deren Imi­ta­ti­on zunächst nicht so recht zutrau­en. Aller­dings sind Sprach­mo­del­le nicht ein­fach vom Him­mel gefallen.

Die Grund­la­gen wur­den schon früh gelegt: Sprachassistent:innen wie Siri, Ale­xa, Cort­a­na usw. sind schon län­ger in der Lage gespro­che­ne Spra­che zu erken­nen und Reak­tio­nen auf ein­fa­che Ein­ga­ben zu erzeugen.

In der Infor­ma­tik gilt der Grundsatz:

Wenn du eine Soft­ware oder KI bau­en kannst, die etwas erkennt, kannst du auch eine Soft­ware oder KI bau­en, die das­sel­be Ding imi­tiert.“2

Neben­bei bemerkt wird durch die­sen schlich­ten Satz auch klar, dass jedes Sicher­heits­sys­tem, das auf der Erken­nung von z.B. mensch­li­cher Spra­che oder der Erken­nung von Gesich­tern basiert, kei­ne gute Idee zur Her­stel­lung von Sicher­heit ist – wenn es künst­li­che Intel­li­genz gibt, die mensch­li­che Spra­che und mensch­li­che Gesich­ter imi­tie­ren kann und die­se sich zudem wei­ter entwickelt.

Einen wei­te­ren Ein­blick in die Kom­ple­xi­tät von Sprach­mo­del­len bie­ten übri­gens auch deren Hard­ware­an­for­de­run­gen. Vor kur­zem tauch­te Face­books Sprach­mo­dell „LLaMA“ im Netz auf. Ein hand­li­cher Down­load von 268GB ent­hält unter­schied­li­che Sprach­mo­dell­va­ri­an­ten. In der ein­fachs­ten 7B Vari­an­te benö­tigt LLaMA zwi­schen 12–16GB an VRAM einer Gra­fik­kar­te, mög­lichst vie­le Pro­zes­sor­ker­ne und RAM. Die Ver­ar­bei­tungs­zei­ten selbst ein­fa­cher Prompts auf Stan­dard­hard­ware bewe­gen sich jen­seits erträg­li­cher Wer­te. Damit ist zumin­dest für den Moment klar, dass auf Basis des heu­ti­gen Wis­sens­stan­des nur sehr weni­ge Mark­teil­neh­mer in der Lage sein wer­den, in der Brei­te ver­füg­ba­re Sprach­mo­del­le sta­bil zu betreiben.

Mögliche Auswirkungen auf das kommerzialisierte Internet

Der dazu not­wen­di­ge immense Ener­gie­ver­brauch ist in die­sem Kon­text letzt­lich eine Fuß­no­te, weil Sprach­mo­del­le das Poten­ti­al besit­zen, das Netz in sei­ner Struk­tur fun­da­men­tal zu verändern.

Gera­de das kom­mer­zi­el­le Inter­net besteht aus einer Viel­zahl von Tex­ten, die einen Gebrauchs­cha­rak­ter auf­wei­sen: Nach­rich­ten, Sport­be­rich­te, Pro­dukt­be­schrei­bun­gen und Zusam­men­fas­sun­gen sind durch Sprach­mo­del­le mit rela­tiv begrenz­ten Anwei­sun­gen und Ein­ga­ben auto­ma­ti­siert erstell­bar. Die dazu not­wen­di­gen Daten lie­gen teil­wei­se bereits in digi­ta­li­sier­ter Form vor. Es wird z.B. bei Hand­ball­spie­len ein dezi­dier­tes Spiel­pro­to­koll geführt, aus dem ein heu­ti­ges Sprach­mo­dell mühe­los und weit­ge­hend auto­ma­ti­siert einen Spiel­be­richt erstel­len kann.

Das wird sowohl immense Aus­wir­kun­gen auf jeden Mark­teil­neh­mer haben, der sich mit Con­ten­ter­stel­lung beschäf­tigt, als auch den Such­ma­schi­nen­markt kom­plett ver­än­dern: Der zur Such­an­fra­ge pas­sen­de Inhalt kann theo­re­tisch indi­vi­du­ell gene­riert wer­den – natür­lich auch aus kom­mer­zi­el­len Quel­len. Das wer­den damit span­nen­de Zei­ten für das Leis­tungsschutz­recht: Zitie­ren auch klei­ne­rer Text­pas­sa­gen ist im Prin­zip nicht mehr not­wen­dig. Die Ergeb­nis­se wer­den einer signi­fi­kant gro­ßen Anwender:innengruppe voll­kom­men aus­rei­chen. Die dann ggf. höf­li­cher­wei­se mit ange­ge­be­nen Ori­gi­nal­quel­len erfah­ren kei­ne Auf­merk­sam­keit durch Klicks und Besu­che mehr – einer immens wich­ti­gen ideel­len Wäh­rung im Netz. Damit wer­den ins­be­son­de­re die Inter­net­gi­gan­ten es noch effek­ti­ver bewerk­stel­li­gen, Nutzer:innen in ihrem eige­nen digi­ta­len Öko­sys­tem zu hal­ten. Micro­soft unter­nimmt bereits ers­te Schrit­te mit Bing­AI und der Inte­gra­ti­on von sprach­mo­dell­ba­sier­ter Kor­rek­tur­funk­tio­nen in sei­ne Office­pro­duk­te. Goog­le holt als Reak­ti­on sei­nen auf Lam­da basier­ten Chat­bot „Bard“ wie­der auf die Büh­ne, des­sen Pro­duk­tiv­be­trieb zunächst auf Basis von ethi­schen Beden­ken ver­wor­fen wur­de: Bard konn­te per Sprach­aus­ga­be täu­schend ech­te Anru­fe z.B. zur Reser­vie­rung von Restau­rant­ti­schen oder Essens­be­stel­lun­gen auf Basis von ein­fa­chen Prompts rea­li­sie­ren. Das poten­ti­el­le Miss­brauchs­po­ten­ti­al die­ser Funk­tio­nen stand einer Markt­ein­füh­rung 2021 noch im Weg.

Sprachmodelle als Unterstützung bei Anträgen und Dokumentationen

Deutsch­land hat ein aus­ge­präg­tes Doku­men­ta­ti­ons- und Antrags­we­sen in unter­schied­li­chen Berei­chen eta­bliert: In der Medi­zin z.B. der Arzt­be­richt, in För­der­pro­gram­men umfang­rei­che Anträ­ge, in der Pfle­ge kom­ple­xe Doku­men­ta­tio­nen, Pro­to­kol­le von allen mög­li­chen Sit­zun­gen – die Lis­te lie­ße sich belie­big fort­set­zen. Allen die­sen „Text­gat­tun­gen“ ist gemein, dass sie oft sehr sche­ma­tisch sind – sche­ma­ti­sche Tex­te sind schon heu­te eine Domä­ne von Sprachmodellen.

Sprach­mo­del­le wer­den dabei hel­fen, Men­schen von die­sen sche­ma­ti­schen Auf­ga­ben zu ent­las­ten. Für spe­zi­el­le Fach­be­rei­che sind Text­ge­ne­ra­to­ren denk­bar, die pri­mär mit fach­be­zo­ge­nen Inhal­ten trai­niert wer­den. Dadurch kön­nen sie bei Rou­ti­ne­auf­ga­ben unter­stüt­zen, wenn­gleich nach heu­ti­gem Stand immer noch eine Über­prü­fung der Aus­ga­ben durch einen sach­kun­di­gen Men­schen erfor­der­lich ist.

Aber auch in die­sem Feld ist es kom­pli­ziert. Neh­men wir das Antrags­we­sen in För­der­pro­gram­men: Die teil­wei­se hohen Anfor­de­run­gen an För­der­an­trä­ge die­nen dazu, den Zugriff auf eine begrenz­te Res­sour­ce (z.B. Geld oder Per­so­nal) zu begren­zen. Sprach­mo­del­le wer­den natür­lich dabei hel­fen, bis­her nicht aus­rei­chend genutz­te För­der­mit­tel tat­säch­lich abru­fen zu kön­nen. Es gibt jedoch Res­sour­cen, die völ­lig über­lau­fen sind – etwa die son­der­päd­ago­gi­schen Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te in Schu­len. Auch hier wer­den Sprach­mo­del­le z.B. bei der Erstel­lung von Gut­ach­ten unter­stüt­zen, jedoch blei­ben gera­de per­so­nel­le Res­sour­cen wei­ter­hin knapp. Damit wird der Zugang zu eben­die­sen Res­sour­cen auf ande­ren Wegen erschwert wer­den: Ein gut begrün­de­ter Antrag steht ledig­lich in Kon­kur­renz zu ande­ren sehr gut begrün­de­ten Anträgen.

Sprachmodelle als neutralere Entscheidungsinstanzen?

Sascha Lobo setzt sich in sei­ner Kolum­ne KI kann mensch­li­che Ver­ant­wor­tung nicht erset­zen? – Doch!“ mit der Stel­lung­nah­me des deut­schen Ethik­ra­tes zu künst­li­cher Intel­li­genz aus­ein­an­der. Er for­dert, dass künst­li­che Intel­li­genz in bestimm­ten Berei­chen an die Stel­le der mensch­li­chen Ent­schei­dung tritt – genau da fällt für den deut­schen Ethik­rat die letz­te Gren­ze. Als Bei­spiel kann die Dia­gno­se eines Arz­tes die­nen: Ein spe­zi­ell mit medi­zi­ni­schem Wis­sen trai­nier­tes Sprach­mo­dell könn­te dabei unter­stüt­zen. Als Ein­ga­be die­nen z.B. Labor- und Ana­mne­se­da­ten. Das spe­zia­li­sier­te Sprach­mo­dell könn­te denk­ba­re Erkran­kun­gen auf Basis die­ser Daten ermit­teln und wäre dabei nicht auf das Wis­sen einer Ein­zel­per­son beschränkt.

Für Sascha Lobo ist das ein Fall, bei dem sich die Fra­ge nach dem Ein­satz von Sprach­mo­del­len nicht stellt, son­dern für ihn ver­bind­lich sein soll­te, weil das spe­zia­li­sier­te Sprach­mo­dell dem Men­schen über­le­gen sei. Die­se Argu­men­ta­ti­on erscheint zunächst bestechend – aller­dings ist ein Modell immer nur so gut wie des­sen Ein­ga­be­da­ten, die hier im Rah­men einer Ana­mne­se durch einen Men­schen ent­ste­hen. Das kann bei eini­gen Krank­heits­bil­dern kom­plex und feh­ler­träch­tig sein – gera­de in Zwei­fels­fäl­len: Die glei­che Krank­heit kann bei unter­schied­li­chen Men­schen völ­lig unter­schied­li­che Sym­pto­me aus­lö­sen – es wird eine span­nen­de Fra­ge in wel­chem ggf. lücken­haf­ten Ver­hält­nis das Erfah­rungs­wis­sen eines Men­schen und des­sen Inter­ak­ti­ons­mög­lich­kei­ten mit ande­ren zu der von einer KI gelie­fer­ten Infor­ma­ti­on steht.

Sprachmodelle und Bildungsprozesse

Kom­men wir am Schluss noch ein­mal zurück zu Mar­tha, Han­nes und Fred: Sie wach­sen in einer Welt auf, in der Sprach­mo­del­le mit ihren immer men­schen­ähn­li­che­ren Inter­faces wie ChatGPT in ganz kur­zer Zeit selbst­ver­ständ­lich sein wer­den – gera­de auch in Kom­bi­na­ti­on mit Sprach­ein- und ‑aus­ga­be. Nie wie­der schu­li­sche Übungs­tex­te? Nie wie­der Haus­auf­ga­ben mit künst­li­chen Auf­ga­ben­stel­lun­gen? Sind Haus­auf­ga­ben gar tot? Wenn doch heu­te ein­fa­ches „Promp­ting“ ausreicht?

Ent­schei­dend beim Schrei­ben ist der gedank­li­che Pro­zess bei der Erstel­lung eines Tex­tes. Wenn wir an die Stel­le des Schreib­pro­zes­ses Promp­ting bei einem Sprach­mo­dell set­zen und den Schreib­pro­zess selbst auto­ma­ti­sie­ren, ver­schie­ben wir den Lern­pro­zess auf eine ande­re Ebe­ne. Die­se Ebe­ne erfor­dert letzt­lich gro­ße Beur­tei­lungs­kom­pe­ten­zen, die sich bei Schreib­ler­nen­den wie Mar­tha, Han­nes und Fred noch in einer sen­si­blen Ent­wick­lungs­pha­se befin­den und damit in vie­len Fäl­len eine Über­for­de­rung dar­stel­len müs­sen. Gleich­zei­tig gehen mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit schreib­kom­pe­ten­ten Men­schen durch die Nut­zung von Sprach­mo­del­len Trai­nings- und Denk­pro­zes­se bei eigent­li­chen Erstel­len von Tex­ten ver­lo­ren. An deren Stel­le tre­ten Mecha­nis­men zur Ent­wick­lung und Modi­fi­ka­ti­on von geeig­ne­ten Prompts. Genau die­se Vor­ge­hens­wei­sen und Anwen­dun­gen wer­den bereits in gro­ßer Brei­te in den sozia­len Medi­en dis­ku­tiert. War­um den Ein­füh­rungs­text zu Imma­nu­el Kant aus dem Schul­buch lesen? Las­sen wie Schüler:innen doch ein­fach mit einem Chat­Bot „Imma­nu­el Kant“ chat­ten, den eine Lehr­kraft zuvor per „Mega­prompt“ mit Hil­fe eines Sprach­mo­dells erschaf­fen hat und der auf die indi­vi­du­el­len Fra­gen der Schüler:innen eingeht.

Sprach­mo­del­le selbst kön­nen auf­grund ihrer Kom­ple­xi­tät nur von gro­ßen Markt­teil­neh­mern betrie­ben wer­den – das wirft die Fra­ge nach neu­en Abhän­gig­keits­ebe­nen auf, gera­de im Bildungssystem.

Chancen und neue Herausforderungen

Sprach­mo­del­le berüh­ren einen Bereich, der eine Gesell­schaft aus­macht: Die Kom­mu­ni­ka­ti­on und den Umgang mit Spra­che. Sie sind nach Maß­stä­ben der Digi­ta­li­sie­rung nichts wirk­lich Neu­es, wie Goo­gles Chat­Bot „Bard“ bereits vor drei Jah­ren zeig­te. Mit ChatGPT steht erst­mals ein Inter­face zum Sprach­mo­dell GPT zur Ver­fü­gung, was durch vie­le Men­schen nie­der­schwel­lig nutz­bar ist. Vie­le Anfor­de­run­gen wer­den noch nicht zufrie­den­stel­lend gelöst. Jedoch kön­nen Sprach­mo­del­le auf Mil­lio­nen von Nutzer:inneneingaben zurück­grei­fen und auf deren Basis wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den. Bereits auf dem Stand der heu­ti­gen Ent­wick­lung ist immenses Poten­ti­al auf unter­schied­li­chen Ebe­nen erahn­bar. Gleich­zei­tig tre­ten ganz neue Fra­ge­stel­lun­gen auf, die vor allem Juris­ten und Ethi­ker beschäf­ti­gen wer­den. Die Kom­ple­xi­tät bei der Modi­fi­ka­ti­on und dem Betrieb von Sprach­mo­del­len wird dafür sor­gen, dass sie pri­mär in der Hand der Inter­net­gi­gan­ten blei­ben wer­den. Was die­se ohne wirk­sa­me staat­li­che Regu­lie­rung dar­aus machen wer­den, bleibt eine offe­ne Frage.

1 Geth­mann, Bux­mann Dis­tel­rath, Humm, Ling­ner, Nit­sch, Schmidt, Spiecker genannt Döh­mann: „Künst­li­che Intel­li­genz in der For­schung – Neue Mög­lich­kei­ten und Her­aus­for­de­run­gen für die Wis­sen­schaft“, S. 10, aus der Rei­he: Ethics of Sci­ence and Tech­no­lo­gy Assess­ment Bd. 48, bei: Springer

Die SWK möchte als kurzfristige Lösung Mehrarbeit, Abbau von Teilzeit und größere Klassen

Die politisch geschickt instrumentalisierte SWK

Manch­mal bin ja Pro­phet: Ich habe vie­le die­ser Vor­schlä­ge bereits vor eini­ger Zeit vor­aus­ge­se­hen: Lehr­kräf­te gewin­nen & Lehr­kräf­te­man­gel über­win­den – als Laie. Die SWK bekommt in sozia­len Medi­en gera­de doch recht ein­deu­ti­ge Reak­tio­nen, die Tei­le ihrer Mit­glie­der offen­bar stark ver­un­si­chert. Renom­mier­te Bildungsjournalist:innen wie der von mir geschätz­te Jan-Mar­tin Wiar­da sprin­gen ihr bei. Zwi­schen­tö­ne wie der Ver­such, Unter­richts­qua­li­tät durch Ein­satz aus­ge­bil­de­ter Lehr­kräf­te erhal­ten zu wol­len, ver­hal­len gegen­über den Maß­nah­men aus dem „Gift­schrank“.

Es war aus mei­ner Sicht kei­ne klu­ge Ent­schei­dung der SWK, den vor­an­ge­gan­ge­nen Auf­trag der KMK über­haupt anzu­neh­men – offen­bar ohne ihn zu modi­fi­zie­ren. Es ist sehr span­nend, wor­über öffent­lich gespro­chen wird. Span­nend ist aber auch, wor­über in Zusam­men­hang mit der SWK-Ver­öf­fent­li­chung nicht gespro­chen wird und wer sich gera­de nicht öffent­lich äußert und erklärt.

Ver­misst habe ich z.B. eine belast­ba­re Erhe­bung über die Grün­de, war­um Lehr­kräf­te in Teil­zeit gehen. Ver­bän­de und Lehr­kräf­te selbst behaup­ten: Wegen Über­las­tung und dem Wunsch, den Beruf mög­lichst gut und schü­ler­ge­recht zu machen. Ande­re gesell­schaft­li­che Grup­pen behaup­ten: Wegen Bequem­lich­keit und dabei zu aus­kömm­li­cher Besol­dung. Mir feh­len dazu Zah­len. Daten­ge­stütz­te Erkennt­nis­se dazu könn­ten nicht uner­heb­lich zu geeig­ne­ten Maß­nah­men bei­tra­gen. Belast­ba­re Zah­len wird man in die­ser Pha­se der Debat­te nicht mehr bekommen.

Ver­misst habe ich übri­gens wei­ter­hin die Idee, mit ande­ren Auf­ga­ben betrau­te Lehr­kräf­te zurück ins Sys­tem zu holen, z.B. Fach­be­ra­tung, Medi­en­be­ra­tung, Schul­ent­wick­lungs­be­ra­tung, Schul­in­spek­ti­on bzw. all­ge­mein Men­schen mit Lehr­amts­aus­bil­dung, die an Schul­be­hör­den, Lan­des­in­sti­tu­ten und Minis­te­ri­en arbei­ten – da wäre noch eini­ges zu holen, um den Preis einer wei­te­ren sys­te­ma­ti­schen Schwä­chung des Mit­tel­baus des Schul­sys­tems, die schon seit Jah­ren u.a. von exter­nen Bera­tungs­agen­tu­ren vor­an­ge­trie­ben wird.

Poli­tik instru­men­ta­li­siert nun­mal ger­ne – das Feu­er rich­tet sich zur­zeit recht effek­tiv gegen die Wissenschaftler:innen. Dabei hät­te ich ganz ande­re Fra­gen – z.B. ob die alt­ehr­wür­di­ge KMK (immer­hin selbst län­ger exis­tie­rend als der Bun­des­rat) eine geeig­ne­te Struk­tur dar­stellt und dar­ge­stellt hat, unser Bil­dung­s­ys­tem in eine Rich­tung zu ent­wi­ckeln, die der Volks­wirt­schaft und Kul­tur eines boden­schatz­ar­men Lan­des gerecht wer­den könn­te. Immer­hin spricht die SWK ja selbst von Pro­ble­men von his­to­ri­schem Aus­maß – da darf es fol­ge­rich­tig auch kei­ne Denk­ver­bo­te hin­sicht­lich des Fort­be­stands von Struk­tu­ren jed­we­der Art und Geschich­te geben.

Fehlende Alternativen zu den Vorschlägen der SWK

Ich mache mich jetzt ein­mal unbe­liebt: Es gibt objek­tiv m.E. über­haupt kei­ne Alter­na­ti­ve zu den vor­ge­schla­ge­nen Maß­nah­men, wenn man die bis­he­ri­ge – schon jetzt oft kri­ti­sier­te – Unter­richts­qua­li- und ‑quan­ti­tät zumin­dest für einen gewis­sen, wahr­schein­lich recht kur­zen Zeit­raum auf­recht erhal­ten möchte.

Daher lau­fen dra­ma­ti­sie­ren­de Kom­men­ta­re wie der von Bob Blu­me im Spie­gel weit­ge­hend ins Lee­re: Sie benen­nen Misstän­de und Fehl­ar­gu­men­ta­tio­nen – sie blei­ben jedoch letzt­lich die Ant­wort schul­dig, was man denn jetzt genau für die Schüler:innen machen soll, die sich im Sys­tem befin­den. Über­wie­gen­de Tei­le der Gesell­schaft sind der Kla­ge der Lehr­kräf­te wahr­schein­lich überdrüssig.

Die Maß­nah­men selbst wer­den zwar kurz­fris­tig hel­fen, aber letzt­lich dazu füh­ren, dass sich Fehl­ent­wick­lun­gen wei­ter ver­schär­fen. Die Zeit, um gegen­zu­steu­ern, wird nicht aus­rei­chen. Der Ver­weis auf Ver­säum­nis­se in der Ver­gan­gen­heit mag eben­falls objek­tiv rich­tig, aber noch weni­ger hilf­reich bei der Bewäl­ti­gung aktu­el­ler Her­aus­for­de­run­gen sein.

Warum die Idee einer Imagesteigerung des Lehrer:innenberufes bestenfalls niedlich ist

Wer for­dert, das Image des Lehrer:innenberufs zu ver­bes­sern, um mehr Bewerber:innen gewin­nen zu kön­nen und z.B. mehr Stu­di­en­plät­ze schaf­fen möch­te, ver­kennt die Situa­ti­on in der Gesamt­ge­sell­schaft: Das Fach­kräf­te­pro­blem ist ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches! Das Hand­werk, die öffent­li­che Ver­wal­tung, die Bun­des­wehr, die Poli­zei, das Gesund­heits­sys­tem, die früh­kind­li­che Bil­dung, die Indus­trie – eigent­lich nahe­zu alle Bran­chen tre­ten zu der oft vor­ge­schla­ge­nen „Image­of­fen­si­ve“ in Kon­kur­renz. Es feh­len schlicht die Men­schen für die Auf­ga­ben inner­halb von Wirt­schaft und Ver­wal­tung. Als leid­lich gut aus­ge­bil­de­ter jun­ger Mensch bin ich nicht (mehr) dar­auf ange­wie­sen, um die Gunst eines Sys­tems zu buh­len – es bewer­ben sich gleich meh­re­re um mich. Je grö­ßer dabei die Not, des­to gerin­ger muss übri­gens fol­ge­rich­tig zusätz­lich im Prin­zip die eige­ne Kom­pe­tenz von Bewerber:innen sein. Ggf. könn­te die oft beschwo­re­ne „Deindus­tria­li­sie­rung Deutsch­lands“ gera­de nicht durch Steu­ern und Ener­gie­prei­se, son­dern letz­ten­en­des durch das schlich­te Feh­len von Köp­fen vor­an­ge­trie­ben wer­den, wenn Fak­to­ren wie poli­ti­sche Sta­bi­li­tät und frei­heit­li­che Gesell­schafts­ver­hält­nis­se kein aus­rei­chen­des Wachs­tum in einer kapi­ta­lis­ti­schen Markt­lo­gik der Groß­kon­zer­ne mehr garantieren.

Was also tun?

Eine Attrak­ti­vi­täts­stei­ge­rung mit Strahl­kraft kann nur aus dem Sys­tem her­aus erfol­gen. Poli­tisch muss alles dar­an gesetzt wer­den, enga­gier­te und klu­ge Köp­fe im Bil­dung­s­ys­tem um jeden Preis zu hal­ten. Das geht mit den bis­he­ri­gen Ver­wal­tungs- und Hörig­keits­struk­tu­ren nicht. Wenn sich Ver­ant­wort­li­che immer wie­der auf ihr Recht beru­fen könn­ten, z.B. Wei­sun­gen zu ertei­len, die dann prak­tisch nicht umsetz­bar sind, wird es schwie­rig. Wenn wir gegen­über Lehr­kräf­ten immer wie­der Kon­zep­te des maxi­ma­len Miss­trau­ens fah­ren (z.B. enge Vor­schrif­ten zur jus­ti­tia­blen Kor­rek­tur oder Durch­füh­rung von Prü­fun­gen), wird es schwie­rig. Wie wäre es statt­des­sen mit einer umfas­sen­den Rechts­schutz­ver­si­che­rung? Oder umfas­sen­den Insas­sen­ver­si­che­rung, wenn der enga­gier­te Kol­le­ge mit der klei­nen Schüler:innengruppe zu einem Wett­be­werb fährt anstatt dann auch noch einen Antrag stel­len zu müs­sen? Ver­trau­en statt Miss­trau­en als default, dienst­recht­li­che Maß­nah­men – dann bit­te auch ger­ne wirk­lich eska­lie­rend – bei fort­ge­setz­tem Fehlverhalten.

Was wei­ter­hin kom­plett fehlt, ist eine Per­spek­ti­ve für die Men­schen, die sich jetzt im Sys­tem befin­den. Die Erfah­rung aus der Ver­gan­gen­heit ist, das Mehr­be­las­tun­gen schnell umge­setzt, Ent­las­tun­gen dann aber immer wie­der ver­tagt wer­den. Solan­ge die­ser Zyklus nicht durch eine ech­te Per­spek­ti­ve durch­bro­chen wird, bleibt es schwie­rig. Sym­bo­le wie die Abset­zung der KMK wür­den zwar m.E. immens hel­fen, sind wahr­schein­lich for­mal nicht rea­lis­tisch. Und so kon­struk­tiv ist die­se For­de­rung ja auch wie­der nicht. Zu den Anfän­gen die­ses Blogs hat­te ich ein­mal die Idee, dass Bil­dungs­sys­tem einer staat­lich eng kon­trol­lier­ten NGO anzu­ver­trau­en. Ja, ich weiß, Föde­ra­lis­mus und so. Aber es wür­de zumin­dest das Bil­dung­s­ys­tems den Legis­la­tur­pe­ri­oden ent­zie­hen – ich ernied­ri­ge daher auf:  „Der KMK eine NGO ent­ge­gen­stel­len“ (und nach zehn Jah­re zu schau­en, woher die nach­hal­ti­gie­ren Impul­se gekom­men sind – die ande­re Orga­ni­sa­ti­on wird dann auf­ge­löst.) Das wären viel­leicht ein Sym­bol und eine geeig­ne­te Perspektive.

Zivilgesellschaft muss es noch mehr als jetzt schon richten

Jetzt kommt schon wie­der etwas Unan­ge­neh­mes: Trotz­dem Poli­tik und Ver­wal­tung viel zur aktu­el­len Kri­se bei­getra­gen haben, wer­den es Poli­tik und Ver­wal­tung nicht ohne Lehr­kräf­te und Zivil­ge­sell­schaft schaf­fen. Wir Lehr­kräf­te mit gro­ßen oder kei­nen Kin­dern müs­sen weg von der Hal­tung: „Jetzt sol­len die Jun­gen mal!“ (falls wir sie hät­ten, soll ja schon vor­ge­kom­men sein). Spe­zi­ell auf uns kommt eini­ges zu. Gleich­zei­tig müs­sen wir uns mehr unse­res Wer­tes für das Sys­tem bewusst wer­den und das dann so leben. Wir haben eine Loya­li­täts­pflicht gegen­über dem Dienst­her­ren, er aber auch eine gegen­über uns. Das wird ger­ne ver­ges­sen. Wider­stands­for­men hin­ter der eige­nen Klas­sen­raum­tür inter­es­sie­ren eine for­ma­le Struk­tur wir eine Schul­bü­ro­kra­tie wesent­lich weni­ger als Wider­stands­for­men, die Ver­wal­tungs­ak­te aus­lö­sen und z.B. mit Hil­fe von Ver­bän­den ihrer­seits intern und immer der Treue­pflicht fol­gend eska­liert wer­den können.

Um es kon­kre­ter zu machen: Beam­te müs­sen beam­ten­recht­lich amts­an­ge­mes­sen beschäf­tigt wer­den. Das ist ein ziem­lich rele­van­ter Kern der Für­sor­ge­pflicht. Die ihnen über­tra­ge­nen Auf­ga­ben müs­sen ihren Qua­li­fi­ka­tio­nen (Hebel­punkt 1) und der Wer­tig­keit ihres Amtes (Hebel­punkt 2) ent­spre­chen. Die Aus­ge­stal­tung eines Amtes durch den Dienst­herrn hat hier eine juris­ti­sche Grenze.

Wir – und damit mei­ne ich vie­le Män­ner – dür­fen die Haupt­last der fami­liä­ren Auf­ga­ben nicht vor­wie­gend Frau­en auf­bür­den. Alle Män­ner, die die Kon­fek­ti­ons­grö­ßen ihrer Kin­der nicht ken­nen, tun das. Also auch ich. Vie­le Frau­en sind im Sys­tem wegen der fami­li­en­freund­li­chen Anpas­sungs­mög­lich­kei­ten der Arbeits­zeit und tra­gen aber gleich­zei­tig die vol­le Last des „Fami­li­en­ma­nage­ments“, d.h. Lebens­mo­del­le von Lehr­erfa­mi­li­en wer­den durch Reduk­ti­on der Teil­zeit­mög­lich­kei­ten nicht unbe­rührt blei­ben kön­nen. Ich bin mir näm­lich nicht so sicher, ob es wirk­lich vie­le Lehr­kräf­te gibt, die ohne eige­ne Kin­der unter 18 Jah­ren oder pfle­ge­be­dütf­ti­ge Ange­hö­ri­ge Stun­den redu­zie­ren. Die Ermitt­lung kon­kre­ter Zah­len dazu ist die SWK schul­dig geblie­ben. 49% Teil­zeit­quo­te hört sich erst­mal viel an, ja.

Vertrauen muss wieder default werden

Eltern müs­sen in Erzie­hungs­fra­gen noch mehr als jetzt in Ver­ant­wor­tung gehen. Koope­ra­ti­on soll­te Kon­fron­ta­ti­on ste­chen, auch wenn Erzieher:innen und Lehr­kräf­te die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se der eige­nen Kin­der zuneh­mend eher weni­ger als mehr erfül­len kön­nen. Sonst wird es bald deut­lich weni­ger Men­schen geben, die dazu bereit und auch noch in der Lage sind, indi­vi­du­ell auf Kin­der ein­zu­ge­hen. Ich möch­te allen Eltern Mut machen, den Lehr­kräf­ten ihrer Kin­der zu ver­trau­en. Wenn die­ses Ver­trau­en gestört ist, gibt es taug­li­che Mit­tel (Gesprächs­ter­min + ggf. dann wei­te­re Eska­la­ti­on) und weni­ger taug­li­che Mit­tel (Ver­öf­fent­li­chung von Kor­rek­tu­ren auf Social­me­dia, Beschwer­de bei der Schul­be­hör­de als ers­te Reak­ti­on) zur Lösungsanbahnung.

Ich möch­te den Schul­be­hör­den und Kul­tus­mi­nis­te­ri­en Mut machen, ihren Schul­lei­tun­gen und Lehr­kräf­ten mehr oder anders zu ver­trau­en. Ziel muss Selbst­stän­dig­keit sein. Nur das trägt lang­fris­tig zur Arbeits­ent­las­tung von Schul­lei­tun­gen und Behör­den bei. Kon­trol­le und Bera­tung mit dem Ziel der unbe­ding­ten Pflicht­er­fül­lung wird immer ver­un­si­chern. Ver­un­si­che­rung zieht ein Bestre­ben nach Absi­che­rung nach sich. Vie­le klein­tei­li­ge Nach­fra­gen von vie­len Kolleg:innen kann z.B. kei­ne Schul­lei­tung die­ser Welt bewältigen.

Wenn etwas Öffent­lich­keits­wirk­sa­mes schu­li­sches Per­so­nal angeht, darf man schu­li­schem Per­so­nal ver­trau­en und es VOR der Öffent­lich­keit infor­mie­ren. Neue­run­gen und Auf­trä­ge z.B. aus Pres­se­mit­tei­lun­gen zu erfah­ren stärkt an der Basis nicht die Auto­ri­tät über­ge­ord­ne­ter Behör­den. Das ist schlicht opti­mier­ba­rer Füh­rungs­stil. Ide­al wäre natür­lich eine Betei­li­gung der Basis an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen, aber natür­lich wenig realistisch.

Wo Men­schen arbei­ten, gesche­hen Feh­ler. Wo Men­schen über­las­tet sind, über­pro­por­tio­nal vie­le. Man kann jetzt so tun, als bestün­de die Mög­lich­keit, dass der­ar­ti­ge Feh­ler im Prin­zip immer wie­der und über­all vor­kom­men – obwohl sie sta­tis­tisch kaum rele­vant sind – und für alle mög­li­chen Spe­zi­al­fäl­le, die sel­ten ein­tre­ten, neue Vor­ga­ben, Erlas­se und Ver­ord­nun­gen gene­rie­ren, die letzt­lich die Arbeit aller ein­schrän­ken und erschwe­ren – das kann sogar dazu füh­ren, dass die Behör­de bei Anfra­gen dann selbst nicht mehr durch­blickt und letzt­lich auch mehr Arbeit hat.

Man kann aber auch dar­auf ver­trau­en, dass im Schul­sys­tem in der Mehr­zahl gut aus­ge­bil­de­te Men­schen arbei­ten, die die Res­sour­cen des Dienst­herrn nicht absicht­lich oder fahr­läs­sig bin­den wol­len. Und die Welt ist gemein: Es tre­ten immer wie­der Fäl­le ein, die unvor­her­seh­bar waren. Und dann reagiert man wie­der mit neu­en Vor­ga­ben, Erlas­sen und Ver­ord­nun­gen, die Arbeit aller erschwe­ren? Viel­leicht ist die­ses Kon­zept selbst bedingt zielführend.

Men­schen arbei­ten ger­ne in Umge­bun­gen, die ihnen etwas zutraut und die ihnen selbst ver­traut. Und das Schul­sys­tem muss attrak­ti­ver wer­den. Ver­trau­en als default bit­te! (klappt bei Professor:innen und Richter:innen im Wesent­li­chen auch).

Reform der Ausbildung von Erzieher:innen und Lehrkräften

Eines vor­weg und wie­der umpo­pu­lär: Für die Sekun­dar­stu­fe habe ich kei­ne Lösung. Die scheint aber auch nicht so wich­tig zu sein wie der Ele­men­tar- und Prim­ar­be­reich, wenn Din­ge wie Chan­cen­gleich­heit und Anhe­bung des gesam­ten Bil­dungs­ni­veaus einer Bevöl­ke­rung im Mit­tel­punkt ste­hen – da ver­lie­ren wir die Kin­der wesent­lich frü­her und das lässt sich auch kaum wie­der auf­ho­len, wenn ich die mir bekann­ten Stu­di­en rich­tig gele­sen habe. Daher: Im KiTa- und Krip­pen­be­reich müs­sen wir die Aus­bil­dungs­qua­li­tät anhe­ben. Das soll­ten zumin­dest ver­mehrt aka­de­mi­sche Berufs­bil­der sein.

Im Prim­ar­be­reich ist mir das Kon­zept eines dua­len Stu­di­ums sehr sym­pa­thisch. Koope­ra­ti­on mit ande­ren Fach­kräf­ten kommt im Prim­ar­be­reich im Berufs­all­tag deut­lich öfter vor als in höhe­ren Schul­for­men. Das bil­det eine gute Grund­la­ge für jun­ge Men­schen, die sich beruf­lich noch fin­den wol­len und eine frü­he Per­spek­ti­ve auf das, was Schu­le aus­macht. Und ein frü­her Ein­blick bie­tet Chan­cen, sich zu begeis­tern und auch fach­lich im Stu­di­um Leis­tung zu brin­gen, aber auch frü­he Chan­cen auf Umori­en­tie­rung. So könn­ten Schu­len von mehr klu­gen Köp­fen im All­tag profitieren.

Die größ­te Ent­las­tung für wei­ter­füh­ren­de Schul­for­men wären m.E. letzt­lich Men­schen, die in der Mehr­zahl lern­of­fen und selbst­kom­pe­tent sind. Gleich­zei­tig könn­te das das Arbeits­um­feld attrak­tiv machen, wenn jun­ge Men­schen uns dann anders fordern.

Fachkräfte zur Entlastung der Lehrkräfte von fachfremden Aufgaben?

Die fach­frem­den Auf­ga­ben gibt es ja an Schu­len for­mal nicht, weil für die Aus­ge­stal­tung des Lehr­kräf­te­be­ru­fes der Grund­satz der Amts­an­ge­mes­sen­heit gilt (s.o.). Die Vor­schlä­ge der SWK zur Ent­las­tung von Lehr­kräf­ten in die­sem Bereich blei­ben mir ver­gli­chen mit den sehr kon­kre­ten Berech­nun­gen zu Stun­den­ge­win­nen durch Ein­schrän­kung von Teil­zeit­op­tio­nen, Mehr­ar­beit und Co. etwas zu vage. Die Idee einer Kor­rek­turas­sis­tenz ist ja wahr­schein­lich auf den ers­ten Blick ganz nett, aber ver­kennt, dass hier vie­le Fra­gen offen­blei­ben – etwa die nach der Qua­li­fi­zie­rung der betei­lig­ten Per­so­nen und dem Auf­wand für die not­wen­di­gen Kommunikationsprozesse.

Die Digi­ta­li­sie­rung wird nach mei­nem Emp­fin­den von der SWK noch zu stark mit tech­ni­schem Fokus gedacht anstatt deren gesamt­ge­sell­schaft­li­che Impli­ka­tio­nen in den Blick zu neh­men. Die Vor­schlä­ge zum Hybrid­un­ter­richt erschei­nen mit sehr stark durch klas­si­sche uni­ver­si­tä­re Lern­set­tings geprägt. Wie könn­ten Stel­len­be­schrei­bun­gen für Per­so­nal kon­kret aus­se­hen, das Lehr­kräf­te nach­hal­tig ent­las­ten soll? Wo wer­den die ein­zu­set­zen­den Res­sour­cen erho­ben und eben­so pla­ka­tiv berech­net und mit Zah­len hin­ter­legt wie die zu erwar­te­ten­den Stun­den­ge­win­ne? (war wahr­schein­lich nicht der „Auf­trag“).

Und das Digitale?

Ach, ich glau­be mei­ne Gedan­ken dazu ver­kau­fe ich bes­ser wie­der in Form eines kom­mer­zi­el­len Arti­kels :o)…

 

 

 

 

 

 

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