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Das Ich als Marke im Netz – Unterrichtsideen zur Netzidentität

Überblick

Klas­sen­stu­fe: ab Klas­se 9
Fächer: Poli­tik, Reli­gi­on, Wer­te und Normen
Zeit­be­darf: je Übung ca. 45 Minuten
tech­ni­sche Aus­stat­tung: Smart­phones, ggf. WLAN, PC-Raum
Auf­wand: mittel
fach­li­che Kom­pe­ten­zen: Iden­ti­tät als Kon­zept demo­kra­ti­scher Gesellschaften
all­ge­mei­ne Kom­pe­ten­zen und Medi­en­kom­pe­tenz: Inter­net­re­cher­che, Umgang mit Quellen

Das Ich als Marke im Netz –

wie und war­um wir das Bild, wel­ches im Inter­net von uns ent­steht aus­ge­stal­ten und nicht igno­rie­ren sollten

Nahe­zu jeder von uns ist im Inter­net prä­sent, auch die­je­ni­gen, die sich den digi­ta­len Medi­en ver­wei­gern. Der wohl bekann­tes­te Mes­sen­ger Whats­App teilt bei der Erst­an­mel­dung die loka­le Tele­fon­lis­te des jewei­li­gen Han­dys mit den Ser­vern von Face­book. Schü­ler schrei­ben auf Bewer­tungs­por­ta­len Rück­mel­dun­gen zu Lehr­kräf­ten und neh­men kei­ne Rück­sicht dar­auf, ob die­se Lehr­kraft sei­ne Arbeits­blät­ter noch im Matri­zen­ver­fah­ren erstellt, um sich aus dem Inter­net her­aus­zu­hal­ten. Wir beglei­chen Rech­nun­gen mit elek­tro­ni­schen Zah­lungs­mit­teln, nut­zen Rabatt­kar­ten oder sind Mit­glied im ADAC – über jeden von uns sind Daten im Umlauf, die etwas über uns erzäh­len, ob wir wol­len oder nicht.

Kris­ti­an Köhn­topp, Mit­be­grün­der der Pro­gram­mier­spra­che PHP, ehe­ma­li­ger Secu­ri­ty­spe­zia­list bei web.de, ehe­ma­li­ger Betreu­er der Daten­bank­ser­ver von bookings.com, momen­tan ange­stellt bei Syse­le­ven beschreibt sei­ne Reak­ti­on auf die­se Umstän­de im Jah­re 2009 folgendermaßen:

Was ich mit mei­nem Blog und allen mei­nen ande­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen mache, ist eine Mar­ke ‚Kris­ti­an Köhn­topp‘ zu bau­en. Es ist unver­meid­lich, daß ich unter mei­nem Namen eine Daten­spur in die­ser Welt hin­ter­las­se – ich brau­che nicht anzu­tre­ten um zu ver­su­chen, die­se zu verstecken.

Was ich aber tun kann ist zu ver­su­chen, die­se Spur zu ownen, also die Inhal­te die eine Suche nach mei­nem Namen zu Tage för­dert mehr oder weni­ger zu kon­trol­lie­ren und das Image zu bestim­men, daß durch die Suche nach mei­nem Namen pro­du­ziert wird. Das ist natür­lich nichts ande­res als klas­si­sches Mar­ke­ting auf mich als Pri­vat­per­son und mei­nen Daten­schat­ten über­tra­gen. Damit wird natür­lich jede Akti­on von mir im Netz zu einer Publi­ka­ti­on, die auf mein Image und mei­ne Mar­ke wirkt und sie ent­we­der auf­baut, beschä­digt oder verändert.

Ich den­ke auch, daß ist den Digi­tal Nati­ves unter uns klar und das ist ein gutes Teil des­sen, was uns von den Digi­tal Immi­grants unter­schei­det: Wir wis­sen das, wir haben das akzep­tiert und wir leben das. Wir sind im Netz zu glei­chen Tei­len Per­son, Pro­jek­ti­on und Publi­ka­ti­on – kein authen­ti­sches Gesamt-Kunstwerk.

Bezeich­nen­der­wei­se steht der Ori­gi­nal­ar­ti­kel gar nicht mehr zur Ver­fü­gung, son­dern ist nur noch über spe­zi­el­le Such­ma­schi­nen wie Way­Back­Ma­chi­ne zu fin­den, die Moment­auf­nah­men von Web­sei­ten erstel­len. Als ich Herr Köhn­topp auf Goog­le+ (auch bereits Geschich­te) um die Erlaub­nis zur Ver­wen­dung des Tex­tes bat, hat­te er nichts dage­gen, war aber ver­wun­dert, dass so ein alter Text noch zum Aus­gangs­punkt einer Unter­richts­ein­heit wer­den soll­te und dass der Text immer noch Teil sei­ner Daten­spur war.

Kern sei­ner Botschaft:
Es gibt nur weni­ge Daten, bei denen wir bestim­men kön­nen, in wel­chem Umfang sie ins Netz gelan­gen, weil es Drit­te sind, die z.B. durch die schlich­te Wahl eines Mes­sen­gers die­se zu einem Anbie­ter über­tra­gen. Wenn wir im Netz nicht ganz bewusst eine eige­ne Iden­ti­tät auf­bau­en und kul­ti­vie­ren, wer­den es Daten von Drit­ten sein, die unser Bild für ande­re in der Öffent­lich­keit bestimmen.

Wenn unse­re inter­net­scheue, matri­zen­pro­du­zie­ren­de Lehr­kraft also allein auf die leicht auf­find­ba­re die Bewer­tung bei spickmich.de redu­ziert bleibt, ist das ein wirk­lich­keits­ver­zer­ren­der Umstand.

Gleich­zei­tig ist es aber eine Rea­li­tät mit einer gesell­schaft­li­chen Dimen­si­on – sol­len wir als Bür­ger die­ses Staa­tes nun alle gezwun­gen sein, uns und unser Bild im Inter­net zu ver­mark­ten, um einer Bewer­tung durch Algo­rith­men „zuvor­zu­kom­men“? Und ist das über­haupt möglich?

Eine sol­ches The­men­ge­biet mit sei­nem hohen Abs­trak­ti­ons­grad ist unter­richt­lich nur ab Klas­sen­stu­fe 9 sinn­voll aufgehoben.

Im wei­te­ren Ver­lauf des Tex­tes wer­de ich kei­ne fer­ti­gen Koch­re­zep­te für eine Unter­richts­ein­heit, son­dern eini­ge weni­ge Ideen und Fra­ge­stel­lun­gen für zum Wei­ter­den­ken prä­sen­tie­ren, die es ermög­li­chen sol­len, dass sich Schü­le­rin­nen und Schü­ler die­ser Pro­ble­ma­tik öff­nen. Ich habe der­ar­ti­ge Ideen an mei­ner Schu­le in Ver­tre­tungs­stun­den umge­setz, wenn kei­ne Auf­ga­be vom feh­len­den Fach­leh­rer hin­ter­legt wor­den ist.

Idee 1 – Was macht fremdbestimmte Wahrnehmung mit uns?

Die­se Übung ver­mit­telt eine Idee davon, wie Algo­rith­mik im Netz in Ansät­zen(!) funk­tio­niert: Auf­grund bestimm­ter Merk­ma­le wer­den all­ge­mein­gül­ti­ge Aus­sa­gen über ein Indi­vi­du­um auf Basis von Wahr­schein­lich­kei­ten berech­net. Die Daten­sät­ze wer­den umso treff­si­che­rer sein, je mehr Daten zur Berech­nung hin­zu­ge­zo­gen wer­den kön­nen. Der Rück­kop­pe­lungs­ka­nals eines Ple­nums fehlt im Netz.

Mate­ri­al für jedes Lerngruppenmitglied:

  • DINA3-Ton­kar­ton
  • Eddings
  • 10 DINA4-Ton­kar­ton­bö­gen beschrif­tet mit Pro­zent­an­ga­ben in 10er-Schrit­ten (0% – 10% …)

ggf. Foto­ka­me­ra, Tablet oder Han­dy mit Fotofunktion

Auf­ga­be:
Jedes Lern­grup­pen­mit­glied setzt fol­gen­de Auf­ga­ben auf sei­nem DINA3-Ton­kar­ton um. Es darf nicht der eige­ne Name auf­tau­chen. Im gesam­ten Spiel­ver­lauf darf nicht preis­ge­ge­ben wer­den, wel­cher DINA3-Bogen von wem stammt. Maxi­mal steht eine Zeit von 10 Minu­ten zur Verfügung.

  1. Male eine Sonne
  2. Gestal­te das Wort „Lie­be“
  3. Zeich­ne ein kom­ple­xes geo­me­tri­sches Muster
  4. Notie­re die größ­te dir bekann­te Primzahl
  5. Notie­re die Zeit in Minu­ten, die du zur Lösung der ers­ten vier Auf­ga­ben benö­tigt hast

Aus­wer­tung:
In einem leer­ge­räum­ten Raum wird mit den 10 DINA4-Bögen eine Ska­la von 0–100% auf dem Boden aus­ge­legt. Die Ton­pa­pier­bö­gen der ein­zel­nen Lern­grup­pen­mit­glie­der wer­den gut gemischt.

Die Mäd­chen der Lern­grup­pe ord­nen nun die ein­zel­nen DINA3-Bögen auf der Ska­la im Raum nach einen gege­be­nen Kri­te­ri­um an. Mög­li­che Kri­te­ri­en könn­ten sein: „weib­lich, flei­ßig, Kopf­mensch, tech­nisch begabt, zuver­läs­sig, effizient“.

Bsp. Für das Kri­te­ri­um „weib­lich“:
Die Mäd­chen legen jeden ein­zel­nen DINA3-Bogen an einen ihnen geeig­net erschei­nen­den Ort auf die Ska­la „Die­ser Bogen stammt 80%ig von einem Mädchen!“.

Die Jun­gen schau­en sich das Ergeb­nis an und kom­men­tie­ren ihre Ein­drü­cke, ver­mei­den jedoch, ihren eige­nen Bogen „offen­zu­le­gen“.

Danach kön­nen die Jun­gen ent­we­der eine eige­ne Ska­la zum glei­chen Kri­te­ri­um ent­wi­ckeln oder zu einem neuen.

Jeder aus der Lern­grup­pe wird sich zeit­wei­lig unge­recht oder ste­reo­typ ein­ge­schätzt füh­len, gleich­wohl fin­det eine der­ar­ti­ge Kate­go­ri­sie­rung im Netz in Abhän­gig­keit von der jewei­li­gen Selbst­dar­stel­lung stän­dig statt.

Idee zur Weiterarbeit:
Man könn­te im Com­pu­ter­raum oder mit Mobil­ge­rä­ten Face­book­pro­fi­le oder You­Tube-Chan­nels dar­auf­hin über­prü­fen, inwie­weit eine posi­ti­ve Selbst­dar­stel­lung der Urhe­ber gelun­gen ist (Likes, Kom­men­ta­re) oder nicht und ggf. Kri­te­ri­en ermit­teln / entwickeln.

Idee 2 – Eine fremde Person vorstellen

Die­se Übung ver­mit­telt eine Idee davon, was Netz­iden­ti­tät bedeu­tet. Ich füh­re sie ger­ne in Kon­tex­ten durch, in denen ich nicht bekannt bin, d.h. ich las­se z.B. die Zuhö­rer bei einem Vor­trag mei­ne Per­son auf Basis der Daten beschrei­ben, die sie inner­halb von fünf Minu­ten mit ihrem Smart­phone über mich gewin­nen kön­nen. Die Übung eig­net sich für Ver­tre­tungs­stun­den in mir unbe­kann­ten Lern­grup­pen. Dabei bie­tet sich die Grup­pen­ar­beit als Sozi­al­form an.

Mate­ri­al:

  • Smart­phones (eige­ne Gerä­te der SuS) mit Inter­net­zu­gang (Pro­vi­der oder WLAN der Schule).
  • Lis­te mit Namen, von denen Steck­brie­fe erstellt wer­den sol­len (z.B. Bet­ti­na Wulff, Sascha Lobo, Phil­ip­pe Wampf­ler, ggf. poli­ti­sche Per­sön­lich­kei­ten aus der Schu­le / der Region)
  • Ton­kar­ton, Eddings

Auf­ga­be:
Stellt die euch zuge­wie­se­ne Per­son nach Recher­che im Inter­net dem Ple­num vor. Was ist im Netz nicht über die Per­son auffindbar?

Aus­wer­tung:
Die Grup­pen stel­len ihre Per­so­nen vor. Nach Vor­stel­lung aller Per­so­nen kann die Recher­che mit einer Per­son aus dem nähe­ren Umfeld wie­der­holt wer­den. Dabei wird eine Dis­kre­panz zwi­schen der Dar­stel­lung der Per­son im Netz und dem Wis­sen der SuS über die Per­son durch per­sön­li­chen Kon­takt auf­fal­len. Die­ser Punkt kann dis­ku­tiert wer­den – mög­li­che Leitfragen:

  • War­um stel­len sich Per­so­nen im Netz anders dar als „sie sind“?
  • Wel­che Infor­ma­tio­nen fin­det man von Pro­mi­nen­ten nicht im Netz und warum?
  • Wie ver­läss­lich sind Selbstdarstellungen?
Idee 3 – Umgang mit Kinderfotos im Netz

Vie­le Erwach­se­ne, die für sich in Anspruch neh­men, kei­ne per­sön­li­chen Daten im Netz zu tei­len, ver­tei­len über sozia­le Netz­wer­ke oder Mes­sen­ger oft Fotos von ihren Klein­kin­dern im Netz. Auf You­tube wer­den unzäh­li­ge Fil­me geteilt, auf denen Klein­kin­der zu sehen sind, die in Zitro­nen bei­ßen oder denen Miss­ge­schi­cke geschehen.

Mate­ri­al:

Prä­sen­ta­ti­ons­sys­tem (Inter­ak­ti­ves White­board oder Bea­mer, jeweils mit Lautsprecher)

Durch­füh­rung:

  1. Zei­gen von Bei­spie­len (Fotos, Videos)
  2. Dis­kus­si­on: Wie stün­de ich dazu, wenn sol­che Medi­en­da­tei­en aus mei­ner Kind­heit im Umlauf wären?
  3. Tex­te von Häuss­ler / Wampf­ler (Web­links) arbeits­tei­lig erar­bei­ten, Argu­men­te von Häuss­ler und Wampf­ler herausarbeiten
  4. Erneu­te Dis­kus­si­on vor dem Hin­ter­grund der Mei­nung die­ser zwei netz­af­fi­nen Menschen

Ist unser Verhalten algorithmisch vorhersagbar?

Am Wochen­en­de geis­ter­te ein ver­stö­ren­der Arti­kel durch Twit­ter - „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bom­be gibt“. Mit der „Bom­be“ war gemeint, dass ein For­scher namens Mich­al Kos­in­ski glaubt anhand von Face­book-Likes recht inti­me Din­ge von Men­schen vor­her­sa­gen zu kön­nen – etwa die sexu­el­le Orientierung.

Den Ori­gi­nalt­text der Stu­die fin­det man hier, ers­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der sta­tis­ti­schen Qua­li­tät hier. Die Stu­die wur­de schon vor eini­ger Zeit medi­al dis­ku­tiert, gewinnt natür­lich aber natür­lich im Kon­text des Brexit oder der Trump­wahl wie­der an Bri­sanz: Sind bei­de Wah­len viel­leicht über Social-Media-Bots gezielt mani­pu­liert wor­den? Nutzt viel­leicht sogar die AFD die­se Tech­no­lo­gie, um Wahl­er­geb­nis­se in ihrem Sinn zu beeinflussen?

Algo­rith­mi­sche Model­le, um das Ver­hal­ten von Men­schen vor­aus­zu­sa­gen oder zu simu­lie­ren, gibt es schon sehr lan­ge. Schon in den 60er Jah­ren ent­wi­ckel­te Joseph Wei­zen­baum ein nach heu­ti­gen Maß­stä­ben pri­mi­ti­ves Pro­gramm, um ein mensch­li­ches Gegen­über zu simu­lie­ren. Heu­te ken­nen wir digi­ta­le Assis­ten­ten wie Siri oder Cort­a­na, die ein­fa­che Funk­tio­nen sprach­ba­siert zur Ver­fü­gung stellen.

Etwas Ähn­li­ches macht ein Social-Media-Bot. Im ein­fachs­ten Fall twit­tert er über das Wet­ter auf Basis von Wet­ter­da­ten aus einer Daten­bank. Bots gibt es unglaub­lich vie­le – man­che sind leicht als sol­che zu erken­nen, bei man­chen fällt es erst auf, wenn ver­sucht, mit ihnen in Inter­ak­ti­on zu tre­ten. Im Prin­zip ist schon ein Word­Press­sys­tem, wel­ches bei neu­en Arti­keln direkt twit­tert, eine Art Bot. So etwas nutzt natür­lich auch die AFD – reiht sich damit aber in die Rei­he der ande­ren Par­tei­en ein.

Natür­lich lässt sich ein Bot prin­zi­pi­ell mit belie­bi­gen Daten kop­peln, also auch mit Daten­ban­ken zu Vor­her­sa­ge von mensch­li­chem Ver­hal­ten – Kon­sin­ski glaubt ja, eine sol­che auf Basis von öffent­lich zugäng­li­chen Pro­fil­da­ten erstel­len zu können.

Damit „sucht“ der Bot im Fal­le der Trump­wahl also gezielt Pro­fi­le von Men­schen, die noch unent­schie­den sind und „ver­sorgt“ die­se mit geeig­ne­ten Arti­keln oder schlägt Pro­fi­le vor, die Trump nahe stehen.

Die­se Vor­stel­lung wird in Tei­len des Inter­nets als „Angst­ma­che­rei“ und „völ­lig über­zo­gen“ abge­tan. Die algo­rith­mi­sche Ana­ly­se mensch­li­chen Ver­hal­tens habe sich oft genug als „Bull­shit“ her­aus­ge­stellt. Der­ar­ti­ge Dar­stel­lun­gen sei­en also zu unter­las­sen (sie könn­ten die Bevöl­ke­rung verunsichern).

Das stimmt für mich nur teil­wei­se. Tat­säch­lich ist das bezo­gen auf den Trump- oder AFD-Kon­text wah­schein­lich Bull­shit. Mei­ne Lieb­lings­ge­schich­te ist die der Dro­ge­rie­markt­ket­te Tar­get, die algo­rith­misch bestim­men konn­te, ob eine Schwan­ger­schaft bei einer Frau vorlag.

Um schwan­ge­re Frau­en zu beein­flus­sen, muss nicht zwin­gend etwas über deren Cha­rak­ter bekannt sein. Es reicht u.U. schon zu wis­sen, dass sie schwan­ger sind.

Hin­ter der „Angst­ma­che­rei­the­se“ ste­cken für mich gewis­se bil­dungs­bür­ger­lich-roman­ti­sche Grundannahmen:

  1. Mensch­li­ches Ver­hal­ten ist sehr kom­plex, zu kom­plex, um einer algo­rith­mi­schen Ana­ly­se zugäng­lich zu sein.
  2. Men­schen sind auto­no­me Geschöp­fe mit einem frei­en Willen.
  3. Social­me­dia erwei­tert den Hori­zont durch die Mög­lich­keit der unbe­grenz­ten Vernetzung.
  4. Das Inter­net ist eine Berei­che­rung der mensch­li­chen Aus­drucks­fä­hig­keit und Freiheit.

Dem­ge­gen­über ste­hen über 50 Jah­re algo­rith­mi­sche Ent­wick­lungs­ar­beit und immense, bis­her wohl weit­ge­hend unge­nutz­te Daten­be­stän­de. Das Indi­vi­du­um kann man heu­te wohl (noch) nicht mit hin­rei­chen­der Genau­ig­keit bestim­men – außer Leh­rern mit ihren sehr typi­schen Tweets und Posts :o)…

Bei der Mas­se bin ich mir da nicht so sicher. Infor­ma­ti­ons­ver­brei­tung kos­tet heu­te kaum noch etwas, sodass auch mit Unschär­fe das Prin­zip der gro­ßen Zahl immer noch tra­gen wird. Bei knap­pen Ent­schei­dun­gen muss ich nicht alle adres­sie­ren. Weni­ge Pro­zent rei­chen u.U..

Das wäre natür­lich doof, weil es den Mythos des frei­en Inter­nets doch arg demon­tiert. Wenn Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne und Agen­tu­ren bestim­men, was wir sehen und mit wem wir in Kon­takt tre­ten – schon irgend­wie eher feu­da­lis­tisch. Sehr beru­hi­gend, dass Goog­le, Face­book, Apple, Ama­zon und Micro­soft ja sehr trans­pa­rent dar­le­gen, wie ihr jewei­li­ger Algo­rith­mus eigent­lich arbeitet.

Ach nee – das mit der Trans­pa­renz war ja nicht in die­ser Welt.

 

 

 

Netzneutralität und die Telekom

Weit­ge­hend unbe­ach­tet von vie­len Inter­net­nut­zern tobt im Hin­ter­grund gera­de ein Kampf zwi­schen Rechen­zen­trums­be­trei­bern und der deut­schen Tele­kom als größ­tem Anbie­ter von Internetanschlüssen.

Was ver­kauft die Telekom?

Die Tele­kom ver­kauft i.d.R. an Pri­vat­kun­den soge­nann­te asym­me­tri­sche Inter­net­zu­gän­ge, d.h. man kann z.B. Fil­me sehr schnell aus dem Netz strea­men, jedoch z.B. Fotos zu sei­nen Foto­dienst nur lang­sa­mer hoch­la­den, z.B. hat man bei VDSL50 einen Down­stream von 50Mbit/s und einen Upstream von 10Mbits/s. Bei den mobil­funk­ba­sier­ten Pro­duk­ten sieht das ähn­lich aus. Natur­ge­mäß laden die Tele­kom­kun­den damit mehr Daten aus dem Netz her­un­ter als herauf.

Das hat zu einen tech­ni­sche Grün­de, weil man so mehr Kun­den einen guten Down­load bie­ten kann, zum ande­ren auch einen stra­te­gi­schen: Wäre jeder Haus­halt gut sym­me­trisch an das Inter­net ange­bun­den, bestün­de irgend­wann kaum noch eine Not­wen­dig­keit, sei­ne Web­sei­te bei einem Pro­vi­der hos­ten zu las­sen und zudem wäre das eige­ne Netz dann sehr schnell voll mit angreif­ba­ren Ser­vern, die nicht pro­fes­sio­nell gewar­tet werden.

Wie kom­men die Daten aus dem Inter­net zur Telekom?

Net­ze ver­schie­de­ner Anbie­ter wer­den an bestimm­ten Stel­len über Kno­ten­punk­te gekop­pelt, damit z.B. Daten US-ame­ri­ka­ni­scher Anbie­ter wie You­Tube, Goog­le oder Micro­soft auch im Netz der Tele­kom ankom­men. Übli­cher­wei­se wer­den die Kno­ten ent­spre­chend des Bedar­fes der End­kun­den aus­ge­baut. Wenn mehr Men­schen z.B. HD- oder gar 4K-Inhal­te anschau­en möch­ten, muss einer­seits der­je­ni­ge, der die Fil­me anbie­tet, bes­ser an das übri­ge Inter­net ange­bun­den sein, ande­rer­seits muss der Kno­ten­punkt zur Tele­kom auch über aus­rei­chend Kapa­zi­tät ver­fü­gen – das Rohr muss also dick genug sein – das kos­tet Geld.

Und wo tobt jetzt der Kampf?

Die Tele­kom baut ihre Kno­ten­punk­te zu ande­ren Anbie­tern mitt­ler­wei­le nicht mehr dem Bedarf ent­spre­chend aus, z.B. zum Rechen­zen­trum von Hetz­ner, ein grö­ße­rer Play­er im deut­schen Rechen­zen­trums­markt. Ange­bo­te, die Hetz­ner gehos­tet sind, lau­fen damit gera­de zur Prime­time nur noch sehr lang­sam über die Telekomleitungen.

Die Tele­kom sagt: Jahaa! Wenn du Hetz­ner Daten per­for­mant zu uns schie­ben willst, dann musst du dafür extra bezah­len, so ein dickes Rohr kos­tet halt Geld! Bri­san­ter­wei­se lau­fen die ent­spre­chen­den Ange­bo­te der Tele­kom schnell durch die Lei­tun­gen (z.B. Enter­tain). Die meis­ten Rechen­zen­trums­be­trei­ber bezah­len anstands­los dann Geld an die Tele­kom und geben die Kos­ten an ihre Kun­den weiter.

Hetz­ner macht das auch, aber anders: Hetz­ner sagt dem Kun­den: „Wenn du Daten schnell zur Tele­kom schie­ben willst, zahlst du dafür einen Auf­preis, weil nur die Tele­kom so han­delt – alle ande­ren Anbie­ter bau­en ihre Kno­ten­punk­te ja aus!“ – Hetz­ner geht es nach eige­ner Aus­sa­ge dar­um, auf die Pro­ble­ma­tik der Poli­tik der Tele­kom auf­merk­sam zu machen und geht dabei auch das Risi­ko ein, Kun­den zu verlieren.

Mit Ange­bo­ten von You­Tube, Goog­le, Net­flix etc. macht die Tele­kom das nicht bzw. ist anzu­neh­men, dass da wohl für die „digi­ta­le Über­hol­spur“ auch Geld fließt. Die Tele­kom kas­siert damit dop­pelt: Ein­mal von den Kun­den für den Inter­net­an­schluss, der ohne unge­brems­ten Zugriff zum Inter­net ja irgend­wo blöd ist und zum zwei­ten von den Anbie­tern, die das Inter­net zu Inter­net und damit das Pro­dukt der Tele­kom zum Pro­dukt machen.

Die Tele­kom sagt: Jahaa, ihr Anbie­ter! Ihr lie­fert ja viel mehr Daten an unser Netz als wir an euer. Das ist kein Tei­len mehr, das ist Tran­sit.

Wir erin­nern uns an die­ser Stel­le dar­an, dass die Tele­kom asym­me­tri­schen Anschlüs­se ver­kauft. Und es wäre ja doof, wenn die tele­kom­ei­ge­nen Ange­bo­te dann super lau­fen, aber der Steam­ing­dienst aus Pusemuckel ruckelt. Für den Schlicht­kun­den ist dann klar: Dann kau­fe ich doch das Telekomprodukt!

Die Tele­kom sagt dann: Jahaa, du Strea­ming­sdienst aus Pusemuckel, kannst ja extra zah­len! (nun­ja, sie haben es dann hin­ter­her ja gar nicht so gemeint …).

Die Pro­ble­ma­tik

Die Tele­kom bestimmt somit, wel­che Diens­te in ihrem Netz per­for­mant lau­fen und wel­che nicht. Das hat mit Netz­neu­tra­li­tät und frei­em Inter­net ganz wenig zu tun. Es sind die Kun­den der Tele­kom, wel­che Daten anfor­dern und die Tele­kom muss m.E. schau­en, wie sie da kos­ten­de­ckend arbei­tet. Da sie ihre End­kun­den nicht die Preis­er­hö­hun­gen ver­schre­cken will, ver­sucht sie es halt anders. Jeder soll­te sich über­le­gen, ob ein sol­ches Gebah­ren unter­stüt­zens­wert ist.

PS: Ich bin Hetz­ner- und Kabeldeutschlandkunde.

Das Internet und die Romantik

Die eine Geschichte

Wir wis­sen z.B., dass digi­ta­le Daten­strö­me unauf­wän­dig und mit gerin­gen Kos­ten umfas­send über­wacht wer­den kön­nen. Die Algo­rith­mik für die Aus­wer­tung ist wahr­schein­lich noch pri­mi­tiv, aber da die Daten­spei­che­rung mit dem tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt auch immer effi­zi­en­ter wird, wer­den auch irgend­wann Daten nutz­bar, die vor Jah­ren auf­ge­zeich­net wor­den sind. Wäre das eine Rand­er­schei­nung – War­um wird die­ses The­ma so oft in Social­Me­dia erwähnt?

Wir wis­sen, dass nicht nur Staa­ten die­se Mög­lich­keit nut­zen, son­dern auch die Pri­vat­wirt­schaft. Stück für Stück wer­den in Sala­mi­tak­tik uns immer umfas­sen­de­re Daten­ver­wer­tungs­ver­trä­ge, par­don – Nut­zungs­be­din­gun­gen vor­ge­setzt, die wir ger­ne anneh­men. Schließ­lich ist die gan­ze neue Dienste­welt ja mitt­ler­wei­le unver­zicht­bar für unser Leben. Ich glau­be, dass die­se Art der Daten­ver­ar­bei­tung immer wie­der die eigent­li­che Inspi­ra­ti­on für die staat­li­che Über­wa­chung bildet.

Da das Digi­ta­le (das Mycel) mit kei­nem unse­rer Sin­ne für uns direkt erfahr­bar ist – ledig­lich die Erschei­nungs­for­men wie Bil­der, Vide­os, Tex­te (die Frucht­kör­per) spre­chen unse­re ein­ge­bau­ten Sin­ne an – gibt es noch viel zu wenig gesell­schaft­li­ches Bewusst­sein, um das immense Macht- und Beein­flus­sungs­po­ten­ti­al ein­zu­schät­zen – dafür bräuch­te es zudem m.E. infor­ma­ti­sche Kom­pe­tenz. Die Mög­lich­kei­ten des Users oder auch der der Com­mu­ni­ties sind arg begrenzt, auch wenn es im Ein­zel­fall Erfol­ge geben mag. Die Stake­hol­der sind die­je­ni­gen, die Daten­strö­me steu­ern und die Daten ver­wal­ten. Die­se Leu­te aus­zu­tan­zen ist tra­di­tio­nell schon immer die Domä­ne der tech­nisch(!) ver­sier­ten Hacker.

Wir wis­sen, dass tau­sen­de Jugend­li­che jeden Tag live aus ihrem Kin­der­zim­mer, ihren Klas­sen, „Was­weiß­man­noch-Woher“ strea­men und sich einer Öffent­lich­keit prä­sen­tie­ren. Wir wis­sen als Lehr­kräf­te, dass die meis­ten unse­rer Mob­bing­fäl­le ihren Ursprung im Inter­net haben. Wenn ich mit Mit­ar­bei­tern aus Bera­tungs­stel­len rede, bekom­me ich die Rück­mel­dung, dass Bera­tungs­fäl­le mit Inter­net­be­zug stän­dig zuneh­men. Aus Umfra­gen wis­sen wir, dass ein nicht uner­heb­li­cher Anteil der heu­ti­gen Kin­der und Jugend­li­chen so ihre Erfah­run­gen mit dem Netz gemacht haben. Vor der Erwach­se­nen­welt macht das nicht halt. Casu­al Porn wird gera­de zu einem neu­en Hype – der Thrill ist gera­de die Nicht­ein­wil­li­gung der gezeig­ten Men­schen, ver­öf­fent­licht zu wer­den. Die Reak­tio­nen der Opfer sagen viel über den Zustand der Men­schen in die­sem Internet.

Ich glau­be und erfah­re zuneh­mend, dass der Anteil an Jugend­li­chen ste­tig wächst, die das Netz mit sei­nen Mög­lich­kei­ten so nutzt, wie wir Staats­bür­ger, Lehr­kräf­te, Medi­en­päd­ago­gen in unse­ren Träu­men und Fik­tio­nen das ger­ne hät­ten. Ich mache die Erfah­rung, dass von mei­nen dies­be­züg­li­chen Bemü­hun­gen in beson­de­rer Wei­se genau die Kin­der und Jugend­li­chen pro­fi­tie­ren, die von Hau­se aus dafür beson­ders sen­si­bi­li­siert und damit pri­vi­le­giert sind.

Die­se Lis­te lie­ße sich fort­set­zen. Ich fin­de sie jetzt schon als Staats­bür­ger, Inter­net­nut­zer, Vater, Lehr­kraft, medi­en­päd­ago­gi­scher Bera­ter hin­rei­chend inter­es­sant, um sie nicht als „Rand­er­schei­nung“ zu ver­harm­lo­sen („über­all gibt es böse Men­schen“), wie es wie­der und wie­der in medi­en­päd­ago­gi­schen Krei­sen geschieht. Die­se The­men­fel­der bestim­men mei­nen All­tag als Staats­bür­ger, Inter­net­nut­zer, Vater, Lehr­kraft und medi­en­päd­ago­gi­scher Berater.

War­um gibt es Men­schen die so tun, als ob „Medi­en­kom­pe­tenz“ allein irgend­et­was dar­an ändern wür­de? Die Pro­blem­stel­lung ist mul­ti­di­men­sio­nal und damit eben nicht durch einen ein­zel­nen Stell­he­bel zu ändern. Wer aner­kennt, dass die Digi­ta­li­sie­rung als Phä­no­men die Ent­wick­lung des Men­schen extrem beein­flusst, muss auch aner­ken­nen, dass Umgangs­for­men auf vie­len Ebe­nen gesell­schaft­lich ent­wi­ckelt wer­den müs­sen. Und zwar nicht nur in Schu­le, son­dern auch in Eltern­häu­sern, in Bezie­hun­gen, in poli­ti­schen Sys­te­men, in allen Berei­chen, in denen das Digi­ta­le eine Rol­le spielt.

Alles ande­re hal­te ich für eine unzu­läs­si­ge Reduk­ti­on. Beim oft bemüh­ten Buch­druck hat das Jahr­hun­der­te gedau­ert, bis z.B. die Kir­che ihren Ein­fluss auf die Buch­in­hal­te mehr und mehr ver­lo­ren hat. Wir sind in den ers­ten Jahr­zehn­ten nach dem Sie­ges­zug des Inter­nets, dür­fen also natür­lich noch mehr Fra­gen als Ant­wor­ten erwarten.

Die ande­re Geschichte

Ich habe mir letz­tens einen eige­nen, gebrauch­ten Bea­mer für den Unter­richt gekauft, weil in dem Klas­sen­raum mei­ner neu­en Lern­grup­pe kei­ner­lei Aus­stat­tung dies­be­züg­lich ver­füg­bar ist. Ohne Zugriff auf die­ses Inter­net kann ich mitt­ler­wei­le kaum ver­nünf­tig unter­rich­ten. Trotz­dem arbei­tet mei­ne Lern­grup­pe nicht frei­lau­fend im Netz, son­dern in geschütz­ten Räu­men, deren Zugän­ge durch trans­port­ver­schlüs­sel­te Wege abge­si­chert sind. Weil ich in die­sen Räu­men mit Klar­na­men ope­rie­re, brau­che ich natür­lich vor­her die Ein­wil­li­gung der Eltern für die­se Art der Arbeit. In die­sen geschütz­ten Raum hin­ein dür­fen sich die Schü­le­rin­nen natür­lich auch Arte­fak­te aus dem Netz holen und belie­big rekom­bi­nie­ren, wenn die Quel­le klar ersicht­lich ist und even­tu­el­le Lizenz­be­stim­mun­gen ein­ge­hal­ten wer­den – über ihr Han­dy. Das ist sowie­so immer dabei und es gibt eigent­lich nur bestimm­te Regeln für die Nut­zung die­ser „Kul­tur­zu­gangs­ge­rä­te“ oder „Kon­troll­über­win­dungs­gad­gets“ in mei­nem Unter­richt. Die­se sehen zunächst so aus:

  • Dein Han­dy ist in den Unter­richts­stun­den auf laut­los geschaltet
  • Du ver­zich­test auf jed­we­de nicht unterichts­be­zo­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on (What­App, Face­book, SMS usw.)
  • Du darfst dein Han­dy mit Unter­richts­be­zug (z.B. zum Nach­schla­gen von Wor­ten) ver­wen­den, wenn es die jewei­li­ge Situa­ti­on erlaubt und nie­mand dadurch gestört wird.
  • Am bes­ten legst du dein Han­dy mit dem Dis­play nach unten oder in einer “Socke” deut­lich sicht­bar vor dich auf den Tisch zu dei­nem Arbeitsmaterial.
  • Dein Han­dy wird dir gemäß der gel­ten­den Schul­ord­nung für die Dau­er der Deutsch­stun­de ent­zo­gen, wenn du dich nicht an die­se Regeln hältst.

Der nächs­te logi­sche Schritt wäre, die­se Gerä­te mit in das Schul-WLAN zu inte­grie­ren. Schon jetzt kommt das ört­li­che Han­dy­netz in Schul­pau­sen so an sei­ne Gren­zen. Dazu rüs­ten wir dem­nächst tech­no­lo­gisch gewal­tig auf. Das Schul­netz besitzt einen rudi­men­tä­ren Web­fil­ter, der von einer Com­mu­ni­ty geflegt wird und der recht­lich völ­lig aus­reicht. Der Fil­ter arbei­tet nicht inva­siv und schaut z.B. nicht in SSL-Ver­bin­dun­gen hin­ein (z.B. durch Zwischenzertifikate).

Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler sind erfin­dungs­reich im Über­win­den des Fil­ters oder ande­rer „Sicher­heits­funk­tio­nen“ des Net­zes. Eini­ge ver­ste­hen, was sie da tun und wach­sen dar­an mehr­fach – ich als Admi­nis­tra­tor schät­ze die­ses Katz- und Maus­spiel sehr, weil auch ich dadurch immer mehr über Sys­te­me ler­ne (mei­nes und andere).

Das Inter­net geht ja nicht wie­der weg. Und die Aspek­te aus der ers­ten Geschich­te las­sen sich ohne das Inter­net kaum sinn­voll ver­mit­teln. Ich nut­ze das Netz.

Die Kon­se­quenz für mich

Ich will All­tags­un­ter­richts­pro­duk­te mei­ner Schü­le­rin­nen und Schü­ler nicht im Netz sehen. Für das Tages­ge­schäft gilt bei mir das Prin­zip: All unfil­te­red in – some­thing fil­te­red out. Ein öffent­li­ches Pro­jekt mit Schü­le­rin­nen und Schü­lern im Inter­net muss eine Rele­vanz besit­zen, um gegen­über z.B. dem Pla­kat oder Schul­heft einen Mehr­wert zu bie­ten: Die Rezep­ti­on soll­te in mei­nen Augen orga­ni­siert sein. Ich habe jetzt nach meh­re­ren Jah­ren zu ers­ten Mal eine Idee und eine Lern­grup­pe, mit der ich mir das vor­stel­len kann. Wenn immer alle Schu­len mit allen Lern­grup­pen so arbei­ten, mag das explo­ra­tiv und wün­schens­wert sein, aber eine Unmen­ge an Con­tent von begrenz­ter öffent­li­cher Rele­vanz erzeu­gen. Die unmit­tel­ba­re sozia­le Umge­bung wird hier anders zu bewer­ten sein und damit im Fokus ste­hen müssen.

Schön­fär­be­rei in Tei­len der Medienpädagogik

Mei­dien­päd­ago­gen wie der öffent­lich zur­zeit sehr prä­sen­te Phil­ip­pe Wampf­ler bre­chen eine Lan­ze für das Ver­hal­ten der Jugend­li­chen.  Zu YouNow wird er von einer Quel­le so zitiert:

«Weil Younow nicht per se etwas Nega­ti­ves ist», sagt der Leh­rer und Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Phil­ip­pe Wampf­ler: Der Dienst spie­le mit der Suche nach Auf­merk­sam­keit – dem Teen­agerthema schlecht­hin. Es gehe auch dar­um, Medi­en­kom­pe­tenz im posi­ti­ven Sin­ne zu zei­gen. Die Jugend­li­chen müss­ten das Publi­kum unter­hal­ten, etwas bie­ten. Je mehr Zuschau­er man bei Younow habe, des­to höher stei­ge man im Ran­king, und des­to bes­ser sei man für die ande­ren Nut­zer sicht­bar. Die­ser Wett­be­werb um Auf­merk­sam­keit kön­ne Spass machen und Krea­ti­vi­tät för­dern, betont Wampf­ler. Es gebe auch Jugend­li­che, die Unter­hal­tungs­tech­ni­ken berühm­ter Vor­bil­der imi­tier­ten. Ande­re mach­ten Musik. «Vie­le Jugend­li­che sind aller­dings bereit, Ver­nunft­re­geln zu bre­chen, wenn sie dafür Auf­merk­sam­keit erhal­ten.» Sie sag­ten sich: «Das ist es mir irgend­wie wert.»

Ich weiß nicht, ob P.Wampfler hier kor­rekt wie­der­ge­ge­ben wird, jedoch ist die­ses Zitat in mei­nen Augen pro­to­ty­pisch für einen bestimm­ten Teil der Medi­en­päd­ago­gen. Wampf­ler ist es immer dar­an gele­gen, Zustän­de zu beschrei­ben. Eine Wer­tung von Ver­hal­ten erfolgt i.d.R. nicht. Statt­des­sen ste­hen die Mög­lich­kei­ten der Online­an­ge­bo­te im Vor­der­grund. Die­se bezweif­le ich nicht. Ich bezweif­le aber, dass eine Mehr­heit der Jugend­li­chen Diens­te wie YouNow in einer Wei­se nutzt, wie sie in den Augen man­cher Medi­en­päd­ago­gen „gemeint“ sind.

Ich bezweif­le, dass das auf Jugend­li­che beschränkt ist. Und ich bezweif­le, dass das alles „Rand­phä­no­me­ne“ sind. Ich bezweif­le die oft anzu­tref­fen­de unge­heu­re Idea­li­sie­rung. Puber­tät ist geprägt von extre­mer Ambi­va­lenz. Explo­ra­ti­ves und kri­tik­wür­di­ges Ver­hal­ten ste­hen in der Hoch­zeit die­ser Pha­se pari­tä­tisch neben­ein­an­der. Ich bezweif­le Stu­di­en mit nur sehr gerin­ger Stich­pro­ben­grö­ße. Ich bezweif­le, dass gera­de die Geis­tes­wis­sen­schaft mit ihrer his­to­risch lang­sa­men Begriffs­bil­dung schon aus­rei­chend Metho­den gefun­den hat, mit den Phä­no­me­nen der Digi­ta­li­sie­rung ange­mes­sen umzu­ge­hen. Das ist in Ord­nung und ein völ­lig nor­ma­ler Zustand in der Zeit des Über­gan­ges, in dem sich die Gesell­schaft gera­de befindet.

In Bezug auf Jugend­li­che ist mir Beschrei­ben und Begriffs­bil­dung ent­schie­den zu wenig. Ich wer­de in mei­nen Reak­tio­nen und Wer­tun­gen der Phä­no­me­ne im Inter­net in der Rück­schau oft falsch lie­gen. Ich mache mich durch Fest­le­gun­gen wie in mei­ner „ande­ren Geschich­te“ von oben angreif­bar. So what?

Ich blei­be Rei­bungs­flä­che. Das macht nicht immer Spaß. In Bezug auf Erzie­hungs­fra­gen gibt es aber kei­nen ande­ren Weg für mich. Immer neue Beschrei­bun­gen und immer neue Begrif­fe von Sei­ten geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher For­schung auf „Indus­trie­ge­sell­schafts­ni­veau“ und mit „Indus­trie­ge­sell­schafts­me­tho­dik“ nüt­zen mir dabei eher wenig.

Zukunftsapodiktionen

Hin­weis:

Das fol­gen­de Inter­view ist eine Fik­ti­on. Eine ein­sei­ti­ge Fik­ti­on, in die jede gut­mei­nen­de Kraft des heu­ti­gen Net­zes – etwas Bos­haf­tig­keit vor­aus­ge­setzt – inte­griert wer­den kann. Der Gegen­text exis­tiert auch schon in mei­nem Kopf, klingt aber bei Wei­tem nicht so rea­lis­tisch :o)…

 

Erst­ma­lig ist es Repor­tern der Hau­te Dai­ly gelun­gen, Eric Bald­win, CEO des Inter­net­mo­no­po­lis­ten „Event Hori­zon Inc.“ zu einem Inter­view anläss­lich der Imple­men­tie­rung des Ethik­ra­tes inner­halb des Unter­neh­mens zu bewe­gen. Details zu die­sem Rat wur­den durch den Whist­le­b­lower Peter Foo­ma­tic im Ver­lauf des letz­ten Jah­res bekannt.

HDHerr Bald­win, wie kam es zu der Ein­set­zung es Ethik­ra­tes bzw. über­haupt zu der Idee, tech­no­lo­gi­sche Inno­va­ti­on durch Phi­lo­so­phen, Rechts­ge­lehr­te und Volks­wir­te beglei­ten bzw. die spä­te­re Umset­zung selbst von ethi­schen Kate­go­rien abhän­gig zu machen?

EB: Dazu müss­te man weit in die Geschich­te des Inter­nets zurück­ge­hen, die ja auch Teil der Geschich­te unse­res Unter­neh­mens ist. Im Grun­de genom­men ist der Ethik­rat Aus­druck einer Arro­ganz. Ver­kürzt dar­ge­stellt wol­len wir den Nut­zer vor sich selbst schützen.

HD: Das bedarf jetzt aber einer Erläu­te­rung, Herr Baldwin!

EB: Wir gehen ein­mal in die Jah­re 2008–2018 zurück, also in eine Zeit, in der der Peach­kon­zern noch selbst­stän­di­ge Akti­en­ge­sell­schaft war, bevor er schließ­lich in unse­rem Kon­sor­ti­um auf­ging. Peach ist es gelun­gen, einen fun­da­men­ta­len Bedarf in der Bevöl­ke­rung zu decken, der sich in den Jah­ren zuvor in der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Betriebs­sys­tem „Weich­fens­ter“ ent­wi­ckelt hat­te: Tech­nik als Geg­ner und Zeit­fres­ser, der User als stän­di­ger Ver­lie­rer. Vor allem letz­te­res hat­te immense psy­cho­lo­gi­sche Kon­se­quen­zen: Nie­mand steht ger­ne hilf­los da, das Beloh­nungs­sys­tem unse­res Gehirns braucht Erfolgs­er­leb­nis­se. Mit Peach­pro­duk­ten waren auf ein­mal die­se Erfolgs­er­leb­nis­se wie­der da: Man konn­te Daten über meh­re­re Gerä­te hin­weg syn­chro­ni­sie­ren, man konn­te Medi­en auf ein­fa­che Art und Wei­se an fast jedem Ort kon­su­mie­ren, man konn­te sein Zeit effek­ti­ver gestal­ten durch z.B. eine funk­tio­nie­ren­de Ter­min­ver­wal­tung und Bün­de­lung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge – man konn­te über­haupt „sein Netz“ über­all hin mit­neh­men – das pTalk, ers­tes SMART­Phone sei­ner Art,  hat die Welt ver­än­dert: Ergo man war in sei­ner Wahr­neh­mung tech­nisch wie­der kom­pe­tent und zahl­te dafür auch gerne.

HD: Ein pro­fi­ta­bles Geschäfts­mo­dell, das im Wesent­li­chen auf Nied­rig­lohn­po­li­tik in Asi­en basier­te, qua­si eine moder­ne Form des Koloniallismus.

EB: Nen­nen Sie mir eine Fir­ma, die die­ses Prin­zip in die­ser Peri­ode nicht ver­folgt hat. Die Anfor­de­run­gen des Mark­tes waren halt so. Es ging nicht um eine lan­ge Nut­zungs­dau­er oder Nach­hal­tig­keit der Gerä­te. Spe­zi­ell Peach­ge­rä­te wie­sen zwar eine lan­ge Lebens­dau­er auf, jedoch woll­ten die Nut­zer immer etwas Neu­es, was kur­ze Inno­va­tions- und Pro­duk­ti­ons­zy­klen erfor­der­te, damit das Unter­neh­men wirt­schaft­lich wach­sen und die Ansprü­che sei­ner Aktio­nä­re bedie­nen konn­te. Also war das pri­mä­re Ziel Wirt­schaft­lich­keit, hier ins­be­son­de­re in Form hoher Mar­gen. Wei­ter­hin war es Stra­te­gie, die Kun­den an das eige­ne Öko­sys­tem zu bin­den, wie es Sear­chie­gi­gant schon etwas län­ger vor­mach­te. Den Kun­den mach­te das wenig aus, da das Gan­ze bei Peach­ge­rä­ten eben ein­fach funk­tio­nier­te und bei Sear­chie­gi­gant eben tech­nisch leis­tungs­fä­hig und kos­ten­los war.

HD: Also eine Befrei­ung durch tech­no­lo­gi­sche Innovation. 

EB: Ja und nein. Die­se Zeit ist Ursprung einer Ent­wick­lung, die wir heu­te kri­tisch sehen. Wir haben her­vor­ra­gend davon gelebt, dass die Nut­zer in der Mehr­zahl tech­nisch weit­ge­hend inkom­pe­tent waren. Sie kön­nen oder wol­len Ihren DSL-Rou­ter nicht kon­fi­gu­rie­ren? Kein Pro­blem, sie bekom­men von uns eine fern­wart­ba­re Black­box. Ihr Betriebs­sys­tem soll ein­fach funk­tio­nie­ren? Ger­ne, wir kon­fi­gu­rie­ren es zen­tral aus der Cloud usw.. So kam es, dass die meis­ten Nut­zer sich zwar auf einer kom­mu­ni­ka­ti­ve Ebe­ne kom­pe­tent im Netz bewe­gen konn­ten, von der Funk­ti­ons­wei­se von Hard- und Soft­ware aber zuneh­mend ent­frem­det wur­den – genau das war das Geschäfts­mo­dell, da wir so Abhän­gig­kei­ten schaf­fen konn­ten, die zu einer Kun­den­bin­dung führten.

HD: Aber es gab doch immer schon kri­ti­sche Stim­men. Vor allen in den dama­li­gen klas­si­schen Print­me­di­en fan­den in den Feuil­le­tons und in zahl­rei­chen Blogs dezi­dier­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit ihren Geschäfts­prak­ti­ken statt. Wol­len Sie Ihre dama­li­gen Kun­den als inkom­pe­tent darstellen? 

EBAls tech­no­lo­gisch (das ist eine wich­ti­ge Ein­schrän­kung!) inkom­pe­tent und vor allem naiv, ja. Das klingt hart. Aber aus die­ser Zeit stam­men aber alle Daten, die wir heu­te für die Geschäfts­zwei­ge nut­zen, die für uns die pro­fi­ta­bels­ten sind. Die Ent­wick­lung hin zu neu­en Geschäfts­fel­dern wie dem Ver­si­che­rungs- und dem Kre­dit­we­sen basiert auf Daten, die die Men­schen uns frei­wil­lig gege­ben haben auf Platt­for­men, die sie als inte­gral für ihr Leben emp­fun­den haben und immer noch emp­fin­den. Dabei haben wir anfäng­lich die Algo­rith­men bewusst „dumm“ gestal­tet: Wer z.B. eine Kaf­fee­ma­schi­ne kauf­te, bekam über unse­re Wer­be­netz­wer­ke nur noch Kaf­fee­ma­schi­nen in Wer­be­an­zei­gen ange­prie­sen. Er konn­te dann mit dem Fin­ger auf uns zei­gen und sagen: „Schaut her, was für eine däm­li­che Algo­rith­mik!“ Es war wich­tig, Men­schen die­ses Über­le­gen­heits­ge­fühl gegen­über Tech­nik zu geben, obwohl sie schon längst davon ent­frem­det waren, damit sie uns wei­ter Infor­ma­tio­nen über sich lieferten.

Wir kön­nen heu­te so die ver­läss­lichs­ten Aus­sa­gen zu Kre­dit­wür­dig­keit eines Men­schen machen. Wir wis­sen heu­te über den Lebens­wan­del und damit über mög­li­che gesund­heit­li­che Risi­ken eine Men­ge, sodass wir maß­ge­schnei­der­te Tari­fe anbie­ten kön­nen. Eben­so hel­fen uns die gesam­mel­ten Geo­da­ten von Tablets und Han­dys, um Aus­sa­gen über das Fahr- und Rei­se­ver­hal­ten machen zu kön­nen. Damit zahlt jeder bei uns für sein indi­vi­du­el­les Risi­ko­pro­fil. Im Prin­zip pro­fi­tie­ren die­je­ni­gen davon, die sich mög­lichst risi­ko­arm im Sin­ne unse­rer Algo­rith­mik ver­hal­ten – was für unse­re Ent­wick­lungs­ab­tei­lung hin­sicht­lich der Nach­wuchs­aqui­se zuneh­mend pro­ble­ma­tisch wird – dazu aber spä­ter mehr. Es ging ja um die Nai­vi­tät: Die Nai­vi­tät bestand dar­in zu glau­ben, dass per­sön­li­che Daten für nie­man­den einen Wert besit­zen. Dass dem nicht so ist, wur­de durch die Snow­den-Affä­re zwar über­deut­lich, aber die Kon­se­quenz für die meis­ten Nut­zer wäre gewe­sen, Bequem­lich­kei­ten auf­ge­ben zu müs­sen – und sei es nur die Bequem­lich­keit, die poli­ti­schen Grup­pen nicht aktiv oder pas­siv zu unter­stüt­zen, die uns hät­ten Paro­li bie­ten kön­nen. Das erschien jedoch den meis­ten nicht rea­lis­tisch, ja es ging sogar noch wei­ter: Mah­ner in die­ser Ent­wick­lung wur­den oft als recht­ha­be­risch, bzw. von „oben her­ab“ emp­fun­den. Psy­cho­lo­gisch ver­ständ­lich, da ihnen zu fol­gen bedeu­tet hät­te, Ver­hal­ten ändern zu müs­sen. Für uns lief das so schon ganz gut.

Dabei kam uns zusätz­lich eine Para­do­xie sehr zu pass: Gegen­über dem Staat gab es enor­me Emp­find­lich­kei­ten, wenn die­ser sei­ne Zugriffs­mög­lich­kei­ten erwei­tern woll­te, gegen­über uns nicht. Der Staat muss­te zumin­dest demo­kra­ti­sche Kon­se­quen­zen befürch­ten – im Prin­zip konn­te man Regie­run­gen abwäh­len, wir konn­ten die Infor­ma­ti­ons­strö­me so steu­ern, dass unse­re Begehr­lich­kei­ten und Ver­feh­lun­gen  nicht lan­ge im Fokus der Öffent­lich­keit blie­ben. Mit jeder AGB-Ände­rung im Juris­ten­deutsch konn­ten wir aus­ta­rie­ren, wie weit man gehen konn­te. Das las ja nie­mand und liest es bis heu­te nicht. Die gut gemein­ten staat­li­chen Auf­klä­rungs­pflich­ten kamen uns dabei sehr ent­ge­gen, weil sie die Ver­trags­wer­ke ledig­lich wei­ter aufbliesen.

Der Staat hät­te uns zwar poli­tisch Ein­halt gebie­ten kön­nen, aber das hät­te kaum eine Regie­rung län­ger als eine Legis­la­tur­pe­ri­ode über­lebt. Des­halb der Deal mit den stan­dar­di­sier­ten Schnitt­stel­len wie in den frü­hen Anfän­gen die SINA-Box. Das Staat bekam die Infor­ma­tio­nen, die er mein­te zu brau­chen und ließ im Gegen­zug uns dafür in Ruhe.

HD: Sie leben doch aus­ge­spro­chen gut von der Tak­tik, die Sie da gefah­ren haben. Soll­ten Sie den Nut­ze­rin­nen und Nut­zern nicht dank­bar sein?

EB: Unse­re Natur ist nicht die Dank­bar­keit. Das ist ein wirt­schaft­li­ches Über­le­bens­prin­zip. Und es war kein Plan, son­dern es hat eben so erge­ben, weil es unse­re Natur ist. Und es wäre so nicht mög­lich gewe­sen, wenn wir die Welt für den Nut­zer nicht auch zum Posi­ti­ven gewen­det hät­ten. Der Zugang zu Bil­dung, Kunst und Kul­tur ist durch uns welt­weit für jeder­mann mög­lich gewor­den. Jeder konn­te auf ein­mal ein Sen­der sein und sei­ne Ideen ver­wirk­li­chen – frei­lich blie­ben die meis­ten Kon­su­men­ten. Das ist objek­tiv ein media­ler Wan­del, der ohne Wei­te­res mit dem des Buch­drucks ergleich­bar ist. Dabei haben wir nie zwi­schen gro­ßen und klei­nen Play­ern unter­schie­den, son­dern vor allem unse­re Such­al­go­rith­men nach qua­li­ta­ti­ven, mög­lichst neu­tra­len Gesichts­punk­ten gestal­tet. Wer kei­ne Qua­li­tät in unse­rem Sin­ne bie­ten konn­te, muss­te sich eben hoch­kau­fen, indem er uns direkt Geld bezahl­te oder sein Glück mit SEO-Agen­tu­ren ver­such­te, mit denen wir uns immer ein Ren­nen lie­fer­ten, was für die SEOs schluss­end­lich nicht zu gewin­nen war. Das merk­ten die Kun­den dann und zahl­ten gleich direkt an uns.

Tak­ti­ken gab es aber auch: So such­ten wir uns gezielt Per­so­nen, die in den sozia­len Netz­wer­ken über einen hohen Repu­ta­ti­ons­grad ver­füg­ten, um vor­geb­lich kri­ti­sche Mei­nun­gen zu streu­en, die aber letzt­lich in unse­rem Sin­ne waren. Die Idee kam dabei von Agen­tu­ren, die über ein­ge­kauf­te Agen­ten Pro­dukt­be­wer­tun­gen plat­zier­ten. Wir muss­ten ler­nen, wie die­se Bewer­tun­gen zu for­mu­lie­ren waren, damit sie als authen­tisch akt­zep­tiert wur­den. So lie­ßen sich auch Waren­strö­me steu­ern und Über­ka­pa­zi­tä­ten viel geschick­ter nut­zen als über klar erkenn­ba­re Abschrei­bungs­kam­pa­gnen, wenn sich ein Her­stel­ler mal hin­sicht­lich der Attrak­ti­vi­tät sei­nes Pro­duk­tes ver­kal­ku­lier­te und es zum Schleu­der­preis auf den vor­wie­gend dann Bil­dungs­markt warf. Im Bil­dungs­markt ziel­ten wir dabei auf Mul­ti­pli­ka­to­ren. Wenn man die­sem das lang ver­lo­re­ne Kom­pe­tenz­ge­fühl in tech­ni­schen Din­gen zurück­gab, kauf­ten Sie auch Gerä­te zum Nor­mal­preis und war­ben Gel­der für die Beschaf­fung grö­ße­rer Char­gen wie selbst­ver­ständ­lich ein. „Psy­cho­lo­gy over­ri­des cos­ts“ sag­te da unser Ver­trieb immer.

HD: Das ist doch unglaub­lich unfair. Gera­de der Bil­dungs­be­reich war doch über Jah­re dem tech­ni­schen Fort­schritt weit hin­ter­her. Wer­fen Sie jetzt den dort Täti­gen auf noch Nai­vi­tät und Unwis­sen­heit vor, denen doch vor­wie­gend das Auf­ho­len die­ses Rück­stands und damit die Vor­be­rei­tung der ihnen anver­trau­ten Men­schen auf den Arbeits­markt am Her­zen lag und – mit Ver­laub – auch immer lie­gen wird?

EB: Die Moti­ve die­ser Men­schen stel­le ich doch nicht infra­ge. Wir haben doch gera­de die Situa­ti­on, die sie da beschrei­ben zu nut­zen gewusst, wobei bei­de Sei­ten schluss­end­lich pro­fi­tiert haben. Dar­an ist nichts ver­werf­lich. Wir hat­ten etwas, was ande­re nicht hat­ten und es ihnen ver­kauft. So ist das in unse­rem Wirt­schafts­sys­tem. Hät­te man jetzt alle dazu nöti­gen sol­len Open­So­ur­ce-Pro­duk­te ein­zu­set­zen und alles an mög­li­chen Diens­ten selbst zu hos­ten? Sie haben viel­leicht schon ver­ges­sen, wie es um die Patch­le­vel der aller­meis­ten Joomla!-Installationen von Schu­len bestellt war und hät­ten dann das Gejam­mer hören sol­len, wenn wir die­se wegen Viren­be­fall aus den Such­ergeb­nis­sen aus­ge­lis­tet haben. Leh­rer und Bil­dungs­trei­ben­de waren bemüht, aber letzt­end­lich doch eher dil­le­tan­tisch bei der tech­ni­schen Umset­zung. Das kön­nen wir bes­ser, ver­läss­li­cher und vor allem siche­rer. Das zeigt die Zuver­läs­sig­keit unse­rer Diens­te über Jah­re hin­weg. Wenn der Staat es anders gewollt hät­te, wäre sogar mit uns etwas mög­lich gewesen.

Aber der Staat war den ver­än­der­ten Umstän­den mit sei­nen alt­her­ge­brach­ten poli­ti­schen Sys­tem nicht gewach­sen, qua­si kaum noch reak­ti­ons­fä­hig – anders sind Ent­wick­lun­gen wie das dama­li­ge Leis­tungs­schutz­recht kaum zu erklä­ren. Die einst mäch­ti­gen Pres­se­ver­la­ge sind aber dann ja schluss­end­lich an ihrer Per­so­nal- und Ver­gü­tungs­po­li­tik zugrun­de gegan­gen. Wir bie­ten Buch­au­to­ren und Jour­na­lis­ten mitt­ler­wei­le pro­fi­ta­ble­re Verdienstmöglichkeiten.

HD: Und Sie haben selbst von unzäh­li­gen kos­ten­los agie­ren­den Leis­tungs­trä­gern profitiert.

EB: Natür­lich nut­zen wir Ent­wick­lun­gen aus dem Open­So­urce­be­reich. Natür­lich ver­bes­sern wir unse­re Tex­terken­nungs- und Über­set­zungs­al­go­rith­men mit Hil­fe von Men­schen, die davon kaum etwas mit­be­kom­men. Nur ist der Bei­trag jedes Ein­zel­nen dabei so mini­mal, dass man da kaum von Aus­nut­zung spre­chen kann. Die Men­schen geben uns die­se Leis­tung frei­wil­lig, genau wie damals bei Wiki­pe­dia, das wir nun als Pro­jekt wei­ter­ent­wi­ckeln und es geschafft haben, die Autoren­knapp­heit maß­geb­lich zu kompensieren.

HDSind nicht Sie mitt­ler­wei­le der­je­ni­ge, der für uns die Part­ner auf­grund der Social-Media-Pro­fi­le über Gesichts­er­ken­nungs­al­go­rith­men aus­sucht? Steu­ern Sie nicht die Inter­es­sen des Ein­zel­nen durch maß­ge­schnei­der­te Such­ergeb­nis­se? Kon­trol­lie­ren Sie nicht damit auch das Wis­sen? Sind Sie nicht schon viel zu mäch­tig geworden?

EB: Genau das ist unser momen­ta­nes Pro­blem, wes­we­gen wir zukünf­tig jede tech­no­lo­gi­sche Inno­va­ti­on durch eine Ethik­kom­mis­si­on beglei­ten las­sen wol­len. Die Leu­te sehen mehr und mehr das, was unse­re Algo­rith­mik als sinn­voll für sie aus­wählt. Wir füh­ren genau dar­auf zurück, dass wir immer weni­ger krea­ti­ve Köp­fe für die Arbeit in unse­rem Unter­neh­men fin­den. Die meis­ten Bewer­ber kön­nen wohl Bekann­tes reas­sem­blie­ren und reme­dia­li­sie­ren und das auch ästhe­tisch anspre­chend, aber es fehlt zuneh­mend an fun­dier­tem tech­no­lo­gi­schen Wis­sen (das haben auch wir der Bevöl­ke­rung „weger­zo­gen“) gepaart mit Quer­trei­be­rei. Die Absol­ven­ten sind uns zu uni­form, so sehr auf das gefäl­li­ge Lösen immer neu­er Auf­ga­ben gepolt. Sie gehen ins­ge­samt weni­ger Risi­ken ein. Sie haben oft Angst, im pri­va­ten Bereich Ver­än­de­run­gen hin­neh­men zu müs­sen und pas­sen sich daher im Beruf aus unse­rer Sicht zu stark an.

Des­we­gen wol­len wir nun selbst das Rad ein wenig zurück­dre­hen und dar­über dis­ku­tie­ren, was es eigent­lich bedeu­tet, wenn eine Frau einem Mann in einer Bar kei­nen Drink aus­gibt, weil ihr unser Gesichts­er­ken­nungs­al­go­rith­mus mit­ge­teilt hat, dass sie mit der „Ziel­per­son“ auf­grund unter­schied­li­cher Inter­es­sen und des vor­an­ge­hen­den Lebens­wan­dels nicht kom­pa­ti­bel ist. Unse­re Vor­stel­lung von Kom­pa­ti­bi­li­tät hat eben immer auch ethi­sche Dimensionen.

War­um soll­te wei­ter­hin der schon zwei­mal geschei­ter­te Start-Up-Grün­der nicht kre­dit­wür­dig sein, wenn es doch in sei­nem Schei­tern viel­leicht für den drit­ten Ver­such gereift ist. Wo lie­gen da die Gren­zen der Algo­rith­mik, wo ihre Chancen?

Im Grun­de genom­men waren die­se Fra­gen immer schon da – etwa als die dama­li­ge auto­ma­ti­sche Ergän­zung von Such­be­grif­fen Per­so­nen in eine ein­deu­ti­ge „Ecke“ stell­ten und Gerichts­ent­schei­dun­gen uns da Ein­halt gebo­ten. Ent­schei­dend für die Per­son ist ja nicht, dass die­se Daten aus Anfra­gen Drit­ter algo­rith­mi­siert wur­den – ent­schei­dend ist die dar­aus resul­tie­ren­de Wahrnehmung.

Für uns war in der Rück­schau sehr wich­tig, dass es Leu­te gab, die die Exis­tenz von Pri­vat­s­sphä­re und so etwas wie Eigen­tum an Daten als Relik­te der bür­ger­li­chen Welt abta­ten, weil es uns eben weit mehr nütz­te als den Gut­men­schen in ihrem Glau­ben an eine bes­se­re Welt. Auch das ist ethisch schwie­rig, wie wir heu­te wissen.

HD: Wir dan­ken ihnen für die­ses Gespräch, Herr Baldwin!

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