Das „Dining-Philophers-Problem“ ist eine Parallelisierungsaufgabe aus der Informatik. Fünf Philosophen sitzen um einen Tisch mit für Tellern und fünf Gabeln
Das „Dining philosophers problem“ – yeah, Informatik!
Das „Dining-Philophers-Problem“ ist eine Parallelisierungsaufgabe aus der Informatik. Fünf Philosophen sitzen um einen Tisch mit für Tellern und fünf Gabeln dazwischen. Wenn einer von ihnen essen möchte, benötigt er beide Gabeln neben seinem Teller.

By Benjamin D. Esham / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56559
Damit können jeweils nur zwei Philosophen gleichzeitig essen und es muss jeweils ein Teller zwischen ihnen sein, an dem nicht gegessen wird. Eine historische Lösung des Problems kann man direkt in einer Publikation von Dijkstra nachlesen (S.29). Das hätte man einfach formalisieren können. Oder halt selbst nachdenken.
In der Informatikwelt sind die Philosophen Prozesse, die um die Betriebssystemressourcen auf dem Tisch konkurrieren. Dabei muss man vermeiden, dass sich die Prozesse gegenseitig blockieren: Wenn alle gleichzeitig wollen, gibt es Streit und keiner kann die Ressourcen belegen, die er zum Essen braucht (informatisch: Verklemmung). Es darf aber auch keine Situation eintreten, in der alle so höflich sind, sich immer gegenseitig den Vortritt zu lassen (informatisch: Aushungerung). Und natürlich soll der Zugriff auf die Ressourcen fair und effizient sein.
Die Herausforderung:
Man „denkt“ beim Formalisieren nicht nur für einen Prozess, sondern für fünf, die miteinander in einer definierten Umgebung interagieren.
Wer darf dann überhaupt miteinander essen?
Um das zu formalisieren, nehmen wir mal eine simple minimale Datenstruktur – ein Feld mit einem booleschen Element für jeden Prozess – d.h. jeder hat sein Flag, dass er auf „ich will essen“ setzen kann. Dann gibt es fünf zulässige Konstellationen:
10100 10010 01010 01001 00101
Das ist schonmal hübsch, da es tatsächlich nur fünf zulässige Fälle gibt. Boolesche Werte zu scannen und zu manipulieren ist ressourcenmäßig auch nicht so üppig aufwändig.
Eine Entscheidung, ob man zwei Philosophen an den Tisch lässt, kann man verlässlich fällen, wenn drei von ihnen ihr Interesse bekundet haben.
Damit nicht genug: Die Prozesse müssen sich weiterhin untereinander steuern können, damit sie sich gegenseitig an den Tisch lassen können.
Ansatz
Man lässt immer drei Prozesse in einen Empfangsbereich, die beiden anderen bleiben draußen und stellen sich an. Dann lässt man die mögliche Konstellation von zwei Philosophen an den Tisch. Derjenige, der nicht zum Zuge kommt, bleibt in einem zweiten Wartebereich vor dem Tisch stehen (= sein Flag im Array bleibt gesetzt).
Wenn einer der am Tisch Essenden aufsteht, kippt er sein Flag im Array, lässt einen aus der Schlange im Empfangsbereich rein und stellt sich draußen hinten wieder an.
Ein besonderes Problem ist die Konstellation:
10101
Bei sowas sollte man die Reihenfolge der Prüfung mal variieren, damit nicht immer die gleichen zwei zum Zuge kommen und der Dritte „verhungert“ (das ist bei fünf Prozessen nicht sehr wahrscheinlich, aber durchaus mal möglich).
Wie macht man das mit dem Warten eigentlich?
Die einfachste Lösung besteht darin, die Prozesse in Endlosschleifen mit einer Abbruchbedingung (Prüfung einer globalen Variable) zu schicken, wenn sie im Empfangsbereich oder vor dem Tisch stehen. Dabei verbraten Sie bloß reichlich Rechenzeit – informatisch heißt das „aktives Warten“ (busy wait) – also dauernd herumquengeln, ob man nicht endlich dran ist. Moderne Betriebssysteme bekommen das hin, mit sowas umzugehen, aber netter ressourcenschonender Programmierstil ist das nicht.
Semaphoren als Lösung
Semaphoren sind Datenstrukturen, die einen negativen oder positiven ganzahligen Wert annehmen können und zusätzlich einen Counter besitzen. Positive Werte geben die Anzahl der zur Verfügung stehenden Ressourcen an, negative die Anzahl der Prozesse, die bereits auf die Zuteilung einer Ressource warten.
Der Counter ist wie der Wert des Semaphors für Anwendungsprogramme nicht einsehbar. Innerhalb eines Prozesses kann ein Anwendungsprogramm eine sogenannte P‑Operation auf einen Semaphor ausführen. Wenn der Semaphor einen positiven Wert hat, wird dieser um eins erniedrigt (= eine Ressource vergeben) und der Prozess darf weitermachen. Wichtig dabei: Das Betriebssystem entscheidet, welcher Prozess die Ressource erhält (meist FIFO, muss aber nicht).
Wenn der Wert negativ oder null ist, wird auch um eins erniedrigt und der Prozess muss warten (Auf Betriebssystemebene wird dem Prozess der Prozessor entzogen, er bleibt im Speicher aktiv, verbraucht aber außer Speicher kaum weitere Ressourcen mehr).
Wenn der Prozess fertig ist, führt er eine V‑Operation auf den Semaphor aus, der sich dadurch um Eins erhöht. Semaphoren müssen, um die Interaktion von Prozessen steuern zu können, globale Datenstrukturen sein.
Kritische Abschnitte
Da Prozesse den Zustand bzw. Wert von Semaphoren nicht abfragen, sondern nur inkrementieren oder dekrementieren können, „erfahren“ sie voneinander nur über globale Variablen oder sonstige Datenstrukturen, in unserem Fall z.B. das Array mit den booleschen Elementen.
Wenn man auf globalen Datenstrukturen mit mehreren Prozessen arbeitet, muss man sicherstellen, dass das immer nur ein Prozess tun kann. Man sperrt solche Strukturen oder auch kritische Abschnitte durch einen extra Semaphor (P‑Operation), macht seine Arbeit und entsperrt diesen Semaphor wieder (V‑Operation). Solche Semaphoren haben nur 0 und 1 als Zustände und werden oft als „mutex“ bezeichnet. Damit wird verhindert, dass zwei Prozesse solche Datenstrukturen gleichzeitig verändern (oder lesen) und damit Inkonsistenzen entstehen.
Meine Lösung (mittlerweile nach Rückmeldungen)
In der Vorlesung wird eine recht eigenwillige Beschreibungssprache verwendet. Das hat damit zu tun, dass man nicht oft nur wenig über der Maschinensprache bewegt, die dann deutlich eingeschränkter im Befehlssatz ist. Wenn man auf globale Datenstrukturen lesend oder schreibend zugreift, muss man das „atomar“ machen (dafür sorgen, dass man alleine ist).
TYPE philId = (0..4); hungry_phils : SEMAPHORE == 3; // wir haben vorerst drei Plätze privsem : ARRAY (0...4) OF SEMAPHORE == [EACH == 0]; // persönlicher Warteplatz am Tisch mutex_helper : SEMAPHORE == 1; hungry_phils_array : ARRAY BOOLEAN OF slot == [EACH == FALSE]; swap_check : BOOLEAN == FALSE; philosopher : PROCESS (id : IN philId) BEGIN LOOP --denken P(hungry_phils); P(mutex_helper); hungry_phils_array[id] == true; IF swap_check IF hungry_phils_array[0] AND hungry_phils_array[2] let_eat[0,2]; ELSEIF hungry_phils_array[0] AND hungry_phils_array[3] let_eat[0,3]; ELSEIF hungry_phils_array[1] AND hungry_phils_array[3] let_eat[1,3]; ELSEIF hungry_phils_array[1] AND hungry_phils_array[4] let_eat[1,4]; ELSEIF hungry_phils_array[2] AND hungry_phils_array[4] let_eat[2,4]; ENDIF ELSE IF hungry_phils_array[4] AND hungry_phils_array[2] let_eat[4,2]; ELSEIF hungry_phils_array[4] AND hungry_phils_array[1] let_eat[4,1]; ELSEIF hungry_phils_array[0] AND hungry_phils_array[3] let_eat[0,3]; ELSEIF hungry_phils_array[1] AND hungry_phils_array[3] let_eat[1,3]; ELSEIF hungry_phils_array[0] AND hungry_phils_array[2] let_eat[0,2]; ENDIF ENDIF IF NOT swap_check swap_check == TRUE; ELSE swap_check == FALSE; ENDIF V(mutex_helper); P(privsem[id]); --essen P(mutex_helper); hungry_phils_array[id] == false; P(mutex_helper); V(hungry_phils); REPEAT; let_eat : PROCEDURE (id1 : CARDINAL,id2 : CARDINAL) BEGIN V(privsem[id1]); V(privsem[id2]); END END
Da steckt deutlich mehr Gehirnschmalz drin, als es den Anschein hat – z.B. war es gar nicht so einfach, immer dafür zu sorgen, dass zwei Philosophen gleichzeitig essen. In alternativen Lösungsvorschlägen aus dem Tutorium wäre auch ein Einzelessen möglich gewesen.
Wie geht in der Vorlesung weiter?
Semaphoren sind bisher Blackboxen. Jetzt wird geschaut, wie ein Betriebssystem Semaphore realisiert (das geht übrigens manchmal nicht ohne „busy waiting“). Letztlich geht es im Zuteilung von Rechenzeit an Prozesse. Ich kann gedanklich momentan nur leidlich mithalten und brauche letztlich zu viel Zeit für Lösungen. Das wird in der Klausur später spannend …
Die Edunautika 2022
Edunautika – was ist denn das?
Die Edunautika ist ein Barcamp mit dem Schwerpunkt auf Lernen und Lehren unter den Bedingungen einer zunehmend durch Digitalisierung geprägten Gesellschaft. Sie fand letztes Wochenende an der Winterhuder Reformschule in Hamburg statt. Ungefähr 250 Menschen aus unterschiedlichen Bildungskontexten haben ein buntes Programm mit vielen interessanten Sessions bereitet. Schüler:innen der Gastgeberschule sorgten für das leibliche Wohl und sammelten so Geld für ihre „persönliche Herausforderung“. Im Innenbereich wurde grundsätzlich Maske getragen, medizinische Masken waren dabei eher selten, Standard war eher FFP2. Während das Wetter im Süden sich in Hitzerekorden übte, blieb es in Hamburg bei bewegtem Lüftchen angenehm aushaltbar, sowohl innen als auch außen. Ich hatte das Glück, meinen Aufenthalt mit einem Besuch bei einem guten Freund verbinden zu können, bei dem ich auch im Gästezimmer übernachten durfte. Mein Semesterticket brachte mich kostenlos hin und zurück, wenngleich mit einigen Widrigkeiten (Ja, auch ein Zug kann anlässlich eines Festivals „aus den Federn“ kommen, wenn viele Menschen gleichzeitig aussteigen).
Und, was gab es?
Ich habe mich sehr gefreut, ganz viele Menschen, die ich lange nicht persönlich getroffen habe, endlich wiederzusehen. Das ganze, sehr beeindruckende Programm kann man hier anschauen. In einer Session habe ich von 8jährigen Schüler:in ganz viel über ihre neue freie Schule hören dürfen – und darüber, wie viel besser diese Schule nun zu ihr passt. In einer Session zu Philosophie ging es u.a. um die Gegenüberstellung zwischen „Ich denke, also bin ich“ (Descartes) vs. „Ich bin, weil du bist“ (Afrikanisches Sprichwort) – mit multikultureller Perspektive. Auch bei Christian Vanell war ich, der etwas zu Feedbackformaten bei Projekt- und Portfolioarbeit mitgebracht hatte. Ich bin immer gleichermaßen beruhigt wie verwirtt, dass andere Menschen an sehr ähnlichen Fragestellungen wie ich festhängen, aber immer mit ganz unterschiedlichen Perspektiven, von denen man viel lernen kann.
About spirit
Organisiert wird diese Veranstaltung maßgeblich von Jöran Muuß-Merholz und Mitarbeitenden seiner Agentur Jöran & Konsorten - unterstützt durch ehrenamtliche Hilfe von Menschen, die ich eher dem Verein Educamps e.V. zuordne. Mitmachen tun dort aber irgendwie alle. Wenn etwas bei einer Session nicht klappt, fühlen sich schnell Teilgebende dafür verantwortlich, dass es klappt und den/die Sessiongeber:in bestmöglich zu unterstützen. Klar war der ein oder andere Name etwas prominenter, aber Star-Allüren suchte man dort dann doch einigermaßen vergeblich.
Und ich?
Ich habe in diesem Jahr etwas zu Invidualisierung gemacht bzw. zu den Grenzen dieses Konzepts. Das ist ja einigermaßen verrückt, etwas noch gar nicht im Bildungssystem Angekommenes schon wieder kritisch zu betrachten. Daher ist das quasi eine „Stealthsession“ gewesen, ohne Dokumentation nach außen. Ein paar Impulse und Vorüberlegungen von mir waren dabei, wobei es letztlich aber primär die Voraussetzungen bei Kindern und Jugendlichen ging und um Überlegungen, wann ein Individuum seine Interessen einer Gruppe unterordnen sollte – es gibt ja zwei Mengen: Die Bedürfnisse des Individuums und die Ressourcen eines „Schul-„systems.
Das hier war die ursprüngliche Ankündigung meiner Session:
Wer?
Mein Name ist Maik und ich arbeite zurzeit für ein Landesinstitut, für Schulträger, an einer Universität
Was?
Marion (KiTa-Fachkraft) hat viele meiner Gedanken bezeichnenderweise anonym notiert: https://www.news4teachers.de/2022/05/die-kinder-haben-sich-veraendert-sie-tun-sich-viel-schwerer-damit-einfache-regeln-zu-akzeptieren-eine-kita-fachkraft-berichtet/ – für mich zieht sich diese gesellschaftliche Veränderung viel, viel weiter. Die Erwartung, dass „andere es für mich tun und lösen“ wächst in meinen Augen – eine subjektive Beobachtung: Telefonate oder Gespräche (also direkte, nicht technisch vermittelte Kommunikationssituationen) empfinden viele Kinder und Jugendliche zunehmend als belastend oder gar übergriffig – besser per Chat/Voicenachricht lösen. Im Kontext von Individualisierung sind solche kritischen Töne oft tabuisiert – Verhalten wird oft auf Fehlleistungen anderer zurückgeführt oder mit „den Umständen“ erklärt. Es scheint „en vogue“ zu werden, vermehrt „für“ Kinder und Jugendliche zu arbeiten und ihren individuellen Ansprüchen bestmöglich entgegenzukommen.
Wie?
Ich möchte anonym eure Beobachtungen sammeln. Ich möche darüber sprechen, wo für euch die „Grenze“ der Individualisierung ist. Auf was würdet ihr nicht eingehen? Wo erwartet ihr, dass Individuen sich zurücknehmen, um für die Gruppe eine Atmosphäre „des gemeinsamen“ Wachsen zu schaffen? Und ich möchte keine Dokumentation der Session, sondern eine Raum, in dem das, was im Raum geschieht, im Raum bleibt.
Es waren volle 1 1/2 Tagen mit vielen Eindrücken. Danke allen, die das möglich gemacht haben!
Und was ist mit Chromebooks?
Die Geschichte hinter der Geschichte
Ich habe vergangene Woche einen Artikel bei Heise-Online zu der Frage veröffentlicht, warum iPads in deutschen Schulen so weit verbreitet sind. Das Publikum bei Heise-Online ist i.d.R. eher technikaffin und wesentlich bunter gemischt als z.B. im Twitterlehrer:innenzimmer. Dementsprechend kann man es niemandem Recht machen, weil immer irgendwas nicht erwähnt oder zu verkürzt dargestellt ist – oder man wahlweise eh keine Ahnung hat. Das ist der Fluch der Zeichenbegrenzung. Besondere Wellen im Nachgang schlug die Frage, inwiefern Chromebooks nicht eine gute Alternative darstellen würden. Diese räumten schließlich auch gerade die US-amerikanischen Markt auf.
Tatsächlich halte ich selbst Chromebooks technisch dem iPad mittlerweile für überlegen, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Verankerung des Faches Informatik (ja, es geht voran) an den Schulen. Ich wäre technisch sehr glücklich mit Chromebooks in der Schule. Aber es geht nicht um mich. Das müssen gerade wir Männer in Beratungsprozessen immer wieder neu lernen.
Die Perspektive des medienpädagogischen Beraters
In meiner Rolle als medienpädagogischer Berater bin ich prinzipiell zu Neutralität verpflichtet. Ich muss unterschiedliche Systeme gleichwertig nebeneinander stellen. Produktvorstellungen lasse ich i.d.R. die betreffenden Firmen oder deren Distributor:innen machen. Schulen definieren dann ihre Anforderungen und man schaut ins Umfeld der Schule, welche Resourcen z.B. für Administration und Garantieabwicklung vorhanden sind. Wie sehen die Beschaffungsstrukturen beim Träger aus? Und man schaut in das pädagogische Umfeld: Womit arbeiten eigentlich im Falle der Grundschulen die weiterführenden Schulen? Welche Systeme sind in der beruflichen Bildung etabliert? Welche überschulischen Kooperationsmöglichkeiten tun sich auf? Schulen sind zudem zunehmend sensibilisiert für Fragen des Datenschutzes und des Urheberrechts. Alle Anforderungen und Wünsche erfüllt heute kein System. Wer bei der Beschaffung von Endgeräten für Schüler:innen nur auf die jeweilige Schule schaut, denkt m.E. deutlich zu kurz. Für den Erfolg oder Misserfolg einer Einführung von Endgeräten gibt es deutlich mehr Gelingensbedingungen als rein technische.
Die Voraussetzungen vor Ort
Mein eigener Landkreis ist relativ fest in der Hand von IServ. Dessen MDM kommt bisher nur mit iPads zurecht. Daher gibt es hier vor Ort schon rein pragmatisch bestimmte Vorgaben, die sich aber auch flexibel ändern. Unser Medienzentrum betreibt z.B. einen BigBlueButton-Cluster als Videokonferenzlösung, die nachmittags auch gemeinnützigen Vereinen und anderen Bildungseinrichtungen offenstehen würde – allein unser Marketing dafür ist noch zu schlecht. Es gibt ein eigenes Etherpad, Dinge wie einen Onlineaudioeditor, eine Videodistributionsplattform oder ein System zur Vorbereitung von Tafelbildern. Viele andere Medienzentren sind da noch nicht soweit mit ihrem Angebot an freien Softwarelösungen.
Bei Thema bleiben: Chromebooks?
Tatsächlich gibt es Schulen in kommunalen Trägerschaften des Landkreises, die eher Richtung ChromeOS oder auch Android gehen möchten. Daher habe ich mir in Kooperation mit einem Distributor drei Geräte angeschaut, die über die Google Admin-Konsole steuerbar waren. Durch den Distributor wurde die „Managed Guest Session“ als datenschutzkonforme Konfigurationsmöglichkeit vorgestellt. Dabei werden nach jeder Abmeldung sämtliche Einstellungen vom Gerät gelöscht, sodass z.B. ein Nutzer, der das Gerät am gleichen Schultag verwendet, keinen Zugriff auf fremde Inhalte und Dokumente hat. Ein Googlekonto ist zur Nutzung der Geräte dabei nicht notwendig. Die Nutzung erfolgt komplett anonym – allerdings ist der Einsatzzweck damit begrenzt: Dieser Modus eignet sich eigentlich nur für „Koffergeräte“, die man für einzelnen Schulstunden entleiht. Technisch entspricht das dem Gastmodus von Shared-iPads.
Bei persönlichen Geräten möchte man etwas anderes
ChromeBooks zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl Einstellungen, Dateien und sonstige Inhalte mit den Cloudsystemen von Google abgebildet werden. Eine lokale Nutzung ist technisch begrenzt möglich, beschneidet aber die Einsatzmöglichkeiten enorm. Bei einem Gerät, was kein Koffergerät ist, möchte man diesen Komfort nutzen können.
Dazu wird technisch ein Googlekonto benötigt. Dieses kann man zwar über alternative Authentifizierungssysteme wie z.B. auch IServ nutzen – gleichwohl muss eine wie immer geartete Kopplung zwischen Authentifizierungsmethode und einem Benutzeraccount in Google Classroom stattfinden. Der Vorschlag zum datenschutzkonformen Einsatz lautet in dem Fall: Pseudonymisierung, d.h. man erstellt Konten mit Fantasienamen. In Bildungskontexten sind Fantasienamen wiederum sehr unpraktisch – vor allem bei Kooperation und Kollaboration. Google garantiert für Bildungsinstitutionen, dass Daten von Schüler:innen nicht für Werbezwecke genutzt werden – mit Schrems II ist klar, dass US-Anbieter datenschutztechnisch bisher alle das gleiche Problem haben. Das Beharren von z.B. Microsoft auf „Telemetriedaten zur Verbesserung der Nutzungserfahrung“ gibt deutlich Hinweise darauf, worum es Anbietern letztlich geht. Das ist bei Erwachsenen, die die technischen Abläufe dahinter nicht verstehen, schon fragwürdig, bei Schutzbefohlenen, die der Schulpflicht unterliegen, aus meiner Sicht ein klares Ausschlusskriterium.
Google muss diese Daten auch gar nicht nutzen. Es reicht, diese Daten zu haben, um sie später nutzen zu können. Die Pseudonymisierung schützt davor gerade nicht – zunehmend weichen Anbieter auf biometrisches Tracking aus, was innerhalb einer konzerneigenen Plattform noch einmal wesentlich besser funktioniert.
Bei Appleprodukten ist es für eine Schule schon schwierig, im Falle von externen Anfragen eine datenschutzkonforme Nutzung nachzuweisen – die offene Flanke sind hier tatsächlich „nur“ die MDM-Systeme so man nicht Apples Classroom App nutzt. Bei der personalisierten Nutzung von Google-Classroom oder der Online-Officesuite von Google dürfte das unmöglich werden.
Und ja: In ihrer Freizeit machen Schüler:innen ja solche Dinge auch und gehen viel sorgloser mit diesen Daten um. Aus Eltern- oder Anbieterperspektive ist diese Argumentation nachvollziehbar – als Berater kann ich mir das so nicht erlauben.
Bei iPads brauche ich keinen personalisierten Nutzer (obwohl dadurch vieles deutlich praktischer wird). Ich kann als Institution das Gerät trotzdem weitgehend auf die Anforderungen der Schule zuschneiden (das geht über die Adminkonsole von Google auch) und Eingaben wie z.B. Anmeldedaten auf dem Gerät selbst erhalten. Das geht bei der „Managed Guest Session“ bei Chromebooks nicht und braucht – zumindest nach meinen Erfahrungen mit den Leihgeräten – eine personalisierte Anmeldung. Da viele Menschen kein praxistaugliches Management von Zugangsdaten haben – Schüler:innen bis auf Ausnahmen schon gar nicht – wird man im Unterricht viel Zeit genau damit verlieren, Zugangsdaten wiederherzustellen oder zu besorgen.
Schließlich kann lokal nicht gespeichert werden: Jedes Unterrichtsprodukt, jeder Text muss irgendwie im Web erstellt oder dort abgelegt werden. Die Googlewelt lebt von einem personalisiertem Zuschnitt. Ohne sind die Komforteinbußen und der Verlust an pädagogischen Möglichkeiten immens. Als reines Zugangsgerät für webbasiertes Arbeiten sind Chromebooks hingegen m.E. unschlagbar und eine echte Alternative zu iPads. Doch welche Schule verfügt dazu bisher über eine entsprechende Infrastruktur ohne vom Regen in die Traufe zu kommen wie etwa bei Office 365 – was eine personalisierte Anmeldung erfordert?
Wie würde ich Chromebooks nutzen?
Ich arbeite seit Jahren webbasiert. Mit der Managed Guest Session ist eine technische Grundlage geschaffen, zumindest in der Schule datenschutzkonform zu arbeiten. Zu Hause können natürlich alle Familienmitglieder auf eigene Verantwortung wild ihre Google-Accounts nutzen – ggf. leistet man dem Vorschub, wenn man Chromebooks in der Schule nutzt – aber das ist bei Apple umgekehrt ja auch so. Ich kann mir das „leisten“, weil ich seit Jahren keine Schulbücher nutze und dazu auch die entsprechenden Fächer habe, die das ermöglichen. Für eine ganze Schule ist das erstmal noch nichts in meinen Augen.
Sobald über die Schule beschaffte Inhalte verteilt werden sollen, wird es wieder haarig, wenn Totholz (= Papier) dabei keine Rolle spielen soll. Da hat Apple mit dem ASM wieder die Nase vorn. Wer heute schon keine lokalen Apps braucht (man kommt auch ohne aus) und über eine DS-GVO-konformes, webbasiertes Cloudsystem verfügt – dem würde ich auf gar keinen Fall zu iPads raten, das geht dann mit Chrome- oder Linuxnotebooks deutlich besser – selbst rechtskonforme Prüfungen wären möglich, wenngleich je nach System technisch noch etwas tricky zu organisieren.
Twitter mit Institutionsaccount (na, so halb)
Transparenzdisclaimer:
Dieser Artikel schlummert seit etwa drei Monaten als Entwurf im Blog. Ich habe ihn jetzt herausgeholt, weil die Konflikte im Twitterlehrer:innenzimmer jetzt wieder an einer Stelle sind, an der sie schon vor drei Monaten waren und in drei Monaten wieder sein werden. Ihr werdet das Alter des Artikels an Entwicklungen merken, die schon jetzt nach drei Monaten wieder weitgehend Geschichte sind.
Und los:
Ich vergesse jedes Jahr wieder, dass Konflikte auf Twitter unter verschiedenen Gruppen enorm eskalieren. Eigentlich müsste man jedes Jahr im November (und in Pandemiejahren wohl zusätzlich vor den Sommerferien) eine entsprechende Warnmeldung herausgeben.
Ich will nicht mehr emotional in diesen Strudel gezogen werden – den persönlichen Account hatte ich schon im Spätsommer 2019 aufgegeben. Jetzt versuche ich es mit einem „Institutions“-Account, der bei Lichte besehen eigentlich keiner ist.
Zeit, einmal ein Resümée zu ziehen:
- Es gelingt mir gut, mich aus öffentlichen Metadiskussionen herauszuhalten. Ich verwende diese Energie für Dinge, die ich für nachhaltiger halte, z.B. für die lokale Vernetzung.
- Ich fühle mich darin bestärkt, dass es ab einer bestimmten Reichweite sehr schwierig wird, einen vorher abgesteckten Kurs zu halten. Es gibt Effekte, die man nicht leicht handeln kann, z.B. den Umgang mit Öffentlichkeit. Viel Aufmerksamkeit bedeutet viel Stress und zieht Kraft. Ich bin z.B. niemand, der es genießen kann, viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Tatsächlich habe ich immer wieder Kontakt zu z.B. Journalisten, gebe da aber eher Tipps zu Kontakten oder Ansatzpunkten. Das ist eine Form von Aufmerksamkeit, die ich ehrlicherweise sehr genieße. Und: Ich habe tatsächlich die Forenreaktion auf Heise Online im Kontext eines Artikels relativ unbeeindruckt überstanden. Da kann man jetzt Schritt für Schritt mutiger werden.
- Ich fühle mich darin bestärkt, dass es sehr schwierig ist, ab einer bestimmten Reichweite nicht Versuchungen zu erliegen, z.B. Posts danach vorzufiltern, wieviel Reichweite sie womöglich erzeugen.
- Es ist eigentlich meine erklärte Absicht, Twitter als Baustein für eine mehr lokalere Vernetzungsstrategie zu nutzen, um z.B. Lehrkräfte aus Niedersachsen gezielter anzusprechen. Das kollidiert natürlich mit der regionalen Ungebundenheit von Twitter. Allerdings ist momentan das Interesse an Angeboten zu Digikrams so groß, dass schon der Eintrag in die Veranstaltungsbank des Landes reicht, um Fortbildungen an Teilgeber:innen zu bringen.
- Twitter hat für die „Magie“ hinter Veränderungsprozessen keinerlei Relevanz. Die passiert ganz woanders, z.B. hier in Niedersachsen bei einer zunehmenden Vernetzungen von Beratungssystemen über Institutionsgrenzen hinweg. Das ist übrigens recht harte Arbeit, umso härter, je exponierter die eigene Position im System ist. Auch diese Exponierung vermeide ich noch. Daran wird in der Zukunft noch zu arbeiten sein.
- Twitter spielt für die Hilfe im Alltag untereinander eine immense Rolle. Das funktioniert am allerbesten über zusätzliche Bindungen auf anderen Kanälen. Die Wohlfühlblasen sind für Außenstehende oft weder wirklich zugänglich noch ohne weiteren Kontext überhaupt verstehbar. Gleichzeitig bieten sie aber einen unglaublichen Reiz, dass man sie z.B. aus theoretischen Überlegungen heraus kritisiert, z.B. weil man den Einsatz eines bestimmten Tools aus dem eigenen Verständnis von Digitalität bewertet bzw. „differenziert und kritisch diskutieren will“. Das war z.B. meine große Falle, in die ich jahrelang getappt bin.
Das Konzept der intendierten Öffentlichkeit aus Konfliktauslöser
Philippe Wampfler hat in einem anderen Kontext auf das Konzept der intendierten Öffentlichkeit von Anil Dash hingewiesen. Ich glaube, dass darin der erste Schlüssel für viele Konflikte liegt.
Ein gar nicht so konstruiertes Beispiel, wovon für mich immer wieder Initialzündungen ausgehen:
Wenn ich darauf stolz bin, ein Tool eingesetzt zu haben, besteht die Möglichkeit, dass ich nicht „kritisch hinterfragt“ werden möchte, sondern meine Erfahrungen nur in einem bestimmten Adressatenkreis weitergeben zu wollen. Dass mir z.B. Bildungsinteressierte oder Didaktiker folgen, wird mir u.U. erst im Prozess deutlich.
Die Kritik und die Rückfragen von Außenstehenden müssen darüber hinaus einen bestimmten Kontext konstruieren (wohlwollend oder z.b. kritisch) – für etwas anderes ist Twitter generell zu begrenzt. Die Beurteilung des Gegenübers z.B. auf Basis eines isolierten Tweets ist für mich mit der journalistischen Situation vergleichbar, in der Zitate aus dem Zusammenhang gerissen werden, um einen bestimmten Frame zu setzen – nur tun das die Tweetenden in ironischer Weise im Prinzip ja durch den Tweet selbst.
Tiefgreifende Diskussionen führt man nicht auf 240-Zeichen – der neue Trend ist ja auch „Ein Thread“ (quasi das Pendant der Sprachnachricht auf Twitter). Der Einsatz eines Tools im Unterricht in seinem Kontext kann ja nicht öffentlich sein, sich aber dadurch durchaus relativieren.
Jemandem, der sich schon lange auf Socialmedia bewegt, sind die Dynamiken von Onlinekommunikation bewusst. Die „alten Hasen“ kennen teilweise auch die Geschichte hinter der Geschichte. Neulinge nicht. Das wird leicht vergessen. Der Grad zwischen der Zuschreibung von „mangelnder Kritikfähigkeit“ und „Überforderung“ ist schmal. „Das ist doch hier schon 100mal widerlegt/geklärt/diskutiert worden!“ halte ich für einen Ausdruck dieser Asymmetrie.
Und die ideellen Machtverhältnisse sind nicht nur dadurch asymmetrisch. Auf Twitter und speziell im Twitterlehrer:innenzimmer sind nicht alle „gleich“ und „auf Augenhöhe“. Das ist in meinen Augen eine romantische und naive Webfantasie. Dahinter steckt vielleicht vielmehr der Wunsch nach einer Plattform oder Kommunikationsebene, auf der es so empfunden wird.
Asymmetrische Machtverhältnisse konnten historisch schon immer allein durch Solidarität und Gruppenbildung ausgeglichen werden. Das geschieht auf Twitter. Es wird sich in dem Maße verstärken, in dem asymmetrische Machtverhältnisse ignoriert bzw. wegromantisiert werden. Es sind definitiv nicht alle gleich. Gefordert sind hier vor allem die ideell Mächtigen – zunehmend aber auch im Aushalten persönlicher Angriffe.
Wirklich große Accounts wie der von in diesem Jahr wirklich präsenten Verena Pausder lächeln das nach anfänglicher Verwirrung weg. Da stehen oft ein Team und gewisse Marketingressourcen zur Reichweitenerhöhung zur Seite
Als wäre das nicht schon kompliziert genug
Mit Digitalität und Schule lässt sich Geld verdienen. Um Geld verdienen zu können, braucht es Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit an sich ist auf Socialmedia eine begrenzte Ressource und eigentlich auch sowas wie Geld. Geld und Aufmerksamkeit verdient man momentan nicht mit Entwürfen einer reformierten Schule. Man verdient es mit Inhalten und Materialien, die den Bedürfnissen des Systems Schule jetzt und hier maximal entgegenkommen. Fragt man Verlage, wie das Verhältnis zwischen „technisierten“ und Printprodukten bei der Wertschöpfung ist, ist die Antwort klar, was viele Lehrkräfte zurzeit immer noch wünschen und kaufen. Das kann mir gefallen oder nicht.
Ich finde immer wieder Parallelen zu den SUV-Verkäufen: Es gibt keine objektiven Gründe, sich einen Stadtpanzer zuzulegen. Kritische Geister hört man sich gerne auf Vortragsabenden zum Klimawandel an – dann hat man ja schon etwas getan. Und die sich sowas wie SUVs nicht leisten können, sind entweder neidisch oder Spaßbremsen. Fertig. Danach steigt man alleine in den eigenen SUV und fährt nach Hause.
Was erreiche ich dadurch einen SUV-Fahrer immer wieder öffentlich kritisch zu hinterfragen? Welche „Dialog“ auf Augenhöhe kann ich erwarten angesichts meiner „moralischen“ / „theoretischen“ oder sonst wie gearteten „Überlegenheit“? Erwarte ich wirklich einen Dialog und möchte ich mich in meiner Argumentation bestätigt sehen? Weiß ich nicht schon, dass das Gegenüber auf der sachlichen Ebene (den emotionalen Aspekt in Diskursen kürzt man lieber raus) wenig entgegenzusetzen hat?
Wenn ich Vorträge an Schulen zu Digitalität halte, ist das im Grunde strukturell sehr ähnlich. Das mache ich mir nichts vor.
Oft gibt es Zustimmung. Oder alle sind recht platt und baff. Nach einer Weile: „Und wie setzen wir das jetzt im Ausbildungsgang x in der Einheit y um?“ Der (mittlerweile still gedachte) Satz „Ja das ist doch ihre Kompetenz als Fachobfrau/-mann!“ hilft da nicht wirklich. Eigentlich stellt er eher bloß.
Deswegen habe ich oben auch geschrieben, dass Twitter für noch recht bedeutungslos bei diesem großen Thema halte. Die Verbindungen vom Bildungsjournalismus zur Lehrkräfteszene auf Twitter ist noch zu schwach. Aber auch diese Stunde wird kommen.
Es geht auf Twitter und überhaupt in sozialen Medien immer um Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit für die Vermarktung von Ideen, Konzepten, Veranstaltungen und Theorien. Meinen „neuen“ Account gibt es allein deshalb. Um Aufmerksamkeit für meine Angebote, die Angebote der Medienberatung und die Medienzentren zu generieren.
Kaffeesatzlesen
Twitter wird sich in diesem Jahr noch stärker segmentieren in Untergruppen. Kommunikation über diese Gruppen wird sich zunehmend verkomplizieren, weil sich die Werte und Kommunikationsbedürfe dieser Gruppen sich immer stärker voneinander unterscheiden werden. Immer weniger neue Kolleg:innen werden dem gewachsen sein und sich u.U. rasch wieder abwenden.
Schwachstellen im Schulsystem
Seit geraumer Zeit bewege ich mich mehr in einer Beobachterposition im Schulsystem. Ich habe regelmäßig Kontakt mit allen denkbaren Hierarchieebenen. Das liegt vor allem daran, dass Medienberatung massiv in Fokus gerät, seitdem „Digitalisierung“ als eines der politischen Hauptthemen in Erscheinung tritt. Zunehmend fährt man als medienpädagogische Beratung nicht mehr „unter dem Radar“, sondern ich bin mit meinen Kolleg:innen durchaus in Prozesse von landesweiter Bedeutung hier in Niedersachsen eingebunden. Dadurch dass alles gerade „ganz schnell“ gehen muss, kommt es immer wieder zu Begegnungen mit sehr grundsätzlichen Schwachstellen im System, die m.E. man eigentlich „nur“ gezielt „unter Feuer“ nehmen müsste, um Veränderungen zu beschleunigen. Als Beamter fehlt allerdings das Instrumentarium, bzw. es sollte tunlichst im Schrank bleiben, wenn die eigene Machtposition lediglich eine ideelle ist. „Unter Feuer nehmen“ ist dabei wirklich kein schöner Ausdruck, aber ein guter Spiegel so manches Wunsches, der einem manchmal kommt. Welche Schwachstellen meine ich?
Schwachstelle 1: Alle müssen unter allen Umständen ihr Gesicht wahren können
Im Schulsystem arbeiten Menschen in Leitungspositionen, die Fehler machen. Darf man das offen benennen? Einer der wesentlichen stillen Verträge schreibt m.E. ungesagt fest, dass das nicht geschehen darf. Ich kenne Schulleitungen, die versucht haben, offen damit umzugehen und erleben mussten, dass ihnen das nicht als Stärke angerechnet wurde. Es gibt „Sprachregelungen“ – durchaus auch für massives Fehlverhalten, z.B. „nicht den notwendigen Abstand zu Schüler:innen eingehalten“. Im Grunde geht es für mich dabei darum, Verantwortung zu entpersonalisieren. Auf Schul- und Schulamtsebene wird nur das reproduziert, was u.a. Presseabteilungen von Ministerien vorleben. Wenn sich etwas nicht 120%ig auf eine Regelung oder einen Erlass zurückführen lässt, gibt es äußerst selten schriftliche Auskünfte oder Gespräche in größeren Gruppen. Das gesprochene Wort genießt in Deutschland einen hohen Schutzstatus und ist relativ leicht glaubhaft im Nachhinein erinnerungstechnisch modifizierbar.
Ich bin selbst Teil dieser stillen Verträge. Materialien und Vorgaben, die ich oder meine Kolleg:innen produzieren, erscheinen „entpersonalisiert“ auf offiziellen Webseiten und sind von außen nur immens schwierig einer Person zuzuordnen. Das ist manchmal ganz angenehm, allerdings profitiere ich auch indirekt davon, was ich an anderer Stelle kritisiere. Ich kann Inhalte setzen – ganz ohne Verantwortung.
Eigentlich steckt für mich dahinter insgesamt viel Angst. Angst z.B. vor einer medialen Darstellung, die sehr verkürzt und oft „plakativ“ operiert, damit Komplexität möglichst einfach zu verstehen ist. Oder Angst, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Diese Angst ist gerade im Beamtenstatus objektiv eigentlich völlig unbegründet (zumindest wirtschaftlich), aber auch ich muss beim öffentlichen Schreiben diese im System verankerten Ängste immer mitdenken und im Blick haben – zumute ist mir manchmal durchaus anders.
Ich arbeite in einem Umfeld, in dem mein Vorgesetzter mir bei Fehlern immer sagt: „Und Maik, haste was draus gelernt?“ – und danach wird besprochen und es geht weiter. Das passiert übrigens innerhalb des Systems. Absolut ist nichts.
Schwachstelle 2: Angst vor Öffentlichkeit
Eigentlich hängt diese Schwachstelle sehr eng mit der ersten zusammen. Im Beamtensystem ist immens stark reglementiert, wer sich zu was im System öffentlich äußern darf. Die Konsequenzen bei einer Überschreitung sind relativ deutlich. Das bekommen Journalisten zu spüren, die zitierbare Aussagen von Lehrkräften in Interviews erhalten möchten. Oft bin ich schon gefragt worden, ob ich Schulen kennen würde, die dies und jenes schon realisiert haben oder in dieser oder jener Problemstellung stecken. Natürlich versuche ich, Kontakte herzustellen, allerdings steht davor immer das Beratungsgeheimnis: Ich entscheide nicht, ob eine Schule sich zu dieser oder jener Sache äußern möchte. Ich identifiziere nicht für Journalisten Schulen, die zu dieser oder jener Fragestellung passen OHNE mir vorher die Legitimation zu holen. Und genau da wird es immer wieder schwierig: Das braucht u.U. so viel Zeit, dass Deadlines in Redaktionen dann schon längst verstrichen sind und die Sache dann im Sande verläuft. Es gibt eine unglaubliche Scheu, sich als Schulleitung öffentlich zu bestimmten Abläufen im Schulsystem zu äußern – wahrscheinlich weil die Abhängigkeiten sehr groß sind, z.B. bei der Lehrer:innenversorgung. Zu allgemeinen politischen Aussagen geht das zunehmend. Zu Herausforderungen, die „dienstintern“ auftreten, geht das nicht, da die Treuepflicht dem entgegensteht. Allerdings sitzen in Schulvorständen, in denen solche Dinge diskutiert werden, stets auch Personen, die nicht diesen Regularien unterliegen und die direkte Anfragen ohne Einhaltung des Dienstweges an die Behörde stellen könnten – was im ersten Schritt ein Gebot der Fairness wäre, bevor man nach außen geht. Dennoch: Die Angst vor Öffentlichkeit ist tief verwurzelt im Schulsystem und sie ist daher geeignet, Veränderungen zu beschleunigen.
Schwachstelle 3: Rang sticht inhaltliche Kompetenz
„Der/Die A15er:in entwirft Konzepte, der/die A14er:in setzt diese dann in der Schulgemeinschaft um!“ (Bitte nicht über die Besoldungsstufen wundern, ich komme aus einem gymnasialen System). Anders geht es anscheinend nicht. Dieses Denken ist tief verwurzelt in manchen Schulstrukturen. Als ich damals angefangen habe, konsequent nach diesem Anspruch zu arbeiten, hatte ich auf einmal viel weniger zu tun (und weniger Motivation, viel weniger Spaß sowie erstmal schlaflose Gewissensnächte). Ich war ja nur derjenige, der umsetzt. Die ganzen Transaktionskosten für unausgegorene Projekte konnte ich dann nach oben wieder abgeben. Um diesen Mechanismus auszuhebeln, muss man nur aufhören, unausgegorene Überlegungen aus Verantwortungsbewusstsein „zu retten“ und „nachzusteuern“. Man könnte die Verantwortung einfach nur dahin umleiten, wo sie hingehört, anstatt sich selbst verantwortlich zu fühlen und inhaltlich etwas bewegen zu wollen. Wenn das alle machen würden, wäre Schule viel, viel ärmer, aber die Struktur bekäme mehr und mehr Risse. Gerade das Thema Digitalisierung legt fehlende Kompetenzen recht schonungslos offen. Warum nicht die institutionell „Höherstehenden“ einfach in die Verantwortung nehmen, statt immerzu zu retten, was zu retten ist?
Und damit ist nichts einfach …
Das Spiel heißt im Grunde immer wieder „Anpassung und Widerstand“. Und es heißt auch Verantwortung und stetiges Abwägen, wenn „dienstlichen Interessen“ sinnhaftem Verhalten manchmal entgegenstehen. „Das System“ ist im Grunde nicht so stark, wie es manchmal scheint. Von innen heraus ist man als Kritiker immer sehr stark auf die Solidarität von anderen angewiesen, sonst kann es schnell zu institutionellen Machtausbrüchen und Kurzschlüssen kommen, bei denen man das Einzelner kaum bestehen kann – außer wenn „öffentliche Scheinwerfer“ das ermöglichen – aber auch dieser labile „Schutz“ ist extrem flüchtig.