Wie Sprachmodelle unsere Gesellschaft verändern werden

Ein Blick ins Klassenzimmer

Mar­tha hat eine Eng­lisch­haus­auf­ga­be bekom­men. Sie soll einen Text über die drei bekann­tes­ten Sehens­wür­dig­kei­ten von New York schrei­ben. New York steht im Zen­trum der aktu­el­len Unit im Eng­lisch­buch. Mar­tha ist nicht sehr gut in Eng­lisch. Aber die App auf ihrem Han­dy ist direkt an ChatGPT ange­dockt. ChatGPT ist eine künst­li­che Intel­li­genz, die auf mög­lichst natür­li­che Text­aus­ga­be opti­miert ist. Mar­tha tippt in ihre App: „Wri­te an artic­le about the three most famous sights in New York.“, denn das ist die Auf­ga­ben­stel­lung, die ihre Leh­re­rin ihr gege­ben hat. Her­aus kommt fol­gen­der Text (abge­druckt ist die unver­än­der­te Ausgabe):

New York City is one of the world’s most vibrant and exci­ting desti­na­ti­ons. Known for its diver­se cul­tu­re, bust­ling streets, and ico­nic land­marks, the city is a hub of enter­tain­ment and com­mer­ce. From the bright lights of Times Squa­re to the gran­deur of the Sta­tue of Liber­ty, New York offers a wealth of sights to explo­re. In this artic­le, we will take a clo­ser look at the three most famous sights in the city.

1. The Sta­tue of Liberty

The Sta­tue of Liber­ty is one of the most ico­nic land­marks in New York City. Loca­ted on Liber­ty Island, the sta­tue was gifted to the United Sta­tes by the peo­p­le of France in 1886 as a sym­bol of free­dom and demo­cra­cy. The sta­tue is 151 feet tall and is made of cop­per pla­tes, which have tur­ned green over time due to weathering.

Visi­tors can take a fer­ry to Liber­ty Island and climb to the top of the pedes­tal or even to the crown of the sta­tue for pan­o­r­amic views of the city sky­line and har­bor. The sta­tue is also visi­ble from Bat­tery Park in Lower Man­hat­tan, whe­re visi­tors can take in the stun­ning view of the sta­tue against the back­drop of the city.

1. The Empire Sta­te Building

The Empire Sta­te Buil­ding is a towe­ring sky­scra­per loca­ted in Mid­town Man­hat­tan. It was com­ple­ted in 1931 and was the world’s tal­lest buil­ding until 1971. The buil­ding stands at 1,454 feet tall and has 102 flo­ors. Visi­tors can take an ele­va­tor to the obser­va­ti­on deck on the 86th flo­or for breath­ta­king views of the city sky­line. On a clear day, visi­tors can see up to 80 miles in every direction.

The Empire Sta­te Buil­ding has been fea­tured in num­e­rous movies and is a popu­lar tou­rist desti­na­ti­on. The building’s art deco archi­tec­tu­re is a sight to behold, and the night­ti­me light­ing dis­play is an ico­nic part of the city skyline.

1. Cen­tral Park

Cen­tral Park is a vast green space loca­ted in the heart of Man­hat­tan. The park covers 843 acres and is a popu­lar desti­na­ti­on for both locals and tou­rists. Visi­tors can explo­re the park on foot, by bike, or even by hor­se-drawn car­ria­ge. The park fea­tures num­e­rous wal­king paths, gar­dens, lakes, and ponds, as well as famous land­marks such as the Cen­tral Park Zoo and the Bethes­da Fountain.

In the win­ter, visi­tors can go ice-ska­ting at the Woll­man Rink, and in the sum­mer, the­re are num­e­rous con­certs and events held in the park. Cen­tral Park is a wel­co­me respi­te from the hust­le and bust­le of the city and pro­vi­des a tran­quil oasis in the heart of Manhattan.

In con­clu­si­on, New York City is home to many famous sights, but the Sta­tue of Liber­ty, Empire Sta­te Buil­ding, and Cen­tral Park are three of the most ico­nic. The­se land­marks repre­sent the city’s histo­ry, cul­tu­re, and natu­ral beau­ty and are must-see desti­na­ti­ons for anyo­ne visi­ting the city. Whe­ther you’­re a first-time visi­tor or a lifel­ong New Yor­ker, the­se sights never cea­se to ama­ze and inspire.

Mar­tha mel­det sich und liest ihren Text vor. Ihre Lehr­kraft ist ver­wun­dert. Die­ser Text ent­spricht über­haupt nicht Mart­has bis­her im Unter­richt gezeig­ten Fähig­kei­ten. Sie hat den Ver­dacht, dass die­ser Text von irgend­wo­her kopiert sein könn­te – fin­det im Netz aber nichts. Mar­tha erhält eine gute Note.

Han­nes und Fred prä­sen­tie­ren ihren Text im Unter­richt. Eigent­lich lässt sich zum Inhalt wenig Schlech­tes sagen, aber das Geschrie­be­ne erin­nert dann doch mehr an Gespro­che­nes: Satz­zei­chen­in­fla­ti­on am Satz­en­de, kaum Groß- und Klein­schrei­bung und die Zei­chen­set­zung ist opti­mier­bar – oder gar nicht erst vor­han­den. Han­nes und Fred kopie­ren ihren Text dar­auf­hin in https://www.deepl.com/write . Das ist ein KI-basier­ter Web­dienst, der kei­ne Daten sam­melt und bis 2000 Zei­chen kos­ten­los ohne Account nutz­bar ist. Deepl ist eigent­lich ein sehr gutes Über­set­zungs­werk­zeug, kann in einer Beta­ver­si­on jetzt aber auch Tex­te sti­lis­tisch über­ar­bei­ten. Han­nes und Fred schau­en sich die vor­ge­schla­ge­nen Ände­run­gen an. Eini­ges gefällt ihnen, eini­ges scheint den Sinn ihres Tex­tes zu stark zu ver­än­dern. Sie ent­schei­den sich dazu, eini­ge Pas­sa­gen zu ändern, weil sie durch die Ände­run­gen wirk­lich bes­ser klingen.

Die­se bei­den Bei­spie­le zei­gen, was heu­te für alle bereits mit sprach­ba­sier­ter künst­li­cher Intel­li­genz mög­lich ist. Wäh­rend das ers­te Bei­spiel in vie­len Kol­le­gi­en in deut­schen Schu­len für Auf­ruhr sorgt, wenn das Poten­ti­al von Sprach­mo­del­len dort über­haupt ankommt, zeigt das zwei­te Bei­spiel, dass Sprach­mo­del­le gera­de unsi­che­re Schrei­ber sehr gut unter­stüt­zen könnten.

Die Auseinandersetzung über ChatGPT in sozialen Netzwerken

Zwi­schen die­sen bei­den Polen bewe­gen sich manch­mal emo­tio­nal sehr auf­ge­la­de­ne Dis­kus­sio­nen in sozia­len Netz­wer­ken. Die einen sehen bestehen­de Struk­tu­ren und Auf­ga­ben­for­ma­te in Gefahr, die ande­re expe­ri­men­tie­ren mutig mit den sich erge­ben­den neu­en Mög­lich­kei­ten. Die­se Expe­ri­men­te bewe­gen sich oft pri­mär auf einer phä­no­me­no­lo­gi­schen Ebe­ne: Im Kern geht es dar­um, die Ein­ga­ben („Prompts“) zu fin­den, die eine vor­her erdach­te Auf­ga­ben­stel­lung mit Hil­fe eines Sprach­mo­dells opti­mal lösen.

Natür­lich bleibt die Aus­ein­an­der­set­zung vor­erst phä­no­me­no­lo­gisch. Man gibt sich Tipps, wel­che Ein­ga­ben zu einem gewünsch­ten Ergeb­nis füh­ren und wie der Chat­Bot in z.B. eine ande­re Rol­le ein­neh­men kann. Das klappt auf der Ober­flä­che. Die tech­ni­schen Abläu­fe in einem Sprach­mo­dell sind gar nicht so leicht zu verstehen.

Was ist ein Sprachmodell eigentlich?

Ein Sprach­mo­dell ist eine sehr kom­ple­xe Soft­ware, die zur Klas­se der künst­li­chen Intel­li­genz gezählt wird. Schon der Begriff „Intel­li­genz“ ist je nach Fach­dis­zi­plin nicht ein­fach zu defi­nie­ren. Daher spre­chen eini­ge Fach­leu­te lie­ber von „maschi­nel­lem Ler­nen“, was das Defi­ni­ti­ons­pro­blem jedoch ledig­lich auf den Begriff des Ler­nens ver­schiebt. Als Aus­weg aus die­sem Dilem­ma haben eine Rei­he von Autor:innen nicht nur aus dem Infor­ma­tik­um­feld fol­gen­de Arbeits­de­fi­ni­ti­on für künst­li­che Intel­li­genz vorgeschlagen:

Künst­li­che Intel­li­genz bezeich­net die Fähig­keit von Com­pu­ter­sys­te­men, auf sie zuge­schnit­te­ne Auf­ga­ben selbst­tä­tig zu lösen, die auf­grund ihrer Kom­ple­xi­tät bis­lang mensch­li­che Fähig­kei­ten erfor­der­ten”1

Ange­wen­det: Sprach­mo­del­le lösen nun selbst­stän­dig das Pro­blem der Erstel­lung von Tex­ten auf Basis von Ein­ga­ben, die Nutzer:innen vor­ge­ben. Aber wie machen sie das?

In den Anfangs­zei­ten von künst­li­cher Intel­li­genz waren die Auf­ga­ben und Mög­lich­kei­ten von IT-Sys­te­men noch etwas beschränk­ter. Ein sehr ein­fa­ches Bei­spiel sind die dama­li­gen Obst­waa­gen in den Fri­sche­ab­tei­lun­gen der Super­märk­te. Der Kun­de füll­te eine Ware in einen Beu­tel, ging zur einer Waa­ge, leg­te den Beu­tel auf und drück­te eine Tas­te mit einem Sym­bol oder einer Num­mer. Die Waa­ge druck­te dann einen Kas­sen­zet­tel mit Strich­code aus. Es waren aber nicht alle Kun­den ehr­lich, so dass man auf die Idee kam, die­se Waa­gen durch eine Kame­ra zu ergän­zen, mit deren Hil­fe die auf­ge­leg­te Ware erkannt wer­den konn­te, z.B. anhand von Grö­ße oder Far­be. Im Prin­zip konn­te man drei Fäl­le unterscheiden:

a) Wenn der Tas­ten­druck des Kun­den zur erkann­ten Ware pass­te, war die Ent­schei­dung eindeutig.

b) Wenn der Tas­ten­druck ein­deu­tig nicht zur auf­ge­leg­ten Ware pass­te, konn­te ein alter­na­ti­ver Kas­sen­zet­tel gedruckt werden.

c) Wenn die Erken­nung selbst unein­deu­tig war, d.h. zwei Pro­duk­te in Fra­ge kom­men wür­den, aber der Kun­de z.B. die Tas­te mit dem teu­re­ren Pro­dukt gedrückt hat, wur­de natür­lich die teu­re­re Vari­an­te gewählt – gleich­zei­tig ließ sich die­se Situa­ti­on abspei­chern, so dass sie für die Zukunft mit berück­sich­tigt wer­den konnte.

Die­se Waa­ge erzeug­te also auf Basis von Ein­ga­ben und der Bil­der der Kame­ra (Ein­ga­be­schicht) Daten, die sie ver­ar­bei­te­te (Ver­ar­bei­tungs­schicht). Bei der Ver­ar­bei­tung flos­sen die Ein­ga­be­da­ten eben­so ein, wie gespei­cher­te Fäl­le aus einer Daten­bank. Die Daten wur­den unter­ein­an­der gewich­tet, mit einer Daten­bank vol­ler Stan­dard­fäl­le abge­gli­chen und dann eine Aus­ga­be in Form eines Kas­sen­zet­tels erzeugt (Ausgabeschicht).Mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit stimm­ten dann Kas­sen­zet­tel und Pro­dukt tat­säch­lich über­ein. Die Wahr­schein­lich­keit der Über­ein­stim­mung war umso grö­ßer, je mehr Stan­dard­fäl­le in der Daten­bank der Waa­ge erfasst wur­den und je mehr Ein­ga­ben die „intel­li­gen­te Waa­ge“ bereits ver­ar­bei­tet hat­te. Softwarentwickler:innen konn­ten die Stan­dard­fäl­le in Form einer Daten­bank vorgeben.

Sprach­mo­del­le funk­tio­nie­ren nach einem ähn­li­chen Prin­zip, nur dass die Stan­dard­fäl­le und Aus­ga­ben ungleich kom­ple­xer sind als bei dem Bei­spiel der Waa­ge. Zudem ist ver­hält­nis­mä­ßig wenig dar­über bekannt, mit wel­chen Daten die zugrun­de­lie­gen­den Daten­ban­ken gefüllt wur­den. Letzt­lich gilt aber auch hier, dass die Aus­ga­ben ledig­lich mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit kor­rekt sind oder gar zur Anfra­ge des Nut­zen­den pas­sen – daher ver­hal­ten sich Han­nes und Fred deut­lich smar­ter als Martha.

Es mag auf den ers­ten Blick erstau­nen, dass Sprach­mo­del­le Aus­ga­ben in der momen­ta­nen Qua­li­tät lie­fern. Wir hal­ten Spra­che für ein kom­ple­xes Sys­tem und wür­den einer Maschi­ne deren Imi­ta­ti­on zunächst nicht so recht zutrau­en. Aller­dings sind Sprach­mo­del­le nicht ein­fach vom Him­mel gefallen.

Die Grund­la­gen wur­den schon früh gelegt: Sprachassistent:innen wie Siri, Ale­xa, Cort­a­na usw. sind schon län­ger in der Lage gespro­che­ne Spra­che zu erken­nen und Reak­tio­nen auf ein­fa­che Ein­ga­ben zu erzeugen.

In der Infor­ma­tik gilt der Grundsatz:

Wenn du eine Soft­ware oder KI bau­en kannst, die etwas erkennt, kannst du auch eine Soft­ware oder KI bau­en, die das­sel­be Ding imi­tiert.“2

Neben­bei bemerkt wird durch die­sen schlich­ten Satz auch klar, dass jedes Sicher­heits­sys­tem, das auf der Erken­nung von z.B. mensch­li­cher Spra­che oder der Erken­nung von Gesich­tern basiert, kei­ne gute Idee zur Her­stel­lung von Sicher­heit ist – wenn es künst­li­che Intel­li­genz gibt, die mensch­li­che Spra­che und mensch­li­che Gesich­ter imi­tie­ren kann und die­se sich zudem wei­ter entwickelt.

Einen wei­te­ren Ein­blick in die Kom­ple­xi­tät von Sprach­mo­del­len bie­ten übri­gens auch deren Hard­ware­an­for­de­run­gen. Vor kur­zem tauch­te Face­books Sprach­mo­dell „LLaMA“ im Netz auf. Ein hand­li­cher Down­load von 268GB ent­hält unter­schied­li­che Sprach­mo­dell­va­ri­an­ten. In der ein­fachs­ten 7B Vari­an­te benö­tigt LLaMA zwi­schen 12–16GB an VRAM einer Gra­fik­kar­te, mög­lichst vie­le Pro­zes­sor­ker­ne und RAM. Die Ver­ar­bei­tungs­zei­ten selbst ein­fa­cher Prompts auf Stan­dard­hard­ware bewe­gen sich jen­seits erträg­li­cher Wer­te. Damit ist zumin­dest für den Moment klar, dass auf Basis des heu­ti­gen Wis­sens­stan­des nur sehr weni­ge Mark­teil­neh­mer in der Lage sein wer­den, in der Brei­te ver­füg­ba­re Sprach­mo­del­le sta­bil zu betreiben.

Mögliche Auswirkungen auf das kommerzialisierte Internet

Der dazu not­wen­di­ge immense Ener­gie­ver­brauch ist in die­sem Kon­text letzt­lich eine Fuß­no­te, weil Sprach­mo­del­le das Poten­ti­al besit­zen, das Netz in sei­ner Struk­tur fun­da­men­tal zu verändern.

Gera­de das kom­mer­zi­el­le Inter­net besteht aus einer Viel­zahl von Tex­ten, die einen Gebrauchs­cha­rak­ter auf­wei­sen: Nach­rich­ten, Sport­be­rich­te, Pro­dukt­be­schrei­bun­gen und Zusam­men­fas­sun­gen sind durch Sprach­mo­del­le mit rela­tiv begrenz­ten Anwei­sun­gen und Ein­ga­ben auto­ma­ti­siert erstell­bar. Die dazu not­wen­di­gen Daten lie­gen teil­wei­se bereits in digi­ta­li­sier­ter Form vor. Es wird z.B. bei Hand­ball­spie­len ein dezi­dier­tes Spiel­pro­to­koll geführt, aus dem ein heu­ti­ges Sprach­mo­dell mühe­los und weit­ge­hend auto­ma­ti­siert einen Spiel­be­richt erstel­len kann.

Das wird sowohl immense Aus­wir­kun­gen auf jeden Mark­teil­neh­mer haben, der sich mit Con­ten­ter­stel­lung beschäf­tigt, als auch den Such­ma­schi­nen­markt kom­plett ver­än­dern: Der zur Such­an­fra­ge pas­sen­de Inhalt kann theo­re­tisch indi­vi­du­ell gene­riert wer­den – natür­lich auch aus kom­mer­zi­el­len Quel­len. Das wer­den damit span­nen­de Zei­ten für das Leis­tungsschutz­recht: Zitie­ren auch klei­ne­rer Text­pas­sa­gen ist im Prin­zip nicht mehr not­wen­dig. Die Ergeb­nis­se wer­den einer signi­fi­kant gro­ßen Anwender:innengruppe voll­kom­men aus­rei­chen. Die dann ggf. höf­li­cher­wei­se mit ange­ge­be­nen Ori­gi­nal­quel­len erfah­ren kei­ne Auf­merk­sam­keit durch Klicks und Besu­che mehr – einer immens wich­ti­gen ideel­len Wäh­rung im Netz. Damit wer­den ins­be­son­de­re die Inter­net­gi­gan­ten es noch effek­ti­ver bewerk­stel­li­gen, Nutzer:innen in ihrem eige­nen digi­ta­len Öko­sys­tem zu hal­ten. Micro­soft unter­nimmt bereits ers­te Schrit­te mit Bing­AI und der Inte­gra­ti­on von sprach­mo­dell­ba­sier­ter Kor­rek­tur­funk­tio­nen in sei­ne Office­pro­duk­te. Goog­le holt als Reak­ti­on sei­nen auf Lam­da basier­ten Chat­bot „Bard“ wie­der auf die Büh­ne, des­sen Pro­duk­tiv­be­trieb zunächst auf Basis von ethi­schen Beden­ken ver­wor­fen wur­de: Bard konn­te per Sprach­aus­ga­be täu­schend ech­te Anru­fe z.B. zur Reser­vie­rung von Restau­rant­ti­schen oder Essens­be­stel­lun­gen auf Basis von ein­fa­chen Prompts rea­li­sie­ren. Das poten­ti­el­le Miss­brauchs­po­ten­ti­al die­ser Funk­tio­nen stand einer Markt­ein­füh­rung 2021 noch im Weg.

Sprachmodelle als Unterstützung bei Anträgen und Dokumentationen

Deutsch­land hat ein aus­ge­präg­tes Doku­men­ta­ti­ons- und Antrags­we­sen in unter­schied­li­chen Berei­chen eta­bliert: In der Medi­zin z.B. der Arzt­be­richt, in För­der­pro­gram­men umfang­rei­che Anträ­ge, in der Pfle­ge kom­ple­xe Doku­men­ta­tio­nen, Pro­to­kol­le von allen mög­li­chen Sit­zun­gen – die Lis­te lie­ße sich belie­big fort­set­zen. Allen die­sen „Text­gat­tun­gen“ ist gemein, dass sie oft sehr sche­ma­tisch sind – sche­ma­ti­sche Tex­te sind schon heu­te eine Domä­ne von Sprachmodellen.

Sprach­mo­del­le wer­den dabei hel­fen, Men­schen von die­sen sche­ma­ti­schen Auf­ga­ben zu ent­las­ten. Für spe­zi­el­le Fach­be­rei­che sind Text­ge­ne­ra­to­ren denk­bar, die pri­mär mit fach­be­zo­ge­nen Inhal­ten trai­niert wer­den. Dadurch kön­nen sie bei Rou­ti­ne­auf­ga­ben unter­stüt­zen, wenn­gleich nach heu­ti­gem Stand immer noch eine Über­prü­fung der Aus­ga­ben durch einen sach­kun­di­gen Men­schen erfor­der­lich ist.

Aber auch in die­sem Feld ist es kom­pli­ziert. Neh­men wir das Antrags­we­sen in För­der­pro­gram­men: Die teil­wei­se hohen Anfor­de­run­gen an För­der­an­trä­ge die­nen dazu, den Zugriff auf eine begrenz­te Res­sour­ce (z.B. Geld oder Per­so­nal) zu begren­zen. Sprach­mo­del­le wer­den natür­lich dabei hel­fen, bis­her nicht aus­rei­chend genutz­te För­der­mit­tel tat­säch­lich abru­fen zu kön­nen. Es gibt jedoch Res­sour­cen, die völ­lig über­lau­fen sind – etwa die son­der­päd­ago­gi­schen Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te in Schu­len. Auch hier wer­den Sprach­mo­del­le z.B. bei der Erstel­lung von Gut­ach­ten unter­stüt­zen, jedoch blei­ben gera­de per­so­nel­le Res­sour­cen wei­ter­hin knapp. Damit wird der Zugang zu eben­die­sen Res­sour­cen auf ande­ren Wegen erschwert wer­den: Ein gut begrün­de­ter Antrag steht ledig­lich in Kon­kur­renz zu ande­ren sehr gut begrün­de­ten Anträgen.

Sprachmodelle als neutralere Entscheidungsinstanzen?

Sascha Lobo setzt sich in sei­ner Kolum­ne KI kann mensch­li­che Ver­ant­wor­tung nicht erset­zen? – Doch!“ mit der Stel­lung­nah­me des deut­schen Ethik­ra­tes zu künst­li­cher Intel­li­genz aus­ein­an­der. Er for­dert, dass künst­li­che Intel­li­genz in bestimm­ten Berei­chen an die Stel­le der mensch­li­chen Ent­schei­dung tritt – genau da fällt für den deut­schen Ethik­rat die letz­te Gren­ze. Als Bei­spiel kann die Dia­gno­se eines Arz­tes die­nen: Ein spe­zi­ell mit medi­zi­ni­schem Wis­sen trai­nier­tes Sprach­mo­dell könn­te dabei unter­stüt­zen. Als Ein­ga­be die­nen z.B. Labor- und Ana­mne­se­da­ten. Das spe­zia­li­sier­te Sprach­mo­dell könn­te denk­ba­re Erkran­kun­gen auf Basis die­ser Daten ermit­teln und wäre dabei nicht auf das Wis­sen einer Ein­zel­per­son beschränkt.

Für Sascha Lobo ist das ein Fall, bei dem sich die Fra­ge nach dem Ein­satz von Sprach­mo­del­len nicht stellt, son­dern für ihn ver­bind­lich sein soll­te, weil das spe­zia­li­sier­te Sprach­mo­dell dem Men­schen über­le­gen sei. Die­se Argu­men­ta­ti­on erscheint zunächst bestechend – aller­dings ist ein Modell immer nur so gut wie des­sen Ein­ga­be­da­ten, die hier im Rah­men einer Ana­mne­se durch einen Men­schen ent­ste­hen. Das kann bei eini­gen Krank­heits­bil­dern kom­plex und feh­ler­träch­tig sein – gera­de in Zwei­fels­fäl­len: Die glei­che Krank­heit kann bei unter­schied­li­chen Men­schen völ­lig unter­schied­li­che Sym­pto­me aus­lö­sen – es wird eine span­nen­de Fra­ge in wel­chem ggf. lücken­haf­ten Ver­hält­nis das Erfah­rungs­wis­sen eines Men­schen und des­sen Inter­ak­ti­ons­mög­lich­kei­ten mit ande­ren zu der von einer KI gelie­fer­ten Infor­ma­ti­on steht.

Sprachmodelle und Bildungsprozesse

Kom­men wir am Schluss noch ein­mal zurück zu Mar­tha, Han­nes und Fred: Sie wach­sen in einer Welt auf, in der Sprach­mo­del­le mit ihren immer men­schen­ähn­li­che­ren Inter­faces wie ChatGPT in ganz kur­zer Zeit selbst­ver­ständ­lich sein wer­den – gera­de auch in Kom­bi­na­ti­on mit Sprach­ein- und ‑aus­ga­be. Nie wie­der schu­li­sche Übungs­tex­te? Nie wie­der Haus­auf­ga­ben mit künst­li­chen Auf­ga­ben­stel­lun­gen? Sind Haus­auf­ga­ben gar tot? Wenn doch heu­te ein­fa­ches „Promp­ting“ ausreicht?

Ent­schei­dend beim Schrei­ben ist der gedank­li­che Pro­zess bei der Erstel­lung eines Tex­tes. Wenn wir an die Stel­le des Schreib­pro­zes­ses Promp­ting bei einem Sprach­mo­dell set­zen und den Schreib­pro­zess selbst auto­ma­ti­sie­ren, ver­schie­ben wir den Lern­pro­zess auf eine ande­re Ebe­ne. Die­se Ebe­ne erfor­dert letzt­lich gro­ße Beur­tei­lungs­kom­pe­ten­zen, die sich bei Schreib­ler­nen­den wie Mar­tha, Han­nes und Fred noch in einer sen­si­blen Ent­wick­lungs­pha­se befin­den und damit in vie­len Fäl­len eine Über­for­de­rung dar­stel­len müs­sen. Gleich­zei­tig gehen mit eini­ger Wahr­schein­lich­keit schreib­kom­pe­ten­ten Men­schen durch die Nut­zung von Sprach­mo­del­len Trai­nings- und Denk­pro­zes­se bei eigent­li­chen Erstel­len von Tex­ten ver­lo­ren. An deren Stel­le tre­ten Mecha­nis­men zur Ent­wick­lung und Modi­fi­ka­ti­on von geeig­ne­ten Prompts. Genau die­se Vor­ge­hens­wei­sen und Anwen­dun­gen wer­den bereits in gro­ßer Brei­te in den sozia­len Medi­en dis­ku­tiert. War­um den Ein­füh­rungs­text zu Imma­nu­el Kant aus dem Schul­buch lesen? Las­sen wie Schüler:innen doch ein­fach mit einem Chat­Bot „Imma­nu­el Kant“ chat­ten, den eine Lehr­kraft zuvor per „Mega­prompt“ mit Hil­fe eines Sprach­mo­dells erschaf­fen hat und der auf die indi­vi­du­el­len Fra­gen der Schüler:innen eingeht.

Sprach­mo­del­le selbst kön­nen auf­grund ihrer Kom­ple­xi­tät nur von gro­ßen Markt­teil­neh­mern betrie­ben wer­den – das wirft die Fra­ge nach neu­en Abhän­gig­keits­ebe­nen auf, gera­de im Bildungssystem.

Chancen und neue Herausforderungen

Sprach­mo­del­le berüh­ren einen Bereich, der eine Gesell­schaft aus­macht: Die Kom­mu­ni­ka­ti­on und den Umgang mit Spra­che. Sie sind nach Maß­stä­ben der Digi­ta­li­sie­rung nichts wirk­lich Neu­es, wie Goo­gles Chat­Bot „Bard“ bereits vor drei Jah­ren zeig­te. Mit ChatGPT steht erst­mals ein Inter­face zum Sprach­mo­dell GPT zur Ver­fü­gung, was durch vie­le Men­schen nie­der­schwel­lig nutz­bar ist. Vie­le Anfor­de­run­gen wer­den noch nicht zufrie­den­stel­lend gelöst. Jedoch kön­nen Sprach­mo­del­le auf Mil­lio­nen von Nutzer:inneneingaben zurück­grei­fen und auf deren Basis wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den. Bereits auf dem Stand der heu­ti­gen Ent­wick­lung ist immenses Poten­ti­al auf unter­schied­li­chen Ebe­nen erahn­bar. Gleich­zei­tig tre­ten ganz neue Fra­ge­stel­lun­gen auf, die vor allem Juris­ten und Ethi­ker beschäf­ti­gen wer­den. Die Kom­ple­xi­tät bei der Modi­fi­ka­ti­on und dem Betrieb von Sprach­mo­del­len wird dafür sor­gen, dass sie pri­mär in der Hand der Inter­net­gi­gan­ten blei­ben wer­den. Was die­se ohne wirk­sa­me staat­li­che Regu­lie­rung dar­aus machen wer­den, bleibt eine offe­ne Frage.

1 Geth­mann, Bux­mann Dis­tel­rath, Humm, Ling­ner, Nit­sch, Schmidt, Spiecker genannt Döh­mann: „Künst­li­che Intel­li­genz in der For­schung – Neue Mög­lich­kei­ten und Her­aus­for­de­run­gen für die Wis­sen­schaft“, S. 10, aus der Rei­he: Ethics of Sci­ence and Tech­no­lo­gy Assess­ment Bd. 48, bei: Springer

Themen in Schule nach den Sommerferien – oder meine Angst vor der Angst

Ich habe letz­tes Wochen­en­de abends drau­ßen an einem lan­gen Tisch vor einer Knei­pe geses­sen. Da war nichts geplant oder reser­viert, ich bin ein­fach in der Stadt gewe­sen und habe spon­tan Bekann­te und Freun­de getrof­fen. Alles inner­halb der Coro­na­re­ge­lun­gen mit Abstand und unter frei­em Him­mel. Aber es ist – nord­deut­scher – Som­mer. Man kann drau­ßen sit­zen, Fens­ter öff­nen und vie­le Din­ge tun, die im Herbst oder Win­ter so nicht mehr funktionieren.

Clop­pen­burg hat nicht vie­le fleisch­ver­ar­bei­ten­de Betrie­be, Clop­pen­burg ist die fleisch­ver­ar­bei­ten­de Gegend über­haupt. Viel hängt wirt­schaft­lich am Funk­tio­nie­ren die­ses Sys­tems. Wenn ein Schlacht­hof auch nur zeit­wei­se geschlos­sen wer­den muss, hat dies immense Aus­wir­kun­gen für die gesam­te durch­ge­tak­te­te Lie­fer­ket­te vom Land­wirt bis zum Ver­brau­cher. Geflü­gel über­schrei­tet genorm­te Gewich­te, die Qua­li­tät des Schwei­ne­fleisches vari­iert – gan­ze Char­gen könn­ten ver­nich­tet wer­den müs­sen – nicht weil das Pro­dukt schlecht wäre – es kann schlicht nicht mehr genormt ver­ar­bei­tet wer­den. Man kann zur Fleisch­in­dus­trie ste­hen wie man will, aber es wird immense sozia­le Aus­wir­kun­gen auf die gesam­te Regi­on haben, wenn Coro­na zu nen­nens­wer­ten Schlie­ßun­gen der Schlacht­hö­fe führt. Befreun­de­te Steu­er­be­ra­ter, die wirk­lich Ein­bli­cke in die Fir­men­bü­cher haben, rech­nen spä­tes­tens im Herbst mit einer Plei­te­wel­le. Mit­tel­ständ­ler gehen mit eige­nem Ver­mö­gen „all in“ die Fir­ma, um Arbeits­plät­ze und Lebens­wer­ke zu ret­ten. Das fällt an sol­chen Aben­den in Neben­sät­zen, Scher­zen, zyni­schen Übertreibungen.

Bei mir war es an die­sem Abend eine Mischung aus immensem Unwohl­sein: Die­ser gelo­cker­te Sta­tus Quo wird das Maxi­mum sein, was es in den nächs­ten Mona­ten geben wird. Und ich als Beam­ter bin die­sen Markt­zy­klen und Dyna­mi­ken zumin­dest finan­zi­ell kom­plett ent­zo­gen. Ich habe am aller­we­nigs­ten das Recht, Angst zu haben. Ich ins­be­son­de­re, der ich nicht ein­mal mehr unter­rich­te. Dar­über schreibt zur­zeit kaum jemand, das wird aber zuneh­mend kommen.

Wäre ich noch Voll­zeit im Unter­richt, wäre es mir bestimmt so ergan­gen: „Bis zu den Som­mer­fe­ri­en schaf­fe ich das schon und danach geht es dann ja rela­tiv nor­mal mit dem Kohor­ten­sys­tem wei­ter. Man kann wie­der Arbei­ten schrei­ben, Noten ver­läss­lich geben (aber vie­le schö­ne Din­ge, die Schu­le aus­ma­chen fal­len auch im aller­bes­ten Fall weg …)“.

Was geschieht aber, wenn es so wei­ter­geht wie vor den Som­mer­fe­ri­en? Schu­le ist dann der ver­meint­li­chen rechts­si­che­ren Mög­lich­keit beraubt, Noten zu geben. Die Orga­ni­sa­ti­on von Prü­fun­gen wird kom­plex. Wie in der Fleisch­in­dus­trie: Man kann zu Noten und Bewer­tun­gen ste­hen, wie man möch­te: Der Weg­fall bzw. die Ein­schrän­kun­gen machen etwas mit Menschen.

Ich glau­be, es wird einen hohen Bedarf an Lösun­gen für die­ses Dilem­ma geben. Und es wird zuneh­mend Kolleg:innen geben, die Angst haben, weil sie gewohn­ter Arbeits­ab­läu­fe und Sicher­hei­ten beraubt sind, sich in ihren Struk­tu­ren(!) umstel­len müssen.

Als digi­ta­ler Kämp­fer habe ich mir lan­ge Zeit immer gedacht: Du musst nie­man­den ändern. Wer sich nicht ändert, wird von den Umstän­den des Kul­tur­wan­dels geän­dert. Aber ich habe dabei nicht an Coro­na gedacht, son­dern eher an zivil­ge­sell­schaft­li­che Impulse.

Im Twit­ter­leh­rer­zim­mer scheint immer alles so ein­fach und manch­mal schwarz und weiß. „Die Kri­se bie­tet Chan­cen der Schul­ent­wick­lung“ ist z.B. ein gän­gi­ger Satz. Objek­tiv ist das auch so. Aber die Welt funk­tio­niert so nicht. Nicht sach­lich, son­dern bald viel­leicht wesent­lich emo­tio­na­ler als uns lieb ist. Frank­furt, Opernplatz.

Schu­le wird auch nicht zurück­fal­len in alte Struk­tu­ren – zumin­dest bis zur Ent­wick­lung eines wirk­sa­men Impf­stoffs. Es wird wie­der und wie­der zumin­dest loka­le Impacts geben. Es ist nicht sicher, ob ich mei­ne Klas­sen­ar­beit schrei­ben kann. Die­ser Unsi­cher­heit kann man mit agi­lem Han­deln und Den­ken natür­lich begeg­nen, aber nicht ohne vor­he­ri­ge per­so­na­le Ent­wick­lungs­pro­zes­se. Schu­le an sich ist dafür nicht gebaut. Zudem ist das für Lehr­kräf­te noch­mal deut­lich leich­ter als für Schul­lei­tun­gen, die deut­lich mehr sys­te­mi­sche „Gegen­über“ haben (Eltern, Schul­be­hör­de, Lokal­po­li­tik, Gesund­heits­amt, Lehr­kräf­te, Schüler:innen, Gremien).

Ich grüb­le daher an Fort­bil­dun­gen mit ande­ren Inhal­ten her­um. FoBis zu alter­na­ti­ve Auf­ga­ben­for­ma­ten lau­fen mir regel­mä­ßig voll. Ich habe nie eine Fort­bil­dung 2x gege­ben – das war mir immer zu lang­wei­lig. Das wer­de ich ver­än­dern müssen.

Es wird m.E. drin­gend Fort­bil­dun­gen zum The­ma Bewer­tung und Beno­tung beim Distanz­ler­nen geben müs­sen. Nicht, weil das inhalt­lich so erstre­bens­wert ist, son­dern um viel­leicht auch läh­men­de Ängs­te bei man­chen Lehr­kräf­ten zu mil­dern. Angst ist das, was wir zur­zeit am wenigs­ten brau­chen können.

Ich mer­ke, dass ich den Fokus von Bera­tung mehr und mehr weg hin zu: „Ihr macht das am bes­ten jetzt so und so aus den und den Grün­den!“ ver­schie­be. Die Zeit des krea­ti­ven Ent­wi­ckelns kann wie­der in der Zeit der stei­gen­den Sicher­heit kom­men. Es gibt Kolleg:innen, die sowas hier weder hören noch lesen wol­len und auch durch­aus öffent­lich sehr sau­er reagieren.

Für Nie­der­sach­sen wird der August ein Schei­de­punkt. Nord­rhein-West­fa­len und Hes­sen „erpro­ben“ für uns, wie das mit dem Kohor­ten­sys­tem funk­tio­niert. Zumin­dest ist klar, dass wir in der letz­ten Feri­en­wo­che deut­lich mehr wis­sen wer­den als zu Beginn der Krise.

Sor­gen machen mir die gesell­schaft­li­chen Lang­zeit­aus­wir­kun­gen der Kri­se. Wirt­schaft­lich und Psy­cho­lo­gisch. In unser aller Umfeld wird es Betrof­fe­ne geben.

 

 

 

Beobachtungen aus Digitalien

Ein­lei­tung

Mich machen aktu­el­le Ent­wick­lun­gen rund um das The­ma Digi­ta­li­sie­rung von Schu­len nach­denk­lich. Es sind The­men, die mich in mei­ner Arbeit unmit­tel­bar betref­fen und auch viel Zeit in der Kom­mu­ni­ka­ti­on kosten.

 

Das Fach Informatik

Ich habe mich schon mehr­fach an die­sem The­ma abge­ar­bei­tet. Ich bin rela­tiv ver­wun­dert, wie das Fach Infor­ma­tik von vie­len immer wie­der geframed wird. Die mil­des­te Vari­an­te ist die Gleich­set­zung von Infor­ma­tik und Pro­gram­mie­ren („Es muss ja nicht jeder Pro­gram­mie­rer wer­den!“). Die kurio­ses­te ist die Unter­stel­lung, das Fach Infor­ma­tik wür­de lob­by­is­tisch in Schu­le posi­tio­niert, um ver­wend­ba­re Arbeits­kräf­te für den Digi­tal­stand­ort Deutsch­land zu gewinnen.

Fun­fact dabei: Es gibt For­de­run­gen der deut­schen Gesell­schaft für Infor­ma­tik aus den 80er Jah­ren, die sich ziem­lich genau mit den Kom­pe­tenz­be­schrei­bun­gen des KMK-Stra­te­gie­pa­piers „Bil­dung in der digi­ta­len Welt“ decken, das wie­der­um Vor­la­ge für zahl­rei­che län­der­spe­zi­fi­sche Kom­pe­tenz­vor­ga­ben für den Bereich Medi­en­bil­dung ist. Die Eltern der heu­ti­gen Medi­en­kom­pe­tenz­pa­pie­re sind – über­spitzt for­mu­liert – die Infor­ma­ti­ker. Infor­ma­tik und ethi­sche Fra­gen sind eng mit­ein­an­der gekop­pelt – daher gibt es im Dag­stuhl-Drei­eck auch die Dimen­si­on „Wie wirkt das?“. Ich habe mit Stif­tun­gen zu tun, die infor­ma­ti­sche Bil­dung för­dern wol­len und an Lob­by­is­mus­vor­wür­fen zerschellen.

Bezeich­nen­der­wei­se kommt viel Kri­tik von Stif­tun­gen gro­ßer Kon­zer­ne an der Umset­zung momen­ta­nen Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung an Schu­len („Huch? Wie kann das sein, wo doch die Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung schnell mit wirt­schaft­li­cher Ver­wend­bar­keit gleich­ge­setzt wird?“). Bezeich­nen­der­wei­se for­dern eini­ge mir bekann­te Stif­tun­gen, dass der Staat z.B. Stel­len-Kon­tin­gen­te von Bera­tungs­an­ge­bo­ten für Schu­len aus­baut und sei­ner Ver­ant­wor­tung auch z.B. beim schu­li­sche Sup­port und bei der Lehr­kräf­te­qua­li­fi­zie­rung nach­kommt. Man fragt, wie und auf wel­chen Ebe­nen man hel­fen kann.

Natür­lich besteht in der Wirt­schaft ein star­kes Inter­es­se an infor­ma­tisch vor­ge­bil­de­ten Men­schen, weil man ansons­ten auf ande­ren Arbeits­märk­ten fischen oder Dienst­leis­tung an Clou­dan­bie­ter aus­la­gern muss. Dabei geht es auch um die Unab­hän­gig­keit des Wirt­schafts­stand­orts Deutsch­land. Aber das ist nur die hal­be Miete.

Da erlau­ben z.B. poli­ti­sche Gre­mi­en inner­halb Euro­pas die Fusi­on von Face­book und Whats­App, weil kon­zern­sei­tig „glaub­haft“ ver­si­chert wird, dass eine Inte­gra­ti­on der Daten tech­nisch nahe­zu unmög­lich ist. Mit Grund­kennt­nis­sen über Daten­struk­tu­ren wäre die­se Fehl­griff nicht pas­siert. Da wer­den Online­wahl­ver­fah­ren als tech­nisch sicher dekla­riert, wobei es neben der tech­nisch siche­ren Abwick­lung noch um ganz ande­re Fra­gen geht – wie Erfah­run­gen aus den Nie­der­lan­den zei­gen. Da nützt auch die Block­chain nichts. Es sind Infor­ma­ti­ker, die hier war­nen und die Vor­zü­ge der Papier­wahl herausstellen.

Es wird für Infor­ma­tik etwas wei­chen müs­sen. Es ist scha­de, dass ande­re Stif­tun­gen mit ande­ren The­men­ge­bie­te nicht über die Mög­lich­keit ver­fü­gen, im sel­ben Maß Pro­jek­te auf­zu­le­gen. Es könn­te dar­an lie­gen, dass das The­ma drängt und ande­re The­men­ge­bie­te im Bil­dungs­sys­tem bereits län­ger eta­bliert sind. Bil­dungs­bür­ger­lich sind Kunst- oder Musik­pro­jek­te natür­lich viel char­man­ter, aber ich mag nicht dar­über nach­den­ken, was durch Blä­ser- und Strei­cher­klas­sen die Musik­in­stru­men­ten­her­stel­ler an Umsatz­stei­ge­run­gen erzielen.

Für mich sind infor­ma­ti­sche Grund­kennt­nis­se und Mün­dig­keit im digi­ta­len Zeit­al­ter sehr eng mit­ein­an­der ver­bun­den. Medi­en­päd­ago­gi­sche The­men haben eine min­des­tens eben­so gro­ße Bedeu­tung, wer­den aber ein wün­schens­wer­tes fach­li­ches Niveau ver­feh­len, wenn sie nicht durch infor­ma­ti­sche Kennt­nis­se unter­füt­tert sind. Ohne die Arbeit unab­hän­gi­ger Infor­ma­ti­ker: Was wüss­ten wir als Gesell­schaft heu­te wohl über Daten­skan­da­le und Daten­miss­brauch? Wer Infor­ma­tik als schu­li­sches The­ma bekämpft, wird m.E. vor allen einen immensen Ver­lust an eman­zi­pa­to­ri­scher Fähig­keit in der nach­fol­gen­den Gene­ra­ti­on mit zu ver­ant­wor­ten haben. Ich freue mich, wenn ich unrecht behal­ten sollte.

 

Lob­by­is­mus

Staat­li­che Pro­jek­te zum Bereich Schu­le und Digi­ta­li­sie­rung ste­hen zuneh­mend unter Beob­ach­tung von Lob­by­grup­pen, z.B. Leh­rer­ver­bän­den – meist aus dem eher lin­ken Spek­trum. Über das Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz ist es nach recht­li­cher Prü­fung mög­lich, tie­fe­re Ein­bli­cke in die Gene­se eines Pro­jek­tes zu erhal­ten, vor allem im Bereich der Mit­tel­ver­ga­be oder dem Aus­schrei­bungs­mo­da­li­tä­ten. Das ist ein wich­ti­ger Bei­trag zu demo­kra­ti­scher Trans­pa­renz. Bei den momen­tan lau­fen­den Ver­fah­ren erge­ben sich immer recht­lich nicht voll­stän­dig abge­si­cher­te Aspek­te. Das hat in mei­ner Wahr­neh­mung vor allem mit feh­len­den Pla­nungs­ka­pa­zi­tä­ten und Auf­ga­ben­häu­fung zu tun – Über­las­te Men­schen wol­len schnel­le Lösun­gen – das ken­nen wir auch aus ande­ren Kon­tex­ten. Die Feh­ler, die dabei zwangs­läu­fig ent­ste­hen, möch­ten Lob­by­ver­bän­de ger­ne auf­de­cken und für trans­pa­ren­te Pro­zes­se sen­si­bi­li­sie­ren, damit die Ein­flüs­se kom­mer­zi­el­ler Play­er auf das Schul­sys­tem begrenzt bzw. ein­ge­dämmt werden.

Lei­der geht das kom­plett schief und mün­det letzt­lich in einer Stär­kung genau die­ser Ein­fluss­nah­me Drit­ter. Auf­ge­schreckt durch Anfra­gen die­ser Art, zie­hen sich staat­li­che Orga­ni­sa­tio­nen aus Koope­ra­tio­nen mit Drit­ten ent­we­der zurück oder prü­fen das wei­te­re Vor­ge­hen. Der Bera­tungs­be­darf an Schu­len und bei Trä­gern – gera­de im Kon­text des Digi­tal­pak­tes – ist immens, eben­so der Fort­bil­dungs­be­darf der Lehr­kräf­te. Da durch den Digi­tal­pakt auch Bera­tungs­leis­tun­gen Exter­ner för­der­fä­hig sind (so lan­ge sie kei­ne ste­ti­gen Begleit­maß­nah­men dar­stel­len), wer­den Trä­ger auf genau die­se Ange­bo­te zurück­grei­fen. Da der Bedarf an Fort­bil­dun­gen an Schu­len sehr groß sind, wer­den sich die­se am frei­en Markt bedie­nen und die Dis­funk­tio­na­li­tät staat­li­cher Orga­ni­sa­ti­on bekla­gen. Das sind kei­ne Hirn­ge­spins­te – das geschieht nach mei­ner Wahr­neh­mung bereits. Zusätz­lich wird die Arbeit in die­sen Orga­ni­sa­tio­nen für kom­pe­ten­te Men­schen zuneh­mend unat­trak­tiv. Da nüt­zen irgend­wann auch Auf­sto­ckun­gen von Stel­len und Stun­den­de­pu­ta­ten nichts mehr. Sie müs­sen mit anse­hen, wie ande­re los­ge­löst von Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten und Vor­ga­ben Din­ge umset­zen, wäh­rend von ihnen selbst ver­langt wird, sich maxi­mal trans­pa­rent und neu­tral zu ver­hal­ten und dabei bit­te­schön ganz­heit­lich und sys­te­misch zu den­ken. Staat­li­che Orga­ni­sa­tio­nen sind sowie­so meist nicht kon­kur­renz­fä­hig bei der Gewin­nung drin­gend benö­tig­ter Fachkräfte.

Gehäuf­te Anfra­gen im Zuge des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zes begüns­ti­gen und beschleu­ni­gen damit para­do­xer­wei­se eine Ent­wick­lung, die durch sie im Kern eigent­lich ver­hin­dert wer­den soll. Sie sind natür­lich objek­tiv wich­tig und demo­kra­tisch von Bedeutung.

Die Initia­to­ren soll­ten sich dar­über im Kla­ren sein, wel­che Sei­ten­ef­fek­te durch sie mit aus­ge­löst wer­den. Ich bin mir nicht sicher, wie auf­ge­schlos­sen Poli­tik in Län­dern mit bis­her feh­len­den Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zen sein wird, ein sol­ches vor­an­zu­trei­ben, wenn Anfra­gen gewis­se Detail­gra­de dau­er­haft über­schrei­ten und dadurch immense Per­so­nal­ka­pa­zi­tä­ten bin­den. „Das Schrei­ben von ein bis zwei Sät­zen dau­ert doch nicht so lan­ge!“ Nein – natür­lich nicht, aber dadurch dass man immer einen „offi­zi­el­len Sta­tus“ einer Aus­kunft wünscht, hat man als Bei­fang immer eine Men­ge juris­ti­scher und ver­wal­tungs­tech­ni­scher Pro­zes­se mit dabei.

Gute Leu­te haben wei­ter­hin heu­te im Digi­tal­be­reich die Wahl: Sie kön­nen sich altru­is­tisch und trans­pa­rent in staat­li­chen Orga­ni­sa­ti­on enga­gie­ren und sich in stän­di­gem Recht­fer­ti­gungs­zwang sehen oder sie kön­nen das in kom­mer­zi­el­len Kon­tex­ten tun, in denen Geld­flüs­se nicht trans­pa­rent gemacht wer­den müs­sen und weit­aus mehr Frei­hei­ten in der Arbeit bestehen – um den Preis, Nach­hal­tig­keit wirt­schaft­lich nicht abbil­den zu kön­nen. Das darf dann der Staat aufsammeln.

 

Kri­tik an digi­ta­len Gras­wur­zel­pro­jek­ten in Schule 

Neu­lin­ge, die sich in ihrem Unter­richt an digi­ta­le The­men her­an­wa­gen UND dar­über auch noch öffent­lich berich­ten (bei­des gro­ße Schrit­te!), sehen sich oft Nach­fra­gen aus­ge­setzt. Ich bin auch so einer, der durch einen schnell raus­ge­haue­nen Tweet acht­los jeman­den ver­sen­ken kann. Twit­ter ist kom­pli­ziert, inho­mo­gen und manch­mal lau­nig. Auch dar­an habe ich mich schon abge­ar­bei­tet.

Auch ich sehe gro­ße Gefah­ren, dass es bei der Stu­fe „Tech­nik ahmt das Alte nach bzw. ver­stärkt es auch noch“ schlicht ste­hen bleibt, weil uns als Staat noch schlicht die Res­sour­cen feh­len, wei­ter zu beglei­ten und mir als Lehr­kraft viel­leicht oft der Wil­le fehlt, nicht „abzu­ha­ken“, son­dern pro­zess­haft mit Ziel­per­spek­ti­ve dran­zu­blei­ben. Tech­nik- und App­schu­lun­gen sind nur dann der ers­te Schritt, wenn im Nach­klang wei­ter reflek­tiert und beglei­tet wird.

Wie­der­ho­lung: Sie ver­lei­ten nach mei­ner Erfah­rung ohne wei­te­re (und kom­mer­zi­ell kaum sinn­voll abbild­ba­re) Beglei­tung dazu, dass das The­ma „Digi­ta­li­sie­rung“ schnell abge­hakt wird – man setzt ja nun Gerä­te ein und ist des­we­gen eben digi­tal. Ich rede hier nicht von Leucht­tür­mern – und auch deren Lam­pe ist gele­gent­lich bei genaue­rem Blick ziem­li­che trü­be – die meis­ten „guten“ Schu­len leuch­ten nicht nach außen, die machen ein­fach und kon­zen­trie­ren sich auf sich.

Tech­nik- und App­schu­lun­gen sind aber momen­tan genau das, was eine brei­te­re Mas­se leis­ten kann und was mas­siv nach­ge­fragt wird (und womit man auch gut Knat­ter machen kann). Mein Visi­ons­zeug ern­tet hef­ti­ges Nicken, so wie in den meis­ten Kon­tex­ten auch die Aus­sa­ge „Flug­rei­sen sind Mist“ hef­ti­ges Nicken ern­ten wür­de. Danach den sal­bungs­vol­len Wor­ten aus Rieckens Vor­trag steigt man viel­leicht dann in den Flie­ger nach Bali oder schreibt sogar (in Ein­zel­fäl­len!) wei­ter brav sys­tem­ge­fäl­li­ges Sub­sti­tu­ti­ons­tech­nik­ge­döns in das schul­ei­ge­ne Medi­en­bil­dungs­kon­zept. Das meint nie­mand per­sön­lich. Ist halt so.

Bei Kri­tik gibt es für mich daher immer meh­re­re Fragen:

  1. Ist sie logisch und sach­lich begründet?
  2. Wird sie auch  auf der Sach­ebe­ne wahrgenommen?
  3. Ist sie geeig­net, Refle­xi­ons­pro­zes­se auszulösen?

Für Kri­tik ist Kri­te­ri­um 1 not­wen­dig. Hin­rei­chend wird sie für mich aber erst durch die Kri­te­ri­en 2 und 3. Wenn man allein auf dem not­wen­di­gen Kri­te­ri­um beharrt, geht es bei der Kri­tik eben dar­um, Kri­tik zu üben und nicht dar­um, durch Kri­tik etwas zu ver­än­dern. Hart, aber so ist das in mei­nen Augen heu­te. Und wenn ich ehr­lich bin, habe ich auch gele­gent­lich Ten­den­zen etwas zu benör­geln des Benör­gelns wil­len. War­um ich das tue? – „Guck, mal, was ich kann!“ (Anlei­he aus den Känguruh-Apokryphen).

Was alle drei Ansät­zen m.E. fehlt

… das ist ver­netz­tes Den­ken, also unge­fähr die Grund­la­ge der 4K. Wir stel­len oft unse­re Inter­es­sen und unse­re The­men in den Mit­tel­punkt ohne das sys­te­mi­sche Moment zu sehen. Davon neh­me ich mich nicht aus, obwohl mir ja auch ger­ne unter­stellt wird, mich immer als neu­tral zu insze­nie­ren, es aber im Grun­de nicht zu sein. Naja. Die­ser Arti­kel ist ja ten­den­zi­ell nicht neutral.

Sollte man Lehrkräfte in Bezug auf die Digitalisierung „beschützen“?

In den letz­ten Wochen ist es mir im Rah­men mei­ner Bera­tungs­tä­tig­keit mehr­fach pas­siert, dass man mir ent­geg­ne­te, in Bezug auf die Digi­ta­li­sie­rung dür­fe man spe­zi­ell Lehr­kräf­ten nicht zu viel zumu­ten. Das zer­stö­re jed­we­de Arbeits­mo­ti­va­ti­on. Außer­dem käme alles bestimmt nicht so schlimm, wie ich es dar­stel­len wür­de. Kon­kret hat­te ich mich u.a. zu fol­gen­den Äuße­run­gen hin­rei­ßen lassen:

  • phy­si­sche Daten­trä­ger wie z.B. DVDs haben in Zei­ten von Strea­ming­diens­ten kei­ne lan­ge Zukunft mehr (eine sol­che Ent­wick­lung „bedroht“ z.B. momen­tan cur­ri­cu­lar gefor­der­te Inhal­te, wie z.B. Film­ana­ly­se oder Hörverstehensübungen)
  • wer Men­schen zur wis­sen­schafts­pro­pä­deu­ti­schen Arbeit anlei­ten will, muss grund­le­gen­de Aspek­te einer Text­ver­ar­bei­tung und ggf. Tabel­len­kal­ku­la­ti­on beherr­schen und ver­mit­teln kön­nen (z.B. auto­ma­ti­sche Ver­zeich­nis­se, Fuß­no­ten, For­mat­vor­la­gen etc.)
  • Arbeit mit und über Medi­en erfor­dert immer auch ein Nach­den­ken über Schul- und Unter­richts­ent­wick­lung und hängt gera­de nicht allein an Ausstattungsfragen.
  • […]

Aus­sa­gen die­ser Art erzeu­gen in so man­cher See­le Stür­me der Ent­rüs­tung, so dass ich mir sehr genau über­le­ge, wie und zu wel­chem Zeit­punkt ich sol­che Punk­te set­ze – denn das so Gesag­te macht unglaub­li­che Angst.

Du nimmst mir mei­ne Angst vor der Digi­ta­li­sie­rung nicht, son­dern du ver­stärkst sie auch noch, Maik!

… sag­te unlängst eine Kol­le­gin zu mir. Das stimmt natür­lich. Das sehe ich ja auch ein. Mir selbst macht aber auch etwas Angst, was gleich­zei­tig aber auch der Grund für die Lage ist, in der sich die Kol­le­gin wähnt:

Schu­le bewegt sich natür­lich, aber sie ist schlicht zu lang­sam. Das Wachs­tum des Del­tas zwi­schen bei­den Kur­ven ver­läuft expo­nen­ti­ell. Es gibt ers­te Bera­ter­kol­le­gen, die in den Panik­mo­dus verfallen:

Wie müs­sen schnell vie­le Men­schen fit für ein Ler­nen im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung machen. Wir haben kei­ne Zeit, um Din­ge zu dis­ku­tie­ren. Ver­fah­ren müs­sen her und ein­ge­übt werden!

Schaut euch ein­mal die Vide­os des ers­ten Andro­iden mit Staats­bür­ger­rech­ten (in Sau­di-Ara­bi­en) an:

Akti­vie­ren Sie Java­Script um das Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=vtX-qVUfCKI

(eng­lisch, die Situa­ti­on wur­de Sophia nicht ein­pro­gram­miert, die reagiert aus­schließ­lich auf Basis ihrer „Sin­nes­ein­drü­cke“ mit Hil­fe einer KI).

Oder die Vor­trä­ge von Prof. Dr. Chris­toph Igel, den ich auf der Didac­ta im Rah­men einer Tagung des nie­der­säch­si­schen Städ­te- und Gemein­de­ta­ges zum The­ma Bil­dung hören durfte:

Akti­vie­ren Sie Java­Script um das Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=OK_LxqvIDgc

Ich per­sön­lich glau­be immer mehr, dass ein „Beschüt­zen“ und ein „Mit­neh­men“ von Lehr­kräf­ten ihnen letzt­lich immens scha­den und Ent­wick­lun­gen beschleu­ni­gen wird, die wir als (noch ver­hält­nis­mä­ßig) star­ke Demo­kra­tie nicht wol­len wer­den. Der ers­te, immens wich­ti­ge Schritt dabei wird sein, Digi­ta­li­sie­rung end­lich als gesell­schaft­li­ches Phä­no­men zu begrei­fen und zu ver­in­ner­li­chen. Jed­we­des Gerät ist allen­falls sowas wie ein Gate­way, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

PS: In der prak­ti­schen Bera­tungs­tä­tig­keit neh­me ich Men­schen mit oder ver­su­che es zumindest.

 

 

 

Ein Buch über die Entwicklung von Medienbildungskonzepten?

Ich schrei­be gera­de eine „exten­ded Ver­si­on“ die­ses Arti­kels. Es geht um die Ent­wick­lung von Medi­en­bil­dungs­kon­zep­ten. Es ist kein Check­lis­ten­buch, aber es ent­hält z.B. ganz vie­le prak­ti­sche Bei­spie­le und Fra­gen­ras­ter, aber auch kurz umris­se­ne Din­ge zur Aus­stat­tung und Vor­ge­hens­wei­sen. Der Umfang wird etwa 130 Sei­ten betra­gen, von denen ca. 48 fer­tig sind.

Das Buch ist kein altru­is­ti­scher Selbst­zweck. Und ich mache es auch nicht, weil ich so gut bin. Ich bin ein sehr siche­rer Mensch – eigentlich.

Zusam­men­ge­fasst geht es dar­um, wie ich das Buch unter die Leu­te brin­ge. Und es geht auch dar­um, wem gegen­über ich loy­al bin.

Opti­on A:

Ich arbei­te mit einem gro­ßen, renom­mier­ten Schul­buch­ver­lag zusam­men. Der ers­te Ver­trag gefällt mir über­haupt nicht, er steht in der guten, alten Tra­di­ti­on „Riecken und die Ver­la­ge“.

Das ist jetzt viel Nach­ver­hand­lung nötig und vor allen Din­gen auch viel Klar­heit dar­über, wie ich mit den Inhal­ten spä­ter wei­ter­ar­bei­ten möch­te. Der Ver­lag ist sehr fle­xi­bel – selbst CC-Lizen­zen wären mög­lich. Geld wird damit nicht zu ver­die­nen sein. Aber natür­lich sind die Ver­wer­tungs­rech­te (weit­ge­hend) weg. Und es ist halt ein Buch.

Man kommt aber an Ziel­grup­pen, die außer­halb der übli­chen Fil­ter­bubble lie­gen. Und berühmt wird man auch, was viel­leicht den ein oder ande­ren bes­ser bezahl­ten „Fol­ge­auf­trag“ nach sich zieht (Con­sul­ting, Refe­ra­te, Vorträge).

Opti­on B:

Ich mache das im Selbst­ver­lag – print on demand. Wäre eine span­nen­de Erfah­rung (Ich kann LaTeX) und wäre mir sicher, dass „Wer­bung“ dafür durch Social­me­dia irgend­wie läuft. Zusätz­lich kann man den Text online stel­len und z.B. durch Screen­casts und ande­re Medi­en immer wie­der ergän­zen, d.h. den Text als ler­nen­den orga­ni­sie­ren. Weil ich weiß, wie gut das mit ler­nen­den Tex­te funk­tio­niert (erst ges­tern hat wie­der jemand hier im Blog einen mei­ner Tex­te kor­ri­giert) , hät­te das schon Charme.

Das gäbe viel­leicht ein biss­chen Geld und etwas Renom­mé, jedoch noch weni­ger als bei Opti­on B. Aber die Rech­te blei­ben voll­stän­dig bei mir. Die Reich­wei­te ist bedeu­tend gerin­ger und im Wesent­li­chen auf die Fil­ter­bubble beschränkt.

Opti­on C:

Ich mache das über mei­nen Dienst­herrn. Das geht. Der ist näm­lich toll. Dann wäre das qua­si auch Arbeits­zeit. Und es wür­de mei­nem Lan­des­in­sti­tut nüt­zen, das ich sehr schät­ze, weil ich dank ihm so arbei­ten kann, wie ich arbei­ten möch­te. Auch die Rech­te­ge­schich­te wäre so viel unkom­pli­zier­ter zu hand­ha­ben. Finan­zi­ell unter dem Strich am lukrativsten.

Opti­on D:

Ich pus­te das als OER raus. So wie sich die Com­mu­ni­ty das vor­stellt. Ohne NC. Am ehes­ten bei ZUM in Wiki­form. Total­ver­lust über die Inhal­te. Und es ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass sich kom­mer­zi­el­le Play­er und Stif­tun­gen ganz schnell die­ser Inhal­te anneh­men und sie in ihrem Sin­ne ver­mark­ten. Das Geld in die­sem Feld machen dann ande­re. Gera­de im momen­ta­nen bil­dungs­po­li­ti­schen Umfeld. Dass Lehr­kräf­te OER außer durch Wor­te ver­gü­ten, habe ich noch nicht gese­hen. Aber es wäre ein­mal ein Expe­ri­ment, ob OER tat­säch­lich min­des­tens zum Min­dest­lohn funk­tio­niert – ich glau­be ehr­lich gesagt nicht daran.

Was meint ihr?

Wie soll ich das machen? Ernst­neh­men könn­te ich nur Ideen, die auch mei­ne Posi­ti­on berück­sich­ti­gen bzw. die sich ein wenig in mich hineinversetzen.

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