Sollte man Lehrkräfte in Bezug auf die Digitalisierung „beschützen“?
In den letzten Wochen ist es mir im Rahmen meiner Beratungstätigkeit mehrfach passiert, dass man mir entgegnete, in Bezug auf die Digitalisierung dürfe man speziell Lehrkräften nicht zu viel zumuten. Das zerstöre jedwede Arbeitsmotivation. Außerdem käme alles bestimmt nicht so schlimm, wie ich es darstellen würde. Konkret hatte ich mich u.a. zu folgenden Äußerungen hinreißen lassen:
- physische Datenträger wie z.B. DVDs haben in Zeiten von Streamingdiensten keine lange Zukunft mehr (eine solche Entwicklung „bedroht“ z.B. momentan curricular geforderte Inhalte, wie z.B. Filmanalyse oder Hörverstehensübungen)
- wer Menschen zur wissenschaftspropädeutischen Arbeit anleiten will, muss grundlegende Aspekte einer Textverarbeitung und ggf. Tabellenkalkulation beherrschen und vermitteln können (z.B. automatische Verzeichnisse, Fußnoten, Formatvorlagen etc.)
- Arbeit mit und über Medien erfordert immer auch ein Nachdenken über Schul- und Unterrichtsentwicklung und hängt gerade nicht allein an Ausstattungsfragen.
- […]
Aussagen dieser Art erzeugen in so mancher Seele Stürme der Entrüstung, so dass ich mir sehr genau überlege, wie und zu welchem Zeitpunkt ich solche Punkte setze – denn das so Gesagte macht unglaubliche Angst.
Du nimmst mir meine Angst vor der Digitalisierung nicht, sondern du verstärkst sie auch noch, Maik!
… sagte unlängst eine Kollegin zu mir. Das stimmt natürlich. Das sehe ich ja auch ein. Mir selbst macht aber auch etwas Angst, was gleichzeitig aber auch der Grund für die Lage ist, in der sich die Kollegin wähnt:
Schule bewegt sich natürlich, aber sie ist schlicht zu langsam. Das Wachstum des Deltas zwischen beiden Kurven verläuft exponentiell. Es gibt erste Beraterkollegen, die in den Panikmodus verfallen:
Wie müssen schnell viele Menschen fit für ein Lernen im Zeitalter der Digitalisierung machen. Wir haben keine Zeit, um Dinge zu diskutieren. Verfahren müssen her und eingeübt werden!
Schaut euch einmal die Videos des ersten Androiden mit Staatsbürgerrechten (in Saudi-Arabien) an:
https://www.youtube.com/watch?v=vtX-qVUfCKI
(englisch, die Situation wurde Sophia nicht einprogrammiert, die reagiert ausschließlich auf Basis ihrer „Sinneseindrücke“ mit Hilfe einer KI).
Oder die Vorträge von Prof. Dr. Christoph Igel, den ich auf der Didacta im Rahmen einer Tagung des niedersächsischen Städte- und Gemeindetages zum Thema Bildung hören durfte:
https://www.youtube.com/watch?v=OK_LxqvIDgc
Ich persönlich glaube immer mehr, dass ein „Beschützen“ und ein „Mitnehmen“ von Lehrkräften ihnen letztlich immens schaden und Entwicklungen beschleunigen wird, die wir als (noch verhältnismäßig) starke Demokratie nicht wollen werden. Der erste, immens wichtige Schritt dabei wird sein, Digitalisierung endlich als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen und zu verinnerlichen. Jedwedes Gerät ist allenfalls sowas wie ein Gateway, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
PS: In der praktischen Beratungstätigkeit nehme ich Menschen mit oder versuche es zumindest.