Die unbeliebte Chemie

Che­mie ist ein Fach, wel­ches in der Regel mit Aus­ru­fen „kom­pli­ziert“ oder „Habe ich nie ver­stan­den“ abge­tan wird. Die Ursa­che wird oft in der Abs­trakt­heit des Faches gese­hen. Wer hat in sei­nem Leben, denn schon ein Atom erfah­ren? Wer macht sich denn Gedan­ken um Begrif­fe wie „Sus­pen­si­on“, „Dich­te“ oder „Redox­sys­tem“? Das Inter­es­se von SuS am Fach Che­mie soll in den letz­ten Jah­ren stark zurück­ge­gan­gen sein. In der Tat wird bei uns an der Schu­le das Fach Bio­lo­gie als Natur­wis­sen­schaft zuneh­mend öfter angewählt.

Die Ret­tung soll eine stär­ke­re Kon­tex­tua­li­sie­rung des Faches Che­mie brin­gen. So kann man z.B. sofort mit der Unter­su­chung von Cola/Cola light begin­nen – das ken­nen SuS. Es geht eben dar­um, den Che­mie­un­ter­richt am All­tag anzu­bin­den und damit an der kon­kre­ten Lebens­welt der SuS. Unter­su­chun­gen las­sen erken­nen, dass das Inter­es­se von SuS am Che­mie dadurch gestei­gert wird. Die fach­li­chen Leis­tun­gen eigent­lich auch?

Che­mie hat gegen­über ande­ren Fächern einen ganz ent­schei­den­den Nach­teil: Sie ist in sehr star­kem Maße ein Kon­ti­nu­um. Inhal­te, die ich in der 6. Klas­se unter­rich­tet habe, tau­chen wie­der und wie­der auf. Ohne die Ord­nungs­kri­te­ri­en im Peri­oden­sys­tem kom­me ich in kei­ner Stun­de der Ober­stu­fe aus. Wer sich in Che­mie ein hal­bes Jahr hän­gen lässt, ist meist für immer abge­hängt – dar­an nützt auch kei­ne Kon­tex­tua­li­sie­rung etwas, die immer nur ein Aus­schnitt aus der Sys­te­ma­tik abbil­den kann. Des­we­gen fin­de ich die davon ablös­ba­re Theo­rie der Basis­kon­zep­te (z.B. Stoff/Teilchen) sehr ertrag­reich, weil sie genau die­sem Gedan­ken Tri­but zollt.

Die Che­mie in ihrer in sich geschlos­se­nen Sys­te­ma­tik und in ihrer Ein­ge­schränkt­heit auf die Unter­su­chung von Stof­fen steht in ekla­tan­tem Gegen­satz zu der sie umge­ben­den schnell­le­bi­gen und oft nicht über­aus nach­hal­ti­gen gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät. Ein Ler­nen nach dem Mot­to „bis zur Arbeit und dann ver­ges­sen“ klappt nicht auf Dau­er. Es nützt auch nichts, sich des kol­lek­ti­ven Wis­sens des Net­zes zu bedie­nen  wenn die grund­sätz­li­che Ver­net­zung im Kopf nicht vor­han­den ist. Dadurch kann ich dem Unter­richt dann bald nicht mehr fol­gen – es fehlt die Basis. Somit kann aus Vor­wis­sen kei­ne neue Erkennt­nis und damit auch kei­ne Moti­va­ti­on ent­ste­hen. Auf die Anwen­dung von Vor­wis­sen ist die Che­mie aber genau wie die Fremd­spra­chen  m.E. wie kein ande­res Fach ange­wie­sen. Hier liegt für mich ein wesent­li­cher Grund, für den ver­hält­nis­mä­ßig schlech­ten Ruf des Faches inner­halb der Schü­ler­schaft – man macht eben Che­mie und redet nicht z.B. inhalt­lich auf Eng­lisch über die Migran­ten­pro­ble­ma­tik in Eng­land. Che­mie bleibt Chemie.

Der Lohn der Che­mie­sys­te­ma­tik wird von vie­len SuS nicht gese­hen: Ein­mal die Basis­kon­zep­te ver­stan­den, muss nicht wie z.B. in Bio­lo­gie über­mä­ßig viel gelernt, son­dern „ledig­lich“ über­tra­gen wer­den. Man schaue sich den repro­duk­ti­ven Anspruch von Bio­lo­gie- und Che­mie­abi­tur­klau­su­ren ver­glei­chend an.

Ich fin­de didak­ti­sche Bestre­bun­gen rich­tig, die die Ver­net­zung der Inhal­te inner­halb des Faches för­dern.  Ich reflek­tie­re immer wie­der die kon­text­ab­hän­gi­ge Bedeu­tung che­mi­scher Sym­bo­le. Ich fin­de es wei­ter­hin wich­tig, Begrif­fe über­haupt erst dann ein­zu­füh­ren, wenn sie ver­stan­den wer­den kön­nen, z.B. erst fach­lich von Mole­kü­len zu spre­chen, wenn das dazu erfor­der­li­che Wis­sen auf­ge­baut ist. Natür­lich ken­nen die SuS den Begriff. Sie kön­nen über ihn spre­chen, aber sie ver­ste­hen nicht, wor­über sie dann reden. Den Begriff zu ken­nen recht­fer­tigt für mich nicht zwin­gend die Auf­nah­me des sel­bi­gen im Che­mie­un­ter­richt von Anfang an – auch nicht im Rah­men einer Kon­tex­tua­li­sie­rung. Ich schrei­be sehr, sehr lan­ge noch O statt O2 (was eigent­lich nicht falsch ist, da die Akti­vie­rungs­en­er­gie bei Ver­bren­nun­gen im Wesent­li­chen für die Spal­tung des Sau­er­stoff­mo­le­küls in reak­ti­ve Dira­di­ka­le benö­tigt wird) – bis zur Ein­füh­rung der Atom­bin­dung. Trotz­dem bekom­men es mei­ne SuS dann in der Ober­stu­fe rich­tig hin…

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18 Kommentare

  • Gera­de erst am Frei­tag habe ich mit einem Kol­le­gen dar­über gespro­chen, wor­an es wohl lie­gen könn­te, dass sich mehr und mehr Schüler/innen nach der 11 Klas­se für Bio­lo­gie ent­schei­den – obwohl sie den Noten nach in Che­mie bes­ser stehen.

    Wir haben einen Grund dann auch in dem Auf­bau des Faches gese­hen. Zum einen ist es abs­trak­ter (Bio hängt halt doch der Ruf an, „lebens­nä­her“ zu sein). Außer­dem bekommt man in Bio mit jedem The­ma eine neue Chan­ce. Che­mie dage­gen baut auf­ein­an­der auf.

    Setzt Du denn ChiK – dar­auf bezie­hen sich doch Dei­ne Anmer­kun­gen zur Kon­tex­tua­li­sie­rung und den Basis­kon­zep­ten? – im Unter­richt aktiv ein?

    Gruß,

    Felix

  • Hal­lo Felix,

    ChiK set­ze ich nicht aktiv im Unter­richt ein. Ich habe es natür­lich aber mit der Vor­kos­ter­ein­heit aus­pro­biert. Die Erfah­run­gen waren der­ge­stalt, dass mehr SuS Inter­es­se an Che­mie zeig­ten, sich die Demo­ti­va­ti­on aber nach der Leis­tungs­über­prü­fung umso schär­fer ein­stell­te. ChiK erschwert mei­nes Erach­tens den Auf­bau sys­te­ma­ti­schen Wis­sens und damit die Vor­be­rei­tung auf Klau­su­ren und Tests. Frap­pie­rend ist, dass wir natür­lich bei­de den Nach­teil von Che­mie in sei­ner Abs­trakt­heit sehen und die Kon­tex­tua­li­sie­rung natür­lich einen Aus­weg bie­tet – ich suche z.Zt. auf Grund mei­ner Erfah­run­gen aber noch nach ande­ren Auswegen…
    Ein Erleb­nis war für mich beson­ders auf­schluss­reich: Treff­li­cher­wei­se schu­len hier Lehr­amts­stu­den­ten und Refe­ren­da­re Leh­re­rin­nen und Leh­rer im Bereich ChiK. Die Schu­lung war toll – auch der Rück­fahrt gab die Refe­ren­da­rin (acht Pflicht­stun­den) jedoch an, dass sie wäh­rend der ChiK-Ein­heit bei­na­he zusam­men­ge­bro­chen wäre, weil es doch eini­ge Auf­wand bedeu­tet habe, wohl­ge­merkt: Mit acht Wochenstunden.

    Wir brau­chen Kon­zep­te, die in Klas­sen von bis zu 33 SuS (nor­mal sind 30–32) „zie­hen“. Alles ande­re mag lern­theo­re­tisch schön und wis­sen­schaft­lich belegt sein, scheint zumin­dest mir aber viel zu oft nicht prak­ti­ka­bel in dem momen­tan gebo­te­nen schu­li­schen Kon­text. Dar­an nützt auch die gefor­der­te, stär­ke­re Koope­ra­ti­on der Lehr­kräf­te nichts.

    Die Basis­kon­zep­te sind bei mir im Unter­richt aber stän­dig prä­sent und bei uns im Cur­ri­cu­lum auch ver­an­kert – es ist ja nicht alles schlecht, auch wenn es „von oben“ kommt. Das Dona­tor- und Akzep­tor­prin­zip trägt bei Säu­re-/Ba­se­re­ak­tio­nen, bei Redox­pro­zes­sen, in der E‑Chemie usw. Hier las­sen sich durch­aus Ana­lo­gien aufzeigen. 

    PS:
    Für die Unter­richts­vor­be­rei­tung sind die ChiK-Lehr­bü­cher m.E. übri­gens suuuper… (viel flan­kie­ren­des Mate­ri­al, tol­le Gra­fi­ken und Bil­der, sehr güns­tig zu bekom­men – war­um nur?)

  • Hal­lo Maik,

    das mit Che­mie ist trau­rig. Das wird ja des­we­gen jetzt schon im Kin­der­gar­ten gelehrt. Ich fin­de das nur dane­ben. Die Kin­der haben kei­ne Ahnung, sehen die Expe­ri­men­te und glau­ben am Ende an Alchemie.

    Ich moch­te Che­mie als Jugend­li­cher total ger­ne – habe sehr abs­trak­te Bücher gele­sen. Bis wir es als Schul­fach beka­men und der Leh­rer anfing von Scha­len zu spre­chen, wo die Elek­tro­nen in Null­zeit rüber­hüp­fen. Das konn­te ich nicht glau­ben – Null­zeit. Ich fand das zu unwis­sen­schaft­lich, gab alle mei­ne Che­mie­bü­cher zurück und wähl­te Bio-LK.

    Im Nach­hin­ein hab ich dann irgend­wann wie­der gekuckt und fand Men­de­le­jew – der hat das Peri­oden­sys­tem erfun­den. Und da mach­te das alles Sinn. Sogar die­ses Peri­oden­sys­tem, das sinn- und nutz­los an unse­rer Klas­sen­zim­mer­wand hing.

    Kennst Du übri­gens die urversity.wordpress.com (inter­es­siert Dich viel­leicht – ist aber ganz für Unschooler :) )

  • Das wird ja des­we­gen jetzt schon im Kin­der­gar­ten gelehrt. Ich fin­de das nur dane­ben. Die Kin­der haben kei­ne Ahnung, sehen die Expe­ri­men­te und glau­ben am Ende an Alchemie.“

    Sind die Kin­der oder der Stoff oder das leh­ren­de Per­so­nal dabei das Pro­blem? Ich kann mir sehr sinn­vol­len Che­mie­un­ter­richt im Kin­der­gar­ten­al­ter vor­stel­len – es gibt tol­le Expe­ri­men­te, die alle hel­fen, den Teil­chen­cha­rak­ter von Mate­rie zu erklären.

    Che­mie ist für mich ein Fach, in dem der Leh­ren­de Weit­blick benö­tigt – er kann nicht ein­fach mit dem Kind „mit­ler­nen“. Du wirst z.B. erken­nen, dass in ganz vie­len Model­len, die ich in der Mit­tel­stu­fe ein­set­ze bereits das Ziel vor­han­den ist: Das Orbi­tal­mo­dell (von dem wir auch nicht so genau wis­sen, ob es stimmt). Die­sen „Adler­blick“ kann im Prin­zip nur ein „Fach­idi­ot“ haben – den bekommt ein Home­schoo­ler nur schwer hin – jeden­falls nicht ab einem bestimm­ten stoff­li­chen Niveau. Des­we­gen fin­de ich Leh­rer an sich schon wichtig…

    Das Peri­oden­sys­tem ist furz­tro­cke­ner Stoff. Mei­ne 9. Klas­se hat aber neu­lich nach Behand­lung des Kugel­wol­ken­mo­dells etwas ganz Tol­les gesagt: „Ach das bedeu­ten die Stri­che in den For­meln unse­res Bio­leh­rers“. Da löst sich in einem Moment der Kno­ten auf, war­um man vor­her so unter die­sem Stoff „lei­den“ musste.

  • Ich ken­ne kei­ne der­ar­ti­gen Bücher. Ich weiß, dass mein eige­nes, *rele­van­tes* Wis­sen über Che­mie nicht aus Büchern oder aus dem Stu­di­um stammt, son­dern aus der immer­wäh­ren­den Refle­xi­on mei­nes Unter­richts, aus immer neu­en Expe­ri­men­ten zu teil­wei­se immer glei­chen The­men, aus Fra­gen, die sich aus dem Gespräch in mei­ner Lern­grup­pe erge­ben, auf die ich allei­ne nie gekom­men wäre. Der­ar­ti­ge Fra­gen ent­ste­hen oft durch einen inter­ak­ti­ven Pro­zess, also z.B. durch eine Dis­kus­si­on mit x Leu­ten über z.B. ein fehl­ge­schla­ge­nes Experiment.

    Dadurch dass ich immer noch sehe, wel­che fach­li­chen „Mist“ ich mit Lern­grup­pe A gebaut habe, pro­fi­tie­ren Lern­grup­pe B und C in der nächs­ten Run­de. Ich wüss­te wahr­schein­lich nur unver­netz­ten, toten Kram über Che­mie, wenn ich nicht auf eini­ge Jah­re Unter­richt zurück­bli­cken könn­te. Ich weiß jetzt teil­wei­se, wo die Denk­pro­ble­me von Kin­dern und Jugend­li­chen lie­gen – qua­si durch mein eige­nes „Ler­nen durch Leh­ren“. Das ist das Geschenk von Schu­le an mich.

    Auto­di­dak­tik kann ich nicht. Dazu tau­chen immer wie­der zu vie­le Fra­gen bei mir auf, die einen ande­ren Men­schen erfor­dern, der einen ande­ren oder wei­te­ren Blick hat.

  • Ich kann mir das gar nicht vor­stel­len. Du musst doch schon vor dem Unter­richt und vor dem Stu­di­um Che­mie gekonnt haben, oder?

    Was ich noch nicht ver­ste­he, ist, was machst Du, wenn Du Dich jetzt auf ein­mal für Phy­sik oder Nano­tech­no­lo­gie inter­es­sierst? Oder Japanisch?

  • Du musst doch schon vor dem Unter­richt und vor dem Stu­di­um Che­mie gekonnt haben, oder?“

    Klar. Grund­la­gen und Ober­fläch­lich­kei­ten nimmt man natür­lich mit. Ob ich „damals“ wirk­lich „ver­stan­den“ habe, weiß ich nicht – und mein 1. Staats­examen war so schlecht nicht… Erst in der Arbeit mit den Schü­lern fie­len bei mir nach und nach die Gro­schen – die ich bei mei­nen Prak­ti­kan­ten heu­te auch gele­gent­lich noch fal­len höre…

    Ich zitie­re mich ein­mal selbst:
    „Ich weiß, dass mein eige­nes, *rele­van­tes* Wis­sen über Che­mie nicht aus Büchern oder aus dem Stu­di­um stammt“

    Ich unter­schei­de zwi­schen totem und rele­van­ten Wis­sen. Rele­van­tes Wis­sen ermög­licht dir z.B. die selbst­stän­di­ge Ver­knüp­fung von Sach­ver­hal­ten inner­halb des Faches, ohne dass dir jemand eben­die­se Ver­knüp­fung nach sei­nen Gus­to vor­kaut – gera­de im Bereich der Che­mie befin­den sich kolos­sa­le Feh­ler in der Grund­li­te­ra­tur (z.B. Schulbücher). 

    Was machst Du, wenn Du Dich jetzt auf ein­mal für Phy­sik oder Nano­tech­no­lo­gie interessierst?“

    Ein paar Grund­la­gen anlesen/recherchieren, dann einen poten­ti­el­len Leh­rer suchen. Wis­sen neu ein­ord­nen, ver­tie­fen, Leh­rer suchen. Das waren/sind z.B. im Bereich der Phy­sik vie­le Kol­le­gen – wobei da für mich der Plu­ral sehr wich­tig ist. Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät. Ein oder zwei Bücher rei­chen mir nicht. Man darf auch nicht ver­ges­sen, dass die Metho­de „Wis­sens­an­eig­nung“ eine Kern­kom­pe­tenz des Leh­rer­be­ru­fes ist, die für mich erst durch jah­re­lan­ge Inter­ak­ti­on ent­steht. Ich weiß mitt­ler­wei­le z.B. ein gelun­ge­nes Lehr­werk von einem mie­sen anhand mei­nes indi­vi­du­el­len Regel­sat­zes – ich weiß in mei­nem Alter all­mäh­lich, wie ich effi­zi­ent ler­ne – zu unterscheiden…

    Mir per­sön­lich ist eher ein Rät­sel, wie im Home­schoo­ling Bereich bei der Viel­zahl kind­li­cher Inter­es­sen immer wie­der Tie­fe und Über­blick erreicht wird. Ich füh­le mich dazu nicht in der Lage.

  • Ich weiß, dass mein eige­nes, *rele­van­tes* Wis­sen über Che­mie nicht aus Büchern oder aus dem Stu­di­um stammt.“ Also, viel von *mei­nem* Wis­sen stammt aus dem Stu­di­um, stammt aus Büchern (viel, viel, viel mehr als aus dem Web), stammt aus dem Gespräch mit Kol­le­gen – lei­der mit weni­gen, denn vie­le haben kein Inter­es­se an oder kei­ne Kraft frei für Gesprä­che über Fach­in­hal­te oder Methodik.

    Aller­dings weiß ich nicht, ob mein Wis­sen tot oder rele­vant ist, weil ich den Unter­schied nicht begrif­fen habe. Ist totes Wis­sen nicht ein­fach Wis­sen, das man im Moment nicht zur Ver­knü­fung brau­chen kann – das aber doch jeder­zeit rele­vant wer­den kann?

  • Ich glau­be, dass es um den Aus­gangs­punkt der Dis­kus­si­on geht. 

    Wenn ich Che­mie – und das ist viel­leicht wirk­lich ein Tick von Maik Riecken – bei­brin­gen möch­te, brau­che ich ein Vor­stel­lung davon, wo spä­ter in der Ober­stu­fe die Rei­se hin­geht (auch schon in der 6. Klas­se). Totes Wis­sen (hört sich wirk­lich abwer­tend an) ist dann z.B. der Mecha­nis­mus der Can­ni­za­ro-Reak­ti­on (ich habe viel über Mecha­nis­men im Stu­di­um gelernt…). Rele­van­tes Wis­sen wäre für mich z.B. das Basis­kon­zept Akzep­tor-/Do­na­tor, was man in Che­mie-Lehr­bü­chern sehr sel­ten strin­gent und mit Vogel­blick fin­det – das fängt jetzt erst an, doku­men­tiert und genutzt zu wer­den. Spä­ter kann man sogar die Can­ni­za­ro-Reak­ti­on wie­der in ein Basis­kon­zept ein­glie­dern – iso­liert ist das Wis­sen über die­sen Mecha­nis­mus für die Schu­le „tot“.
    Beliebt ist in natur­wis­sen­schaft­li­cher Lite­ra­tur auch der Satz: „Wie man leicht sieht, gilt…“ Da fängt aber genau Schu­le für mich an. 

    Wenn ich ganz fair bin, muss ich sagen, dass ich für die Schu­le rele­van­tes Wis­sen wäh­rend des Stu­di­ums in eini­ge Prak­ti­ka erlangt habe, wo wir stumpf Ver­su­che auf­ge­baut haben und in einem, ande­ren Prak­ti­kum einen Expe­ri­men­tal­vor­trag vor Publi­kum pla­nen und durch­füh­ren müs­sen. Die für die Schu­le wich­ti­gen Ver­su­che waren zwar kaum dabei, aber das dabei erlern­te Hand­werk ist mitt­ler­wei­le Gold wert und damit rele­vant. „Wie, das hast du in der Pau­se aufgebaut?“

    In den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten – bei mir Deutsch und Phi­lo­so­phie (Phi­lo­so­phi­kum) – liegt der Fall grund­le­gend anders, weil ich da den rich­ti­gen Pro­fes­so­ren begeg­net bin…

  • Ich sehe das auch eher so wie Herr Rau – wobei bei mir das Stu­di­um noch eine gerin­ge­re Rol­le spielt, da ich nach dem Vor­di­plom nicht mehr in die Vor­le­sun­gen gegan­gen bin (vor­her wuss­te ich nicht, dass das erlaubt ist :) ).
    Bei mir sind Bücher die Wis­sens­trä­ger Num­mer 1 – sie machen nach Csik auch noch glück­lich – das ist doch wunderbar.
    Den rich­tig tie­fen Aus­tausch über alle mög­li­chen The­men fin­de ich auch eher auf Blogs – im Leben 1.0 nur sehr sel­ten – aber manch­mal auch.
    Wer aber im Leben kein Auto­di­dakt war kann wohl Unschoo­ling nicht ver­ste­hen – denn bevor man sich Gesprächs­part­ner sucht steht immer die Erar­bei­tung des Stoffes.

    Hier noch ein Link, wie Unschoo­ling funk­tio­niert, viel­leicht erklärt das ein paar Dinge.
    http://freiebildung.wordpress.com/2009/05/10/wie-funktioniert-unschooling-faq/

    (Ich bin übri­gens kein Home­schoo­ler, son­dern ein Unschoo­ler – da ist ein rie­sen Unter­schied – wäh­rend Home­schoo­ler die Bil­dung von oben demo­kra­ti­sie­ren und sich selbst zu „Agen­ten“ machen stül­pen Unschoo­ler die Hier­ar­chie um. Bil­dung kommt hier von Unten)

  • Wer aber im Leben kein Auto­di­dakt war“

    Das ist eine Gene­ra­li­sie­rung, die der Indi­vi­dua­li­tät des Men­schen in mei­nen Augen nicht gerecht wird.

    Um das noch ein­mal zu präzisieren:
    Im Bereich des­sen, was ich als rele­van­tes Wis­sen bezeich­ne, kann aus­schließ­li­che Auto­di­dak­tik in mei­nem Welt­bild nicht funktionieren.
    Ich habe immens viel auto­di­dak­tisch erwor­ben. Die­ses oft sehr spe­zi­el­le Wis­sen wird aber sehr schnell nicht mehr rele­vant und damit tot sein – weil die Ent­wick­lung zu schnell voranschreitet.
    Übri­gens ist all mein Wis­sen aus dem päd­ago­gi­schen Bereich eben nicht auto­di­dak­tisch, son­dern inter­ak­tiv entstanden.

    denn bevor man sich Gesprächs­part­ner sucht steht immer die Erar­bei­tung des Stoffes.“

    In dem Punkt sind wir also gar nicht so weit aus­ein­an­der, obwohl ich da auch ande­re Model­le zulas­sen und den­ken kann. 

  • Hal­lo Maik,
    was meinst Du mit Gene­ra­li­sie­rung? Ich kann mir ein­fach nicht vor­stel­len, dass jemand, der sagt „Auto­di­dak­tik kann ich nicht.“ jemals Unschoo­ling ver­ste­hen will. Viel­leicht ken­ne ich aber ein­fach noch nicht genug Unschooler.
    Mit Dei­ner Rela­ti­vie­rung das „auto­di­dak­ti­sches Wis­sen zu schnell stirbt, weil die eige­ne Ent­wick­lung zu schnell vor­an­schrei­tet“ bin ich aber schon eher ein­ver­stan­den. Aller­dings ist die­ses Wis­sen dann doch nicht tot, son­dern hat neu­em Wis­sen den Weg geebnet.

    Auto­di­dakt schließt auf der ande­ren Sei­te Inter­ak­ti­vi­tät doch nicht aus – nur man bestimmt selbst die Zeit­punk­te der Inter­ak­ti­vi­tät und fügt sie sel­ber ein.


    „Den Gesprächs­part­ner suchen“ habe ich des­we­gen zeit­lich nach der selb­stän­di­gen Aneig­nung von Wis­sen gesetzt, da ich es ein biss­chen respekt­los fin­de, wenn ich mit Leu­ten spre­che, bar jeden Wis­sens. Ohne irgend­ein Wis­sen kann ich auch kein qua­li­fi­zier­tes Inter­es­se haben – da ich ja gar nicht weiß für was.

    Aller­dings glau­be ich auch nicht, dass wir weit aus­ein­an­der sind in der Metho­de der Aneig­nung. Wo wir aber weit aus­ein­an­der sind, ist die Rol­le des Lei­dens und dass Stoff tro­cken ist. Da kann ich nicht mit, das ent­spricht nicht mei­ner Erfah­rung und auch nicht den Bio­gra­phien, die ich kenne.

  • ver­ste­hen will“ soll natür­lich „ver­ste­hen wird“ hei­ßen. Ver­ste­hen wird er viel­leicht schon wollen :)

  • Ver­ste­hen wird er viel­leicht schon wollen“

    Nein, Sun­ny, das geht schon in Ord­nung. Ich will es momen­tan tat­säch­lich nicht verstehen. 

    Punkt 1:
    Ich schrei­be: „Um das noch ein­mal zu präzisieren:
    Im Bereich des­sen, was ich als rele­van­tes Wis­sen bezeich­ne, kann aus­schließ­li­che Auto­di­dak­tik in mei­nem Welt­bild nicht funk­tio­nie­ren.“ Im wei­te­ren Ver­lauf baue ich sogar eine Brü­cke, indem ich sage, dass ich selbst sehr viel auto­di­dak­tisch erwor­ben habe, d.h. rhe­to­risch „hat­test“ du mich damit. 

    Du schreibst: „jemand der sagt ‚Auto­di­dak­tik kann ich nicht.‘ jemals Unschoo­ling ver­ste­hen will.“

    In mei­nen Augen igno­rierst du damit mei­ne Rela­ti­vie­rung, was ich nicht zu deu­ten weiß.

    Punkt 2:
    Bei Nach­fra­gen ver­weist du als Beleg immer wie­der auf dei­ne FAQ – die du aber selbst ver­fasst hast und die in mei­nen Augen zu den meis­ten Fra­gen bzw. Ant­wor­ten kei­ne seriö­sen Bele­ge liefert.

    Damit habe ich in mei­nem per­sön­li­chen Ver­ständ­nis von Wis­sen­schaft­lich­keit ein gro­ßes Problem.

    Gleich­wohl habe ich Sät­ze in der Art „du kannst es nicht ver­ste­hen, du willst es nicht ver­ste­hen“ nie fal­len las­sen. Und wenn doch: Dann ent­schul­di­ge ich mich bei dir dafür.

    Du hast dei­nen Weg für dich und dei­ne Fami­lie gefun­den. Freue dich dar­an und schla­ge dich nicht mit so alten Kritt­lern wie mir her­um :o)…

  • Mein ers­ter Kom­men­tar war über Che­mie in der Schu­le. Ich habe nicht von Unschoo­ling ange­fan­gen. Du hast aber behaup­tet, dass Home­schoo­ler irgend­was essen­ti­el­les nicht hin­be­kom­men (ab einem gewis­sen Niveau).
    Wenn Du Unschoo­ling nicht ver­ste­hen willst, dann sprich auch nicht, was dabei nicht funk­tio­nie­ren kann.
    So kamen wir zu die­sem Dialog.
    Wenn Du nicht drü­ber dis­ku­tie­ren willst, dann ist das voll OK für mich. Wir hat­ten ja eigent­lich schon auf mei­nem Blog abgeschlossen.
    Aber dann unter­stel­le bit­te auch nichts. Che­mie funk­tio­niert super in Unschooling.

    Den­noch fin­de ich es immer inter­es­sant mit Leh­rern zu dis­ku­tie­ren. Sie geben einem Ein­blick in die Schu­le und wie die Schu­le funk­tio­niert. Das sind Ansatz­punk­te Unschoo­ling ste­tig zu ver­bes­sern und die­se Ver­bes­se­run­gen in unse­rer Gemein­schaft zu tei­len. Also sind sol­che „alten Kritt­ler“ doch auch eine Berei­che­rung für uns Unschooler :)

    Ich dan­ke Dir also für das Gespräch und viel­leicht fin­de ich ja mal wie­der was bei Dir, was auch inter­es­sant für Unschoo­ler ist. Ich hof­fe ich darf dann wie­der einen Kom­men­tar hin­ter­las­sen – und wir schwei­gen ein­fach über unse­re ver­schie­de­nen Bildungspräferenzen ;)

  • @Maik
    „Wenn ich Che­mie – und das ist viel­leicht wirk­lich ein Tick von Maik Riecken – bei­brin­gen möch­te, brau­che ich ein Vor­stel­lung davon, wo spä­ter in der Ober­stu­fe die Rei­se hin­geht (auch schon in der 6. Klasse).“
    – Ich sehe das genau­so. Wenn ich eine 9.Klasse über­neh­me, weiß ich exakt, was ich mit den Leu­ten mache, wenn sie bei mir noch im LK 5 Jah­re spä­ter sit­zen. Und alles, was ich in der 9.Klasse ver­mitt­le, hat einer­seits einen sofor­ti­gen Wert (was kön­nen sie gleich damit anfan­gen?) aber es berei­tet auch sehr sys­te­ma­tisch auf das was sie im LK und auch spä­ter in ihrem Leben machen werden.

  • Auch ich habe davon gehört, dass das Inter­es­se von SuS am Fach Che­mie in den letz­ten Jah­ren stark zurück­ge­gan­gen sein soll. Und das, obwohl die che­mi­sche Ana­ly­tik als sol­ches wirk­lich inter­es­sant ist. Man muss eben nur die Grund­la­gen ver­ste­hen, dann ergibt sich der Rest qua­si von selbst.

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