Textformen im Abitur

Im Abitur kommt ja meist nur eine begrenz­te Anzahl mög­li­cher Auf­satz­for­men vor. Das Spek­trum öff­net sich zwar gera­de durch das ver­mehr­te Ein­bre­chen von krea­ti­ven Text­for­men „Schrei­ben Sie eine Rezen­si­on…“, die aber letzt­end­lich nur eine „authen­ti­zi­tier­te“ Form von in der Schu­le ver­mit­tel­ten Grund­for­men dar­stel­len – auch in einer Rezen­si­on muss ich stel­len­wei­se erör­tern oder interpretieren.

Fol­gen­de Auf­ga­be haben mei­ne SuS heu­te erhalten:

Ord­nen Sie die unte­ren, fik­ti­ven Aus­schnit­te einer Auf­satz­form (Inter­pre­ta­ti­on, Ana­ly­se, Inhalts­an­ga­be, krea­ti­ve Auf­satz­form, Erör­te­rung) begrün­det zu:

  1. Der Text glie­dert sich in drei Abschnit­te. Im ers­ten stellt der Autor eine Ana­lo­gie zwi­schen Spra­che und Natur her, indem er die Ent­wick­lung von Spra­che mit der Ent­ste­hung eines Wege­net­zes am einem Uni­ver­si­tätge­län­de ver­gleicht. Dabei ver­wen­det er eine bild­rei­che Spra­che, wobei Tei­le des Bil­des immer mit tat­säch­li­chen Gege­ben­hei­ten ver­knüpft sind. So ste­hen die „ökonomisch gene­rier­ten Wege“ (Z.16) in direk­ter Bezie­hung zu…

  2. Zunächst ist anzu­füh­ren, dass die gebo­te­ne Ana­lo­gie zwi­schen einem Wege­netz und der Ent­wick­lung des Deut­schen unter dem Ein­fluss einer glo­ba­li­sier­ten Welt nicht ohne Wei­te­res halt­bar ist. Zwar könn­te man argu­men­tie­ren, dass „physische Bequemlichkeit“ (Z.5) auch sprach­ge­schicht­lich ein Antrieb für z.B. Laut­ver­än­de­run­gen gewe­sen sind, dabei bleibt aber außer Acht, dass die heu­ti­gen Ein­flüs­se weit über den phy­si­schen Aspekt hin­aus­ge­hen und so man­cher Angli­zis­mus kei­nes­wegs einen sprach­öko­no­mi­schen Fort­schritt bedeu­tet. Oder ist etwa die Lau­tung von „Assessment Center“ für den durch­schnitt­li­chen deut­schen Sprach­ap­pa­rat leich­ter zu rea­li­sie­ren als „Beratungsbüro“?

  3. Der Text möch­te den den Rezi­pi­en­ten vor allem dar­auf sto­ßen, dass Ana­lo­gien ein pro­ba­tes Mit­tel zur Erklä­rung des deut­schen Sprach­wan­dels dar­stel­len. Dazu wird vor allem Wort­ma­te­ri­al aus dem Wort­feld der Natur ver­wen­det. „Weg“, „Blatt“ oder „Baum“ (S.45, Z.12) sind die­sem Wort­feld zuzu­ord­nen. Die­ser Ein­druck ent­steht zusätz­lich durch den orga­ni­schen Satz­bau, der eben­so wie das beschrie­be­ne Wege­netz eine schwer durch­dring­li­che hypo­tak­ti­sche Struk­tur auf­weist, die selbst­re­fle­xiv auf eben­die­ses rekurriert.

  4. Der Text glie­dert sich in drei Abschnit­te. Im ers­ten stellt der Autor eine Ana­lo­gie zwi­schen Spra­che und Natur her, indem er die Ent­wick­lung von Spra­che mit der Ent­ste­hung eines Wege­net­zes am einem Uni­ver­si­tätge­län­de ver­gleicht. Im zwei­ten wird das Behar­ren der deut­schen Sprach­pfle­ger auf der stan­dar­di­sier­ten Schrift­spra­che kri­ti­siert, die sich den neu­en Ent­wick­lun­gen dem Autor nach ver­wei­ger­ten. Sie sähen nicht ein, dass der Pro­zess unauf­halt­sam voranschreite.
  5. Spra­che ist ein Fluss­del­ta. Wie das Was­ser des Ama­zo­nas sich immer neue Arme gräbt, so höhlt auch Spra­che alt­her­ge­brach­te Struk­tu­ren aus, wäscht längst ver­ges­se­ne Find­lin­ge frei und trägt locke­ren Sand weit auf das Meer hin­aus. Spra­che meint Ver­än­de­rung. Spra­che meint Fluss und Fluss ist das eigent­li­che Wesen von Spra­che. Ohne Dyna­mik kei­ne Ver­än­de­rung, ohne Ver­än­de­rung kei­ne Abwechs­lung ohne Abwechs­lung Still­stand im Tode.

Schwie­rig wird es eigent­lich nur bei der Unter­schei­dung zwi­schen Ana­ly­se, Inter­pre­ta­ti­on und Inhalts­an­ga­be. Bei­spiel (2) ist leicht als argu­men­tie­ren­der Text zu erken­nen (selbst das Verb „argu­men­tie­ren“ steht ja dort) und Bei­spiel (5) ahmt offen­sicht­lich in einer Art Par­al­lel­text­form die Tram­pel­pfad­me­ta­pher in einem ande­ren Bild­be­reich nach.

Eine Inhalts­an­ga­be (4) gibt ledig­lich Grund­ge­dan­ken des Tex­tes wie­der. Dabei erfolgt kei­ne Aus­deu­tung mög­li­cher Inten­tio­nen, Fremd­mei­nun­gen wer­den durch distan­zie­ren­de Äuße­run­gen oder die indi­rek­te Rede gekenn­zeich­net. Die Inhalt­anga­be darf mei­ner Mei­nung nach aber durch­aus – genau wie die Ana­ly­se (1) den Text auch in sei­ner grund­sätz­li­chen Struk­tur beschreiben.

Die Ana­ly­se (1) unter­schei­det sich von der Inter­pre­ta­ti­on (3) durch einen – wie der Namen schon sagt – mehr ana­ly­ti­schen Zugang, d.h. der Schwer­punkt liegt mehr dar­auf, sprach­li­che und for­ma­le Beson­der­hei­ten zu erfas­sen und ggf. bereits zu kate­go­ri­sie­ren. Wer in einer Ana­ly­se viel sieht und z.B. auch eher sel­te­ne Stil­fi­gu­ren nach­weist, wird hier überzeugen.

Eine Inter­pre­ta­ti­on (3) ist durch eine tra­gen­de Hypo­the­se gestützt und ver­bin­det Form und Inhalt. Eine Schü­le­rin sag­te heu­te, dass eine Inter­pre­ta­ti­on  im Gegen­satz zur Ana­ly­se den Schwer­punkt auch auf Aspek­te legt, die im Text nicht dezi­diert vor­han­den sind. Ein Oxy­mo­ron bleibt ein Oxy­mo­ron, aber ein Oxy­mo­ron kann in Text A eine ande­re Funk­ti­on als in Text B auf­wei­sen, ist eben kon­tex­tu­ell interpretierbar.

Ach­ja – in Rein­form ist für mich kei­ne außer der krea­ti­ven Auf­satz­form authen­tisch, son­dern schu­lisch. Den­noch hal­te ich das Ein­üben die­ser Rein­for­men für wich­tig, da nur ein star­kes Ske­lett einen Kör­per letzt­end­lich trägt.  Ober­stu­fen­un­ter­richt bedeu­tet für mich, die­se Rein­for­men den Fähig­kei­ten des jewei­li­gen Schülers/der jewei­li­gen Schü­le­rin anzu­pas­sen, sprich zu „authen­ti­zi­tie­ren“.

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