Was wir in Bezug auf Technisierung nach Corona an Schulen sehen werden

Twit­ter ist ein Bla­se. Mein Land­kreis ist eine Bla­se. For­schungs­pro­jek­te im Bereich der Didak­tik sind lei­der auch oft Bla­sen (hier die Tech­ni­sie­rungs­pro­ble­ma­tik). In der einen Bla­se wird z.B. gefei­ert, dass man jetzt über Auf­ga­ben­mo­du­le Schüler*innen Mate­ri­al bereit­stel­len kann.

Und es gibt ers­te Ten­den­zen: Mein Ältes­ter (hin­rei­chend über Jah­re von mir indok­tri­niert), prognostizierte:

Dem­nächst wer­den Lehr­kräf­te Auf­ga­ben­mo­du­le auch nach den coro­nabe­ding­ten Schul­schlie­ßun­gen wei­ter­nut­zen. Dann gibt es kei­ne Chan­ce mehr, Auf­ga­ben nicht recht­zei­tig auf­zu­ge­ben oder nicht zu erledigen!“

Schon ziem­lich am Anfang der Nut­zung von Auf­ga­ben­mo­du­len kam bei eini­gen Lehr­kräf­te hier im Land­kreis der Wunsch auf, gestell­te tech­ni­sier­te Auf­ga­ben jetzt effek­tiv zu archi­vie­ren – samt Schüler*innenlösungen. Und das ist mehr als nachvollziehbar.

Die Reak­ti­on der Twit­ter­bla­se auf sol­che Ent­wick­lun­gen ist vor­her­seh­bar: „Tech­nik als Kon­troll­in­stru­ment!“ „Das an Schu­le tech­ni­sie­ren, was am ehes­ten zu tech­ni­sie­ren geht!“ Alles böse.

Aber auch eine Fra­ge der Per­spek­ti­ve. Ich bin unglaub­lich froh dar­über und ste­he stau­nend davor, wie sich jetzt durch Tech­ni­sie­rung des Unter­richts, Bedien- und Anwen­dungs­kom­pe­ten­zen bei deut­lich mehr Kolleg*innen ent­wi­ckeln – wie Fra­gen kom­men, die bis­her nie eine Rele­vanz hat­ten im All­tag. Von da aus wird der Schritt zur Digi­ta­li­sie­rung kleiner.

Auf der ande­ren Sei­te wird durch Tech­ni­sie­rung auch recht bru­tal trans­pa­rent, wie Unter­richt von Lehr­kräf­ten gedacht wird und wel­che Rol­len Schüler*innen dabei ein­neh­men. Anhand von Auf­ga­ben­for­ma­ten und metho­di­schen Vor­ge­hen las­sen sich u.U. gan­ze Men­schen­bil­der vermuten.

Auf der einen Sei­te wird Unter­richt durch Tech­ni­sie­rung „doku­men­tier­ba­rer“, vor­der­grün­dig „objek­ti­ver nach­prüf­bar“ („Wer hat wann und über­haupt abge­ge­ben?“). Das ist kein Prin­zip, was auf Auf­ga­ben­mo­du­le beschränkt ist. So erzähl­te mir letz­tens ein Schulleitungsmitglied:

Seit Ein­füh­rung des tech­ni­sier­ten Klas­sen­buch sind die Kopf­no­ten aller unser Schüler*innen viel schlech­ter geworden!“

Auf der ande­ren Sei­te gilt das natür­lich auch für die Arbeit der Lehr­kräf­te: Es ist leicht nach­prüf­bar, wer wie vie­le Auf­ga­ben gestellt und auch kor­ri­giert hat. Oder wie vie­le E‑Mails ver­schickt wur­den. Dafür braucht es ledig­lich ein paar Skrip­ten und Log­file­aus­wer­tun­gen. Sagt das etwas über Qua­li­tät von Arbeit aus?

Und die­se Ansät­ze schei­nen für man­che Schul­lei­tun­gen gar nicht so abwe­gig zu sein. Durch Tech­ni­sie­rung kön­nen Leis­tun­gen von Schüler*innen und Lehr­kräf­ten glei­cher­ma­ßen doku­men­tiert und aus­ge­wer­tet wer­den. Mitarbeiter*innen eini­ger Kon­zer­ne ken­nen das schon.

Durch Tech­ni­sie­rung bil­den sich Vor­aus­set­zun­gen für digi­ta­li­sier­tes Arbei­ten. Die­ses kann auch ganz los­ge­löst von als Tech­nik bezeich­ne­ter Tech­nik funk­tio­nie­ren – man­che Din­ge sind dann bloß erheb­lich aufwändiger.

Was ist für mich der Unter­schied zwi­schen Tech­ni­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung? In einer Fort­bil­dung habe ich ver­sucht, das schlag­licht­ar­tig in zwei Sät­ze zu pressen:

  • Digi­ta­le didak­ti­sche Set­tings ermög­li­chen Schüler*innen, ihre eige­nen Struk­tu­ren zu finden.
  • Digi­ta­le didak­ti­sche Set­tings ermög­li­chen, die die bereits vor­han­de­nen Kom­pe­ten­zen der Schüler*innen nut­zen und sicht­bar wer­den lassen.

In der Pha­se der coro­nabe­ding­ten Ein­schrän­kun­gen des Schul­be­triebs hel­fen der­ar­ti­ge Set­tings, nicht zur „Kor­rek­tur- oder Aus­füll­ma­schi­ne“ zu ver­kom­men – Schüler*innen und Lehr­kräf­ten gleichermaßen.

Das alles geht tech­ni­siert, z.B. mit kol­la­bo­ra­ti­ven Schreib­werk­zeu­gen – aber auch – eben­falls tech­ni­siert, nur eben anders tech­ni­siert – mit einem Pla­kat oder Schuh­kar­ton. Ent­schei­dend ist das Setting.

Und ein: „Lass doch mal zu, dass dei­ne Schüler*innen die Argu­men­te im Ether­pad nach Gewich­tig­keit selbst ord­nen!“ ist viel schwie­ri­ger, als wie gewohnt zu Hau­se ein Ether­pad vor­struk­tu­riert vor­zu­be­rei­ten, wie man es von einem Tafel­bild gewohnt ist.

Die digi­ta­le Tech­nik ist meist das viel klei­ne­re Problem.

Ent­schei­dend ist für mich das „sowohl – als auch“. Instruk­ti­ve Pha­sen kön­nen Kom­pe­tenz­ent­wick­lung durch­aus posi­tiv beein­flus­sen – wenn ich hin­ter­her aus einer Meta­per­spek­ti­ve mit Schüler*innen dar­auf schaue: „Das war jetzt ein gän­gi­ger Ansatz! Der ermög­licht das und das. Habt ihr Ideen für ande­re Ansät­ze?“ (Wie könn­te man das Tafelbild/die Prä­sen­ta­ti­on viel­leicht noch gestalten?).

Tech­ni­sie­rung“ hal­te ich für eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für „Digi­ta­li­sie­rung“. Wenn Tech­ni­sie­rung durch eine digi­ta­le Ziel­per­spek­ti­ve unter­mau­ert ist, fin­de ich sie ganz erträg­lich und hel­fe auch sehr ger­ne auf die­ser Ebe­ne. Das macht mir inhalt­lich über­haupt kei­nen Spaß. Aber ich ler­ne viel durch die Begeg­nun­gen mit Men­schen dabei.