Riecken und die Verlage – Teil 3
Auf netzpolitik.org gab es gestern interessantes Material über einen geplanten „Schultrojaner“ zu lesen. Hier noch einmal in aller Kürze der bisher bekannte Sachverhalt:
- Es gibt einen Vertrag zwischen den Kultusministern der Länder und dem Dachverband der Schulbuchverlage.
- 1% der Schulen sollen mit einer Software ausgestattet werden, die innerhalb des Schulnetzwerks automatisch urheberrechtlich geschütztes Material ausfindig macht
- UPDATE: Die dabei gefundenen Daten werden an den Schulträger(!) übermittelt (der ist nicht der disziplinarisch Vorgesetzte) -
- Der Dienstherr soll durch disziplinarische Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass dem Urheberrecht an Schulen genüge getan wird
Darüber war auf den üblichen Plattformen und auch in der Blogossphäre viel Empörung zu lesen und auch sinngemäß Sätze wie:
- Schulbuchverlage sind in der neuen Wissensgesellschaft überflüssig.
- Schulbuchverlage verdienen keinen Dialog.
- Schulbuchverlage produzieren minderwertiges Material
- Schulbuchverlage verdienen sich auf Kosten der Allgemeinheit dumm und dämlich
Das Feindbild steht also fest – oftmals generalisiert, pauschal, extrem. Ich hoffe inständig, dass dieses Verhalten nicht die oft proklamierte „neue Wissensgesellschaft“ repräsentiert. Auch ich habe Probleme mit Verlagen. Ich möchte bloß gerne zwischen „Verlag“ und „Verhalten von Verlagen“ differenzieren.
Der 1. Skandal
Das mit dem Schultrojaner verbundene Verhalten verdient extreme Reaktionen. Hier nimmt Privatwirtschaft öffentliche Institutionen in die Pflicht, für Konsequenzen in zivilrechtlichen Fragen zu sorgen. Das ist der erste Skandal.
Ich bin Administrator eines Schulnetzwerks. Würde ich angewiesen, diese Software auf Schulsystemen zu installieren, wäre diese Anweisung wahrscheinlich rechtswidrig. Dem Disziplinarverfahren gegen mich aufgrund meiner Weigerung sähe ich gelassen entgegen. Alternativ würde mich das zur Einleitung einer Dienstaufsichtsbeschwerde zwingen.
Es wird schon allein deswegen rechtswidrig sein, weil natürlich Vereinbarungen bezüglich dieser Überwachung mit den Personalvertretungen der Lehrkräfte getroffen werden müssten, damit „Verstöße“ überhaupt disziplinarrechtlicht geahndet werden könnten. Die Personalvertretung verdiente ihren Namen nicht, wenn sie sich darauf einließe, staatliche Institutionen zur Durchsetzung zivilrechtrechtlicher Interessen der Privatwirtschaft zu funktionalisieren.
Die Verlage müssten eigentlich direkt gegen ihre „Kunden“ vorgehen – das ist natürlich problematisch für den Umsatz. Der Schultrojaner, der technisch keiner ist und den es noch nicht einmal geben dürfte, scheint da der „bessere“ Weg zu sein – der nun tobende Shitstorm dürfte die Marketingabteilungen wahrscheinlich etwas beschäftigen.
Der 2. Skandal
Der zweite Skandal würde darin bestehen, dass mein Dienstherr seinen Sorgfalts- und Fürsorgepflichten mir gegenüber nicht nachkäme, wenn er tatsächlich einen Vertrag unterzeichnet, der potentiell rechtswidrige Formulierungen und Bedingungen enthält. Von mir als Beamter werden stets akkurate Befolgung der gesetzlichen Vorgaben erwartet und eben Loyalität – die funktioniert aber nur, wenn sie zweiseitig angelegt ist. Mir liegen keine gesicherten Informationen darüber vor, wie sich mein Dienstherr tatsächlich verhalten hat und wie die diskutierten Passagen des Vertrages tatsächlich rechtlich zu bewerten sind.
Technische Betrachtungen
Da es für die Kopie in Papierform mittlerweile recht liberale und pragmatische Regelungen gibt – und auch pauschale Vergütungssätze für die Verlage, muss ein Schultrojaner es vor allen Dingen auf digitalisierte Buchseiten und Arbeitsblätter sowie nicht lizensierte Verlagssoftware „abgesehen“ haben. Während letztere durch recht einfache Heuristiken zu erkennen sein dürfte, sieht das bei digitalisierten „Papieroriginalen“ schon ganz anders aus, denn:
- Wie soll ein solches Programm Verlagsinhalte „sicher“ erkennen, ohne wahllos alle Dateien einem „Deep“-Scan zu unterziehen, der zusätzlich auch noch auf OCR-Mechanismen zurückgreifen müsste?
- Wie soll ein solches Programm „unlizensiertes Material“ melden?
- Wie soll ein solches Programm in heutigen Schulnetzen zwischen Privatgeräten mit Ordnerfreigaben und Schulrechnern unterscheiden?
- Ist die Datei auf des Festplatte des Schulkopierers eine unlizensierte „digitale Kopie“? (Das Ding müsst ihr euch echt mal ansehen…)
- usw.
Schlussendlich: Wie kann ein solches Programm im Einklang mit geltenden Datenschutzrichtlinien überhaupt arbeiten?
Unqualifizierter Seitenhieb: Den Datenschutz wollen ja viele sowieso abschaffen – das Problem bestünde dann natürlich nicht…
Warum ich Verlage als Institution nicht so generell doof finden kann
- Auch eine utopische Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen basiert auf Formen von Wertschöpfung, gerade in einer globalisierten Welt
- Nicht jeder gute Autor ist in der Lage, selbst im Netz geeignete Strategien zu finden, um seine wirtschaftliche Existenz zu sichern, bzw. Wertschöpfung für eine auf bedingungslosem Grundeinkommen basierende Gesellschaft zu betreiben.
- Nicht das gesamte Material in den Backlisten von Verlagen ist völlig ungeeignet und schlecht – als Steinbruch taugt z.B. auch unvollkommenes Material
- Nicht jeder Verlag legt tyrannisch fest, was zu lernen ist. Ich beobachte zurzeit im Bereich des Unterrichtsmaterials eine Flexibilisierung und Diversifizierung – weil der Wissenskanon eben nicht durch Verlage, sondern vielmehr durch Curriculumskommissionen vorgegeben wird. Das wird m.E. das „trojanische Pferd“ für Veränderungen in der Schulbuchverlagslandschaft werden.
- Es gibt Verlage, die mich fair behandelt haben. Das waren kleine, engagierte Unternehmen mit Netzaffinität und neuen Ideen für die eigene Wertschöpfung.
- Mir macht das inhaltliche Niveau von manchen Diskussionsprozessen im Netz schon sehr viel Sorge – z.B. beobachte ich, dass bei der Bewertung netzpolitischer Themen (z.B. Datenschutz, Facebook) oftmals m.E. völlig naiv und selektiv diskutiert wird, indem man sich das aus Texten heraus liest, was man sofort und ohne Mühe versteht – wer hat sich schon intensiv mit den Wiresharkprotokollen zu den Facebookcookies auseinandergesetzt? Da wäre aufbereitetes Material von den oft ach so verpönten Experten manchmal nicht schlecht, um auch als Laie zu wissen, wovon ich da eigentlich rede – ich könnte das verstehen, aber ich habe nicht die Zeit dafür… Die kaufe ich mir halt. Dabei können Verlage z.B. durch Lektoratsdienstleistungen durchaus helfen.
- usw.
Mir gefällt vieles nicht an (Groß-)Verlagen. Ich habe aber auch nichts dagegen, dass sie Wertschöpfung betreiben, z.B. für mein Grundeinkommen. Im Web2.0 werden ja auch in freundschaftlicher Atmosphäre z.B. Kurse vertickt, für deren Inhalte man bezahlt. Die Verlage haben viel versäumt – z.B. sich zu überlegen, wie ihre eigene Wertschöpfung in der digitalen Welt funktionieren kann, wie sie faire Autorenverträge hinbekommen, die motivieren, wie sie… 999 Punkte, die es zu diskutieren gilt und die eng miteinander verknüpft sind. Aber ob wir sie nicht mehr brauchen in der „Wissensgesellschaft“? Wer weiß das? Ich zumindest nicht. Meine Glaskugel scheint im Gegensatz zu anderen Glaskugeln einfach nur kaputt zu sein.