Getrennt- und Zusammenschreibung – meine Kapitulation

Nach der Reform der Recht­schreib­re­form bin ich als Lehr­kraft stark ver­un­si­chert, wie das mit der Getrennt- und Zusam­men­schrei­bung im Deut­schen jetzt wirk­lich und schluss­en­dich gehand­habt wer­den soll. Weil ich so unsi­cher bin, fal­le ich per­sön­lich immer wie­der auf das Lexi­kon zurück, d.h. ich muss Din­ge eben dezi­diert nach­schla­gen. Die dies­jäh­ri­gen Abitur­kor­rek­tu­ren zei­ge eigent­lich, dass ich mit mei­nem Lei­den da nicht allein bin. Und jetzt soll ich von Schü­le­rin­nen und Schü­ler laut des haus­in­ter­nen Cur­ri­cu­lums ver­lan­gen, dass sie in die­sem Bereich ein Dik­tat schrei­ben. Mei­ne Lösung: Ich beschrän­ke mich im ers­ten Schritt auf sehr weni­ge Regeln:

  1. Im Regel­fall wird getrennt geschrieben.
  2. Aus­nah­me 1: Liegt eine Nomi­na­li­sie­rung vor, schreibt man zusam­men („das Schrei­ben­ler­nen macht Spaß“)
  3. Aus­nah­me 2: Liegt eine über­tra­ge­ne Bedeu­tung vor, schreibt man zusam­men (alle Pro­ben mit z.B. „Stei­ger­bar­keit des Adjek­tivs in Zusam­men­set­zun­gen“ die­nen eigent­lich nur dazu, her­aus­zu­fin­den, ob eine über­tra­ge­ne Bedeu­tung vorliegt)
  4. Aus­nah­me 3: Für vie­le klei­ne Zusam­men­set­zun­ge grei­fen u.U. die Regeln 1–3 nicht. Die­se sind zu lernen.

Ins­be­son­de­re die Fra­ge, ob eine über­tra­ge­ne Bedeu­tung vor­liegt, führt immer wie­der zu Grenz­fäl­len. Die Unter­schei­dung von „sit­zen blei­ben“ (auf dem Stuhl ver­har­ren) oder „sit­zen­lei­ben“ (die Klas­se wie­der­ho­len) ist da noch rela­tiv ein­gän­gig. Bei „hoch­be­gabt“ erschließt sich mir die Aus­nah­me der Zusam­men­schrei­bung nicht.

Arbeit mit dem Lexi­kon ist immer ner­vig. Außer­dem ist schwer zu ent­schei­den, wel­ches Wort nun wirk­lich rele­vant für die tat­säch­li­che Anwen­dung beim Schrei­ben ist. Daher habe ich die Wort­lis­te für Regel 4 von den Schü­le­rin­nen und Schü­lern selbst erstel­len las­sen und zwar so:

Suche auf http://www.korrekturen.de nach Pro­blem­fäl­len der Getrennt- und Zusam­men­schrei­bung für den dir zuge­wie­se­nen Buchstaben(bereich). Beschrän­ke dich dabei auf Wör­ter, die du auch schon in dei­nen Auf­sät­zen gebraucht hast oder von dene du denkst, dass sie häu­fig in Tex­ten vor­kom­men. Schrei­be sie in einem Blog­ein­trag unter­ein­an­der. Sind meh­re­re Schrei­bun­gen erlaubt, tren­ne sie durch einen Schrägstrich!“

Jeder Schü­ler bekam einen oder meh­re­re Buch­sta­ben zuge­wie­sen und klick­te sich dann durch die Wort­lis­te auf korrekturen.de. Die Ergeb­nis­se habe ich dann im Unter­richts­blog als Bei­trag sam­meln las­sen – schö­ner wäre hier tat­säch­lich ein vor­be­rei­te­tes Ether­pad, um z.B. Dop­pe­lun­gen von vorn­her­ein zu vermeiden.

Wenn Tablets in der Schu­le vor­han­den sind, gin­ge es auch damit ganz gut, so sel­bi­ge Mul­ti­tas­king beherr­schen. Das kann man mit iPads dadurch simu­lie­ren, dass man Part­ner­ar­beit macht: Einer klickt sich durch die Web­sei­te und einer trägt ins Ether­pad ein.

Über das Ergeb­nis habe ich dann noch ein­mal drü­ber­ge­schaut und dann eine Wort­lis­te sor­tiert nach Anfangs­buch­sta­ben erstellt – die kann man hier als PDF her­un­ter­la­den (Ach­tung! Ohne Gewähr auf Korrektheit!).

Den Abschluss bil­de­te wie­der ein Dik­tat mit fol­gen­dem Wortlaut:

Ein Tag in Hamburg

All­zu sehr hat­te sich die Klas­se 8a auf die­sen Tag in Ham­burg gefreut, was Herr Riecken schon sehr früh wahr­ge­nom­men hat­te. Inwie­fern der Aus­flug aber so ein Erfolg wer­den wür­de, war vor­her nicht im Ansatz abzuschätzen. 

Die Klas­se ver­stand es, durch Dis­zi­plin und Anstand ihrem Leh­rer und den bei­den beglei­ten­den Eltern die Auf­ga­be der Auf­sicht an die­sem Tag leicht­zu­ma­chen / leicht zu machen. Herr Riecken freu­te sich vor allem auch dar­über, dass sich die Schü­le­rin­nen und Schü­ler durch die schwe­ben­den Klein­künst­ler auf den Elb­brü­cken so beein­dru­cken lie­ßen. Bei der Bestei­gung des Michels konn­te er es in der Rück­schau nicht wun­der­neh­men, dass die Lern­grup­pe nicht voll­stän­dig begeis­tert war. Die Anstren­gung beim Trep­pen­stei­gen war gera­de für die zart­be­sai­te­ten Klas­sen­mit­glie­der schon eine ech­te kör­per­li­che Her­aus­for­de­rung. Von vorn­her­ein war aber klar, dass das Wun­der­land eine Ach­tung gebie­ten­de / ach­tung­ge­bie­ten­de Sze­ne­rie preis­ge­ben wür­de. Lei­der war dort zur­zeit der Ita­li­en­teil der Anla­ge nicht zu besich­ti­gen. Zu guter Letzt ging es mit der Elb­fäh­re 62 Rich­tung Fin­ken­wer­der. Der Kapi­tän des Schif­fes warn­te erst vor mög­li­cher Näs­se auf dem Son­nen­deck. Das woll­te ange­sichts des schö­nen Wet­ters aber nie­mand rich­tig ernst neh­men. Die­ses Mal soll­te sich das jedoch als Fehl­ein­schät­zung erwei­sen. Infol­ge­des­sen wur­de der eine oder ande­re klatschnass.

… dar­in kom­men dann tat­säch­lich nur die Wör­ter aus de Bereich der Getrennt- und Zusam­men­schrei­bung vor, die sich auch auf der Lis­te befinden.

 

Die Welt muss romantisiert werden!

Die Welt muß roman­ti­siert wer­den. So fin­det man den ursprüng­li­chen Sinn wie­der. Roman­ti­sie­ren ist nichts, als eine qua­li­ta­ti­ve Poten­zie­rung. Das nied­re Selbst wird mit einem bes­sern Selbst in die­ser Ope­ra­ti­on iden­ti­fi­ziert. (…) Indem ich dem Gemei­nen einen hohen Sinn, dem Gewöhn­li­chen ein geheim­nis­vol­les Ansehn, dem Bekann­ten die Wür­de des Unbe­kann­ten, dem End­li­chen einen unend­li­chen Schein gebe so roman­ti­sie­re ich es. (Nova­lis)

So ein Dich­ter und Theo­re­ti­ker der roman­ti­schen Lite­ra­tur­epo­che. Den­ken wir heu­te an Roman­tik, mei­nen wir meist so etwas:

titt­tel / pixelio.de

Ein Roman­ti­ker der Epo­che konn­te aber auch so etwas damit meinen:

Gerd Alt­mann / pixelio.de

Geblie­ben von dem Begriff  „Roman­tik“ ist eigent­lich nur die „Ker­zen­schein – Son­nen­un­ter­gang – Säu­sel­mu­sik – Natur – Lie­bes­paar“- Kon­no­ta­ti­on. Wie pas­sen bei­de Bil­der zusammen?

Die Lösung liegt für mich in dem Begriff „ver­rückt“, der ja vom Wort­sinn her nicht ande­res bedeu­tet als etwas von dem ange­stamm­ten Platz weg­zu­rü­cken. Genau das machen wir, wenn wir uns zu zweit eine Ker­ze anzün­den, schö­ne Musik lau­fen las­sen oder bei Son­nen­un­ter­gang im Som­mer an den Strand gehen: Wir geben einer ganz gewöhn­li­chen All­tags­si­tua­ti­on („zwei Men­schen unter­hal­ten sich“) – Nova­lis sagt: „Dem Gemei­nen“ – einen höhe­ren Sinn, indem wir etwas schaf­fen wol­len, an das man sich erin­nert. „Gehen sie doch mal wie­der mit ihrer Frau schön essen“ – da ist sie, die For­de­rung nach der „Wür­de des Unbe­kann­ten“. Max Frisch hat auf sei­ne Wei­se gesagt, wie wich­tig die­se Wür­de für roman­ti­sche Bezie­hun­gen ist.

Es ist bemer­kens­wert, daß wir gera­de von dem Men­schen, den wir lie­ben, am min­des­ten aus­sa­gen kön­nen, wie er sei. Wir lie­ben ihn ein­fach. Eben dar­in besteht ja die Lie­be, das Wun­der­ba­re an der Lie­be, daß sie uns in der Schwe­be des Leben­di­gen hält, in der Bereit­schaft, einem Men­schen zu fol­gen in allen sei­nen mög­li­chen Ent­fal­tun­gen. Wir wis­sen, daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie ver­wan­delt fühlt, wie ent­fal­tet, und daß auch dem Lie­ben­den sich alles ent­fal­tet, das Nächs­te, das lan­ge Bekann­te. Vie­les sieht er wie zum ers­ten Male. Die Lie­be befreit es aus jeg­li­chem Bild­nis. Das ist das Erre­gen­de, das Aben­teu­er­li­che, das eigent­lich Span­nen­de, daß wir mit den Men­schen, die wir lie­ben, nicht fer­tig­wer­den; weil wir sie lie­ben, solan­ge wir sie lie­ben. (Max Frisch)

Die Roman­tik ver­engt ihr Prin­zip des „ver-rückens“ nicht wie wir heu­te auf das Wort­feld Lie­be / Natur. Die Roman­tik ist die Epo­che der Schau­er- und Detek­tiv­ge­schich­ten eben­so wie die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Tie­fen unse­res Geis­tes, die bis in den Wahn­sinn füh­ren kann. Durch das lite­ra­ri­sche Rin­gen mit Phä­no­me­nen wie Geis­tes­krank­hei­ten, z.B. in den Novel­len E.T.A. Hoff­manns, wei­tet die Roman­tik den Blick auf aus einer All­tags­sicht „ver-rück­te“ Din­ge. Das Prin­zip ist das glei­che wie bei unse­rem Abend am Strand. Die Welt ist „ver-rückt“ – in einem auf­ge­klär­ten Umfeld darf genau das nicht sein.  Und noch heu­te pral­len die Geis­tes­hal­tun­gen von Auf­klä­rung und Roman­tik auf­ein­an­der. Gut so.

Denn mei­ner Mei­nung nach brau­chen bei­de Prin­zi­pi­en ein­an­der. Ohne den auf­ge­klär­ten Geist ent­steht wahr­schein­lich nicht das Bedürf­nis nach etwas, was jen­seits des Ver­stan­des liegt. Ohne das Land hin­ter dem Ver­stand hät­te der Geist gera­de bei der Erfor­schung des mensch­li­chen Daseins wahr­schein­lich nicht genug, um zu einer nüch­ter­nen Ana­ly­se zu kommen.