Vom Mythos des Ankommens

Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag habe ich wäh­rend einer lang­wei­li­gen Auto­bahn­fahrt ein Inter­view mit dem Schau­spie­ler Meh­met Kur­tu­luÅŸ zu sei­nem Debüt als neu­er Tat­ort­kom­mis­sar in Ham­burg gehört. Sei­ne Stim­me war mir aus einem mei­ner Lieb­lings­fil­me „Im Juli“ – dort spiel­te er die Figur „Isa“ – nicht mehr ganz geläu­fig, stand in ihrer Sanft­heit gar im Wider­spruch zu dem Bild, was ich bis­her von die­sem Schau­spie­ler hat­te, aber eine Idee, einen Gedan­ken, den er in die­sem Rah­men äußer­te, beschäf­tigt mich doch ein wenig mehr:

Er sprach davon, dass jeder Mensch sei­nen eige­nen Mythos besitzt, qua­si die auf zwei bis drei Wor­te redu­zier­te Essenz sei­nes Daseins. Sei­ner Ansicht nach ist Kea­nu Ree­ves etwa der „Lucky Guy“ (der glücks­be­seel­te Jun­ge), der  allen noch so gro­ßen Gefah­ren ent­kommt und stets die Frau mit der berühm­ten us-ame­ri­ka­ni­schen Hand­voll mit nach Hau­se nimmt (der letz­te Neben­satz kommt dabei aller­dings von mir). Die­ser per­sön­li­che Mythos bestim­me das Leben und Wir­ken von uns allen.

Ich habe auf die­ser Rück­fahrt noch etwas gehört, was sich mit die­sem Gedan­ken ver­bin­den lässt.

Ich war­te schon so lan­ge, auf den einen Moment.
Ich bin auf der Suche, nach 100%
Wann ist es end­lich rich­tig? Wann macht es einen Sinn?
Ich wer­de es erst wis­sen, wenn ich ange­kom­men bin!
Ich will sagen:
So soll es sein, so kann es bleiben!
So hab ich es mir gewünscht!
Alles passt per­fekt zusam­men, weil end­lich alles stimmt!
Und mein Herz gefan­gen nimmt!
Der von Meh­met Kur­tu­lus beschrie­be­ne Mythos erweckt den Anschein der Unver­än­der­bar­keit, wobei das Lied von Ich&Ich vom Ankom­men spricht. Wenn ich per­sön­li­che Mythen kon­sta­tie­re, neh­me ich auch eine Set­zung des „Ange­kom­men­seins“ vor: Die­ser Mensch ist halt der „Lucky Guy“. Ankom­men ist wahr­schein­lich ein ganz star­ker Wunsch im mensch­li­chen Dasein, weil anders z.B. die Suche von so vie­len nach dem per­fek­ten Part­ner nicht zu erklä­ren ist. Ande­rer­seits möch­te kaum jemand sich auf einen per­sön­li­chen Mythos fest­ge­legt wis­sen, d.h. „ange­kom­men wer­den“ – wer möch­te z.B. schon ger­ne z.B. „die frus­trier­te Frau“ oder „der not­gei­le Mann“ sein und den­noch gibt es Men­schen, die die­sen per­sön­li­chen Mythos in sich tragen.
Das Wort „Mythos“ ist ein sehr gro­ßes und wird in vie­len ver­schie­de­nen Kon­tex­ten ver­wandt. Wenn wir ein­mal eine lang­läu­fi­ge Defi­ni­ti­on neh­men, dass der Mythos die gesam­mel­ten Geschich­ten eines Vol­kes mit allen unbe­wuss­ten Ängs­ten umfasst, muss man fest­stel­len, dass Mythos kei­nes­wegs etwas Sta­ti­sches ist. Ein gutes Bei­spiel dafür ist das Got­tes­bild, wel­ches gera­de auch im christ­li­chen Glau­ben durch die Zeit ver­mit­telt wird: Akzep­tier­te der Gott der alten Tes­ta­ments noch Men­schen­op­fer, waren es bald bereits Tie­re bis hin zu der Tat­sa­che, dass sich Gott selbst in mensch­li­cher Gestalt an unse­rer Stel­le opfert. Der Mythos ist hier durch die Jahr­hun­der­te in ste­ti­ger Bewe­gung. Das von ihm ver­mit­tel­te Got­tes­bild spie­gelt wahr­schein­lich die Ent­wick­lung der (west­li­chen) Gesell­schaft wie­der. Des­we­gen ist es in mei­nen Augen ein  per­fek­ter Mythos, weil er nicht sta­tisch, son­dern wan­del­bar ist – wan­del­bar hin­sicht­lich einer zuneh­men­den Humanisierung.
Wer mehr dar­über wis­sen möch­te und eini­ger­ma­ßen maso­chis­tisch ver­an­lagt ist, möge sich ein­mal den Joseph Roman von Tho­mas Mann zu Gemü­te füh­ren. Ich bin nicht der Ers­te, der die­sen gewag­ten Bogen spannt.
Der per­sön­li­che Mythos spielt sich in viel kür­ze­rer Zeit ab als der Mythos eines Vol­kes. Auch er lässt sich huma­ni­sie­ren – wenn man Glück hat. Er ver­fes­tigt sich wahr­schein­lich, wenn man ankommt. Ankom­men ist aber ein Grund­be­dürf­nis des Men­schen – daher ja z..B. der Song­text von Ich und Ich. Das ist ein Wider­spruch, die Struk­tu­ra­lis­ten Oppo­si­ti­on nen­nen. In der struk­tu­ra­lis­ti­schen Lite­ra­tur­theo­rie sind es die Grenz­gän­ger, die Neu­es schaf­fen, die die Span­nung zwi­schen zwei ein­an­der ent­ge­gen­ge­setz­ten Polen aushalten.
Damit ist ein erfolg­rei­cher Mensch in sei­nem Mythos wahr­schein­lich nicht fest­ge­legt. Damit wird das Ankom­men im per­sön­li­chen Mythos selbst zu einem sol­chen, wie auch die Erkennt­nis, dass der Per­fek­tio­nis­mus des Lebens in eben die­ser Span­nung liegt: Im Aus­hal­ten des Wan­del­ba­ren, im Ver­har­ren in der Span­nung, die Dyna­mik und Ent­wick­lung bedeu­tet. Arbei­ten wir also alle an unse­rem per­sön­li­chen Mythos und ver­ab­schie­den wir uns von Mythos des Ankom­mens.  Manch­mal glau­be ich, den fal­schen Beruf zu haben – aber eigent­lich nie wirklich.
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