Lernplattformen

Vorbemerkung:

Ich äuße­re hier mei­ne Sicht und mei­ne Mei­nung zum The­ma Lern­platt­for­men, die sich allein auf mei­nem per­sön­li­chen Erfah­rungs­wis­sen grün­det. Auch ich ken­ne Schu­len, an denen es mit einer Lern­platt­form gut läuft und auch ich den­ke, dass in bestimm­ten Kon­stel­la­tio­nen eine Lern­platt­form ggf. hilf­reich für Schul­ent­wick­lung sein kann.

Warum ich Lernplattformen sehr kritisch sehe

Lern­platt­for­men wie Mood­le, Comm­sy oder auch kom­mer­zi­el­le Vari­an­ten wie its­lear­ningWeb­wea­ver, Goog­le Class­room und iTu­nes U stel­len eine vir­tu­el­le Lern­um­ge­bung bereit.

Das Prin­zip ist fast immer gleich: Ein zen­tra­les Log­in ermög­licht Zugriff auf bestimm­te Funk­tio­nen, die sich grup­pie­ren und struk­tu­rie­ren las­sen, z.B. kann ich inner­halb von Mood­le soge­nann­te Kur­se anbie­ten, die diver­se Funk­tio­nen bereit­stel­len, etwa ein Forum, Arbeits­ma­te­ria­li­en, ein­ge­bet­te­te Medi­en, Online­tests u.v.m.. Die­se Kur­se kann ich tei­len, expor­tie­ren, wie­der­ver­wer­ten, gemein­sam mit ande­ren Lehr­kräf­ten ent­wi­ckeln. Dar­über­hin­aus wer­den zuneh­mend Kura­ti­ons­tools ein­ge­setzt, etwa bei iTu­nes U: Ich kann ähn­lich wie bei paper.li Web­in­hal­te auf einer spe­zi­el­len Sei­te zusam­men­stel­len – qua­si ein Web­quest auf multimedial.

Das hört sich erst­mal pri­ma an. Ich war in Deutsch­land lan­ge Zeit sehr aktiv in der Mood­le­sze­ne und hat­te als Bera­ter Zugriff auf zahl­rei­che Test­in­stal­la­tio­nen kom­mer­zi­el­ler Pro­duk­te. Ich bin kein Maß­stab, weil ich zen­tra­li­sier­te Din­ge für die Arbeit mit digi­ta­len Medi­en nicht mehr benö­ti­ge, aber kei­ne der Test­stel­lun­gen und kei­ne mei­ner Test­in­stal­la­tio­nen in den letz­ten Jah­ren hat mich in irgend­ei­ner Wei­se dazu gebracht, Spaß oder Freu­de bei der Arbeit mit dem jewei­li­gen Sys­tem zu empfinden.

Das ist ja auch nicht zwin­gend not­wen­dig, aber dazu kam, dass auch der für mich sehr typi­sche prag­ma­ti­sche Zugang auf kei­ner der Lern­platt­for­men mög­lich war: Sie kos­te­ten mich ein­fach nur Zeit durch die kom­pli­zier­te Bedie­nung, die vor­ge­ge­be­nen Struk­tu­ren, das oft haar­sträu­ben­de Datei­ma­nage­ment, die pro­prie­tä­ren Schnitt­stel­len – und ich hal­te mich selbst für einen mit­tel­mä­ßig begab­ten Anwen­der (das ist etwas völ­lig ande­res als ein Tech­ni­ker oder Admi­nis­tra­tor). Es gibt eine Rei­he von Wer­be­aus­sa­gen zu Lern­platt­for­men, die ich im Fol­gen­den ein­mal aufs Korn neh­men möchte:

1. Eine Lernplattform bietet schulweit einen geschützten Raum mit klar definierter Benutzerführung

Das stimmt von einem tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Hypo­the­tisch bie­tet sie das. „Schul­weit“ bedeu­tet für mich, dass alle Lehr­kräf­te in die­se Platt­form ein­ge­wie­sen sind und regel­mä­ßig im Unter­richt mit ihr arbei­ten. Nur so ent­wi­ckeln sich Rou­ti­nen im All­tag. Tat­säch­lich höre ich von Schu­len, in denen Lern­platt­for­men „ein­ge­führt“ sind, ganz oft ganz ande­re Din­ge. „Schul­weit“ bedeu­tet in der Rea­li­tät oft genug „drei oder vier beson­ders akti­ve Lehr­kräf­te mit ihren Lerngruppen“.

Schul­weit“ ist eine Hal­tung, die schon vor­han­den sein muss, bevor eine Lern­platt­form ihr unter­stüt­zen­des Poten­ti­al über­haupt ent­wi­ckeln kann.

Ein­fach mal machen“ führt oft genug ledig­lich dazu, dass eine Lern­platt­form 1:1 die Struk­tu­ren an einer Schu­le abbil­det – somit ist sie für mich dann zwar ein tol­les Bera­tungs­in­stru­ment, aber oft genug sehr bald für die Schu­le selbst eine zusätz­li­che Belastung.

Man sieht das recht hübsch an den Dis­kus­sio­nen im deut­schen Forum auf moodle.org. Immer noch dre­hen sich gefühlt 90% der Fra­gen um Sper­ren, Ein­schrän­ken, Bewer­tungs­ras­ter fein­tu­nen und ähn­li­che Dinge.

Wenn ich ver­su­che, in Rich­tung  „schul­weit“ zu bera­ten, kommt selt­sa­mer­wei­se am Schluss oft eben nicht die Ent­schei­dung für eine Lern­platt­form dabei her­aus, son­dern erst­mal sowas in die Rich­tung wie Datei­aus­tausch, Ter­mi­ne, E‑Mail – also typi­sche Cloud­funk­tio­nen. Danach ent­wi­ckelt es sich oft eher von dem Grund­kon­strukt „Lern­platt­form“ weg.

2. Eine Lernplattform bietet erweiterte Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften durch z.B. Austausch von Materialien, Aufgabenstellungen und Medien

Das stimmt von einem tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Hypo­the­tisch bie­tet sie das. Ich kann z.B. bestimm­te Struk­tu­ren expor­tie­ren und im nächs­ten Jahr wie­der­ver­wen­den. Wenn ich einen Kurs zum The­ma „Pro­gram­mie­ren mit Ardui­no“ erstellt habe, kann ich die­sen dar­über­hin­aus mit ande­ren Lehr­kräf­ten tei­len. Bei Mood­le kann ich sogar im glei­chen Kurs mit ver­schie­den Grup­pen gleich­zei­tig arbei­ten, ohne dass die­se Grup­pen sich gegen­sei­tig sehen. Ich kann das. Was ist mit mei­nem Kol­le­gen, der nicht ein­mal weiß, wie er das Bild des Note­books auf den Bea­mer bekommt? Der wird schon an der Anmel­dung und der Ein­rich­tung eines Kur­ses in Mood­le schei­tern – ande­re Sys­te­me sind da aber tat­säch­lich ent­schie­den intuitiver.

Wer dar­über­hin­aus schon ein­mal einen Kurs in einer Lern­platt­form gebaut hat, weiß, dass das oft Stun­den dau­ert – für mich völ­lig inef­fi­zi­ent. Zudem will ich ja gera­de nicht nur Inhal­te bereit­stel­len, son­dern ich möch­te mich z.B. im Fach Deutsch mit mei­nem Fach­wis­sen mit den von SuS erstell­ten Inhal­ten aus­ein­an­der­set­zen und sie selbst dar­über ins Gespräch bringen.

Wenn ich hin­ge­gen Inhal­te bereit­stel­len muss (z.B. im Fach Che­mie), dann tue ich das doch nicht auf einer pro­prie­tä­ren Lern­platt­form mit ihren für mich extremst ein­ge­schränk­ten Im- und Export­funk­tio­nen. Mei­ne Inhal­te sind für mich als Leh­rer eine essen­ti­el­le Res­sour­ce, mit der ich mich nicht an ein For­mat bin­den möch­te, was ich nicht selbst kon­trol­lie­ren kann. Wenn eine Schu­le z.B. jah­re­lang bei Anbie­ter x auf Lern­platt­form y gear­bei­tet und der Anbie­ter dann z.B. die Preis­struk­tur mas­siv ändert (das ist kein hypo­the­ti­sches Set­ting, son­dern das kommt vor!) – sage ich dann als Schu­le: „Och, jetzt ist zwar die Arbeit von Jah­ren im Sys­tem, aber den Preis, nö, den zah­le ich nicht und wechs­le jetzt zu Anbie­ter z!“

Mei­ner Mei­nung nach unter­schät­zen vie­le Anbie­ter genau die­sen Aspekt, weil er sel­ten so klar for­mu­liert wird, aber intui­tiv bei vie­len Lehr­kräf­ten eine sehr gro­ße Rol­le spielt. Dazu kommt die Angst, dass Mate­ria­li­en durch die digi­ta­le Prä­senz auf ein­mal auch beur­teil- und eva­lu­ier­bar wer­den. Das kann man kri­ti­sie­ren und doof fin­den. Die Angst bleibt trotzdem.

3. Eine Lernplattform ist ein zentrales Instrument zur Organisation von Kommunikationsprozessen an Schulen und schafft so Transparenz

Das stimmt von einem völ­lig ver­al­te­ten tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Meist funk­tio­nie­ren Lern­platt­for­men so, dass man sich über eine Web­ober­flä­che ein­log­gen muss, um dann auf eine Art Dash­board zu kom­men, was alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen für mich anzeigt. Oder es gibt eine geson­der­te App für ein Mobil­ge­rät (Han­dy, Tablet), die das für mich erle­digt. In mei­ner Welt (und in der Welt der Mobil­ge­rä­te über­haupt) fin­det Daten­aus­tausch aber recht anders statt:

  • E‑Mail über imaps
  • Ter­mi­ne über CalDAVs
  • Datei­en über WebDAVs
  • Nach­rich­ten über XMPP (mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung)
  • Kon­takt­da­ten über CardDAVs
  • Inhal­te über XML
  • […]

Das sind alles offe­ne Protokolle/Formate, wie sie jeder von uns täg­lich nutzt ohne es zu wis­sen, weil irgend­ei­ne App das erle­digt, die wir ent­we­der vom Her­stel­ler des Betriebs­sys­tem über­neh­men oder aber selbst bestim­men. Her­stel­ler von Lern­platt­for­men nei­gen zum über­wie­gen­den Teil dazu, die­se offe­nen, frei­en und ver­schlüs­sel­ten Stan­dards durch irgend­et­was zu erset­zen, das nur zu ihrer jewei­li­gen Lern­platt­form passt.

Schlachtung meiner Thesen durch Anbieter

In der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Anbie­tern, wer­den der­ar­ti­ge The­sen von mir nicht geschlach­tet, son­dern in einer ganz bestimm­ten Art und Wei­se gekontert.

  • pro­prie­tä­re For­ma­te sind für die Kon­sis­tenz der Daten not­wen­dig. Zudem sind tech­nisch kei­ne über­grei­fen­den Aus­tausch­for­ma­te mög­lich (PS: Das XML-For­mat von Mood­le oder Word­Press zeigt, dass das wohl schon irgend­wie geht)
  • die Schul­kul­tur, die zu der von mir gefor­der­ten „schulweit“-Lösung not­wen­dig ist, kann sich ja evo­lu­tio­när durch Unter­stüt­zung mit einer Lern­platt­form bil­den – ohne gin­ge es ja gar nicht – das sei ja gera­de die Ver­ant­wor­tung der Schu­le (PS: Da liegt der Kern der Arbeit, bei dem eine Lern­platt­form gera­de nicht unterstützt)
  • für die meis­ten Schu­len sind die durch Lern­platt­for­men gebo­te­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­er­wei­te­run­gen schon Quan­ten­sprün­ge gegen­über der bis­he­ri­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur (PS: Die Sache wäre wesent­lich nie­der­schwel­li­ger zu bewerk­stel­li­gen ohne den Umweg über Weboberflächen)
  • Lern­platt­for­men las­sen sich durch Zusatz­tools her­vor­ra­gend ergän­zen und in ihren Mög­lich­kei­ten erwei­tern – Mood­le etwa durch das schü­ler­zen­trier­te Maha­ra (PS: Die Inte­gra­ti­on der dabei ent­ste­hen­den Inhal­te in die ursprüng­li­che Lern­platt­form ist dann meist eher recht rudi­men­tär implementiert)
  • Lern­platt­for­men haben als Mit­tel zur Orga­ni­sa­ti­on von instruk­ti­ven Lern­pro­zes­sen eine wich­ti­ge Rolle

Ich sehe das viel zu nega­tiv, weil ich immer mit der „Kun­den­bin­dungs­po­ten­ti­al­bril­le“ auf die ver­schie­de­nen Ange­bo­te schaue: Ein Anbie­ter ist auf Wert­schöp­fung ange­wie­sen – dar­an ist über­haupt nichts Verwerfliches.

Ich hal­te die Kun­den­bin­dung aber auch für ein Motiv, eben z.B. kei­ne anbie­ter­über­grei­fen­den Im- und Export­stan­dards zu imple­men­tie­ren – natür­lich wird das nie­mand so offen nach außen kommunizieren.

 

Wie soll man es denn sonst machen?

Das wäre eine eige­ner Arti­kel. Des­we­gen hier nur zwei Thesen:

  • Identity‑, Grup­pen- und Rol­len­ma­nage­ment gehö­ren nicht in eine Lern­platt­form, son­dern öffent­lich orga­ni­siert. Durch ACLs wird fest­ge­legt, was die Lern­platt­form (oder die jewei­li­ge Appli­ka­ti­on) lesen/sehen darf und was nicht und wel­che Rol­le wer wo im Sys­tem erhält.
  • Die zen­tra­le Ver­wal­tung des Iden­ti­ty­ma­nage­ments gibt jeder Lehr­kraft bzw. jeder Schu­le die Mög­lich­keit, die Tools ein­zu­set­zen, die sie für ihren Unter­richt für not­wen­dig hält: Lern­platt­form, Blog, Wiki, Video­kon­fe­renz­soft­ware – alles wer­den ledig­lich „Apps“, die dar­an anbind­bar sind – auf Knopf­druck instal­liert, mit Nut­zern befüllt.

PS: Das geht alles schon und ist auch schon so umge­setzt – aller­dings eher auf Firmenebene.

Wasmanie und Komplexitätsreduktion

Bei der Dis­kus­si­on um Ver­än­de­run­gen in der Schu­le wer­den m.E. zwei schwer­wie­gen­de Feh­ler gemacht:

  1. Es gibt vie­le Defi­ni­tio­nen (z.B. Wis­sens­be­griff, Lern­be­griff, Medi­en­be­griff) und For­mu­lie­run­gen „wie Schu­le sein soll“. Ich nen­ne die­se Kon­zep­te „Was­ma­tisch“ – die beschrei­ben, was gesche­hen soll. Es gibt so gut wie kei­ne Trans­for­ma­ti­ons­for­schung dazu, wie man dahin­kommt. Das über­lässt man dem Sys­tem selbst und wun­dert sich, ja ist manch­mal sogar nahe­zu kind­lich-ver­bockt, wenn da nichts passiert.
  2. Man greift sich Aspek­te aus dem Sys­tem her­aus: „Was macht den guten Leh­rer aus?“, „Wie muss ein Klas­sen­raum aus­ge­stat­tet sein?“, „Die zehn bes­ten Apps für den Unter­richt – übri­gens jede Woche gibt es zehn neue“ usw. – eine iso­lier­te Ver­än­de­rung einer Kom­po­nen­te wird im Sys­tem nichts ändern, weil sich sel­bi­ges ein­fach so umkon­fi­gu­riert, dass die Aus­wir­kun­gen der Stö­rung mini­miert wer­den. Man kann z.B. „Tablet­klas­sen“ nicht erfolg­reich iso­liert den­ken. Das ist Komplexitätsreduktion.

Ich docke mit die­sem Arti­kel an Herr Lar­bigs lesens­wer­te Gedan­ken zum Aus­blei­ben der Revo­lu­ti­on im Schul­sys­tem an. Span­nend ist für mich sei­ne Abkehr von z.B. dem Kon­zept „iPad-Klas­se“, weil mei­ne Ein­stel­lung zu sol­chen Set­tings über die Jah­ren ben­falls grund­le­gend anders gewor­den ist und sich mitt­ler­wei­le mit der von Thors­ten deckt.

Was heißt „das System definiert sich um“?

Mir fällt zur Erklä­rung kein bes­se­res Bei­spiel als das Che­mi­sche Gleich­ge­wicht ein – ein fun­da­men­ta­les natur­wis­sen­schaft­li­ches Konzept.

Aus­gangs­si­ta­ti­on:

Wir haben ein Bäl­le­bad, wel­ches in der Mit­te geteilt ist. Ein jedem Bäl­le­bad befin­det sich eine Anzahl von Wer­fern – ein Team. Die Auf­ga­be besteht dar­in, die Bäl­le aus der eige­nen Hälf­te mög­lichst voll­stän­dig in die geg­ne­ri­sche zu wer­fen. Das grü­ne Team ist das stärkere.

syst_gleichgewicht_01

Nach einer Weile:

syst_gleichgewicht_02

Das grü­ne Team ist zwar die stär­ke­re, jedoch hat es nach einer Wei­le im Schnitt weni­ger Bäl­le im Feld, die es län­ger suchen muss. Daher kann es die Bäl­le nicht so schnell zurück­wer­fen wie das blaue Team, das zwar schwä­cher ist, aber viel schnel­ler Bäl­le zum Wer­fen findet.

Es kann Situa­tio­nen geben, in denen die Bäl­le anders ver­teilt sind, aber über die Zeit wird sich ein Mit­tel­wert ein­pen­deln – in die­sem Fall von 15 Bäl­len im blau­en und 5 Bäl­len im grü­nen Feld. In der Che­mie wür­de man jetzt die Anzahl der Bäl­le im grü­nen Feld durch die Anzahl der Bäl­le im blau­en Feld tei­len und fest­stel­len, dass über die Zeit gese­hen eine Kon­stan­te dabei her­aus­kommt ( 5:15 = 1/3 ).

Noch ein Nach­trag, der mir im Kon­text von Dis­kus­sio­nen der letz­ten Tage zu die­sem Arti­kel wich­tig erscheint: Bezo­gen auf Schu­le han­delt es sich bei den Spie­lern im Feld NICHT um Men­schen, z.B. Digi-Leh­rer gegen Ana­log-Leh­rer oder ande­re Ste­reo­ty­pe. Viel­mehr sind abs­trak­te Kräf­te am Werk, z.B. „Reform­druck“ und „Bewah­rungs­stra­te­gien“. Die Kräf­te sind lei­der oft kon­trär. Das darf man ger­ne leug­nen, aber das ändert dar­an nichts. Ein wün­schens­wer­tes Mit­ein­an­der basiert dann auf Din­gen wie Ver­ständ­nis, Ernst­neh­men, Inter­es­se auf bei­den Sei­ten – d.h. es geht dar­um, abs­trak­te Kräf­te zu beein­flus­sen. Bezo­gen auf die Che­mie ist die­ses Bild völ­lig neu­tral. Teil­chen haben eine Natur, sie „wol­len“ nichts, son­dern stre­ben ledig­lich nach der Erfül­lung phy­si­ka­li­scher Geset­ze (z.B. einem ener­ge­tisch güns­ti­gen Zustand) – Was u.U. aber auch für Men­schen gilt – aber das ist eine ande­re Geschichte.

 

Das Wesent­li­che:

In unse­rem klei­nen Sys­tem pas­siert ganz viel – stän­dig flie­gen Bäl­le hin und her (manch­mal mag es sogar schei­nen, als gewän­ne Team grün), aber trotz­dem bleibt das Anzahl­ver­hält­nis der Bäl­le in den jewei­li­gen Fel­dern im Mit­tel kon­stant. Das Sys­tem befin­det sich in einer Art Gleich­ge­wicht. Wir Che­mi­ker nen­nen das ein dyna­mi­sches Gleichgewicht.

Die Stö­rung:

Nun kann es sein, dass ein Spie­ler des blau­en Teams eine Tak­tik ent­wi­ckelt, mit der es mög­lich ist, die Bäl­le schnel­ler ins ande­re Feld zu wer­fen. Die­se Tak­tik wird nun von allen Team­mit­glie­dern adap­tiert. Dadurch ändert sich die Bäl­le­ver­tei­lung. Aber die­se Tak­tik­än­de­rung hat auch Fol­gen für die Stra­te­gie des grü­nen Teams, das sich auf die nun ver­än­der­ten Bedin­gun­gen ein­stellt und ja immer noch gewin­nen will. Da die Bäl­le­ver­tei­lung in den Fel­dern für die Geschwin­dig­keit des Zurück­wer­fens immer noch eine Rol­le spielt, kehrt das Sys­tem irgend­wann in sei­ne Aus­gangs­la­ge zurück.

Auch ein ein­zel­ner Team­play­er, der sich ganz beson­ders anstrengt, ver­liert irgend­wann sei­ne Kraft und wird in sei­nen Leis­tun­gen dann von dem ande­ren Team mit dann mehr kon­di­tio­nel­len Reser­ven kompensiert.

Das Sys­tem kon­fi­gu­riert sich bei Stö­run­gen also immer so um, dass die Aus­wir­kun­gen der Stö­rung mini­miert werden.

Das Digitale als Störung

Das Digi­ta­le ist eine Stö­rung im (Schul-)System, mit der es (noch) nicht gut umge­hen kann. Mit dem Digi­ta­len ist – genau wie z.B. mit einem beson­ders enga­gier­ten Spie­ler – oft die Hoff­nung auf eine Sys­tem­än­de­rung ver­bun­den. Das Sys­tem sucht aber nach Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten – nicht aus Bos­haf­tig­keit, son­dern weil genau das sei­ne Natur ist. Typi­sche Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten sind:

  • Ver­bo­te
  • In mei­nen Augen viel schlim­mer: Über­tra­gung ana­lo­ger Arbeits­for­men in den digi­ta­len Raum

Es gibt m.E. kei­nen Mehr­wert, statt eines Schul­hef­tes ein Blog zu füh­ren, solan­ge man die ver­än­der­ten kol­la­bo­ra­ti­ven Mög­lich­kei­ten des Blogs (z.B. Peer-Review, asyn­chro­ne Feed­back­pro­zes­se etc.) nicht nutzt.

Komplexitätsreduktion

Das Sys­tem von oben ist unglaub­lich sim­pli­fi­ziert, da es nur eine Sor­te an Bäl­len gibt und das Spiel ziem­lich ein­fach struk­tu­riert ist. Es könn­te ja z.B. auch so sein, dass ein jedem Feld Beu­tel mit bestimm­ten Anzah­len ver­schie­den­far­bi­ger Bäl­le gepackt wer­den müs­sen, die man dann ins geg­ne­ri­sche Feld wirft, wo dann die Beu­tel wie­der­um umsor­tiert zurück­ge­wor­fen wer­den. Dann ist die Sys­tem­kon­stan­te nicht mehr durch ein ein­fa­che Zäh­lung bzw. Quo­ti­en­ten­bil­dung zu bestim­men, son­dern viel­leicht durch sowas hier:

    \[ K\textsubscript{(Ausstattung, gesellschaftliche Anerkennung)}=\frac{Ressourcen^4 \cdot Reformabwehr}{Innovationsf{\"a}higkeit \cdot Selbstschutz} \]

Wenn ich in die­sem nicht zuen­de gedach­ten Bei­spiel z.B. die Res­sour­cen erhöh­te, wächst eben der Selbst­schutz­fak­tor zur Kom­pen­sa­ti­on. K selbst bleibt kon­stant – die Aus­wir­kung der „Stö­rung“ ist minimiert.

Man tut aber oft so, als wür­de sich durch Kon­zep­te, die einen bestimm­ten Bereich beackern, irgend­et­was Sub­stan­ti­el­les ändern. Damit ver­kennt man in mei­nen Augen die Kom­ple­xi­tät und die Kom­pen­sa­ti­ons­kom­pe­tenz des Sys­tems vollkommen.

Wenn ich z.B. über eine Prä­sen­ta­ti­ons­lö­sung Arbeits­blät­ter vom Platz der Schü­ler aus­fül­len und prä­sen­tie­ren las­se, mache ich ja nichts Neu­es, son­dern ledig­lich etwas Ana­lo­ges 1:1 digi­tal. Die Denk­wei­se hin­ter dem Arbeits­blatt ändert sich dadurch ja nicht – es wird halt nur etwas beque­mer und ver­spiel­ter im Klas­sen­raum. Die Aus­stat­tung wird ver­bes­sert, aber ande­re Din­ge regu­lie­ren sich dann ein­fach anders ein.

Was tun?

Ein­stein soll angeb­lich gesagt haben:

Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.

Wenn Schu­le sich ver­än­dern soll, rei­chen alte geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Stra­te­gien wie „Begriffs­bil­dung“, „Beschrei­bung“, „Ana­ly­se“ nicht aus, um den Ver­än­de­rungs­pro­zess nach­hal­tig zu imple­men­tie­ren. Es braucht neue Ansät­ze, auf übri­gens sehr vie­len gesell­schaft­li­chen Ebe­nen, z.B. For­schung dar­über, wie Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se gelin­gen kön­nen, die man bis­her ger­ne dem Sys­tem selbst über­lässt und die­sem dann vor­wirft, es „begeg­ne“ den „neu­en Her­aus­for­de­run­gen“ nicht hin­läng­lich. Wann wird nicht umhin­kön­nen, die beque­me (und risi­ko­lo­se) „Was­ma­nie“ zu ver­las­sen und sich dem „Wie“ zuzu­wen­den. Ich kann mir natür­lich ger­ne ein neu­es Sys­tem wün­schen oder eben mit dem arbei­ten, was nun­mal da ist.

Mailmanagement mit osTicket

Seit lan­gem nervt es mich, dass ich kei­ne kla­re Tren­nung zwi­schen der Bear­bei­tung von E‑Mails und sons­ti­gen Auf­ga­ben  hin­be­kom­me. Mir schrei­ben vie­le Men­schen E‑Mails: Mei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen bei Pro­ble­men mit unse­rer Schul­ser­ver­lö­sung, Men­schen, mit denen ich im Rah­men der Medi­en­be­ra­tung zu tun habe. Oft geht es dabei um Ter­min­ver­ein­ba­run­gen, tech­ni­sche Pro­ble­me, Erstel­lung von Aus­stat­tungs­vor­schlä­gen, also klas­si­sche The­men, die man dem „Sup­port­be­reich“ zuord­nen kann. Da geht viel durch­ein­an­der, sodass ich das eine oder ande­re auch schon ein­mal ver­ges­se. Zum Glück gibt es ein Stück Tech­nik, wel­ches genau für die­se Anfor­de­rung erschaf­fen wur­de, denn Fir­men haben im Sup­port genau die glei­chen Her­aus­for­de­run­gen: Das Ticket­sys­tem. Ich set­ze dafür das kos­ten­lo­se Open­so­ur­ce-Sys­tem  osTi­cket ein (hier gibt es eine Demo – Log­in: demo / Pass­wort: anmelden ).

logo

osTi­cket soll­te auf fast jedem Web­space pro­blem­los lau­fen, der fol­gen­de Bedin­gun­gen erfüllt:

  • MyS­QL-Unter­stüt­zung
  • PHP ab Ver­si­on 5.3
  • PHP IMAP – Modul
  • imap-fähi­ger E‑Mailaccount mit der Berech­ti­gung, eige­ne Ord­ner anzulegen

Was ändert sich?

osTi­cket macht eigent­lich tech­nisch genau das, was ein belie­bi­ges E‑Mailprogramm wie Out­look oder Thun­der­bird tut: Es holt die Mails eines Kon­tos per imap ab, schreibt die­se jedoch in eine Daten­bank. Jede neue Mail erhält eine Ticket-ID, die auto­ma­tisch mit in die Sub­ject-Zei­le geschrie­ben wird, wenn ich jeman­dem ant­wor­te. Ant­wor­tet mir mein Gegen­über auf die­se Mail, erkennt osTi­cket anhand der Ticket-ID, zu wel­chem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gang die Ant­wort gehört und weist die­sen auto­ma­tisch zu. Ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gang heißt „Ticket“. Das ist erst­mal alles.

Hä? Und wo ist da jetzt der Unter­schied zu vorher?

Bleibt ein Ticket zu lan­ge lie­gen (bei mir sind es drei Tage), schreibt osTi­cket Jam­mer­mails und prio­ri­siert das jewei­li­ge Ticket, indem es den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zess in einer Lis­te nach oben schiebt. Erst wenn ich ant­wor­te, ist wie­der für drei Tage Ruhe – ich brau­che das.

Wenn ein Pro­zess abge­schlos­sen ist, kann ich das Ticket „schlie­ßen“. Natür­lich wird eine Sta­tis­tik erstellt (mein Dienst­herr mag Sta­tis­ti­ken als „Arbeits­nach­weis“ und ich habe kei­nen Bock, die selbst zu erstel­len) und ich kann geschlos­se­ne Tickets ganz ein­fach fin­den, z.B. mit einer Suche nach einem Namen oder einer E‑Mailadresse. Damit weiß ich, was ich wie oft mit wel­cher Per­son ver­hack­stückt habe.

Und sonst?

Ich kann vor­de­fi­nier­te Ant­wor­ten anle­gen – wenn eine Schu­le z.B. über unse­re Medi­en­zen­trum eine Home­page hos­ten und betreu­en las­sen möch­te, ähneln sich die Pro­zes­se doch sehr. Die Ant­wor­ten kli­cke ich ein­fach in die Mail hinein.

Auch für tele­fo­ni­sche oder münd­li­che Anfra­gen kann ich selbst Tickets eröff­nen. Da alle Pro­zes­se in osTi­cket mehr­be­nut­zer­fä­hig sind, wüss­ten z.B. auch Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von mir, wo ich gera­de stehe.

Wer es mag, kann osTi­cket auch mit Android und Co. über eine App mana­gen. Das ist für mich und mei­nen Work­flow aber eher ein Nach­teil. Ich set­ze mich lie­ber gezielt 1–2x am Tag an einen Rech­ner und arbei­te den Kram dann kon­zen­triert ab.

Außer­halb mei­ner Arbeits­zeit gibt es eine höf­li­che, aber bestimm­te Mail, die den Emp­fang bestä­tigt, aber dann auf z.B. Mon­tag vertröstet.

Und nicht zuletzt: Das Back­up einer MyS­QL-Daten­bank ist auch viel per­for­man­ter als das­je­ni­ge tau­sen­der Fit­zel­da­tei­en auf der Festplatte.

Und der E‑Mailclient zu Hause?

osTi­cket löscht nor­ma­ler­wei­se emp­fan­gen­de Mails auf dem Ser­ver, kann aber die­se auch in einen imap-Unter­ord­ner ver­schie­ben. Wenn sich eine wirk­lich pri­va­te Mail auf einen Dienstac­count ver­irrt, kann ich sie immer noch aus dem Archiv­ord­ner her­aus ganz nor­mal ohne Ticket-ID per­sön­lich mit der pri­va­ten Mail­adres­se beantworten.

 

Als Interner das eigene System beraten

Auf dem Edu­Camp in Stutt­gart habe ich bei­läu­fig erwähnt, dass ich an mei­ner Schu­le zwar die IT mana­ge und deren Wei­ter­ent­wick­lung pla­ne, in päd­ago­gi­schen und struk­tu­rel­len Fra­gen aber kei­ne akti­ve Rol­le ein­neh­me – die Reak­ti­on war mehr oder min­der blan­kes Unverständnis:

Es ist doch dei­ne Arbeits­um­ge­bung, es ist dei­ne Schu­le, da bist du doch verantwortlich!“.

War­um das bei mir so ist, erfor­dert eine klei­ne Geschich­te, die nicht von mir stammt, son­dern aus einem Blog einer hoch­sen­si­blen Per­sön­lich­keit.

Ihr seid Bei­fah­rer auf der Auto­bahn, und plötz­lich streikt der Wagen! Es wird rechts ran­ge­fah­ren, der Motor wird abge­stellt, und man steigt aus um zu gucken was los ist…

Du: „Guck mal, der Rei­fen ist platt, den müs­sen wir wechseln!“
Fah­rer: „Oh man, was ist denn jetzt los?“
Du: „Der Rei­fen ist platt, ein­fach mal wech­seln, dann geht’s weiter!“
Fah­rer: „Gera­de eben fuhr der Wagen doch noch“
Du: „Ja, aber jetzt ist der Rei­fen platt! Komm, wir wech­seln den!“
Fah­rer: „Hast DU ’ne Ahnung was los ist? Du bist doch angeb­lich so gut“
Du: „Ja, der Rei­fen! Der muss gewech­selt werden!“
Fah­rer: „Ach Quatsch, was für ein Rei­fen! Ich glau­be der Aschen­be­cher ist voll, viel­leicht liegt’s daran!“
Du: „Nein, es ist der Reifen!“
Fah­rer: „Ich hab gar nicht gemerkt was mit dem Aschen­be­cher los war!“
Du: „Der REIFEN!“
Fah­rer: Du musst ja jetzt nicht laut wer­den, ich such ja schon das Problem!“
Du: „Es ist der gott­ver­damm­te R‑E-I-F-E‑N!“
Fah­rer: „Ich glau­be, ich hät­te den Aschen­be­cher mal vorm los­fah­ren leer machen sollen!“
Du: „…“
Fah­rer: „Hät­test Du mich aber auch mal dran erin­nern kön­nen! Du immer mit Dei­nem blö­den Reifen“
Du: „Es ist aber nun mal der Rei­fen, der Rei­fen, der gott­ver­damm­te Rei­fen! Sieh auf den Reifen!“
Fah­rer: „Mal ehr­lich, glaubst Du es könn­te auch der Rei­fen sein?“
Du: „Ja, ver­dammt noch­mal, das sag ich doch die gan­ze Zeit“
Fah­rer: „Oh man, wer kommt schon drauf dass es der Rei­fen sein könn­te? Hät­test mich aber auch ruhig mal fra­gen kön­nen ob der Aschen­be­cher voll ist, oder nicht… Du inter­es­sierst Dich irgend­wie über­haupt nicht für mei­ne Pro­ble­me… Na komm, jetzt steh da nicht so doof rum, dann wech­seln wir mal den Reifen!“

Quel­le: http://hsp-gedanken.blog.de/2014/10/20/interessierst-gar-19589428/

Die Geschich­te rekon­tex­tua­li­sie­re ich hier ein­mal als Bild. Den Fah­rer gibt es näm­lich nicht. Der Fah­rer ist bezo­gen auf Schu­le immer ein gan­zes Sys­tem. Ein Sys­tem besteht aus vie­len Men­schen und Regeln – vie­le davon heim­lich.

Sys­te­me möch­ten sich und ihre Regeln erhal­ten, weil das Sicher­heit und Bestä­ti­gung schafft. Das ist also nichts per se Böses, son­dern ein völ­lig nor­ma­ler Selbst­er­hal­tungs­re­flex. Abge­schlos­se­ne Sys­te­me sind in beson­de­rer Wei­se davon über­zeugt, dass ihre Regeln und Ver­fah­ren gut und rich­tig sind. Wenn etwas nicht klappt, liegt das aus Sicht des Sys­tems immer schnell am Ver­hal­ten eini­ger weni­ger Men­schen, nie an Struk­tu­ren. Läge es tat­säch­lich an Struk­tu­ren, dürf­te es aus Sicht des Sys­tems das Essen­ti­el­le gar nicht mehr funk­tio­nie­ren. Und das tut es ja. Solan­ge sind ande­re Wahr­neh­mun­gen natür­lich falsch.

Das Wesen von Bera­tung ist für mich aber die Arbeit an Struk­tu­ren. Dabei gibt es eini­ge weni­ge Kernfragen:

  1. Was sind unse­re Strukturen?
  2. Wie erfolg­reich sind wir mit unse­ren Strukturen?
  3. An wel­chem Punkt einer Struk­tur set­zen wir an, damit sich etwas sub­stan­ti­ell verändert?

Im eige­nen Sys­tem bin ich Teil der Struk­tu­ren. Im bes­ten Fal­le sta­bi­li­sie­re ich die Struk­tur gera­de dadurch, dass ich etwas auf­baue, gegen das das Sys­tem sich ver­tei­di­gen muss – und auch wird! Das Sys­tem wird jah­re­lang den Aschen­be­cher rei­ni­gen („Die Wahr­neh­mung des Bei­fah­rers stimmt nicht!“), dann durch einen blö­den Zufall auf den Rei­fen schau­en, um schließ­lich dem Bei­fah­rer vor­zu­wer­fen, er hät­te nicht kon­se­quent genug auf den Misstand hin­ge­wie­sen (Rück­spie­ge­lung: „Du hät­test ja han­deln kön­nen / müssen!“).

Das schließt para­do­xer­wei­se übri­gens nicht aus, dass ein­zel­ne Men­schen in die­sem Sys­tem ganz anders füh­len und den­ken und auch Visio­nen haben, die es für mich mit allem, was ich habe zu stär­ken gilt. Die Umsetz­fä­hig­keit hängt aber in erheb­li­chen Umfang davon ab, ob eine kri­ti­sche Mas­se ent­steht, die neue Struk­tu­ren und Regeln  imple­men­tie­ren kann, die dann fak­tisch nicht nur auf dem Papier in einem Kon­zept ste­hen. Und für mich ist zuneh­mend die Fra­ge, ob das zum jet­zi­gen Zeit­punkt auf demo­kra­ti­schem Wege in ange­mes­se­ner Zeit gelin­gen kann.

Eben­falls auf dem Edu­Camp in Stutt­gart gab es eine Ses­si­on zu sub­ver­si­ver Arbeit. Natür­lich kann ich als Teil des Sys­tems Netz­wer­ke und Ängs­te nut­zen, um Ver­än­de­rung zu initi­ie­ren oder ich kann Orga­ne mit Infor­ma­tio­nen und mei­nem Wis­sen von „Angel­punk­ten“ ver­sor­gen. Das ist dann aber kei­ne Bera­tung, son­dern Mani­pu­la­ti­on. Auch das zur­zeit hoch­mo­der­ne Nud­ging ist für mich im Kern mani­pu­la­tiv. Bei­des klappt umso bes­ser, je eher es dem Sys­tem spä­ter gelingt, die posi­ti­ven Effek­te der ent­stan­de­nen Ver­än­de­rung sich selbst zuzu­rech­nen. Das ist bei sub­ver­si­ven Ver­fah­ren immer mit zu berück­sich­ti­gen, wenn man erfolg­reich sein will. Es hat den Preis, dass man natür­lich dann nicht die Lor­bee­ren erhält. Die bekom­men immer die Trä­ger insti­tu­tio­nel­ler Macht.

Der logi­sche Schritt wäre auf den ers­ten Blick also, sich in insti­tu­tio­nel­ler Macht­po­si­tio­nen zu bege­ben  (z.B. durch Auf­stieg in der Hier­ar­chie im Schul­sys­tem). Damit mei­ne ich nicht die Über­nah­me pri­mä­rer Dienst­leis­tun­gen im Ver­wal­tungs­be­reich, son­dern Posi­tio­nen, die struk­tu­rel­le Gestal­tungs­räu­me bieten.

Das hat sei­nen Preis, z.B. den, dass man immer noch Teil des Sys­tems ist, nun aber in ganz ande­re Zwän­ge hin­ein­ge­rät: Das Sys­tem erwar­tet schließ­lich, dass es wei­ter funk­tio­niert – am bes­ten soll sich nichts ändern. Die Kon­se­quenz muss man tra­gen kön­nen und wol­len. Man wird nur klei­ne Tei­le in sehr klei­nen Schrit­ten bewe­gen kön­nen. Die Arbeit an Hal­tun­gen, die dafür not­wen­dig ist, bleibt immens komplex.

Das kann ich im Prin­zip alles aus­hal­ten. Aber inner­halb mei­nes eige­nen Sys­tems fehlt mir dafür die Geduld. Ich neh­me Din­ge schnell per­sön­lich oder füh­le mich ange­grif­fen – und dahin ist es mit mei­ner Objek­ti­vi­tät und mei­ner Sou­ve­rä­ni­tät in Kon­flikt­si­tua­tio­nen – qua­si der Tod der Sach­ebe­ne. Es gibt schließ­lich eine Geschich­te zu mei­ner Per­son im eige­nen System.

Die­se per­sön­li­chen Impli­ka­tio­nen habe ich als exter­ner Bera­ter für ande­re Schu­len nicht. Der Anspruch einer guten Bera­tung bleibt. Wenn aber Pro­zes­se schei­tern – und das tun sie natür­lich gele­gent­lich – ist mein Name zwar an der betref­fen­den Schu­le „ver­brannt“, aber ich gehe meist trotz­dem gestärkt um Erfah­run­gen aus der Bera­tung in die nächs­te Schu­le. Ich tra­ge Nie­der­la­gen nicht in mei­nem Sys­tem mit mir als Geschich­te her­um. Ich kann in Kon­flik­ten anders bestehen: Weil mei­ne Per­sön­lich­keit im Grun­de nicht bekannt ist, ist es z.B. deut­lich schwe­rer, Kon­flik­te auf eine per­sön­li­che Ebe­ne zu brin­gen, bzw. für mich deut­lich leich­ter, genau das zu erken­nen und „pro­fes­sio­nell“ zu reagie­ren. Maxi­mal ver­lie­re ich ein Sys­tem als Kunden.

Mei­nem Sys­tem wün­sche ich daher immer die Offen­heit für exter­ne Bera­tung, weil allein das neue Per­spek­ti­ven ermög­licht. Ein Sys­tem, wel­ches nur in sich selbst ruht, wird es mit der Ent­wick­lung nach mei­nen Erfah­run­gen sehr schwer haben. Hier und da lässt sich viel­leicht mal eine Schram­me kit­ten, aber eine sub­stan­ti­el­le Ver­än­de­rung wird so eher schwer.

Zum Glück ken­ne ich mitt­ler­wei­le vie­le, sehr kom­pe­ten­te und von mir geschätz­te Men­schen, die ich dafür immer emp­feh­len kann.

Das geht alles nicht und es ändert sich nichts!

Immer noch reden alle von den „10 best apps for edu­ca­ti­on“, immer noch ver­harrt das Schul­sys­tem im bil­dungs­bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­vem Duk­tus, immer noch pas­siert nichts bei der Medi­en­austat­tung der Schu­len, immer noch ist mein Medi­en­be­griff falsch (oder wahl­wei­se nicht weit genug ent­wi­ckelt) und immer noch begreift Poli­tik nicht, wie es eigent­lich funk­tio­niert und immer noch gibt es kei­ne Lösun­gen. Schon schlimm, die­se Welt.

Ich stand letz­te Woche vor der Auf­ga­be, acht Kubik­me­ter Erde und vier Kubik­me­ter Schutt aus dem Haus schaf­fen zu müs­sen. Ich hät­te stun­den­lang dar­über sin­nie­ren kön­nen, wie schlimm das ist – vor allem mit­ten im All­tag in einem bewohn­ten Haus. Aber durch das Sin­nie­ren wur­de die Auf­ga­be nicht klei­ner. Nicht eine Schub­kar­re Schutt fuhr aus dem Haus. Nicht ein Con­tai­ner lie­fer­te sich von selbst.

Mir kom­men die Her­aus­for­de­run­gen im Bil­dungs­sys­tem momen­tan vor wie die­ser Schutt­berg. Ideell, poli­tisch, ideo­lo­gisch.  Ein Hau­fen Anzug­trä­ger und Wis­sen­schaft­ler läuft mehr oder min­der kra­kel­end um ihn her­um: „Schaut her, es ist schlimm, er muss aus dem Haus!“ Es wer­den Vor­trä­ge gehal­ten, Blog­posts wie die­ser geschrie­ben, die immer glei­chen Ste­reo­ty­pe von den bil­dungs­bür­ger­li­chen Ängs­ten und Vor­be­hal­ten gegen­ber digi­ta­len Medi­en beklagt, die immer glei­chen Argu­men­te bemüht. Der Schutt­berg liegt immer noch. Und das liegt natür­lich dar­an, dass ihn kei­ner der Ver­ant­wort­li­chen weg­räumt. Meist, weil die­se halt nicht begrei­fen, dass er weg­ge­räumt wer­den muss. Reden ist eine Hand­lung, Den­ken ist eine Hand­lung. Lei­der küm­mert sich der Schutt­berg einen Scheiß­dreck dar­um und bleibt ein­fach liegen.

Ein schö­ner Rand bis jetzt, aber was macht der Riecken eigent­lich? Ich hand­le nach bestimm­ten Stra­te­gien, die bis­her inso­fern funk­tio­nie­ren, als dass der loka­le Schutt­berg hier vor Ort schwin­det. Lang­sam. Sehr langsam.

  1. Ich habe mich dar­um bemüht, mit einem Teil der Stun­den für ande­re Auf­ga­ben abge­ord­net zu wer­den. Es ist ein Glück, dass das hier in Nie­der­sach­sen mög­lich ist.
  2. Ver­wei­ge­rer im Bereich des Digi­ta­len haben gute Grün­de für ihre Ver­wei­ge­rung. Und ein guter Grund darf auch Selbst­schutz sein. Ein Leh­rer, der anwe­send ist und guten ana­lo­gen Unter­richt macht, ist für mich einem digi­ta­len Flip­pie vor­zu­zie­hen, der unter sei­nen Enga­ge­ment zusam­men­bricht oder durch eben­die­ses sel­ten vor Ort ist.
  3. Ich arbei­te poli­tisch. Ich hel­fe Schul­amts­mit­ar­bei­tern, Vor­stel­lun­gen im ent­schei­den­den Gre­mi­um zu prä­sen­tie­ren oder rede dort selbst. Ich knüp­fe Ban­de mit poli­tisch akti­ven Men­schen. Ich hal­te Poli­tik für eine anspruchs­vol­le Auf­ga­be und bewun­de­re Men­schen, die die­se Auf­ga­be wahr­neh­men. Ich bewun­de­re dabei nicht jede Ein­stel­lung und Hal­tung. Und das sage ich auch bei­des: Das eine wie das andere.
  4. Ich stel­le Schu­len selbst mit mei­nen Hän­den auf zeit­ge­mä­ße­re Tech­nik um. Von der Hard­ware­emp­feh­lung bis zur Raum­aus­stat­tung. Ich habe mir über Jah­re ein klei­ne­res Netz­werk aus Fir­men und Händ­lern dafür auf­ge­baut. Men­schen rufen mich an, wenn sie unsi­cher sind. Ich kann mich dar­auf ver­las­sen, dass die Arbeit fach­ge­recht erle­digt wird und von mir ver­zapf­ter Stuss auch direkt the­ma­ti­siert ist.
  5. Ich habe Geduld und ertra­ge auch her­be Rück­schlä­ge, die es dabei gibt. Das ist so im Leben. Ins­be­son­de­re ist es so in beamti­schen Strukturen.
  6. Ich bera­te und schu­le nicht mein eige­nes Sys­tem. Ich ent­schei­de und bestim­me dort in Hard­ware- und Netz­werk­fra­gen, stel­le Fra­gen, äuße­re Struk­tur­ideen, höre Bedar­fe und habe eine Ziel­vor­stel­lung vom Netz­aus­bau und der Medi­en­aus­stat­tung. Ich orga­ni­sie­re ger­ne exter­ne Bera­tung und Schu­lung, wenn die­se gewünscht und ange­for­dert wird. Ich unter­stüt­ze Kol­le­gen, die etwas zu orga­ni­sie­ren haben tech­no­lo­gisch mit geeig­ne­ten Sys­te­men. Die­ser Punkt mit dem eige­nen Sys­tem ist für mich sehr wich­tig. Ins­be­son­de­re die­se kla­re Grenz­zie­hung. Wenn Kol­le­ge z.B. das SMART­Board so nutzt, dass er einen Zet­tel unter den Pre­sen­ter legt und dar­auf sein Tafel­bild malt, dann ist das so.
  7. Ich ent­wick­le mich wei­ter. Ich ler­ne dazu. Ich blei­be nicht bei einer Stra­te­gie ste­hen, son­dern hin­ter­fra­ge ihre Wirk­sam­keit spä­tes­tens nach 1,5 Jah­ren. Die Wirk­sam­keit der Rede und des Den­kens war bis­her im Hin­blick auf den Schutt­berg eher ein wenig schlecht bis mies.
  8. Ich tei­le Ideen und Stra­te­gien, z.B. hier im Blog, aber auch mit Fir­men. Ich tei­le sie noch so, dass dar­aus für mich kei­ne Ver­bind­lich­kei­ten oder Ver­pflich­tun­gen erwach­sen. Wenn Geld fließt, ent­ste­hen immer die­se Verbindlichkeiten.
  9. Ich bedie­ne außer hier mit die­sem Blog und ein wenig auf Twit­ter kei­ne Öffent­lich­keit. Wenn eine Öffent­lich­keit bedient wer­den muss, bin­det das Resour­cen, die mir hier vor Ort feh­len wür­den. Die Erfol­ge hier in der Regi­on sind für mich der Motor. Aus ihnen ent­ste­hen die ein­zig für mich wich­ti­gen Wäh­run­gen wie Ver­trau­en oder das Gespräch beim gemein­sa­men Bierchen.

Das Schutt­berg­bei­spiel hinkt. Dafür könn­te man sich näm­lich durch­aus Dienst­leis­tun­gen ein­kau­fen. Im Bereich des Digi­ta­len muss man die­se Dienst­leis­tun­gen vor allem in der Flä­che erst noch ent­wi­ckeln oder sogar selbst erbrin­gen. Das wird irgend­wann ein­mal anders sein. Viel­leicht wenn genug gere­det und sin­niert wor­den ist.

 

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