Eine medienpädagogische Kurzgeschichte

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Zuneh­mend wird davon gere­det, Medi­en­bil­dung mit in ein­zel­ne Fächer zu inte­grie­ren. Die­ser Anspruch wirft oft Fra­gen auf, wie das bei all dem sons­ti­gen Pen­sum über­haupt noch zu schaf­fen sei.

Ich möch­te heu­te ein Bei­spiel prä­sen­tie­ren, dass zeigt, wie wenig zusätz­li­che Arbeit not­wen­dig ist, um die­ses Ziel zu errei­chen. Bewusst knüp­fe ich dabei an Metho­den und didak­ti­sche Ansät­ze an, die vie­len Lehr­kräf­ten mit dem Fach Deutsch bekannt sein sollten.

Die Skiz­ze berührt fol­gen­de Kom­pe­tenz­be­rei­che des neu­en KMK-Stra­te­gie­pa­piers:

  1. Suchen, ver­ar­bei­ten und aufbewahren
  2. Pro­du­zie­ren und Präsentieren
  3. Schüt­zen und sicher agieren
  4. Ana­ly­sie­ren und reflektieren

Die vor­lie­gen­de Unter­richts­idee ist nicht mehr als eine Skiz­ze. Je nach Lern­grup­pe wird man Ver­än­de­run­gen in der Rei­hen­fol­ge der vor­kom­men­den Tex­te vor­neh­men müssen.

Die Skiz­ze legt den Schwer­punkt auf kri­ti­sche Aspek­te. Sie befasst sich nicht mit den indi­vi­du­el­len Vor­tei­len per­so­na­li­sier­ter Wer­bung. Daher ist sie in Tei­len natür­lich inhalt­lich ein­sei­tig und durch geeig­ne­tes Mate­ri­al bei der Kon­zep­ti­on der gesam­ten Ein­heit zu ergänzen.

Die Skiz­ze arbei­tet instruk­tiv mit vor­ge­ge­be­nen Tex­ten. Das kann nicht im Sin­ne eines neu­en Lern­an­sat­zes sein. Die sich aus ihr erge­ben­den Fra­ge­stel­lun­gen ermög­li­chen aber ggf. eige­ne Fra­gen der Schü­le­rin­nen und Schüler.

Die Unter­richts­skiz­ze eig­net sich für die Sekun­dar­stu­fe I, mit Aus­nut­zung aller didak­ti­schen Poten­tia­le durch­aus aber auch für einen Leis­tungs­kurs Deutsch im Kon­text des Rah­men­the­mas „Medienkritik“.

Der Kontext

Die US-Dro­ge­rie­markt­ket­te „Target“ hat nach Berich­ten in der Pres­se einen Weg gefun­den, durch Ver­knüp­fung von Kun­den­da­ten, ele­men­ta­re Ver­än­de­run­gen im Leben ihrer Kun­den zu bestim­men – in die­sem Fall die Schwan­ger­schaft inkl. des vor­aus­sicht­li­chen Ent­bin­dungs­ter­mins. Bezeich­nen­der­wei­se ist die Ori­gi­nal­quel­le von Charles Duhigg ( Quel­le: http://www.nytimes.com/2012/02/19/magazine/shopping-habits.html – abge­ru­fen am 8.12.2016 ) bereits auf das Jahr 2012 zu datie­ren – für Inter­net­maß­stä­be nahe­zu historisch.

Das haben öffent­lich-recht­li­che Sen­der in Deutsch­land schon vor eini­ger Zeit recher­chiert ( Quel­le: http://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/sendungen/bigdatatalk-kassenbon100.html – abge­ru­fen am 8.12.2016 ). Dazu ist die Ver­knüp­fung vie­ler Daten not­wen­dig, u.a. müs­sen auch Kre­dit- oder EC-Kar­ten­um­sät­ze zwin­gend mit erfasst werden.

Media­ler Auf­hän­ger ist die Geschich­te eines Vaters einer 16-jäh­ri­gen Toch­ter, der die per­so­na­li­sier­te Wer­bung für sein Kind gele­sen hat. Dar­auf­hin lief er auf­ge­bracht in die Fir­men­zen­tra­le, um sich dar­über zu beschwe­ren, dass sei­ner Toch­ter sug­ge­riert wür­de, unbe­dingt schwan­ger wer­den zu müs­sen. Sei­ne Toch­ter war jedoch tat­säch­lich schwan­ger, sodass der Vater sich nach zwei Wochen klein­laut ent­schul­di­gen musste.

Die­se Art der Bericht­erstat­tung auch in deut­schen Medi­en pro­vo­zier­te wei­te­re Meta­tex­te, etwa den einer Sozio­lo­gin, die sich nicht in die­ser Wei­se durch­leuch­ten las­sen woll­te und daher zu fol­gen­dem Maß­nah­men­ka­ta­log griff:

  1. Sie instru­iert Freun­de und Bekann­te auf sozia­len Medi­en, ihre Schwan­ger­schaft nicht preiszugeben

  2. Sie anony­mi­siert ihren Daten­ver­kehr beim Ein­kauf im Inter­net aufwändig

  3. Sie zahlt ihre Ein­käu­fe grund­sätz­lich mit Bargeld

  4. Sie ver­wen­det auf Ama­zon eine selbst­ge­hos­te­te E‑Mailadresse unds kei­ne von Gmail, da Goog­le stan­dard­mä­ßig Nach­rich­ten auf Schlag­wor­te hin untersucht.

  5. Sie bezahlt auf Ama­zon mit Gutscheincodes

  6. Sie lässt sich Ware grund­sätz­lich an eine Pack­sta­ti­on liefern

  7. Sie muss Beträ­ge über 500 Euro wegen des Ver­dachts der Geld­wä­sche auf meh­re­re Per­so­nen auf­tei­len, um z.B. einen Kin­der­wa­gen bestel­len zu können

( Quel­le: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2014–04/big-data-schwangerschaft-verheimlichen – abge­ru­fen am 8.12.2016 )

Die Geschich­te der durch­leuch­te­ten schwan­ge­ren Frau­en hat wahr­schein­lich einen wah­ren Kern. An dem media­len Auf­hän­ger gibt es erns­te Zwei­fel hin­sicht­lich des Wahrheitsgehalts:

Zitat:

„Bey­ond this […] the New York Times artic­le its­elf pro­vi­des ano­ther fac­to­id making it even less likely the teen’s pregnan­cy had been deter­mi­ned ana­ly­ti­cal­ly (if „determined“ by Tar­get at all – per­haps the par­ti­cu­lar teen was sim­ply pla­ced acci­den­tal­ly into the wrong mar­ke­ting seg­ment): Tar­get knows con­su­mers might not like to be mar­ke­ted on baby-rela­ted pro­ducts if they had not vol­un­tee­red their pregnan­cy, and so actively camou­fla­ges such acti­vi­ties by inters­per­sing such pro­duct pla­ce­ments among other non-baby-rela­ted pro­ducts. Such mar­ke­ting mate­ri­al would by design not rai­se any par­ti­cu­lar atten­ti­on of the teen’s father. “

(Quel­le: http://www.kdnuggets.com/2014/05/target-predict-teen-pregnancy-inside-story.html – abge­ru­fen am 8.12.2016)

Sinn­ge­mäß übersetzt:

Abge­se­hen davon ent­hält der Arti­kel in der New York Times selbst einen Fakt, der es weni­ger wahr­schein­lich macht, dass die Schwan­ger­schaft des Teen­agers algo­rith­misch ermit­telt wur­de (wenn das über­haupt von Tar­get so ermit­telt wur­de – viel­leicht wur­de der Teen­ager auch irr­tüm­lich dem fal­schen Wer­be­be­reich zuge­ord­net): Tar­get weiß, dass Kun­den es even­tu­ell nicht mögen, Wer­bung über Baby­pro­duk­te zu erhal­ten, wenn sie ihre Schwan­ger­schaft nicht frei­wil­lig offen­bart haben. So tarnt Tar­get sol­che Akti­vi­tä­ten dadurch, dass auch ande­re Pro­duk­te in der ent­spre­chen­den Wer­bung plat­ziert wer­den. Der­ar­ti­ges Wer­be­ma­te­ri­al wür­de aber schon vom Ansatz her eben gera­de nicht die spe­zi­el­le Auf­merk­sam­keit des Teen­ager­va­ters erregen.

Ich selbst schrieb dazu vor Jah­ren in einem dys­to­pi­schen Arti­kel:

„Die Ent­wick­lung hin zu neu­en Geschäfts­fel­dern wie dem Ver­si­che­rungs- und dem Kre­dit­we­sen basiert auf Daten, die die Men­schen uns frei­wil­lig gege­ben haben auf Platt­for­men, die sie als inte­gral für ihr Leben emp­fun­den haben und immer noch emp­fin­den. Dabei haben wir anfäng­lich die Algo­rith­men bewusst „dumm“ gestal­tet: Wer z.B. eine Kaf­fee­ma­schi­ne kauf­te, bekam über unse­re Wer­be­netz­wer­ke nur noch Kaf­fee­ma­schi­nen in Wer­be­an­zei­gen ange­prie­sen. Er konn­te dann mit dem Fin­ger auf uns zei­gen und sagen: „Schaut her, was für eine däm­li­che Algorithmik!“ Es war wich­tig, Men­schen die­ses Über­le­gen­heits­ge­fühl gegen­über Tech­nik zu geben, obwohl sie schon längst davon ent­frem­det waren, damit sie uns wei­ter Infor­ma­tio­nen über sich lieferten.“

Auf Basis die­ser Infor­ma­tio­nen lässt sich nicht nur das Durch­leu­ten von Kun­den durch „Big Data“ in den Blick neh­men, son­dern auch die media­le Auf­be­rei­tung kri­tisch betrachten.

Die Kurzgeschichte

Inhalt­li­cher Aus­gangs­punkt ist eine Kurz­ge­schich­te – sie wur­de nicht von einem „rich­ti­gen“ Autor, son­dern etwas selbst­über­schät­zend von mir extra für die Ein­heit ver­fasst, weil ich auf die Schnel­le kei­nen ver­gleich­ba­ren Text fin­den konn­te – die lite­ra­ri­sche Qua­li­tät mag daher begrenzt und eini­ge Kli­schees mögen zu sehr bedient sein:

Syl­vie

(Maik Riecken, Dezem­ber 2016)

Sie stan­den vor ihrer Tür. Ein Will­kom­mens­team der Stadt. Eine müt­ter­lich wir­ken­de älte­re Dame und ein leid­lich schnei­di­ger Jung­spund, dem die päd­ago­gi­sche Aus­bil­dung aus jeder Faser sei­ner Klei­dung leuch­te­te. Ob sie denn schon über das Ange­bot der Volks­hoch­schu­le infor­miert sei? Dort wür­den Mut­ter-Kind-Kur­se zur Stär­kung der Bin­dung zwi­schen Mut­ter und Kind ange­bo­ten. Die sei­en immer früh­zei­tig aus­ge­bucht, da müs­se man sich jetzt schon anmel­den. Der Stadt sei es ein Anlie­gen, wer­den­de Eltern best­mög­lich zu unter­stüt­zen – vor allem Spät­ge­bä­ren­de wie sie.

Mit diver­sen Pro­dukt­pro­ben von Tees und wohl­rie­chen­den, haut­straf­fen­den Ölen stand sie schließ­lich rat­los in der Tür und schau­te den bei­den ver­wirrt nach.

Sie war Anfang 40 und ohne fes­ten Part­ner. Das war gut so. Sie war frei und unab­hän­gig. Sie hat­te – aber nur ganz tief in ihr drin – hin und wie­der Sehn­sucht nach einem eige­nen klei­nen Wesen, das sie zum Ziel ihrer Lie­be machen konn­te, aber Herr Schrö­der, der klei­ne Gol­den Retrie­ver füll­te die­se Leer­stel­le eigent­lich auch recht treff­lich aus. Die Wer­bung auf dem Bild­schirm ihres Tablets zeig­te in letz­ter Zeit ver­mehrt nied­li­che Baby­bil­der und unauf­hör­lich Pro­duk­te für den guten Start ins Leben.

Aber das The­ma war für sie abge­hakt. Sie wür­de nicht alles auf­ge­ben, um noch ein­mal ganz von vor­ne anzu­fan­gen. Dafür hat­te sie sich beruf­lich zu viel aufgebaut.

Sie genoss es, sich jeder­zeit sport­lich betä­ti­gen zu kön­nen oder ihren zahl­rei­chen Hob­bys nach­zu­ge­hen. Bei den Män­nern kam das gut an – unab­hän­gi­ge Frau­en gal­ten in ihrem Bekann­ten­kreis als sexy. Hin und wie­der war einer dabei, aber etwas wirk­lich Ver­bind­li­ches konn­te sie sich nicht mehr vorstellen.

Ihre Ver­gan­gen­heit strich in dif­fu­sen Erin­ne­rungs­schlei­ern an ihr vorüber.

Er war bequem gewor­den. Er hat­te sich irgend­wann ein­fach nicht mehr ange­strengt, ihr nicht mehr das Gefühl gege­ben, begeh­rens­wert zu sein. Irgend­wann saßen sie als Paar in der Kum­pel­fal­le. Sie leb­ten mehr als Freun­de denn als Part­ner mit­ein­an­der. Ja, sie teil­ten sich den All­tag, den Haus­halt so gleich­be­rech­tigt wie es nur ging. Nach außen eine rich­ti­ge Mus­ter­be­zie­hung. Für Syl­vie waren sie noch heu­te ein gutes Team – auch nach dem Aus. Kein Rosen­krieg, kla­re Ver­ein­ba­run­gen. Päd­ago­gisch zogen sie am glei­chen Strang. Ihre gemein­sa­me Toch­ter Syl­vie brauch­te schließ­lich neben Zuwen­dung vor allem Kon­se­quenz. Und sowohl Mut­ter als auch Vater zur eige­nen Orientierung.

Sie wuss­te selbst nicht, war­um sie die bei­den vor der Tür nicht ein­fach herz­lich aus­ge­lacht hat­te. Vor allem die­sen Päd­ago­gik­schnö­sel. Sie war ein­fach viel zu über­rum­pelt von die­sem rund­um durch­cho­reo­gra­fier­ten Erstgesprächsansatz.

Sie ging zurück in die Woh­nung. Ihr Tablet auf der Koch­in­sel der groß­zü­gi­gen Küche war noch nicht in den Ener­gie­spar­mo­dus gegan­gen. Wahr­schein­lich war Syl­vie zwi­schen­durch wie­der in irgend­wel­chen Online­shops unter­wegs gewe­sen. Wie­der die­se Wer­bung für Baby­pro­duk­te. Aufdringlich.

Aus Syl­vies Bad kamen Geräu­sche. Sie klan­gen so, als wenn sich ihre 16jährige Toch­ter gera­de über­ge­ben wür­de. Als sie nach vor­sich­ti­gem Anklop­fen die Tür öff­ne­te, stürz­te sich ein heu­len­des Elend in ihre Arme: „Mama, ich habe seit acht Wochen mei­ne Tage nicht mehr bekom­men …“

Mög­li­che Aufgaben:

  1. Fas­se den Inhalt der Geschich­te in eige­nen Wor­ten zusammen.

  2. War­um han­delt es sich bei die­sem Text um eine Kurzgeschichte?

  3. Ver­fas­se einen inne­ren Mono­log, in dem Syl­vie ihre Lage darstellt.

  4. Recher­chie­re mit den Such­be­grif­fen „Target, Schwan­ger­schaft, Big Data“ nach den Hin­ter­grün­den der in der Geschich­te dar­ge­stell­ten Hand­lung. Erstel­le eine Prä­sen­ta­ti­on, die erklärt, wie Drit­te u.U. von Syl­vies Lage wis­sen konnten.

  5. Nimm Stel­lung zu dem Arti­kel des Online­an­ge­bots der Zeit ( http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2014–04/big-data-schwangerschaft-verheimlichen )

  6. Wie bewer­test du die Mög­lich­keit, mit Hil­fe von Big Data der­ar­ti­ge Infor­ma­tio­nen über Men­schen erhal­ten zu können?

 

Didaktische Erweiterung

Der Auf­hän­ger der Bericht­erstat­tung ist wahr­schein­lich frei erfun­den (s.o). Es gab die Geschich­te mit dem Vater der 16-jäh­ri­gen Toch­ter u.U. nicht. Das Durch­leuch­ten der schwan­ge­ren Frau­en ist dage­gen wohl Realität.

Dies kann den Schü­le­rin­nen und Schü­lern mit der Argu­men­ta­ti­on der Inter­net­quel­le von knuggets.com (s.o.) ver­mit­telt werden.

Wenn die­ses Wis­sen inner­halb der Lern­grup­pe ent­we­der im Zuge der Recher­che oder durch einen geziel­ten Input ver­an­kert ist, kön­nen dar­über­hin­aus­ge­hen­de Fra­gen behan­delt werden:

  1. Dür­fen sol­che Auf­hän­ger erfun­den werden?

  2. Wel­ches Licht wirft die Demon­ta­ge eines der­ar­ti­gen Auf­hän­gers auf die eigent­li­che Berichterstattung?

  3. Inwie­fern unter­schei­den sich bezo­gen auf die­sen Fall soge­nann­te „Qualitätsmedien“ ( Die Zeit, öffent­lich-recht­li­cher Rund­funk) von ande­ren Quellen?

Fächerübergreifende Arbeit

Um die Hin­ter­grün­de des Vor­falls zu recher­chie­ren, kann nicht auf die Hin­zu­nah­me eng­lisch­spra­chi­ger Quel­len ver­zich­tet wer­den, deren Sprach­ni­veau teil­wei­se recht hoch ist. Anstatt die fer­ti­ge Über­set­zung zu prä­sen­tie­ren, kann die­se selbst erar­bei­tet werden.

Durch das The­ma stel­len sich eine Rei­he ethi­scher Fra­gen. Durch die Prä­sen­ta­ti­on ziel­ge­rech­ter Wer­bung ergibt sich für das jewei­li­ge Indi­vi­du­um natür­lich auch ein Vor­teil. Dass die Dro­ge­rie­markt­ket­teih­re Akti­vi­tä­ten im Bereich der Aus­wer­tung von Kun­den­da­ten „tarnt“, schließt ein Bewusst­sein um die Ableh­nung durch die Kun­den mit ein. Hier wären die Fächer Wer­te & Nor­men, Reli­gi­on oder auch Phi­lo­so­phie the­ma­tisch eng angebunden.

Medienbildung und Informatik

Fol­gen­de Auf­ga­ben haben Pro­gram­mier­an­fän­ger von mir nach ca. vier Ein­hei­ten Python bekom­men. Das Bei­spiel zeigt – fin­de ich – ganz gut, dass Medi­en­kom­pe­tenz und Infor­ma­tik sich sehr gut ergän­zen kön­nen, teil­wei­se viel­leicht sogar ein­an­der bedin­gen. Das Pro­blem der Pass­wort­län­ge und dem Pass­wort­auf­bau wird hier bewusst nicht ange­spro­chen, weil das pro­gram­mier­tech­nisch etwas anspruchs­vol­ler ist. Das kommt dann in der Folgestunde.
Wei­ter­hin ist natür­lich auch das sha-2-Ver­schlüs­se­lungs­ver­fah­ren moder­ne­ren Ent­wick­lun­gen wie z.B. pbkdf2 weit unter­le­gen, aber auch pro­gram­mier­tech­nisch wesent­lich beherrsch­ba­rer. sha512 ist schon ganz ok, auch wenn heu­ti­ge Gra­fik­kar­ten ca. 200 Mil­lio­nen Schlüs­sel pro Sekun­de berechnen.

Kryptografie

Immer wie­der hörst du davon, dass bei gro­ßen Anbie­tern Daten­bank­in­hal­te gestoh­len wer­den. In dem Arti­kel steht aller­dings nichts davon, dass Pass­wör­ter gestoh­len wer­den, son­dern Hash­es. Heu­te wirst du ler­nen, dass du jetzt schon ganz ein­fach viel bes­ser sein kannst als Lin­ke­dIn und das mit nur ganz weni­gen Code­zei­len in Python.

Um alles mög­lichst gut zu ver­ste­hen, musst du auf jeden Fall die bei­den oben ver­link­ten Arti­kel lesen oder wenigs­tens überfliegen.

Aufgabe 1:

Nimm eines dei­ner Pass­wör­ter und las­se fol­gen­des Pro­gramm lau­fen (z.B. auf https://try.jupyter.org ).

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# wir weisen Python an, Kryptografiefunktionen zu laden
import hashlib
# wir fragen nach einem Passwort
crypted_phrase = input()
# Und geben den Hash des Passworts als MD5-Hash aus
print("Hash is:")
print(hashlib.md5(crypted_phrase.encode('utf-8')).hexdigest())

Nimm jetzt den Hash und kopie­re ihn auf die­se Sei­te. Nach Ein­ga­be der Sicher­heits­ab­fra­ge (reCaptcha) kannst du schau­en, ob der Hash dei­nes Pass­worts bereits bekannt ist (Wenn du das Ver­fah­ren mit dem Pass­wort „12345678“ durch­führst, wirst du sehen, dass das „geknackt“ wird.

Wie­der­ho­le das Ver­fah­ren mit einem dei­ner Pass­wör­ter und fol­gen­dem Pro­gramm (mit „12345678“ klappt es! – auch mit dei­nem Passwort?):

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# wir weisen Python an, Kryptografiefunktionen zu laden
import hashlib
# wir fragen nach einem Passwort
crypted_phrase = input()
# Und geben den Hash des Passworts als MD5-Hash aus
print("Hash is:")
print(hashlib.sha512(crypted_phrase.encode('utf-8')).hexdigest())

Wenn dein Pass­wort auch im zwei­ten Fall „geknackt“ wur­de, hast du ein Pro­blem, wenn du Opfer eines Daten­bank­dieb­stahls wirst. Auch dein Anbie­ter wird nur Hash­es in einer Daten­bank speichern.

Infor­mie­re dich jetzt über den Unter­schied zwi­schen dem md5- und dem sha512-Ver­schlüs­se­lungs­ver­fah­ren. Python kann fol­gen­de Ver­fah­ren „von Natur aus“: md5, sha1, sha224, sha256, sha384, sha512.

Aufgabe 2:

Das Pro­blem ist schon lan­ge gelöst – mit nur weni­gen Code­zei­len mehr. Infor­mie­re dich über den Begriff „Salt“ in Ver­bin­dung mit Hashes.

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import hashlib
# Statt "somestring" kannst bzw. solltest du möglichst wirres Zeug hier reinschreiben
salt = "somestring"
crypted_phrase = input()
salted_password = crypted_phrase + salt
print(hashlib.md5(salted_password.encode('utf-8')).hexdigest())

Wenn du jetzt ver­suchst, den Hash cra­cken zu las­sen, klappt das nicht mehr, weil ein soge­nann­test „salt“ (Salz) zum Pass­wort hin­zu­ge­fügt wird. Bei unse­rem Pro­gramm ver­wen­det jedes Pass­wort jedoch den glei­chen Salt.

Auch dafür gibt es eine Lösung:

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import hashlib, uuid
# Python schreibt nun für dich wirres Zeug hier hinein
salt = uuid.uuid4().hex
crypted_phrase = input()
salted_password = crypted_phrase + salt
print(hashlib.md5(salted_password.encode('utf-8')).hexdigest())

Hät­ten Lin­ke­dIn und ande­re die Benut­zer­pass­wör­ter mit einem siche­ren Algo­rith­mus (z.B. sha512) gehasht und mit einem Salt ver­se­hen, wäre der Dieb­stahl der Daten­ban­ken nicht so ein gro­ßes Pro­blem, da es sehr lan­ge dau­ern wür­de, die Pass­wör­ter aus den Hash­es zu errechnen.

In der Pra­xis spei­chert man die Salts im Klar­text zusam­men mit den Hash­es, meist durch ein Trenn­zei­chen abge­setzt. Du kannst ja ein­mal über­le­gen, war­um das kein Pro­blem darstellt.

Aufgabe 3:

Schrei­be fol­gen­de Programme

  1. Es wird zwei­mal ein Pass­wort abge­fragt und dazu ein Hash berech­net. Stim­men bei­de Hash­es (und damit die Pass­wör­ter) über­ein, soll das Pro­gramm die Aus­ga­be „Access granted!“ machen, ansons­ten „Access denied!“ ausgeben.
  2. Ein Pro­gramm fragt nach einem „Masterpasswort“ (pass­word) und einem Domain­na­men (salt). Es berech­net dar­aus einen Hash, den man als Pass­wort für die betref­fen­de Web­sei­te benut­zen kann – wenn man immer das rich­ti­ge Mas­ter­pass­wort und den glei­chen Domain­na­men ein­gibt – qua­si ein ganz ein­fa­cher Passwortmanager!

Ein Buch über die Entwicklung von Medienbildungskonzepten?

Ich schrei­be gera­de eine „exten­ded Ver­si­on“ die­ses Arti­kels. Es geht um die Ent­wick­lung von Medi­en­bil­dungs­kon­zep­ten. Es ist kein Check­lis­ten­buch, aber es ent­hält z.B. ganz vie­le prak­ti­sche Bei­spie­le und Fra­gen­ras­ter, aber auch kurz umris­se­ne Din­ge zur Aus­stat­tung und Vor­ge­hens­wei­sen. Der Umfang wird etwa 130 Sei­ten betra­gen, von denen ca. 48 fer­tig sind.

Das Buch ist kein altru­is­ti­scher Selbst­zweck. Und ich mache es auch nicht, weil ich so gut bin. Ich bin ein sehr siche­rer Mensch – eigentlich.

Zusam­men­ge­fasst geht es dar­um, wie ich das Buch unter die Leu­te brin­ge. Und es geht auch dar­um, wem gegen­über ich loy­al bin.

Opti­on A:

Ich arbei­te mit einem gro­ßen, renom­mier­ten Schul­buch­ver­lag zusam­men. Der ers­te Ver­trag gefällt mir über­haupt nicht, er steht in der guten, alten Tra­di­ti­on „Riecken und die Ver­la­ge“.

Das ist jetzt viel Nach­ver­hand­lung nötig und vor allen Din­gen auch viel Klar­heit dar­über, wie ich mit den Inhal­ten spä­ter wei­ter­ar­bei­ten möch­te. Der Ver­lag ist sehr fle­xi­bel – selbst CC-Lizen­zen wären mög­lich. Geld wird damit nicht zu ver­die­nen sein. Aber natür­lich sind die Ver­wer­tungs­rech­te (weit­ge­hend) weg. Und es ist halt ein Buch.

Man kommt aber an Ziel­grup­pen, die außer­halb der übli­chen Fil­ter­bubble lie­gen. Und berühmt wird man auch, was viel­leicht den ein oder ande­ren bes­ser bezahl­ten „Fol­ge­auf­trag“ nach sich zieht (Con­sul­ting, Refe­ra­te, Vorträge).

Opti­on B:

Ich mache das im Selbst­ver­lag – print on demand. Wäre eine span­nen­de Erfah­rung (Ich kann LaTeX) und wäre mir sicher, dass „Wer­bung“ dafür durch Social­me­dia irgend­wie läuft. Zusätz­lich kann man den Text online stel­len und z.B. durch Screen­casts und ande­re Medi­en immer wie­der ergän­zen, d.h. den Text als ler­nen­den orga­ni­sie­ren. Weil ich weiß, wie gut das mit ler­nen­den Tex­te funk­tio­niert (erst ges­tern hat wie­der jemand hier im Blog einen mei­ner Tex­te kor­ri­giert) , hät­te das schon Charme.

Das gäbe viel­leicht ein biss­chen Geld und etwas Renom­mé, jedoch noch weni­ger als bei Opti­on B. Aber die Rech­te blei­ben voll­stän­dig bei mir. Die Reich­wei­te ist bedeu­tend gerin­ger und im Wesent­li­chen auf die Fil­ter­bubble beschränkt.

Opti­on C:

Ich mache das über mei­nen Dienst­herrn. Das geht. Der ist näm­lich toll. Dann wäre das qua­si auch Arbeits­zeit. Und es wür­de mei­nem Lan­des­in­sti­tut nüt­zen, das ich sehr schät­ze, weil ich dank ihm so arbei­ten kann, wie ich arbei­ten möch­te. Auch die Rech­te­ge­schich­te wäre so viel unkom­pli­zier­ter zu hand­ha­ben. Finan­zi­ell unter dem Strich am lukrativsten.

Opti­on D:

Ich pus­te das als OER raus. So wie sich die Com­mu­ni­ty das vor­stellt. Ohne NC. Am ehes­ten bei ZUM in Wiki­form. Total­ver­lust über die Inhal­te. Und es ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass sich kom­mer­zi­el­le Play­er und Stif­tun­gen ganz schnell die­ser Inhal­te anneh­men und sie in ihrem Sin­ne ver­mark­ten. Das Geld in die­sem Feld machen dann ande­re. Gera­de im momen­ta­nen bil­dungs­po­li­ti­schen Umfeld. Dass Lehr­kräf­te OER außer durch Wor­te ver­gü­ten, habe ich noch nicht gese­hen. Aber es wäre ein­mal ein Expe­ri­ment, ob OER tat­säch­lich min­des­tens zum Min­dest­lohn funk­tio­niert – ich glau­be ehr­lich gesagt nicht daran.

Was meint ihr?

Wie soll ich das machen? Ernst­neh­men könn­te ich nur Ideen, die auch mei­ne Posi­ti­on berück­sich­ti­gen bzw. die sich ein wenig in mich hineinversetzen.

Medienkonzeptentwicklung

Die meis­ten Medi­en­kon­zep­ten von Schu­len, die ich so ken­ne, sind im Prin­zip tech­ni­sche Beschrei­bun­gen. Wie ein „rich­ti­ges Medi­en­kon­zept“ aus­se­hen kann, scheint nie­mand so recht zu wis­sen – es gibt natür­lich irgend­wel­che Mess­bar­keits­in­di­ka­to­ren, die man hin­ter­her anle­gen kann, aber beim Schrei­ben hilft das eher nicht so sehr.

In Nie­der­sach­sen gibt es mit dem Ori­en­tie­rungs­rah­men Medi­en­bil­dung ein Ange­bot, das Ori­en­tie­rungs­hil­fen geben soll bis hin­un­ter auf prak­ti­sche Unter­richts­bei­spie­le. Lesen ist da immer so eine Sache, sel­ber erfah­ren und machen ein ganz andere.

Dum­mer­wei­se zwingt das Doku­ment zusätz­lich dazu, fach­über­grei­fend zu schau­en. Durch sei­nen Cha­rak­ter als Quer­schnitt­auf­ga­be wird dar­aus ganz schnell ein Ele­ment der Schul­ent­wick­lung – qua­si eine Art tro­ja­ni­sches Pferd, was auf ein­mal mit­ten im Hof des eige­nes Faches her­um­steht und stört (zumal da ja auch noch Leu­te mit Brand­fa­ckeln – äh – Han­dys her­aus­kom­men). Des­we­gen ist die Idee, Medi­en­kon­zept­ent­wick­lung ohne direk­te Betei­li­gung und Steue­rung der Schul­lei­tung zu machen, eine ziem­lich nai­ve. So ste­hen dann immer noch oft genug die digi­ta­len Wil­den auf der Gesamt­kon­fe­renz, um sich dann das Bukett an Gefüh­len abzu­ho­len, wel­ches mit Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen nun­mal einhergeht.

In mei­nen Bera­tungs­pro­zes­sen hat sich ein Grund­struk­tur für die Medi­en­kon­zept­ent­wick­lung her­aus­kris­tal­li­siert, die erst­mal ein Aus­gangs­punkt sein kann. Ich arbei­te ger­ne kol­la­bo­ra­tiv mit Schu­len, die sich dar­auf ein­las­sen. Medi­en­kon­zep­te auf Papier in einer gesell­schaft­li­chen Über­gangs­pha­se wie der unse­ren hal­te ich für naiv und unöko­no­misch. Die Grund­struk­tur sieht so aus:

  1. Präambel
  • Was ändert sich durch digi­ta­le Medi­en in der Gesell­schaft und wie wol­len wir als Schu­le dar­auf reagieren?
  • Wo sehen wir Poten­tia­le für unse­ren Unter­richt und wo legen wir beson­de­ren Wert auf bewähr­te Methoden?
  • In wel­chem Ver­hält­nis sol­len bei uns digi­ta­les und ana­lo­ges Ler­nen zuein­an­der stehen?
  • Was sehen wir als Ziel im Hin­blick auf die digi­ta­le Bildung?
  1. Aus­stat­tung (Ist-Zustand)

(zu beschrei­ben durch tech­ni­sches Per­so­nal des Trä­gers oder des Medienzentrums)

  1. Unter­richts­in­hal­te im Kom­pe­tenz­be­reich “Bedienung und Anwendung”
  • Was tun wir bereits?
  • Was ist bereits in den Cur­ri­cu­la unse­res Faches im Hin­blick auf digi­ta­le Medi­en gefordert?
  • Was kön­nen wir als Kol­le­gi­um bereits und in wel­chem Bereich möch­ten wir uns fortbilden?
  • Was möch­ten wir ger­ne tun, kön­nen es aber auf­grund der Aus­stat­tung nicht?
  1. Unter­richts­in­hal­te im Kom­pe­tenz­be­reich “Information, Recher­che und (Daten-) erhebung”
  • Was tun wir bereits?
  • Was ist bereits in den Cur­ri­cu­la unse­res Faches im Hin­blick auf digi­ta­le Medi­en gefordert?
  • Was kön­nen wir als Kol­le­gi­um bereits und in wel­chem Bereich möch­ten wir uns fortbilden?
  • Was möch­ten wir ger­ne tun, kön­nen es aber auf­grund der Aus­stat­tung nicht?
  1. Unter­richts­in­hal­te im Kom­pe­tenz­be­reich “Kooperation und Kommunikation”
  • Was tun wir bereits?
  • Was ist bereits in den Cur­ri­cu­la unse­res Faches im Hin­blick auf digi­ta­le Medi­en gefordert?
  • Was kön­nen wir als Kol­le­gi­um bereits und in wel­chem Bereich möch­ten wir uns fortbilden?
  • Was möch­ten wir ger­ne tun, kön­nen es aber auf­grund der Aus­stat­tung nicht?
  1. Unter­richts­in­hal­te im Kom­pe­tenz­be­reich “Produktion und Präsentation”
  • Was tun wir bereits?
  • Was ist bereits in den Cur­ri­cu­la unse­res Faches im Hin­blick auf digi­ta­le Medi­en gefordert?
  • Was kön­nen wir als Kol­le­gi­um bereits und in wel­chem Bereich möch­ten wir uns fortbilden?
  • Was möch­ten wir ger­ne tun, kön­nen es aber auf­grund der Aus­stat­tung nicht?
  1. Unter­richts­in­hal­te im Kom­pe­tenz­be­reich “Medienkritik, Medi­en­ana­ly­se und medi­en­ethi­sche Reflexion”
  • Was tun wir bereits?
  • Was ist bereits in den Cur­ri­cu­la unse­res Faches im Hin­blick auf digi­ta­le Medi­en gefordert?
  • Was kön­nen wir als Kol­le­gi­um bereits und in wel­chem Bereich möch­ten wir uns fortbilden?
  • Was möch­ten wir ger­ne tun, kön­nen es aber auf­grund der Aus­stat­tung nicht?
  1. Beson­de­re Herausforderungen
  • Wel­che Bedar­fe haben Sprach­lern- und Inklu­si­ons­klas­sen konkret?
  • Inwie­fern dif­fe­ren­zie­ren wir dort schon durch den Ein­satz digi­ta­ler Medien?
  • Wo wün­schen wir uns wei­te­re Mög­lich­kei­ten, auch IT-gestützt zu arbeiten?
  1. Infor­ma­ti­ons- und Kommunikationsmanagement
  • Wie kom­mu­ni­zie­ren wir mit Ämtern, Eltern, Schü­lern und Kollegen?
  • An wel­cher Stel­le sehen wir Schwie­rig­kei­ten oder Verbesserungsbedarf?
  • Inwie­fern kön­nen und digi­ta­le Medi­en dabei ggf. unterstützen?
  1. Fortbildung
  • Wel­che Fort­bil­dungs­maß­nah­men füh­ren wir im Bereich digi­ta­le Medi­en bereits durch?
  • Wel­che Fort­bil­dungs­maß­nah­men benö­ti­gen wir?
  • Wie inte­grie­ren wir Fort­bil­dung in unse­ren Schulalltag?
  • Wer orga­ni­siert vor Ort in wel­chem Umfang die Betreu­ung der IT bisher?

 

Die­ses Kon­zept ist auf Grund­schu­len zuge­schnit­ten. An wei­ter­füh­ren­den Schu­len wird man das noch fach­be­zo­gen auf­schlüs­seln müssen.

Lernplattformen

Vorbemerkung:

Ich äuße­re hier mei­ne Sicht und mei­ne Mei­nung zum The­ma Lern­platt­for­men, die sich allein auf mei­nem per­sön­li­chen Erfah­rungs­wis­sen grün­det. Auch ich ken­ne Schu­len, an denen es mit einer Lern­platt­form gut läuft und auch ich den­ke, dass in bestimm­ten Kon­stel­la­tio­nen eine Lern­platt­form ggf. hilf­reich für Schul­ent­wick­lung sein kann.

Warum ich Lernplattformen sehr kritisch sehe

Lern­platt­for­men wie Mood­le, Comm­sy oder auch kom­mer­zi­el­le Vari­an­ten wie its­lear­ningWeb­wea­ver, Goog­le Class­room und iTu­nes U stel­len eine vir­tu­el­le Lern­um­ge­bung bereit.

Das Prin­zip ist fast immer gleich: Ein zen­tra­les Log­in ermög­licht Zugriff auf bestimm­te Funk­tio­nen, die sich grup­pie­ren und struk­tu­rie­ren las­sen, z.B. kann ich inner­halb von Mood­le soge­nann­te Kur­se anbie­ten, die diver­se Funk­tio­nen bereit­stel­len, etwa ein Forum, Arbeits­ma­te­ria­li­en, ein­ge­bet­te­te Medi­en, Online­tests u.v.m.. Die­se Kur­se kann ich tei­len, expor­tie­ren, wie­der­ver­wer­ten, gemein­sam mit ande­ren Lehr­kräf­ten ent­wi­ckeln. Dar­über­hin­aus wer­den zuneh­mend Kura­ti­ons­tools ein­ge­setzt, etwa bei iTu­nes U: Ich kann ähn­lich wie bei paper.li Web­in­hal­te auf einer spe­zi­el­len Sei­te zusam­men­stel­len – qua­si ein Web­quest auf multimedial.

Das hört sich erst­mal pri­ma an. Ich war in Deutsch­land lan­ge Zeit sehr aktiv in der Mood­le­sze­ne und hat­te als Bera­ter Zugriff auf zahl­rei­che Test­in­stal­la­tio­nen kom­mer­zi­el­ler Pro­duk­te. Ich bin kein Maß­stab, weil ich zen­tra­li­sier­te Din­ge für die Arbeit mit digi­ta­len Medi­en nicht mehr benö­ti­ge, aber kei­ne der Test­stel­lun­gen und kei­ne mei­ner Test­in­stal­la­tio­nen in den letz­ten Jah­ren hat mich in irgend­ei­ner Wei­se dazu gebracht, Spaß oder Freu­de bei der Arbeit mit dem jewei­li­gen Sys­tem zu empfinden.

Das ist ja auch nicht zwin­gend not­wen­dig, aber dazu kam, dass auch der für mich sehr typi­sche prag­ma­ti­sche Zugang auf kei­ner der Lern­platt­for­men mög­lich war: Sie kos­te­ten mich ein­fach nur Zeit durch die kom­pli­zier­te Bedie­nung, die vor­ge­ge­be­nen Struk­tu­ren, das oft haar­sträu­ben­de Datei­ma­nage­ment, die pro­prie­tä­ren Schnitt­stel­len – und ich hal­te mich selbst für einen mit­tel­mä­ßig begab­ten Anwen­der (das ist etwas völ­lig ande­res als ein Tech­ni­ker oder Admi­nis­tra­tor). Es gibt eine Rei­he von Wer­be­aus­sa­gen zu Lern­platt­for­men, die ich im Fol­gen­den ein­mal aufs Korn neh­men möchte:

1. Eine Lernplattform bietet schulweit einen geschützten Raum mit klar definierter Benutzerführung

Das stimmt von einem tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Hypo­the­tisch bie­tet sie das. „Schul­weit“ bedeu­tet für mich, dass alle Lehr­kräf­te in die­se Platt­form ein­ge­wie­sen sind und regel­mä­ßig im Unter­richt mit ihr arbei­ten. Nur so ent­wi­ckeln sich Rou­ti­nen im All­tag. Tat­säch­lich höre ich von Schu­len, in denen Lern­platt­for­men „ein­ge­führt“ sind, ganz oft ganz ande­re Din­ge. „Schul­weit“ bedeu­tet in der Rea­li­tät oft genug „drei oder vier beson­ders akti­ve Lehr­kräf­te mit ihren Lerngruppen“.

Schul­weit“ ist eine Hal­tung, die schon vor­han­den sein muss, bevor eine Lern­platt­form ihr unter­stüt­zen­des Poten­ti­al über­haupt ent­wi­ckeln kann.

Ein­fach mal machen“ führt oft genug ledig­lich dazu, dass eine Lern­platt­form 1:1 die Struk­tu­ren an einer Schu­le abbil­det – somit ist sie für mich dann zwar ein tol­les Bera­tungs­in­stru­ment, aber oft genug sehr bald für die Schu­le selbst eine zusätz­li­che Belastung.

Man sieht das recht hübsch an den Dis­kus­sio­nen im deut­schen Forum auf moodle.org. Immer noch dre­hen sich gefühlt 90% der Fra­gen um Sper­ren, Ein­schrän­ken, Bewer­tungs­ras­ter fein­tu­nen und ähn­li­che Dinge.

Wenn ich ver­su­che, in Rich­tung  „schul­weit“ zu bera­ten, kommt selt­sa­mer­wei­se am Schluss oft eben nicht die Ent­schei­dung für eine Lern­platt­form dabei her­aus, son­dern erst­mal sowas in die Rich­tung wie Datei­aus­tausch, Ter­mi­ne, E‑Mail – also typi­sche Cloud­funk­tio­nen. Danach ent­wi­ckelt es sich oft eher von dem Grund­kon­strukt „Lern­platt­form“ weg.

2. Eine Lernplattform bietet erweiterte Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften durch z.B. Austausch von Materialien, Aufgabenstellungen und Medien

Das stimmt von einem tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Hypo­the­tisch bie­tet sie das. Ich kann z.B. bestimm­te Struk­tu­ren expor­tie­ren und im nächs­ten Jahr wie­der­ver­wen­den. Wenn ich einen Kurs zum The­ma „Pro­gram­mie­ren mit Ardui­no“ erstellt habe, kann ich die­sen dar­über­hin­aus mit ande­ren Lehr­kräf­ten tei­len. Bei Mood­le kann ich sogar im glei­chen Kurs mit ver­schie­den Grup­pen gleich­zei­tig arbei­ten, ohne dass die­se Grup­pen sich gegen­sei­tig sehen. Ich kann das. Was ist mit mei­nem Kol­le­gen, der nicht ein­mal weiß, wie er das Bild des Note­books auf den Bea­mer bekommt? Der wird schon an der Anmel­dung und der Ein­rich­tung eines Kur­ses in Mood­le schei­tern – ande­re Sys­te­me sind da aber tat­säch­lich ent­schie­den intuitiver.

Wer dar­über­hin­aus schon ein­mal einen Kurs in einer Lern­platt­form gebaut hat, weiß, dass das oft Stun­den dau­ert – für mich völ­lig inef­fi­zi­ent. Zudem will ich ja gera­de nicht nur Inhal­te bereit­stel­len, son­dern ich möch­te mich z.B. im Fach Deutsch mit mei­nem Fach­wis­sen mit den von SuS erstell­ten Inhal­ten aus­ein­an­der­set­zen und sie selbst dar­über ins Gespräch bringen.

Wenn ich hin­ge­gen Inhal­te bereit­stel­len muss (z.B. im Fach Che­mie), dann tue ich das doch nicht auf einer pro­prie­tä­ren Lern­platt­form mit ihren für mich extremst ein­ge­schränk­ten Im- und Export­funk­tio­nen. Mei­ne Inhal­te sind für mich als Leh­rer eine essen­ti­el­le Res­sour­ce, mit der ich mich nicht an ein For­mat bin­den möch­te, was ich nicht selbst kon­trol­lie­ren kann. Wenn eine Schu­le z.B. jah­re­lang bei Anbie­ter x auf Lern­platt­form y gear­bei­tet und der Anbie­ter dann z.B. die Preis­struk­tur mas­siv ändert (das ist kein hypo­the­ti­sches Set­ting, son­dern das kommt vor!) – sage ich dann als Schu­le: „Och, jetzt ist zwar die Arbeit von Jah­ren im Sys­tem, aber den Preis, nö, den zah­le ich nicht und wechs­le jetzt zu Anbie­ter z!“

Mei­ner Mei­nung nach unter­schät­zen vie­le Anbie­ter genau die­sen Aspekt, weil er sel­ten so klar for­mu­liert wird, aber intui­tiv bei vie­len Lehr­kräf­ten eine sehr gro­ße Rol­le spielt. Dazu kommt die Angst, dass Mate­ria­li­en durch die digi­ta­le Prä­senz auf ein­mal auch beur­teil- und eva­lu­ier­bar wer­den. Das kann man kri­ti­sie­ren und doof fin­den. Die Angst bleibt trotzdem.

3. Eine Lernplattform ist ein zentrales Instrument zur Organisation von Kommunikationsprozessen an Schulen und schafft so Transparenz

Das stimmt von einem völ­lig ver­al­te­ten tech­no­lo­gi­schen Stand­punkt aus. Meist funk­tio­nie­ren Lern­platt­for­men so, dass man sich über eine Web­ober­flä­che ein­log­gen muss, um dann auf eine Art Dash­board zu kom­men, was alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen für mich anzeigt. Oder es gibt eine geson­der­te App für ein Mobil­ge­rät (Han­dy, Tablet), die das für mich erle­digt. In mei­ner Welt (und in der Welt der Mobil­ge­rä­te über­haupt) fin­det Daten­aus­tausch aber recht anders statt:

  • E‑Mail über imaps
  • Ter­mi­ne über CalDAVs
  • Datei­en über WebDAVs
  • Nach­rich­ten über XMPP (mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung)
  • Kon­takt­da­ten über CardDAVs
  • Inhal­te über XML
  • […]

Das sind alles offe­ne Protokolle/Formate, wie sie jeder von uns täg­lich nutzt ohne es zu wis­sen, weil irgend­ei­ne App das erle­digt, die wir ent­we­der vom Her­stel­ler des Betriebs­sys­tem über­neh­men oder aber selbst bestim­men. Her­stel­ler von Lern­platt­for­men nei­gen zum über­wie­gen­den Teil dazu, die­se offe­nen, frei­en und ver­schlüs­sel­ten Stan­dards durch irgend­et­was zu erset­zen, das nur zu ihrer jewei­li­gen Lern­platt­form passt.

Schlachtung meiner Thesen durch Anbieter

In der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Anbie­tern, wer­den der­ar­ti­ge The­sen von mir nicht geschlach­tet, son­dern in einer ganz bestimm­ten Art und Wei­se gekontert.

  • pro­prie­tä­re For­ma­te sind für die Kon­sis­tenz der Daten not­wen­dig. Zudem sind tech­nisch kei­ne über­grei­fen­den Aus­tausch­for­ma­te mög­lich (PS: Das XML-For­mat von Mood­le oder Word­Press zeigt, dass das wohl schon irgend­wie geht)
  • die Schul­kul­tur, die zu der von mir gefor­der­ten „schulweit“-Lösung not­wen­dig ist, kann sich ja evo­lu­tio­när durch Unter­stüt­zung mit einer Lern­platt­form bil­den – ohne gin­ge es ja gar nicht – das sei ja gera­de die Ver­ant­wor­tung der Schu­le (PS: Da liegt der Kern der Arbeit, bei dem eine Lern­platt­form gera­de nicht unterstützt)
  • für die meis­ten Schu­len sind die durch Lern­platt­for­men gebo­te­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­er­wei­te­run­gen schon Quan­ten­sprün­ge gegen­über der bis­he­ri­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur (PS: Die Sache wäre wesent­lich nie­der­schwel­li­ger zu bewerk­stel­li­gen ohne den Umweg über Weboberflächen)
  • Lern­platt­for­men las­sen sich durch Zusatz­tools her­vor­ra­gend ergän­zen und in ihren Mög­lich­kei­ten erwei­tern – Mood­le etwa durch das schü­ler­zen­trier­te Maha­ra (PS: Die Inte­gra­ti­on der dabei ent­ste­hen­den Inhal­te in die ursprüng­li­che Lern­platt­form ist dann meist eher recht rudi­men­tär implementiert)
  • Lern­platt­for­men haben als Mit­tel zur Orga­ni­sa­ti­on von instruk­ti­ven Lern­pro­zes­sen eine wich­ti­ge Rolle

Ich sehe das viel zu nega­tiv, weil ich immer mit der „Kun­den­bin­dungs­po­ten­ti­al­bril­le“ auf die ver­schie­de­nen Ange­bo­te schaue: Ein Anbie­ter ist auf Wert­schöp­fung ange­wie­sen – dar­an ist über­haupt nichts Verwerfliches.

Ich hal­te die Kun­den­bin­dung aber auch für ein Motiv, eben z.B. kei­ne anbie­ter­über­grei­fen­den Im- und Export­stan­dards zu imple­men­tie­ren – natür­lich wird das nie­mand so offen nach außen kommunizieren.

 

Wie soll man es denn sonst machen?

Das wäre eine eige­ner Arti­kel. Des­we­gen hier nur zwei Thesen:

  • Identity‑, Grup­pen- und Rol­len­ma­nage­ment gehö­ren nicht in eine Lern­platt­form, son­dern öffent­lich orga­ni­siert. Durch ACLs wird fest­ge­legt, was die Lern­platt­form (oder die jewei­li­ge Appli­ka­ti­on) lesen/sehen darf und was nicht und wel­che Rol­le wer wo im Sys­tem erhält.
  • Die zen­tra­le Ver­wal­tung des Iden­ti­ty­ma­nage­ments gibt jeder Lehr­kraft bzw. jeder Schu­le die Mög­lich­keit, die Tools ein­zu­set­zen, die sie für ihren Unter­richt für not­wen­dig hält: Lern­platt­form, Blog, Wiki, Video­kon­fe­renz­soft­ware – alles wer­den ledig­lich „Apps“, die dar­an anbind­bar sind – auf Knopf­druck instal­liert, mit Nut­zern befüllt.

PS: Das geht alles schon und ist auch schon so umge­setzt – aller­dings eher auf Firmenebene.

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