Moodle – ein Lehrendensubstitut?

Gro­ße Hoff­nun­gen wer­den zur Zeit in das LMS „Mood­le“ gesetzt. Stich­wor­te wie „Schü­ler­ak­ti­vie­rung“, „Doku­men­tier­bar­keit von Schü­ler­leis­tun­gen“ und „Weg vom klas­si­schen Fron­tal­un­ter­richt“ machen unter Mood­le­nut­zern die Run­de. Und tat­säch­lich: Sinn­voll als metho­di­sche Ergän­zung zum eige­nen Unter­richt ein­ge­setzt, leis­tet Mood­le genau das.

Mood­le birgt aber auch die Gefahr einer gro­ßen Ver­füh­rung für den Leh­ren­den: Schließ­lich setzt er Mood­le ein, ist damit schon „modern“ und kann sich dadurch effek­tiv inner­halb eines Kol­le­gi­ums pro­fi­lie­ren. So wird gera­de zu Anfang der Mood­le­nut­zung ver­ges­sen, dass Schü­le­rin­nen und Schü­ler gera­de aus einem ganz bestimm­ten Grund in die Schu­le – also in ein Gebäu­de außer­halb der eige­nen vier Wän­de – gehen: Sozia­le Kon­tak­te und Lernat­mo­sphä­re. Ich mache die Erfah­rung, dass ich von Men­schen, denen ich ver­traue und die ich für inte­ger hal­te, schnel­ler und bes­ser ler­ne, als von ande­ren Per­sön­lich­keits­ty­pen. Wie sieht es mit der Per­sön­lich­keit eines Rech­ners aus?

Flüch­ten wir als Leh­ren­de nicht oft genug ein stück­weit vor der päd­ago­gi­schen Ver­ant­wor­tung, wenn wir z.B. am Frei­tag in der 5. oder 6. Stun­de in den Com­pu­ter­raum gehen und dort den Schü­le­rin­nen und Schü­lern statt vor­be­rei­te­ter, anfass­ba­rer Mate­ria­li­en und ech­ten Dis­kus­sio­nen PDFs und vir­tu­el­le Kon­tak­te bie­ten? Was unter­schei­det ein sol­ches Ler­nen eigent­lich von dem Ein­schie­ben einer Lern-CD in den hei­mi­schen PC?

Ein guter Leh­rer wird nicht ein­fach den Satz „Nun sucht ein­mal im Inter­net zum Begriff…“ durch eine Mate­ria­li­en­an­häu­fung inner­halb eines Mood­le­kur­ses erset­zen – viel­leicht sogar noch mit einem Wiki dabei, in das die im Netz gefun­de­nen Ergeb­nis­se per Drag’n Drop ein­ge­fügt wer­den. Er wird sich und sei­ne Lern­kon­trol­len nicht voll­stän­dig durch das Test­mo­dul von Mood­le substituieren.

Er wird Mood­le vor allem als Instru­ment der Kom­mu­ni­ka­ti­on außer­halb des Unter­richts ent­wi­ckeln – das größ­te Poten­ti­al sehe ich hier­bei in der Zusam­men­ar­beit mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, ange­fan­gen vom zwang­lo­sen Mate­ri­al­aus­tausch bis hin zur gemein­sa­men Ver­wal­tung von Ter­mi­nen oder der dem fach­li­chen Austausch.

Wenn Mood­le der Leh­ren­de wird, ist Mood­le schlecht und falsch ver­stan­den ein­ge­setzt. Mood­le muss und darf ledig­lich das Instru­ment des Leh­ren­den sein.

Moodle als Mittel zur schülerzentrierten Textkorrektur

Ver­si­on 1:
„Man soll­te Schuni­for­men anscha­fen weil, vie­le Jun­gen und Mäd­chen mit der Klei­dung angeben.So lernt man das man nicht ange­ben soll­te. Dann gibt es kein Mob­bing wegen der Klei­dung mehr.“

Ver­si­on 2:
„Man soll­te Schuni­for­men anschaf­fen weil, vie­le Jun­gen und Mäd­chen mit der Klei­dung angeben.So lernt man das man nicht ange­ben soll­te. Dann gibt es kein Mob­bing wegen der Klei­dung mehr.Niemand fühlt sich ausgegrezt.Man macht Wer­bung für die Schu­le und es ist nicht so viel ande­re Klei­dung nötig.“

 

Bei­de Bei­spie­le sind authen­ti­ti­sche Schü­ler­tex­te aus mei­nem Deutsch­un­ter­richt in der 5. Klas­se zum The­ma „Argu­men­tie­ren und Dis­ku­tie­ren“. Die Authen­ti­zi­tät wird leicht durch die alters­ty­pi­schen Recht­schreib­feh­ler erkenn­bar. Den­noch lässt sich nicht abstrei­ten, dass der zwei­te Text struk­tu­rell und inhalt­lich über­zeu­gen­der gestal­tet ist – vor allem durch die grö­ße­re Zahl an Bei­spie­len. Die Ver­bes­se­run­gen erfol­gen rein schü­ler­zen­triert. Dazu kam metho­disch das LMS (Lern Manage­ment System) Mood­le mit sei­nem inte­grier­ten Foren­mo­dul nach einer ent­spre­chen­den Vor­be­rei­tung zum Einsatz.

 

Fol­gen­des soll­te gege­ben sein:

  • die SuS sol­len einen kur­zen Text verfassen
  • die SuS haben im Unter­richt Kri­te­ri­en zum Ver­fas­sen die­ses Tex­tes ken­nen gelernt und bereits in den Hef­ten schrift­lich fixiert


1. Pha­se (Bil­dung der Peergroup):
Fer­ti­gen Sie Lose an. Jeder Schü­ler­na­me muss auf einem roten, blau­en und gel­ben Los vor­kom­men, d.h. jeweils drei ver­schie­den­far­bi­ge Lose ent­hal­ten den glei­chen Schülernamen.
Jeder Schü­ler zieht nun je ein Los von jeder Far­be – er hat also jetzt drei Namen aus der Klasse.

2. Pha­se (Schreib­pha­se):
Jeder Schü­ler ver­fasst nun sei­nen Text in Form eines Foren­bei­trags. In den Titel sei­nes Bei­trag schreibt er sei­nen vol­len Namen in Großbuchstaben.

3. Pha­se (Feed­back­pha­se):
Jeder Schü­ler ruft die drei Foren­bei­trä­ge der Schü­ler auf, die auf sei­nen Losen ste­hen, und for­mu­liert Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge als Antwort.

4. Pha­se (Über­ar­bei­tungs­pha­se):
Jeder Schü­ler ver­bes­sert den eige­nen Text, indem er ihn kopiert und als neue Ant­wort unter das Feed­back sei­ner Mit­schü­ler hin­zu­fügt. Dabei hebt er von ihm geän­der­te Pas­sa­gen farb­lich hervor.

Varia­tio­nen:
Feed­back- und Über­ar­bei­tungs­pha­se sind belie­big wie­der­hol­bar. Die Peer­groups kön­nen natür­lich in ihrer Grö­ße den Fähig­kei­ten der Lern­grup­pe ange­passt werden.

Erfah­run­gen:
Die zu schrei­ben­den Tex­te dür­fen nicht zu lang sein, da ansons­ten die Kor­ri­gie­ren­den schnell die Lust ver­lie­ren. Die Metho­de muss natür­lich auch außer­halb des übli­chen Unter­richts lau­fen. Ich habe es sehr sel­ten erlebt, dass sich die Tex­te durch die­se Metho­de nicht ver­bes­sert haben, da gera­de SuS meist sehr kom­pe­ten­te Lese­rin­nen und Leser sind, die oft wesent­lich schär­fer als der Leh­ren­de selbst bewer­ten. Eine gewis­se Sozi­al­kom­pe­tenz muss natür­lich gege­ben sein.

Im vor­lie­gen­den Fall bekam unser authen­ti­scher Schü­ler – natür­lich nach Feed­back­übun­gen inner­halb der Klas­se – fol­gen­de Rückmeldungen:

Das ist sehr gut gewor­den. Viel­leicht kannst du noch ein paar mehr Bei­spie­le einfügen“

Du könn­test mehr Bei­spie­le einbringen.Aber sonst hast du ein schö­nes Argu­ment geschrieben!“

das ist sehr gut gewor­den, aber da müs­sen noch mehr Bei­spie­le rein!!!“

Kri­tisch hin­ter­fragt wer­den muss, ob die letz­ten bei­den Äuße­run­gen nicht vom ers­ten Bei­trag abge­schrie­ben wor­den sind. Ent­schei­dend ist für mich, dass sich durch die­se Metho­de der Text des Schü­lers ohne mein Dazu­tun ver­bes­sert hat. Idea­ler­wei­se führt man die­se Metho­de natür­lich für Haus­auf­ga­ben und nicht in der Schu­le durch. Gleich­zei­tig konn­te ich die Kom­pe­tenz des ein­zel­nen Schü­lers sowohl für das Kor­ri­gie­ren der eige­nen Tex­te als auch für das Kri­ti­sie­ren frem­der Tex­te nutzen.

Ist das nicht sehr viel Auf­wand? Könn­te man eine sol­che Metho­de nicht auch ein­fach im Unter­richt in Klein­grup­pen durchführen?

Das könn­te man mit even­tu­ell ähn­li­chem Erfolg, der jedoch nicht doku­men­tiert ist (und das scheint ja immer wich­ti­ger zu wer­den). Wei­ter­hin ver­mei­det man in gewis­ser Wei­se auch sozia­le Pro­ble­me: Oft sind die Mäd­chen in den Spra­chen stär­ker, aber die Jun­gen in dem Alter ent­wick­lungs­be­dingt nicht unbe­dingt gewillt, kon­struk­tiv mit Mäd­chen zusam­men­zu­ar­bei­ten. Schluss­end­lich kann ich eine der­ar­ti­ge Kor­rek­tur als Pro­zess außer­halb der Schu­le orga­ni­sie­ren. Den Fak­tor der Moti­va­ti­on – schließ­lich arbei­ten wir mit dem Rech­ner – darf man auch nicht außer Acht las­sen. Ich wen­de die­se Metho­de – auch wenn sie gele­gent­lich schief­geht – immer ger­ne an, weil ich so eine Viel­zahl authen­ti­ti­scher Schü­ler­tex­te für mei­ne Unter­richts­vor­be­rei­tung gewinne.

Die­se Metho­de funk­tio­niert übri­gens mit jedem Forum oder Lern­ma­nage­ment­sys­tem – nicht nur mit Moodle!

 

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