Kompetenzsimulationen und Prüfungsformate

Axel Krom­mer hat mit der Über­tra­gung des Gedan­ken­ex­pe­ri­ments des „Chi­ne­si­schen Zim­mers“ (Sear­le) eine bemer­kens­wer­te Ana­lo­gie zum dem for­mu­liert, was nach sei­ner Wahr­neh­mung oft in deut­schen Klas­sen­zim­mern pas­siert. In dem fol­gen­den Vor­trag wer­den die Kern­ge­dan­ken poin­tiert sichtbar.

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In der Kür­ze des Vor­trags sind – wie er selbst ein­räumt – eher pla­ka­ti­ve und ver­kürz­te Aus­sa­gen not­wen­dig. Ich ver­su­che unter die­ser Prä­mis­se die Kern­ge­dan­ken des Vor­trags ein­mal recht kom­pri­miert wiederzugeben.

  1. In Schu­le wer­den statt des ech­ten Ver­ständ­nis­ses von Inhal­ten gele­gent­lich nur Lösungs­re­zep­te zum Nach­weis einer Kom­pe­tenz benö­tigt. Eine gute Note kann ent­we­der durch Aus­wen­dig­ler­nen oder das Schau­en von z.B. You­tube­vi­de­os erreicht wer­den, ohne dass ein ech­ter Kom­pe­tenz­er­werb erfolgt.
  2. Das Vor­han­den­sein zahl­rei­cher „Rezept­evi­de­os“ und der Erfolg des damit ver­bun­de­nen Geschäfts­mo­dells ist ein Hin­weis dar­auf, dass es in Schu­le oft genau so funktioniert.
  3. Start­ups und Eduin­fluen­cer zei­gen durch ihre Spra­che – z.B. „Schu­le hacken“ – ein pro­ble­ma­ti­sches Ver­hält­nis gegen­über Schule.
  4. Im Kon­text des För­der­pro­gram­mes „Schlie­ßung von Bil­dungs­lü­cken“ besteht die rea­le Gefahr, dass Start­ups und Influen­cer geför­dert wer­den, die die­sen pro­ble­ma­ti­schen Ansatz verfolgen.
  5. Die­se Start­ups neh­men für sich in Anspruch, das Schul­sys­tem ret­ten zu wol­len, zemen­tie­ren letzt­lich jedoch durch „Kom­pe­tenz­si­mu­la­ti­ons­an­ge­bo­te“ den Sta­tus Quo.
  6. Ech­te Ver­än­de­run­gen müs­sen anders ein­ge­lei­tet wer­den, etwa durch ver­än­der­te Prüfungsformate.

In sich ist die­se Argu­men­ta­ti­on für mich voll­kom­men schlüs­sig. Ich bin nicht voll­stän­dig davon über­zeugt, dass ver­än­der­te Prü­fungs­for­ma­te ein geeig­ne­ter Hebel­punkt sein kön­nen, weil die­se für mich nicht vor­aus­set­zungs­los sind. Gedan­ken zur Ver­än­de­rung von Schu­le gibt es schon, sehr sehr lan­ge. Es hat auch vie­le Ansät­ze gege­ben, am Sys­tem etwas zu ändern. Als der größ­te Wurf und größ­te didak­ti­sche Hoff­nung mag dabei viel­leicht die Ein­füh­rung der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung in Kern­cur­ri­cu­la gelten.

Ist es nicht erstaun­lich, dass heu­te – mehr als zwei Jahr­zehn­te spä­ter – immer noch Begrif­fe wie „Kom­pe­tenz­si­mu­la­ti­on“ eine schlüs­si­ge Argu­men­ta­ti­on bedin­gen? Ist es nicht erstaun­lich, dass Unter­richt sich offen­bar nach Aus­sa­ge die­ses Vide­os so wenig ver­än­dert hat? Hät­te es das Inter­net bereits 1980 gege­ben – wäre der Erfolg von Influen­cern ein ande­rer? Leh­rer­ge­nera­tio­nen wur­den aus­ge­tauscht, aber das Kom­pe­tenz­mo­dell wird immer noch oft genug belä­chelt? War­um eigent­lich? War­um soll­te es bei Prü­fungs­for­ma­ten anders sein? Läuft doch gut mit dem zar­ten Pflänz­chen der „Prä­sen­ta­ti­ons­prü­fung“, oder?

Bei der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung ist man so vor­ge­gan­gen, dass man Vor­ga­ben gemacht hat. Im Wesent­li­chen war es das aber schon. Die Öff­nung für wei­te­re Prü­fungs­for­ma­te sind für mich im Kern auch erst ein­mal Vor­ga­ben bzw. wer­den die­se sich in die­ser Form im bestehen­den Sys­tem eta­blie­ren – wenn sie sich dann eta­blie­ren. So wie die Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung sich ja eta­bliert hat.

Mei­ner Ansicht nach, ver­liert man oft aus dem Blick, dass Lehrer:innenausbildungsphasen den Grund­stein für eine Hal­tung legen muss, die Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung und mei­net­we­gen „zeit­ge­mä­ße Prü­fungs­for­ma­te“ ermög­licht. Und: Der „Dome­sti­fi­ka­ti­ons­ef­fekt“ des bestehen­den Sys­tem bedarf einer wie auch immer gear­te­ten Kompensation:

Was nützt die super­du­per uni­ver­si­tä­re Aus­bil­dung, wenn man danach am phi­lo­lo­gi­schen Ereig­nis­ho­ri­zont eines Klaf­ki-Aus­bil­dungs­se­mi­nars zer­schellt? (Sowas gibt es natür­lich nicht – ist eine rhe­to­ri­sche Überspitzung).

Mei­ne Wahr­neh­mung ist, dass man sich im uni­ver­si­tä­ren Bereich ger­ne auf das eige­ne Fach­ge­biet zurück­zieht. Ich glau­be, dass da in den letz­ten Jah­ren Gro­ßes gedacht und geleis­tet wor­den ist. Der Anspruch an Schu­le ist dann aber gele­gent­lich ver­netz­tes, sys­te­mi­sches Denken.

Ich kann die Kon­zen­tra­ti­on auf Prü­fungs­for­ma­te ver­ste­hen. Es ist greif­bar, es ist kon­kret, man kann auf bestehen­de For­schung zurück­grei­fen. Ich bin mir nicht so sicher, ob da mehr dabei her­aus­kommt, wie bei der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Axels Argu­men­ta­ti­ons­gang lässt sich ja durch­aus so lesen, dass das in der Hin­sicht kom­plett opti­mier­bar ist.

Stei­le The­se also:

Unter dem Strich ist die (allei­ni­ge) Beschäf­ti­gung mit Prü­fungs­for­ma­ten eine Schul­ver­än­de­rungs­il­lu­si­ons­si­mu­la­ti­on, wenn sie auf der inhalt­li­chen Ebe­ne verharrt.

Und ich fin­de als „Techi“ den Begriff „hacken“ gar nicht so feind­se­lig. Letzt­lich wen­det man beim Hacken ledig­lich ein Sys­tem gegen sich selbst – was (in der Soft­ware­ent­wick­lung) oft zu sub­stan­ti­el­len Ver­bes­se­run­gen führt und damit in die­ser Ana­lo­gie durch­aus ein Bau­stein für prag­ma­ti­sche Schul­ent­wick­lung sein kann. Das ist in Bezug auf die Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie einer Start­up­sze­ne viel­leicht gera­de doof, zumal den „Guten“ genau dafür oft die Mit­tel feh­len. Ande­re Schul­kul­tur, ande­re Startups.

So ist das halt. Viel­leicht reicht Trom­meln in den Echo­kam­mern wis­sen­schaft­li­cher Publi­ka­ti­ons­kul­tur halt nicht – Axel darf sich in dem Punkt aus­drück­lich nicht ange­spro­chen fühlen.