Gestürmte Videokonferenzräume, gestörter Unterricht

Zur­zeit häu­fen sich die Mel­dun­gen über geziel­te Stö­run­gen im Online­un­ter­richt. Beson­ders betrof­fen ist Online­un­ter­richt, der auf syn­chro­ne For­ma­te setzt: Dabei wird Unter­richt nach Stun­den­plan in den häus­li­chen Bereich der Schüler:innen übertragen.

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https://www.youtube.com/watch?v=oc_ZPt-LVBQ

Die­se Vor­fäl­le sind wahr­schein­lich die abso­lu­te Aus­nah­me und in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung über­be­tont. Die meis­ten Vor­fäl­le sind harm­lo­se Strei­che und beinhal­ten ledig­lich das Aus­tes­ten von Gren­zen. Aber sie kön­nen vor­kom­men und es kann theo­re­tisch jeden tref­fen.

 

Welche Art von Störungen können auftreten?
  1. Nicht zur Klas­se gehö­ri­ge Per­so­nen betre­ten den Video­kon­fe­renz­raum und reden dazwischen.
  2. Nicht zur Klas­se gehö­ri­ge Per­so­nen tei­len nicht jugend­freie Inhal­te per Bild­schirm­frei­ga­be oder Abspie­len eines Videos.
  3. Online-Unter­richt wird von Schüler:innen abge­filmt und an ande­rer Stel­le ver­öf­fent­licht. Zusätz­lich kann das Mate­ri­al bear­bei­tet sein.
  4. Online-Unter­richt wird von Eltern abge­filmt und in Eltern­grup­pen zur Dis­kus­si­on gestellt, ggf. sogar der Schul­lei­tung vorgelegt.
Welche Lehrkräfte und Schüler:innen sind besonders betroffen?

Unsi­che­re Lehr­kräf­te ver­lie­ren durch das Strea­ming in den häus­li­chen Bereich Kon­trol­le und ihren Schutz­raum. Poten­ti­el­les Fehl­ver­hal­ten und päd­ago­gi­schen Unver­mö­gen wird auch ohne Video- und Ton­auf­nah­men in einer Wei­se trans­pa­rent, was im rein ana­lo­gen Raum nur mit gro­ßen sozia­len Hür­den mög­lich würde.

Schüler:innen in wirt­schaft­lich oder per­sön­lich schwa­chen Posi­ti­on sind beson­ders gefähr­det, Opfer von Über­grif­fen zu wer­den. Nicht sel­ten gibt es bereits Erfah­run­gen im Freun­des­kreis, wo z.B. Men­schen durch Video- und Ton­auf­nah­men in Mes­sen­gern oder sozia­len Medi­en bloß­ge­stellt wur­den. In man­chen Klas­sen müs­sen Vor­be­hal­te, der Schüler:innen, sich mit der Kame­ra hin­zu­zu­schal­ten auch vor die­sem Hin­ter­grund betrach­tet werden.

Strafrechtlich relevant oder nicht?

Ich beob­ach­te sehr oft eine gro­ße Scheu, Vor­fäl­le an die Poli­zei abzu­ge­ben. Ich bin der Mei­nung, dass das bei jeder Akti­on der Fall sein muss, bei der sich eine Straf­bar­keit nach StGB ergibt, z.B.

  • Zugäng­lich­ma­chung von por­no­gra­fi­schem Material
  • Anfer­ti­gung von Bild- und Ton­auf­nah­men mit dem Ziel der Wei­ter­ga­be und Bloß­stel­lung der Auf­ge­nom­me­nen unab­hän­gig davon, ob es sich um Schüler:innen oder Kolleg:innen handelt.

Ich habe schon öfter mit sehr guten Erfah­run­gen in ver­gleich­ba­ren Fäl­len mit dem Prä­ven­ti­ons­team unser ört­li­chen Poli­zei zusam­men­ge­ar­bei­tet. Viel­leicht bleibt im ers­ten Moment etwas an der Schu­le hän­gen – das ver­geht aber schnell und ist weit weni­ger schlimm als eine Häu­fung der­ar­ti­ger Vor­fäl­le, die einen irgend­wann zu einer dann ver­spä­te­ten Reak­ti­on zwin­gen und erheb­li­che Vor­wür­fe in der Öffent­lich­keit nach sich ziehen.

Dass inner­halb der Klas­se jemand gezielt stört oder Unsinn im Chat macht, gehört selbst­ver­ständ­lich in den Bereich der päd­ago­gi­schen Inter­ven­tio­nen. Vie­les lässt sich tech­nisch lösen, aber um den Preis von viel weni­ger Frei­heit und Raum für Krea­ti­vi­tät für die gesam­te Lerngruppe.

Was kann man tun, um sich zu schützen?

Auf­nah­me von Bild und Ton

Vor Auf­nah­men von Bild und Ton im häus­li­chen Bereich der Schüler:innen kann man sich gar nicht schüt­zen. Ich wür­de aber gene­rell davon abra­ten, die Auf­nah­me­funk­ti­on von Video­kon­fe­renz­soft­ware zu ver­wen­den. Das häre Ziel, auch abwe­sen­den Per­so­nen die Inhal­te einer Schul­stun­de spä­ter zur Ver­fü­gung zu stel­len erkauft man sich mit einer immensen Men­ge urhe­ber- und daten­schutz­recht­lich rele­van­ter Fra­ge­stel­lun­gen und einem zeit­lich poten­ti­ell fast unli­mi­tier­ten Missbrauchspotential.

Tech­ni­sche Ver­hin­de­rung von Störungen

Ver­wen­den Sie grund­sätz­lich nur Video­kon­fe­renz­lö­sun­gen, die eine Zugriffs­steue­rung ermög­li­chen, u.a.z.B.:

  • vor dem Betre­ten ist ein per­so­na­li­sier­tes Log­in in eine Platt­form not­wen­dig. In der Teil­neh­men­den­lis­te ste­hen idea­ler­wei­se die kor­rek­ten Namen
  • der Kon­fe­renz­raum ver­fügt über einen War­te­be­reich. Sie bestim­men, wer in den Kon­fe­renz­raum gelangt.
  • die Video­kon­fe­renz­lö­sung bie­tet Ihnen die Mög­lich­keit, Teilnehmer:innen in ihren Rech­ten als letz­tes Mit­tel ein­zu­schrän­ken, sie zu blo­cken oder aus dem Kon­fe­renz­raum zu entfernen
  • die Auf­nah­me­funk­ti­on der Video­kon­fe­renz­soft­ware soll­te glo­bal deak­ti­viert sein.

Abzu­ra­ten ist von frei ver­füg­ba­ren Jit­si-Räu­men.  Die­se sind oft allein durch einen Link zugäng­lich, der leicht an Drit­te wei­ter­ge­ge­ben wer­den kann.

Jit­si selbst kann aber vom Betrei­ber des Jit­si-Ser­vers mit den ent­spre­chen­den Sicher­heits­ein­stel­lun­gen kon­fi­gu­riert wer­den, so dass z.B. ein Log­in erfor­der­lich ist.

Wenn es doch etwas passiert, was Sie überfordert

Holen Sie sich Hil­fe, z.B. beim Per­so­nal­rat Ihrer Schu­le oder im Rah­men einer Erst­be­ra­tung zu über­schau­ba­ren Kos­ten bei einem Rechts­an­walt. Auch Ihre Schul­lei­tung ist im Rah­men der Für­sor­ge­pflicht ver­pflich­tet, Sie zu unterstützen. 

Das ist ins­be­son­de­re wich­tig, wenn Sie sich in einem ers­ten, nach­voll­zieh­ba­ren Impuls die Opti­on einer Anzei­ge bei der Poli­zei offen­hal­ten wol­len. Bei Antrags­de­lik­ten geht das, ande­re Delikts­for­men müs­sen sogar ange­zeigt und von der Staats­an­walt­schaft ver­folgt werden. 

Nachdenkliches zu Schulschließungen und allgemein

Als medi­en­päd­ago­gi­scher Bera­ter mit mei­nen Fähig­kei­ten bin ich gera­de in vie­le Pro­zes­se ein­ge­bun­den – eben gera­de habe ich sogar län­der­über­grei­fend bera­ten. Es gibt über­all glei­che Pro­ble­me – Poli­tik möch­te ver­kün­den und Lösun­gen für alle Schu­len schaf­fen und ist es gewohnt, dass man gegen Her­aus­for­de­run­gen nur genug Geld schmei­ßen muss und dann ist es gelöst.

Video­kon­fe­renz­lö­sun­gen – landesweit

Das ist gera­de ein unglaub­lich gro­ßes The­ma, auf Twit­ter, in den Medi­en – über­all. Und der Druck ist groß. Er wird grö­ßer, wenn klar wer­den soll­te, dass es nach Ostern nicht mit der Schu­le wei­ter­ge­hen kann. Video­kon­fe­renz­lö­sun­gen sind mei­ner Mei­nung nach das, was Fron­tal­un­ter­richt am nächs­ten kommt. Man kann sie auch anders nut­zen, wie z.B. die groß­ar­ti­ge Maria Kruse:

https://köpfchenkunde.de

Das was ich hier vor Ort machen und anbie­ten kann, ist ein Witz. Das lan­des­wei­te Aus­spie­len einer Bil­dungs­cloud oder eines Lern­ma­nage­ment­sys­tems ist Regio­nal­klas­se (und selbst da: Sup­port­et sowas mal lan­des­weit …) gegen die tech­ni­schen Anfor­de­run­gen beim Aus­spie­len einer Video­kon­fe­renz­lö­sung für ein gan­zes Bun­des­land. Selbst Teams hat­te immense Pro­ble­me, Goog­le und M$ lau­fen die Clouds voll – nicht wegen der Schulen.

Man kann jetzt auch nicht zu einem Dienst­leis­ter gehen und sagen: „Ent­wi­ckelt mal eine Cluster­lö­sung dafür!“ – die Dienst­leis­ter dürf­ten bis oben hin voll mit Auf­trä­gen sein und die Mit­ar­bei­ten­den sind alle im Home­of­fice. Big­BlueBut­ton gibt einen Band­brei­ten­be­darf von 250 Mbit/s für 150(!) par­al­le­le Video­streams an. Ser­ver kann man mit einer Anbin­dung von 1Gbit/s mie­ten. Wenn man mehr will, geht die Misch­kal­ku­la­ti­on des Anbie­ters nicht auf und es wird teu­er. Big­BlueBut­ton wird in die nie­der­säch­si­sche Bil­dungs­cloud inte­griert sein und es gibt auch ein Ska­lie­rungs­sze­na­rio. Ich war erstaunt, dass sich dabei mei­ne Idee mit der eines pro­fes­sio­nel­len Anbie­ters deckte.

Es wird aber mit dau­ern­der Län­ge der Schul­schlie­ßung kein Weg dar­an vor­bei­füh­ren, Unter­richt und Ler­nen asyn­chron zu den­ken und anzu­le­gen, d.h. zu den gan­zen Schwie­rig­kei­ten, die vie­le Lehr­kräf­te mit Tools haben, kom­men jetzt auch noch not­wen­di­ge struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen dazu. Nicht allei­ne, weil Grals­hü­ter das schon lan­ge for­dern, son­dern ganz schnö­de wegen der tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten. Es ist schön, dass alles mit Jit­si und Zoom auf indi­vi­du­el­ler Ebe­ne so toll klappt. Aber wir ste­hen am Anfang einer Kri­se. Und mal ehr­lich: Mit mehr als 5–7 Leu­te par­al­lel in einer Videokonferenz?

Das Pro­blem Video­kon­fe­renz­lö­sung für Schu­len, daten­schutz­kon­form und lan­des­weit ist ein typi­sches, gegen das man nicht ein­fach Geld wer­fen kann. Lamen­tie­ren über Ver­säum­nis­se der Ver­gan­gen­heit taugt gut für die Empör­ten, in der aktu­el­len Lage sehe ich dar­in kei­nen Gewinn.

Behind the Scenes

Ich habe die­se Woche Video­kon­fe­ren­zen, Tele­fon­ge­sprä­che, E‑Mailkontakte mit dem Kul­tus­mi­nis­te­ri­um, dem Lan­des­in­sti­tut und mir for­mal ganz klei­nem Licht gese­hen. Auf Augen­hö­he, part­ner­schaft­lich, nichts mit Dienst­we­gen, lösungs­ori­en­tiert, ehr­lich, kon­struk­tiv, der Sache zuge­tan. Ich weiß nicht, ob das über­all so ist. Ich bin fast schon gerührt, weil das im Nor­mal­be­trieb so sel­ten sicht­bar wird. Ich bin mir sicher, dass wir für eini­ge Bun­des­län­der bald Lösun­gen sehen wer­den. Die wer­den nicht so toll wie Teams sein. Sie wer­den nicht so vie­le Fea­tures bie­ten wie Mood­le oder its­lear­ning. Aber für 80%-90% des­sen, was vie­le Lehr­kräf­te jetzt und heu­te „digi­tal“ abbil­den und umset­zen kön­nen, wird es mei­ner Mei­nung nach erst­mal rei­chen. Ein Anfang, der nur „falsch“ ist, wenn das Ziel nicht stimmt. Jetzt ist m.E. die Stun­de der Wege, nicht der Zie­le, die die Grals­hü­ter pro­mo­ten. Und auch auf die­sem nied­ri­gen Niveau wer­den Kolleg*innen zurück­blei­ben. Wie wer­den wir denen gerecht? Guter Unter­richt ist kei­ne Fra­ge von Gerä­te­ein­satz und Tech­ni­sie­rung, son­dern eine von Hal­tung. Von Men­schen mit der ent­spre­chen­den Hal­tung kann jeder digi­ta­le Flip­pie viel lernen.

Und sonst so?

Alle im Home­of­fice. Auch ich meis­tens. Ich sit­ze sonst ziem­lich allei­ne im Medi­en­zen­trum – zumin­dest einen hal­ben Tag in einem Ein­zel­bü­ro mit Hand­des­in­fek­ti­ons­spen­der und guter Belüf­tung. Vie­le Ein­zel­be­ra­tun­gen von enga­gier­ten Kolleg*innen aus der Regi­on per Tele­fon, Video­kon­fe­renz, E‑Mail. Die Schu­len gehen in den Feri­en­mo­dus – müs­sen aber auch in der Feri­en­zeit die Kin­der­not­be­treu­ung gewähr­leis­ten. In den letz­ten sechs Tagen bin ich ins­ge­samt 33km (3x11) gelau­fen. Eige­ne Kin­der ohne Sport­mög­lich­keit pro­fi­tie­ren davon, aber es ist auch echt anstren­gend – tut aber dem Stress­hor­mon­le­vel sehr gut. Und ges­tern konn­ten wir einen 20er-Pack Klo­pa­pier ergat­tern. Der Land­kreis Clop­pen­burg steht coro­na­mä­ßig sehr gut da. Viel­leicht flie­gen hier aber bald die Helis von Bre­men und Vech­ta zum Krankenhaus.

Bera­tun­gen zum Digi­tal­pakt und mein Dau­er­bren­ner „Buch­pro­jekt“ sind ja net­te Ideen. Momen­tan lei­der nur „nett“. Will kei­ner. Gebraucht wird eh anderes.

Wäre ich Schul­lei­ter, wür­de ich jetzt an die schul­in­ter­nen Arbeits­plä­ne gehen, trans­pa­rent machen, wel­che Schät­ze Kolleg*innen in ihren Schub­la­den lie­gen haben – und Medi­en­bil­dung dabei mit­den­ken. Was gemacht wird, ist im Land­kreis sehr unter­schied­lich: Genau das oder sehr for­dern­de von Schul­lei­tung gesteu­er­te Auf­ga­ben­kul­tur (mit Kor­rek­tur durch Lehr­kräf­te) bis hin zu „Ich dürft ger­ne, wenn es nicht mit den Aus­sa­gen des MK kol­li­diert …“. Da kom­men teil­wei­se wun­der­vol­le Din­ge bei heraus.

Schön von der Idee her fin­de ich auch ein neu­es Por­tal des NiBiS:

https://lernenzuhause.nibis.de

Hier fin­det man durch­ku­ra­tiert und redak­tio­nell betreut das, was durch die sozia­len Medi­en geht. Schön wären jetzt noch Lern­pfa­de, die Schüler*innen und Eltern hel­fen, wirk­lich sinn­voll mit die­sen Ange­bo­ten und Werk­zeu­ge zu arbei­ten. Aber da scheint es schon Ideen zu geben …

Ins­ge­samt bin ich hin- und her­ge­ris­sen. Es läuft vie­les „behind the sce­nes“. Irgend­je­mand gebrauch­te in Zusam­men­hang mit mei­ner Per­son in einem anders gemein­ten Kon­text den Begriff der „Hid­den Figu­re“. Ich tue mich schwer damit. Ich kann momen­tan nicht so trans­pa­rent sein, wie es mei­nem Anspruch ent­spricht – dazu ist vie­les noch zu fra­gil und das Bera­tungs­ge­heim­nis ist dann m.E. auch durch­aus sinn­voll. Ich habe daher für mich ent­schie­den, dass Trans­pa­renz eigent­lich auch ande­re können.

So. Ich muss dann mal Erklär­vi­de­os dre­hen … Viel­leicht auch bald zur Bildungscloud!