Von Intuition durch Konfrontation

Intui­ti­on – die Schlüs­sel­kom­pe­tenz zur Bewäl­ti­gung vie­ler Lebens- und Anfor­de­rungs­si­tua­tio­nen. Kann man sie bei­brin­gen, kann man über­haupt eine Kom­pe­tenz bei­brin­gen? Ich glau­be nicht. Man kann viel­leicht Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, die eine För­de­rung von Kom­pe­ten­zen ermög­licht – aber wel­che Rah­men­be­din­gun­gen för­dern die Intui­ti­on, die so oft schmerz­lich ver­misst wird, im sozia­len Bereich, im didak­ti­schen Bereich, in so vie­len Bereichen?

  • man­che Kin­der dür­fen ihre Schul­sa­chen ver­ges­sen – man bringt sie nach
  • man­che Kin­der müs­sen beim ers­ten Regen­trop­fen nicht zu Schu­le gehen – man fährt sie
  • man­che Kin­der müs­sen nicht die Schlei­fe ler­nen – man kauft Klettschuhe
  • man­che Kin­der müs­sen nicht schwim­men ler­nen – man fährt in Spaßbäder
  • man­che Kin­der müs­sen nicht in Lexi­ka schau­en – man googelt
  • man­che Kin­der müs­sen nicht im Haus­halt hel­fen – man macht das für sie
  • man­che Kin­der haben kei­ne gere­gel­ten Tages­rhyth­mus – man lässt sie
  • man­che Kin­der müs­sen nicht für sich ein­kau­fen – man macht das für sie

Wir kon­fron­tie­ren Kin­der oft nicht mehr. Weil wir sie zu sehr lie­ben? Weil wir sie behü­ten wol­len? Weil sie es bes­ser haben sol­len als wir? Weil wir ihnen den Schmerz erspa­ren wol­len? Oder weil wir es ihnen nicht zutrau­en, weil wir sie nicht ernst neh­men, weil wir Ver­ant­wor­tung nicht abge­ben wol­len? Oder viel­leicht noch schlim­mer: Weil wir selbst die Kon­fron­ta­ti­on mit ihnen fürchten?

Ler­nen kann nur statt­fin­den in angst­frei­en Räu­men. Ler­nen kann nur statt­fin­den in ange­neh­mer Atmo­sphä­re.  Wie passt da die Kon­fron­ta­ti­on hinein?

Was ist eigent­lich span­nen­der und lehr­rei­cher (das Ler­nen soll ja unbe­dingt span­nend sein)? Über einen Steg mit Gelän­der zu lau­fen oder über ein Seil zu balan­cie­ren, unter dem ein Netz gespannt ist? Der Steg kann in mei­nen Augen nie und nim­mer zur Intui­ti­on füh­ren – ich kann ja nicht fal­len und muss es daher auch gar nicht erst ver­mei­den lernen.

Kei­ner mei­ner SuS liebt mich in dem Moment dafür, dass ich ihr/ihm Gedan­ken z.B. eines Fried­rich Nietz­sche zumu­te, mit ihr/ihm „Die letz­te Welt“ lese, den Unter­schied zwi­schen Attri­but und Objekt bespre­che u.v.m., sie lie­ben es nicht, weil das alles Kon­fron­ta­tio­nen sind. Viel­leicht wer­den die­se bei­spiel­haf­ten inhalt­li­chen Kon­fron­ta­tio­nen  – es gibt für mich auch metho­di­sche – auch nie zu einer Form der Intui­ti­on füh­ren. Viel­leicht aber doch. Ohne jed­we­de Kon­fron­ta­ti­on ste­hen für mich die Chan­cen da noch schlech­ter. Glau­be ich – weil ich es nicht wis­sen, son­dern viel­leicht allen­falls intui­tiv erah­nen kann.

Ein ganz normaler Schultag

Heu­te habe ich zwei zwei­stün­di­ge Klau­su­ren im Fach A schrei­ben las­sen. Die­se waren nicht ver­schieb­bar, da es für „Neben­fach­klau­su­ren“ Vor­schrif­ten bezüg­lich des Zeit­punk­tes vor den Zeug­nis­sen gibt und bei­de Klas­se in die­sem Jahr zwei Wochen im Betriebs­prak­ti­kum waren.

Ich unter­rich­te diens­tags Klas­se A, Klas­se B und Klas­se C im Fach A im Raum A jeweils ein­stün­dig in den ers­ten drei Stun­den nach­ein­an­der. Klas­se A soll­te in den ers­ten bei­den Stun­den schrei­ben und zwar nicht in Raum A, son­dern in ihrem Klas­sen­raum B, da ich Raum A ja in der zwei­ten Stun­de für Klas­se B brauch­te. Des­wei­te­ren habe ich die Fach­leh­re­rin A, die in Klas­se A in der zwei­ten Stun­de das Fach B unter­rich­tet, dar­über infor­miert, dass sie in Raum B Auf­sicht füh­ren muss und mich bit­te im Lau­fe der Pau­se ablöst. Fach­leh­re­rin A erkrank­te nun kurz­fris­tig, sodass Fach­leh­rer B nun die Klas­se A in der zwei­ten Stun­den ver­tre­ten soll­te und von mir ent­spre­chend infor­miert wor­den ist. Dum­mer­wei­se stell­te sich am Vor­tag der Klau­sur her­aus, dass Fach­leh­rer B eben­falls erkrankt das Bett hütet, sodass ich in Abspra­che mit den Stun­den­pla­ner, der noch am Mit­tag der Klas­se A Fach­leh­rer C als Ersatz für Fach­leh­rer B zuteil­te, der ja schon Ersatz für Fach­leh­re­rin A war, den Kol­le­gen C infor­mier­te. So konn­te ich  ihm noch am Vor­abend eine ruhi­ge Stun­de mit rei­ner Auf­sicht ankün­di­gen. Die Klau­sur für Klas­se A lief damit aus­ge­zeich­net und auch die Ablö­sung funk­tio­nier­te tadel­los, sodass ich Klas­se B noch recht­zei­tig im Raum A erreich­te und dort den Unter­richt „aus­brin­gen“ konn­te. Blieb noch die zwei­te Klau­sur, dies­mal für Klas­se C.

Wei­ter­le­sen

Was ist eigentlich Google Wave?

Dazu ein Bei­spiel aus dem Schul­all­tag: Eine typi­sche Grup­pen­ar­beit im Fach Deutsch könn­te z.B. so aus­se­hen, dass ein kom­pli­zier­ter Text in Abschnit­te zer­legt wird und jede Klein­grup­pe jeweils einen Abschnitt zur Bear­bei­tung erhält. Bei die­ser arbeits­tei­li­gen Form ist auf den ers­ten Blick die Effi­zi­enz höher und auch die letz­te Grup­pe hat etwas zu prä­sen­tie­ren, was für das Gesamt­ergeb­nis wich­tig ist. In einem Unter­richts­ge­spräch oder durch eine ande­re Form wer­den die ein­zel­nen Grup­pen­ar­beits­er­geb­nis­se zusam­men­ge­führt. Jetzt wer­fen wir ein­mal einen Blick auf den Schaf­fens­pro­zess inner­halb einer sol­chen Kleingruppe:

  • jedes Grup­pen­mit­glied liest sei­nen Abschnitt zunächst für sich und mar­kiert bzw. fügt Noti­zen hin­zu (Pha­se 1)
  • die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se wer­den zusam­men­ge­tra­gen (Pha­se 2)
  • er erfolgt in einer Dis­kus­si­on eine Kate­go­ri­sie­rung und Hier­ar­chi­sie­rung (Pha­se 3)
  • es wird ein Grup­pen­vor­trag auf Basis der gewon­ne­nen Ergeb­nis­se erar­bei­tet (Pha­se 4)
  • der Grup­pen­vor­trag wird im Ple­num prä­sen­tiert (Pha­se 5)

Dabei möch­te ich fol­gen­de Beob­ach­tun­gen festhalten:

  1. Doku­men­tiert ist am Ende der Arbeit das Arbeits­er­geb­nis, jedoch nicht der Pro­zess von des­sen Entstehung
  2. Grup­pen wer­den von ein­zel­nen Mit­glie­dern oft domi­niert, wäh­rend – abhän­gig von der Grup­pen­grö­ße – sich auch Rück­zugs­mög­lich­kei­ten für ein­zel­ne ergeben

Was für ein Pro­zess ist inner­halb einer Wave denkbar?

Neh­men wir an, die obi­ge Auf­ga­be sei als Wave kon­zi­piert. Neh­men wir fer­ner an, die Grup­pen­ar­beit lie­fe im PC-Raum ab. Man muss bei Wave noch wis­sen, dass das Sys­tem jeden Tas­ten­druck sofort abbil­det (abschalt­bar).

Fiktive Schüleräußerungen

Auf­merk­sam­keit erhal­ten nur die lau­ten Stö­rer. Ich kann auch etwas, bin aber eher lei­se und brau­che Sicher­heit, um mich zu äußern. Schu­le? Ungerecht!“

Es ist doch ganz ein­fach: Ein wenig lächeln, hüb­sche Klei­dung, figur­be­tont und nicht mit zu viel Ein­blick. Schön bei Repro­duk­ti­ons­fra­gen mel­den – aber bit­te in jeder Stun­de. Die Leh­re­rin­nen hono­rie­ren den Fleiß, die Leh­rer die Kom­bi­na­ti­on aus Fleiß und dem ande­ren. Immer locker blei­ben, Schu­le? Nur ein Spiel.“

Ich kann etwas und weiß das auch. Trotz­dem muss ich dau­ernd war­ten. Wer tut denn etwas für mich? Immer ist von för­dern, för­dern, för­dern die Rede. Ich möch­te auch geför­dert wer­den oder gebt mir wenigs­ten die­sen Papier­fet­zen frü­her. Schu­le? Um mich küm­mert sie sich nicht!“

Maxi­ma­ler Ertrag bei mini­ma­lem Ein­satz. Wen juckt den spä­ter die Fünf auf dem Halb­jah­res­zeug­nis? Der Abischnitt muss ein wenig stim­men, für man­che Fächer reicht doch der Fet­zen allei­ne bereits aus. Im ers­ten Halb­jahr vol­le Stun­den­zahl bei hal­bem Ein­satz, im zwei­ten Halb­jahr auf jeden Fall zwei Arbei­ten so set­zen, dass er kein Man­gel­haft mehr zie­hen kann. Wenn das nicht hilft: Geschich­ten erfin­den. Der Ertrag sechs Wochen vor Schluss ist am höchs­ten. Schu­le? Nur kein Stress!“

Ich gebe mir Mühe, viel Mühe. Trotz­dem kommt dabei sel­ten etwas her­um. Düm­pe­lei zwi­schen Drei und Vier. War­um wird eigent­lich nur das Fach­wis­sen gese­hen und nicht das, was ich sonst noch in mei­nem Leben an ande­ren Stel­len errei­che? Schu­le? Kanns­te was, bis­te was – aber auch nur, wenn Mami und Papi das not­wen­di­ge Klein­geld oder Bil­dungs­nä­he in der Bir­ne haben!“

Die­se Äuße­run­gen ent­sprin­gen allein mei­ner Fan­ta­sie. Ähn­lich­kei­ten mit tat­säch­li­chen Gedan­ken wären rein zufäl­lig. Gleich­wohl ent­stand die­ser Text schon vor län­ge­rer Zeit in der Rück­schau von einer von „Rieckens Pre­digt­stun­den“, die von sehr gro­ßer Ehr­lich­keit sei­tens der SuS geprägt war – das ist ein Erzie­hungs­ziel und ein Erfolg gewe­sen.  Ok – für das Fach war es blöd. So what. Muss auch mal sein.

Wei­ter­hin glau­be ich, dass der nega­ti­ve Touch in Klas­sen beson­ders groß ist, in denen mehr als drei von „Rieckens Pre­digt­stun­den“ im Halb­jahr fäl­lig sind und dass es auch ande­re fik­ti­ve Äuße­run­gen gibt.

Tabus über den Lehrerberuf

Ich wuss­te es schon immer: Wir sind Mitt­ler­fi­gu­ren, wir ste­hen in der Tra­di­ti­on des Mon­des, von Her­mes, der Josephs­fi­gur aus Tho­mas Manns längs­tem – und geni­als­tem – Roman. Wir sind Leh­rer. Wer es nicht glaubt, kann es hier bei Ador­no nach­le­sen, der wahr­lich auch die Her­aus­for­de­run­gen beim Namen nennt.

Gekom­men bin ich auf den Text durch die Sen­dung „Leh­rer aus Lei­den­schaft“ aus der Sen­de­rei­he „Men­schen haut­nah“. Die kom­plet­te Sen­dung kann man sich als Pod­cast her­un­ter­la­den. Aus mei­ner Erfah­rung kann ich sagen, dass der Redak­teur bei der Aus­wahl der Leh­rer­ty­pen und der The­men sehr oft in Schwar­ze trifft. Gera­de durch die allei­ni­ge Unter­ma­lung durch Ador­nos Gedan­ken gewinnt die­se deskrip­ti­ve Doku­men­ta­ti­on in mei­nen Augen ungemein.

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