Eine Doppelstunde zu „Neue Liebe, neues Leben“

… wahl­wei­se metho­disch über­trag­bar auf ande­re Texte.

Neue Lie­be, neu­es Leben 

Johann Wolf­gang von Goe­the

Herz, mein Herz, was soll das geben? 

Was bedrän­get dich so sehr? 

Welch ein frem­des, neu­es Leben ! 

Ich erken­ne dich nicht mehr. 

Weg ist alles was du liebtest, 

Weg, war­um du dich betrübtest, 

Weg dein Fleiß und dei­ne Ruh – 

Ach, wie kamst du nur dazu ! 

 

Fes­selt dich die Jugendblüte, 

Die­se lieb­li­che Gestalt, 

Die­ser Blick voll Treu und Güte 

Mit unend­li­cher Gewalt? 

Will ich rasch mich ihr entziehen, 

Mich erman­nen, ihr entfliehen, 

Füh­ret mich im Augenblick, 

Ach, mein Weg zu ihr zurück. 

 

Und an die­sem Zauberfädchen, 

Das sich nicht zer­rei­ßen lässt, 

Hält das lie­be lose Mädchen 

Mich so wider Wil­len fest; 

Muss in ihrem Zauberkreise 

Leben nun auf ihre Weise. 

Die Ver­än­de­rung, ach, wie groß! 

Lie­be! Lie­be! Laß mich los!

 

Auf­ga­ben:

  1. Sam­melt gemein­sam in eurer Grup­pe eure Beob­ach­tun­gen zu Spra­che (rot), Form (grün) und Inhalt (blau) auf dem bei­gefüg­ten, far­bi­gen Zet­teln. (15 Minuten)
  2. Über­legt euch gemein­sam eine geeig­ne­te Inter­pre­ta­ti­ons­hy­po­the­se. Notiert die­se für alle deut­lich sicht­bar vor­ne am SMART­Board. (15 Minuten)
  3. Teilt euch auf in: Ein­lei­tung, For­ma­les, Spra­che, Inhalt. Jeder schreibt zu sei­nem Teil­aspekt einen zusam­men­hän­gen­den Text, der zu eurer Inter­pre­ta­ti­ons­hy­po­the­se passt. (30 Minuten)
  4. Prä­sen­tiert euer Arbeits­er­geb­nis nach fol­gen­dem Ablauf:
  • Stellt eure Grup­pe mit Namen vor
  • Tragt eure Tex­te in fol­gen­der Abfol­ge vor: Ein­lei­tung, Inter­pre­ta­ti­ons­hy­po­the­se, for­mal Ana­ly­se, sprach­li­che Ana­ly­se, inhalt­li­che Analyse.

 

Hin­weis:

Ihr dürft euer Han­dy benut­zen, um Wor­te zu klä­ren. Ver­mei­det aber bit­te die Über­nah­me von Tex­ten aus „Hausaufgabenseiten“ etc.

Das Gan­ze gibt es auch als Arbeits­blatt (ODT, PDF). Die Prä­senz meh­re­rer Inter­pre­ta­ti­ons­hy­po­the­sen hilft bei der Selbst­re­fle­xi­on des eige­nen Ergeb­nis­ses. Die Grup­pen­ar­beit ist bewusst so ange­legt, dass jeder aus der Grup­pe eine Auf­ga­be zu erle­di­gen hat, es aber auch Pha­sen des gemein­sa­men Aus­tau­sches gibt. Es kom­men natür­lich kei­ne voll­stän­dig geschlos­se­nen Tex­te her­aus. Es bie­tet sich aber an, in z.B. einer Haus­auf­ga­be die Über­lei­tun­gen zwi­schen den Text­bau­stei­nen gestal­ten zu las­sen. Dafür wäre es gut, wenn die Tex­te schon digi­tal, z.B. in Form eines Blog­ein­tra­ges vorliegen.

Zum Schäkespears Tag

Ich muss ehr­lich geste­hen, dass ich im Grun­de der­ar­ti­ge Tex­te has­se. Glück­li­cher­wei­se steht hier im Regal eine Goe­the-Gesamt­aus­ga­be mit einem Kom­men­tar von Erich Trunz – der wirk­lich sehr gut und hilf­reich ist. Aber selbst der gute Erich schreibt:

Die Shake­speare Rede ist nicht ein Doku­ment lite­ra­ri­scher Kri­tik, son­dern ein fei­ern­des Bekennt­nis des Sturm-und-Drang-Goe­the zu Natur und Genie, ein pathe­ti­scher Dank an den Geni­us Shake­spear, durch den sich der eben aus Straß­burg zurück­ge­kehr­te Dich­ter zu sich selbst erweckt und befreit fühlte.

in: Johann Wolf­gang von Goe­the – Wer­ke (Ham­bur­ger Aus­ga­be), dtv, Bd. IIX, S. 691

fei­ern­des Bekennt­nis“ und „pathe­ti­scher Dank“ – super. Das lässt stets auf einen durch­struk­tu­rier­ten Text schlie­ßen – er ist es tat­säch­lich natür­lich nicht und dar­in liegt wohl auch sei­ne Schwie­rig­keit. Hier ein­mal der Ver­such einer Inhaltsangabe:

Wei­ter­le­sen

Von deutscher Baukunst

Goe­the beschreibt inner­halb die­ses Tex­tes die Wahr­neh­mung eines Ich-Erzäh­lers in Bezug auf das Straß­bur­ger Müns­ter. Er nutzt die per­sön­li­chen Emp­fin­dun­gen sei­nes gene­rier­ten Erzäh­ler­fi­gur, um anhand die­ser das Ver­ständ­nis von Kunst im Sturm und Drang zu erläu­tern. Wir wol­len der Ein­fach­heit zunächst anneh­men, dass Ich-Erzäh­ler und Goe­the ein und die­sel­be Per­son sind, d.h. dass die­ser Text rein auto­bio­gra­phisch zu ver­ste­hen ist – mei­ner Mei­nung nach spricht da das eine oder ande­re gegen.

Goe­the betont zunächst, dass er wie alle zu sei­ner  „ein abge­sag­ter Feind der ver­wor­re­nen Will­kür­lich­kei­ten goti­scher Ver­zie­run­gen“ sei und somit auch das goti­sche Müns­ter des Bau­meis­ters Erwin von Stein­bach eigent­lich hät­te ableh­nen müs­sen. Doch Goe­the ist über­rascht von sei­nem Ein­druck die­ses Got­tes­hau­ses, weil sel­bi­ges „aus tau­send har­mo­nie­ren­den Ein­zel­hei­ten bestand“. Er rückt sei­ne Emp­fin­dun­gen sogar in die Nähe „himmlisch-irdische[r] Freu­de“, kon­no­tiert sie also durch­aus religiös.

Wei­ter­le­sen

Der Mond

Der Mond ist mytho­lo­gisch weiblich:

  • er ist in Bezug auf die Son­ne weib­lich emp­fan­gend, er strahlt ihr Licht zurück (span­nend anti­fe­mi­nis­tisch, mytho­lo­gisch jedoch lei­der so)
  • er steht in bio­lo­gi­scher Ver­bin­dung zum weib­li­chen Zyklus

Des­we­gen hat man ihm schon immer – gera­de als Mann – Bal­la­den und Gedich­te gewid­met. Irgend­wann möch­te ich ein­mal die­sen bei­den Tex­te mit­ein­an­der mit Schülern ver­glei­chen. Das wird bestimmt spannend:

An den Mond

Schwes­ter von dem ers­ten Licht,
Bild der Zärt­lich­keit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein rei­zen­des Gesicht;
Dei­nes lei­sen Fußes Lauf
Weckt aus tag­ver­schloß­nen Höhlen
Trau­rig abge­schied­ne Seelen,
Mich und näch­t’­ge Vögel auf.

For­schend über­sieht dein Blick
Eine groß­ge­meß­ne Weite.
Hebe mich an dei­ne Seite!
Gib der Schwär­me­rei dies Glück;
Und in wol­lus­tvol­ler Ruh
Säh der weit­ver­schlag­ne Ritter
Durch das glä­ser­ne Gegitter
Sei­nes Mäd­chens Näch­ten zu.

Dämm­rung, wo die Wol­lust thront,
Schwimmt um ihre run­den Glieder.
Trun­ken sinkt mein Blick hernieder.
Was ver­hüllt man wohl dem Mond?
Doch was das für Wün­sche sind!
Voll Begier­de zu genießen,
So da dro­ben hän­gen müssen;
Ei, da schiel­test du dich blind.

(Johann Wolf­gang Goe­the, 1770)

Das nen­ne ich einen jun­gen Goe­the – nicht den Wert­her (klei­ner Seitenhieb).

Voll­mond

Du bist voll, ich bin es auch
Begoß den Kum­mer tief unten in mei­nem Bauch
Der Tag ist gemein, nur die Nacht ist lieb
Schleich um ein und ande­re Haus, gera­de wie der letz­te Dieb
Ver­such schon lan­ge, mir ihr Herz zu klauen

Sie ist stur, ich bin es auch
Red ihr ein, dass sie mich unend­lich braucht
Lass nicht locker, sei mein Kumpan,
Wir zwei bei­den gra­ben sie von allen Sei­ten an
Steh mir bei, weil nur du es kannst

Komm und mach sie süch­tig, setz sie auf mich an
Lass mich durch ihren Schlaf wan­deln, wenn sie sich nicht weh­ren kann
Wenn du das für mich tust, ist abgemacht:
Dann wer­de ich zum Wer­wolf und heul dich an um Mitternacht

Voll­mond, setz mich ins rech­te Licht
Voll­mond, du weißt, sie will nicht
Leucht ihr ins Gewis­sen, mach mir ’nen Heiligenschein
Voll­mond, ich bin so allein

Du bist blass, ich bin es auch
Wenn bald nichts pas­siert, steh ich völ­lig auf dem Schlauch
Du ziehst so edel über­le­gen dei­ne Bahn
Bin so tod­trau­rig, rührt dich das denn über­haupt nicht an?
Tu was, Pla­net, mor­gen ist es zu spät

Mein letz­ter Hoff­nungs­schim­mer, schau mir ins Gesicht
Du musst es für mich ein­fä­deln, weil es sonst das Ende ist
Ertrink in mei­nen Trä­nen – und Trä­nen lügen nicht
Du kannst mich so nicht hän­gen lassen
Hilf mir, lass mich nicht im Stich

Voll­mond…

Komm und mach sie süch­tig, setz sie auf mich an
Lass mich durch ihren Schlaf wan­deln, wenn sie sich nicht weh­ren kann
Wenn du das für mich tust, ist abgemacht:
Dann wer­de ich zum Wer­wolf und heul dich an um Mitternacht

Voll­mond…

(Her­bert Grö­ne­mey­er, „Ö“, 1988

Das ist einer der frü­he­ren Grö­ne­mey­er, über den man ja sagen kann, was man will – Erfolg hat er. Ich fin­de, dass es gro­ße Unter­schie­de und gro­ße Par­al­leln in bei­den Tex­ten gibt. Super zum Ver­glei­chen also… Viel­leicht ein wenig modern – naja 1988…