Zentrale Abiturprüfung – effiziente, kostenneutrale Lehrerfortbildung

Wäre ich ein Kul­tus­mi­nis­te­ri­um und hät­te kein Geld für Fort­bil­dung mei­ner Bediens­te­ten, wür­de ich ein Zen­tral­ab­itur mit ver­bind­li­chen the­ma­ti­schen Vor­ga­ben einführen.

Ich wür­de die Vor­ga­ben so wäh­len, dass sich sich grund­sätz­lich nicht auf bis­her exem­pla­ri­sche Tex­te ein­zel­ner Epo­chen bezie­hen und so den Hori­zont mei­ner Leh­rer­schaft wir­kungs­voll erwei­tern. Zudem ist es abso­lut ver­mes­sen zu glau­ben, dass es inner­halb der Deutsch­di­dak­tik auch über Jahr­zehn­te bewähr­te Tex­te geben soll­te. Leh­rer unter­rich­ten schließ­lich metho­disch und inhalt­lich veraltet.

Wei­ter­le­sen

Die Weiber in der Volksversammlung (Aristophanes) – Theaterstück am CAG

 

 

Frau­en wer­den von ihren Ehe­män­nern die hal­be Nacht durch das Bett geru­dert. Män­ner bege­ben sich in Frau­en­klei­dern ins Freie, weil sie ihre Not­durft ver­rich­ten müs­sen, um dort von ihrem bes­ten Bekann­ten in hocken­der Stel­lung und ent­blöß­tem Gesäß über­rascht und in poli­ti­sche Dis­kur­se ver­wi­ckelt zu wer­den. Ange­se­he­ne Bür­ge­rin­nen pro­kla­mie­ren ein poli­ti­sches Mani­fest im Geis­te der Ideen von Karl Marx und Fried­rich Engels – in Bezug auf die Regeln, die den sexu­el­len Umgang von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern fest­schrei­ben viel­leicht nicht voll­stän­dig im Sin­ne die­ser Per­sön­lich­kei­ten… Alle tun das in Clop­pen­burg. Mit­ten in Clop­pen­burg. Auf der Büh­ne des Cle­mens-August-Gym­na­si­ums. Und wie recht­fer­ti­gen sie ihre Taten? Sie spie­len dem amü­sier­ten wenn­gleich gele­gent­lich etwas ver­wirr­ten Publi­kum unter der Regie von Chris­tia­ne Johan­nes und Hubert Gel­haus das Stück „Die Frau­en in der Volksversammlung“ von Aris­to­pha­nes vor, einem weit­ge­hend unbe­kannt geblie­be­nen Dich­ter der grie­chi­schen Antike.

Die atti­sche Demo­kra­tie ist kor­rupt gewor­den. Nicht das Inter­es­se an poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen moti­viert die männ­li­cher Volks­ver­tre­ter zum Besuch der Volks­ver­samm­lung, son­dern die dort aus­ge­zahl­ten statt­li­chen Sit­zungs­gel­der. Popu­lis­ten über­neh­men oft genug das poli­ti­sche Ruder. Wich­ti­ge Refor­men kön­nen so nicht mehr statt­fin­den. Zu sei­ner Zeit beklagt selbst Peri­kles in einer Grab­re­de (gele­sen in Aus­zü­gen als Pro­log von Alex­an­der Rol­fes) die­sen Umstand. In die­ser miss­li­chen poli­ti­schen Situa­ti­on beschlie­ßen die Frau­en Athens (Man­dy Stie­ber, Nico­la Hach­m­öl­ler, Vere­na Becker, Lui­sa Teixei­ra, Jan­na Mey­er, Fidan Mut­lu, Eva-Maria Evers, Dina Dvor­chi­na) unter der Füh­rung von Pra­xa­go­ra (Anja Bel­ke) das anzu­ge­hen, was ihre Män­ner nicht zu tun im Stan­de sind. Dazu ent­wen­den sie ihren Ehe­gat­ten (u.a. Dani­el Tie­mer­ding als Bley­py­ros) die not­wen­di­gen Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­de (Man­tel, Stab) und pro­ben in nächt­li­chen Sit­zun­gen ihren per­sön­li­chen Auf­tritt in der rea­len Volks­ver­samm­lung. Die List gelingt: Vie­le von ihnen kön­nen sich in die Volks­ver­samm­lung ein­schlei­chen und dort die Stim­men­mehr­heit errei­chen. Tat­säch­lich gelin­gen ihnen in der Fol­ge vor­der­grün­dig eine Rei­he von Refor­men: Hab und Gut der athe­ner Bür­ger sol­len ver­staat­licht, die sexu­el­le Begat­tung auch älte­rer Frau­en sicher­ge­stellt und öffent­li­che Spei­sun­gen ein­ge­rich­tet wer­den. Natür­lich schei­tert die­ses gele­gent­lich prä­kom­mu­nis­tisch anmu­ten­de Sys­tem an der Hab­gier und den Intri­gen der ein­fluss­rei­chen Grö­ßen Athens, die kei­nes­falls gewillt sind, ihre Güter (und Frau­en) mit ande­ren zu tei­len und den sich dar­aus erge­ben­den Macht­ver­lust hin­zu­neh­men. Zudem regt sich auch gera­de unter den Jüng­lin­gen (Judith Twen­hö­vel) der Unmut, vor der Gelieb­ten erst in der Pflicht zu ste­hen, das Bett mit einer ver­welk­ten Blu­me tei­len zu müssen.

Natür­lich las­sen sich in die­sem Stück eine Rei­he von Par­al­le­len zur heu­ti­gen poli­ti­schen Situa­ti­on im Bun­des­tag fin­den. Eben­so natür­lich wür­de man durch der­ar­ti­ge Fest­le­gun­gen dem Werk und der Leis­tung der Spie­len­den und ihrem „Stab“ (Souf­fleu­se: Frie­de­ri­ke Arnold, Musi­ker: Hen­rie­ke Wem­pe, Johan­nes Rol­fes, Sebas­ti­an Kes­sin, Beleuch­tung: Robert Kod­de­busch, Kos­tü­me: Doro­thee Vor­werk, Bühne/Maske/Programm: Wil­fried Kört­zin­ger) nicht gerecht. Denn wann sonst erlebt es ein Thea­ter­be­su­cher, dass im über­wie­gend katho­li­schen Clop­pen­burg ein Stück von der­ar­tig iro­ni­scher und pikan­ter Spra­che zum bes­ten gege­ben wird und dadurch eine Sicht auf die atti­sche Gesell­schaft offen­bart, die in inhalt­schwe­ren Inter­pre­ta­tio­nen oft ver­bor­gen bleibt: Die­se Gesell­schaft leb­te und pul­sier­te im Genuss von Wein, Weib und Gesang. Die aus­ge­las­se­nen und aus­schwei­fen­den Fes­te im Ange­sicht des Got­tes Dio­ny­sos hat­ten eben­so ihre fes­ten Platz wie der ratio­na­le appol­li­ni­sche Dienst an Staat und Philosophie.

Es geht zwar die Kun­de, dass sich in unse­rer Gegen­wart all­jähr­lich am 1. Mai auf der Wie­se des REHA-Zen­trums und in den angren­zen­den Wäl­dern ver­gleich­ba­re Dio­ny­si­en abspie­len sol­len, jedoch hal­te ich das allen­falls für eine Aus­nah­me­erschei­nung, wenn nicht sogar für rei­nes Gere­de – natür­lich – denn wie sonst wäre zu erklä­ren, dass mein letz­ter 13er Deutsch­kurs es nicht durch den Fül­ler brach­te, ein Dingsym­bol in Theo­dor Fon­ta­nes Roman „Mathilde Möhring“ als das zu benen­nen, was es war: Ein Sym­bol für die erwa­chen­de Sexua­li­tät der Prot­ago­nis­tin. Selbst Frie­de­ri­ke Arnold beschreibt im Pro­gramm­heft zur Auf­füh­rung, dass die Thea­ter-AG in einer dem Ori­gi­nal nähe­ren Über­set­zung „teilweise erschreckt von der Direkt­heit der vul­gä­ren Gossensprache“ war und hat dadurch mein Welt­bild von einer weit­ge­hend unver­dor­be­nen Clop­pen­bur­ger Jugend dann noch noch eine Wei­le erhalten.

Von Erschro­cken­heit war jedoch am Abend der Pre­mie­re nicht mehr viel zu sehen – hat­te sich die Thea­ter-AG zu die­sem Zeit­punkt von ihren Vor­be­hal­ten bereits frei­ge­spielt? Kam nur etwas zum Vor­schein, was in jedem von ihnen bereits steck­te? Wenn die gezeig­te Text­vor­la­ge bereits eine gemä­ßig­te war – hät­te das Publi­kum im Saal womög­lich ange­sichts des Ori­gi­nals mit hoch­ro­tem Kopf dagesessen?

Ich zumin­dest bin ein wei­te­res Mal bezüg­lich der Clop­pen­bur­ger Gesell­schaft kon­struk­tiv ver­un­si­chert. So viel lust­be­ja­hen­de Lebens­freu­de ist ein­fach zu viel für mich. Und damit ist auch jeder Ver­such einer ratio­na­len Durch­drin­gung die­ses Abends unan­ge­bracht. Die­ses Stück lehrt nicht durch kla­re Bot­schaf­ten. Es trans­por­tiert ein Stück Lebens­ge­fühl des alten Grie­chen­lands in unse­re Zeit und stellt gera­de die uns Deut­schen so typi­sche skep­ti­sche Welt­sicht ange­nehm unauf­dring­lich in Frage.

Pygmalion (2004) – ein Theaterstück am CAG

Die meis­ten von uns machen sich ger­ne Bil­der und Vor­stel­lun­gen: Vom idea­len Lebens­part­ner, vom per­fek­ten Leben an sich und manch­mal sogar von Gott. Haben wir unser Ide­al nach lan­gen Mühen erreicht, stellt sich nicht sel­ten Ernüch­te­rung ein: Ent­we­der müs­sen wir unse­re Vor­stel­lun­gen nach­bes­sern oder das erwar­te­te Glücks­ge­fühl mag sich ein­fach nicht ein­stel­len. Die­ser schein­ba­re Wider­spruch reg­te so man­chen Autoren zum Nach­den­ken an, so auch G.B. Shaw, des­sen dra­ma­ti­sches Stück „Pygmalion“ uns die Thea­ter- und Musik-AG des Cle­mens-August-Gym­na­si­ums an drei Ter­mi­nen im Juni 2004 durch eine niveau­vol­le Auf­füh­rung näherbrachten.

Der genia­le Sprach­wis­sen­schaft­ler Hen­ry Hig­gins (Jonas Strick­ling) schließt mit Oberst Picke­ring (Bar­ba­ra Hach­m­öl­ler) eine Wet­te ab: Gelingt es ihm inner­halb von weni­gen Mona­ten das ein­fa­che Blu­men­mäd­chen Eli­za (Anne Wig­bers) bei Hofe ein­zu­füh­ren, so erhält er einen hohen Geld­be­trag. Im Ver­lauf der Hand­lung wird sehr schnell deut­lich, dass es Hig­gins weni­ger um das Geld als viel­mehr um eige­nen Ruhm geht. Eli­za zieht nach eini­gem Zögern bei Hig­gins ein, um sich bald dar­auf einem her­ri­schen, gna­den­lo­sen und unmensch­lich stren­gen Lehr­meis­ter gegen­über­zu­se­hen. Trotz tag­täg­li­cher ver­ba­ler Ernied­ri­gun­gen stel­len sich rasch die ers­ten Erfol­ge ein: Eli­za über­win­det schnell den eige­nen der­ben Dia­lekt, lernt sich als Dame des Hofes zu bewe­gen und zu arti­ku­lie­ren. Sie ent­wi­ckelt all­mäh­lich Zunei­gung zu ihrem Lehr­meis­ter, der in ihr jedoch nur das Werk­zeug der Erfül­lung sei­ner eige­nen Sucht nach Ruhm sieht: Für ihn ist sie ein Expe­ri­ment, redu­ziert auf den Gegen­stand, das Objekt. 

Aber das Expe­ri­ment ent­wi­ckelt sich, es ent­wi­ckelt sich zu einem Men­schen, der sei­ner selbst bewusst ist. Eli­za lernt in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Hig­gins die reflek­tier­te Wahr­neh­mung ihrer selbst und der sie umge­ben­den, in blo­ßen For­men erstarr­ten Gesell­schaft, dar­ge­stellt durch Tei­le der Fami­le Eyns­ford-Hill (Lui­se Bus­se, Tina Schuck­mann) und Eli­zas Vater Alfred Doo­litt­le (Mari­na Sie­mers). In ihrer Reflek­ti­on nimmt sie ihren Lehr­meis­ter als­bald als das war, was er ist: ein sno­bis­ti­scher, wenn­gleich genia­ler Wis­sen­schaft­ler, der von sei­ner Mut­ter (Ana­sta­sia Trom­fimt­schuk) und sei­ner Haus­häl­te­rin Mrs. Pear­ce (Kat­rin Weil­bach) höchst abhän­gig, ohne sie sogar kaum exis­tenz­fä­hig ist. Auf­grund sei­ner Begrenzt­heit im Den­ken kommt er als Part­ner nicht mehr in Fra­ge. Eli­za eman­zi­piert sich von Hig­gins und erreicht einen Stand in ihrer Ent­wick­lung, der ihr eine Rück­kehr in ihr Milieu unmög­lich macht, sie aber befä­higt, den sie umwer­ben­den, auf­rich­ti­gen jun­gen Mann Fred­dy Eyns­ford-Hill (Jan Schul­te) als nach­hal­ti­gen Part­ner zu erkennen. 

Die neu­en Fähig­kei­ten erre­gen das Inter­es­se von Hig­gins zu spät: Er geht in zwei­fa­cher Hin­sicht leer aus. Die Frau sei­ner Träu­me ver­lässt ihn. Viel bedeut­sa­mer: Die Chan­ce der Erwei­te­rung des eige­nen Hori­zonts ver­lässt ihn mit ihr. 

Die schau­spie­le­ri­sche Leis­tung der Akteu­re über­rasch­te: sämt­li­che Rol­len wur­den authen­tisch gefüllt und mach­ten den Abend zu einem Erleb­nis, wel­ches mir per­sön­lich oft nur von pro­fes­sio­nel­len Büh­nen ver­mit­telt wird. Der Haupt­dar­stel­ler Jonas Strick­ling (Prof. Hig­gins) schien gera­de­zu in sei­ner Rol­le auf­zu­ge­hen, und auch Anne Wig­bers (Eli­za) meis­ter­te pikan­te Sze­nen pro­fes­sio­nell und beherrscht. Wir­kungs­voll umrahmt wur­den die Haupt­fi­gu­ren durch die Rol­len von Petra Wilkens/Friederike Arnold (sar­kas­ti­sche Zuhö­re­rin­nen), Julia­ne Rich­ter (Stu­ben­mäd­chen) und Hun­ter Götz­mann (ein Mann).

Das Stück wur­de immer wie­der durch qua­li­ta­tiv anspre­chen­de und sti­lis­tisch über­ra­schend breit gefä­cher­te Band­mu­sik der Musik-AG unter der Lei­tung von Jens Scholz berei­chert. Ins­be­son­de­re die Gesangs­ein­la­gen des Aus­tausch­schü­lers Hun­ter Götz­mann sorg­ten durch imma­nen­te Komik für viel Erhei­te­rung in die­sem ernst­haf­ten Stück. Die Stim­me von Clau­dia Lam­ping unter­strich sowohl die schwa­chen als auch die selbst­be­wuss­ten Facet­ten der Figur Eli­za in einer Auf­füh­rung, die ohne die Mit­hil­fe vie­ler hier unge­nann­ter guter Geis­ter im Hin­ter­grund (Mas­ke, Licht, Ton, Büh­nen­bild, Soff­leu­sen, Kos­tü­me…) nicht hät­te rea­li­siert wer­den können.

Bei­de Regis­seu­re, Hubert Gel­haus (Lei­ter der Thea­ter-AG) und Alex­an­der Rol­fes, ver­si­cher­ten mir, ihr „Handwerk“ nicht gelernt zu haben: Das fällt schwer zu glau­ben ange­sichts des Ein­drucks, wel­chen die­ses Stück hinterlässt. 

Das sich ent­wi­ckeln­de Eigen­le­ben der „Kreation“ von Prof. Hig­gins ver­lieh ihm, dem gefühls­kal­ten Wis­sen­schaft­ler für einen Moment Emo­tio­nen wie Sehn­sucht, Lie­be und Schmerz. Die blo­ße Rea­li­sie­rung sei­nes Bil­des hät­te die­se Ver­än­de­run­gen nie bewir­ken kön­nen. Viel­leicht wer­den uns die Bil­der des­we­gen so oft ver­bo­ten: Sie bedeu­ten Still­stand, wenn nicht sogar Regres­si­on, wodurch sie den Pro­zess der Ent­wick­lung ver­hin­dern. Viel­leicht ist das eine mög­li­che Erkennt­nis die­ses unter­halt­sa­men Abends.

 

Vie­len Dank Thea­ter-AG, vie­len Dank Musik-AG!

 

„Als geil noch astrein war“ – Eine Aufführung der CAG-Rockkids

Aus Der Schule « Categories « riecken.de - Page 32

Wo bin ich denn hier gelan­det? Mit einer Mischung aus ver­blüff­ter Bewun­de­rung und völ­li­ger Rat­lo­sig­keit sit­ze ich anläss­lich der Per­for­mance „Als geil noch ast­rein war“ der CAG-Rock­kids unter der Lei­tung von Jens Scholz in der Aula des Cle­mens-August-Gym­na­si­ums, sehe mich dort mit durch­aus inti­men Details aus mei­ner Ver­gan­gen­heit kon­fron­tiert und füh­le mich oft­mals ertappt in den Tex­ten von Frank Goo­sen, gele­sen von Jonas Strick­ling.

In die­sen legt der Kaba­ret­tist sei­ne Erin­ne­run­gen aus den 70er und 80er Jah­ren dar und schafft damit einen roten Faden, der die oft­mals fet­zi­gen und nahe­zu per­fekt arran­gier­ten Stü­cke der Rock­kids inhalt­lich ver­bin­det. Für mich bleibt es den gan­zen Abend lang merk­wür­dig, wie enga­giert und mit wie viel Begeis­te­rung Schü­ler und Schü­le­rin­nen von heu­te „meine Musik“ spie­len. Ihre sti­lis­ti­sche Band­brei­te reicht dabei von Soul – „Ain’t no sunshine“ (Bill Withers) – über Schla­ger – „Liebeskummer lohnt sich nicht“ (Siw Malm­quist) – bis hin zu här­te­ren Gang­ar­ten – „Paranoid“ (Black Sab­bath). Gesun­gen wer­den alle Stü­cke erstaun­lich­wei­se von Sän­ge­rin­nen (Doris Lam­ping, Clau­dia Lam­ping, Hele­ne Ger­hards, Cari­na Rockel) wäh­rend schwer­punkt­mä­ßig die Her­ren der Schöp­fung den instru­men­ta­len Rah­men bil­den (Schlag­zeug: Niklas Sta­de, Bass/Saxophon: Fabi­an Lan­ger, E‑Gitarre: Chris­to­pher Magh/Robert Kod­de­busch, Kla­vi­no­va: Marei­ke Zel­mer, Akku­s­tik­gi­tar­re: Doris Lam­ping, Per­cus­sion: Cari­na Rockel). Umrahmt wird das in sich stim­mi­ge Spek­ta­kel von einer Licht- und Mul­ti­me­dia­show mit Plat­ten­co­vern, Bil­dern und Zei­tungs­au­schnit­ten pas­send zum jeweils gespiel­ten Stück bzw. gele­se­nen Text. Ver­ant­wort­lich für die­sen tech­ni­schen Bereich sind dabei Björn Oster­kamp (Ton/Diashow), Joa­chim Wil­le­ham (Ton/Technik) sowie Jan Schul­te und Fre­de­rik Völz (Licht). Die coo­len Out­fits und vor allem die Son­nen­bril­len auf der Büh­ne las­sen nur wenig von der mühe­vol­len und umfang­rei­chen Vor­be­rei­tung die­ses Abends erah­nen, die sich sogar zeit­wei­se in einem Klos­ter voll­zo­gen hat (Pro­ben­wo­chen­en­de in Endel) – die Schwes­tern sol­len begeis­tert gewe­sen sein von den „beseelenden“ Klängen.

Musik ver­bin­det. Die Musik die­ses Abends tut dies für mich in einer ganz beson­de­ren Wei­se. Vie­le ein­präg­sa­me Ereig­nis­se im Leben eines Men­schen – und Leh­rer gehö­ren auch zu die­ser Spe­zi­es – sind mit einem beson­de­ren Musik­stück ver­bun­den, der ers­te Kuss, der ers­te unge­woll­te Absturz, ein über­mä­ßi­ger Erfolg, eine erin­ne­rungs­rei­che Fei­er oder auch die Geburt eines Kin­des. Die Ereig­nis­se ändern sich nicht, die Musik jedoch schon. 

Das Anspre­chen­de an die­sem Abend lag bestimmt auch dar­in, dass den Kin­dern der 70er und 80er Jah­re im Publi­kum teil­wei­se längst ver­dräng­te Erleb­nis­se zurück ins Gedächt­nis und damit zurück in die Gegen­wart geholt wur­den. Die blo­ße Erwäh­nung des Songs „Sunday, bloo­dy Sunday“ (U2) in einem Text von Frank Goo­sen ver­an­lass­te mich doch eher kogni­tiv ori­en­tier­ten Men­schen zu einem lau­ten und fast schon eupho­ri­schem „Nein!“ ein­ge­denk eini­ger wirk­lich revo­lu­tio­nä­rer Tanz­ein­la­gen nach der damals erfolg­reich been­de­ten DJ-Schicht. Das steht doch in einem deut­li­chen Gegen­satz zu den heu­ti­gen Kin­der­lie­der-CDs mit denen sich das Aus­le­ben musi­ka­li­scher Bedürf­nis­se heut­zu­ta­ge weit­ge­hend erschöpft. Dumm nur, dass U2 mitt­ler­wei­le halb Irland auf­kauft und sich nur wenig von dem dama­li­gen revo­lu­tio­nä­ren Charme erhal­ten hat.

Für mich als Leh­rer ist es auch immer wie­der span­nend mit anzu­se­hen, wie sich Schü­le­rin­nen und Schü­ler in der Büh­nen­si­tua­ti­on ver­än­dern und bereit sind, Sei­ten an sich preis­zu­ge­ben, die im Unter­richt nur sehr sel­ten zuta­ge tre­ten. An die­sem Mut möch­te ich mir eigent­lich manch­mal ger­ne ein Bei­spiel neh­men – kann aber lei­der bei wei­tem nicht so gut sin­gen, geschwei­ge denn tanzen.

Bleibt nur noch eine Fra­ge: Was wer­den die Stü­cke sein, die den heu­ti­gen Rock­kids in zwan­zig Jah­ren eine Schü­ler­band vor­spielt? Und an was wer­den sie sich dann erin­nern? Darf ich das eigent­lich wis­sen wollen?

Cyrano de Bergerac (Edmond Rostand) – eine Theateraufführung am CAG

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„Nie­mand zün­det ein Licht an und setzt es in einen Win­kel, auch nicht unter einen Schef­fel, son­dern auf den Leuch­ter, damit, wer hin­ein­geht, das Licht sehe“ , ist uns gesagt im Evan­ge­li­um des Lukas im Kapi­tel 11, Vers 33. 

Das Mus­ke­tier Cyra­no (Anne Wig­bers) hat sich unsterb­lich in Roxa­ne (Tina Schuck­mann) ver­liebt, einem Mäd­chen von unbe­streit­ba­rer Schön­heit und Anmut. Er ist selbst zu der Zeit, zu der das Stück „Cyrano de Bergerac“ von Egmond Rostand spielt, ein Mann der alten Schu­le. Kühn und mutig im Kampf, hoch­ge­ach­tet von sei­nen ihm anver­trau­ten Kadet­ten (Anja Bel­ke, Jan­na Mey­er, Judith Twen­hö­vel, Kat­rin Weil­bach, Ste­fa­nie Bitt­ner) hat ihn der Herr­gott zusätz­lich mit lyri­schen Fähig­kei­ten und sprach­li­cher Gewandt­heit geseg­net – Vor­zü­ge, die ihm die Zunei­gung einer jeden Dame besche­ren müss­ten, da sie roman­ti­sche Asso­zia­tio­nen zu den alten rit­ter­li­chen Tugen­den auf­kom­men lassen. 

So sehr sich in der Figur Cyra­no dem Zuschau­er nach innen ein galan­ter Cha­rak­ter, ein Che­va­lier, ein leuch­ten­des Licht geis­ti­ger und gesell­schaft­li­cher Fähig­kei­ten prä­sen­tiert, so harsch und eigen­wil­lig ver­hält sich das Mus­ke­tier gegen­über der Außen­welt. Stets zu einem Duell auf­ge­legt zieht er nicht nur ein­mal den Unmut sei­nes Vor­ge­setz­ten Graf Guiche (Bar­ba­ra Hach­m­öl­ler) auf sich. Sei­ne viel wahr­haf­ti­ge­re fei­ne Innen­sei­te prä­sen­tiert er nur sei­nem engs­ten Ver­trau­ten Le Bret (Mari­na Siemers).

Ursa­che für die­ses ambi­va­len­te Bild ist ein kör­per­li­cher Makel Cyra­nos: Er besitzt eine mons­trö­se Nase. Bemer­kun­gen – und sei­en sie noch so klein – über die­ses Kör­per­teil bekom­men denen, die sie aus­ge­spro­chen haben, meis­tens nicht gut. Gleich­wohl ver­folgt ihn der Spott sei­ner Mit­men­schen hin­ter der vor­ge­hal­te­nen Hand.

Sei­nes äuße­ren Man­gels ein­ge­denk leiht Cyra­no sei­ne lite­ra­ri­schen Fähig­kei­ten dem jun­gen, uner­fah­re­nen Schön­ling Chris­ti­an de Neu­vil­let­te (Dani­el Tie­mer­ding), der nun an Cyra­nos statt um die Ange­be­te wer­ben soll. Cyra­no möch­te durch ihn zu sei­ner Roxa­ne spre­chen, er möch­te durch ihn sei­ne Brie­fe, sei­ne Gedan­ken, sei­ne Gedich­te über­bracht sehen, da er sich selbst ob sei­nes opti­schen Makels zu gering für ein direk­tes Wer­ben erachtet. 

Tat­säch­lich geht der Han­del schein­bar auf: Roxa­ne ist hin­ge­ris­sen von den ver­meint­li­chen Brie­fen Chris­ti­ans, der jedoch in tat­säch­li­chem Kon­takt mit ihr erstaun­lich wenig Schön­geis­ti­ges zu sagen weiß, wenn es ihm nicht durch Cyra­nos Mund souf­fliert wird. In einer Bal­kon­sze­ne in der Tra­di­ti­on Rome­os und Juli­as wird die Ein­sei­tig­keit des Han­dels offen­bar: Cyra­no spricht mit sei­ner Stim­me anstel­le von Chris­ti­an in Dun­keln – Chris­ti­an erhält jedoch den beloh­nen­den Kuss.

Ver­wi­ckelt geht die Hand­lung wei­ter, in der Cyra­no mehr als ein­mal Chris­ti­an in sei­nem Wer­ben unter­stützt, ja sogar die Hoch­zeit der bei­den orga­ni­siert, um eine Ver­mäh­lung „seiner“ Roxa­ne mir Graf Guiche zuvor­zu­kom­men. Wäh­rend die­ser Zeit wird sich Chris­ti­an sei­nes eige­nen Makels mehr und mehr bewusst: Sein Inne­res kann sich mit dem Cyra­nos nicht mes­sen. Er ist cha­rak­ter­lich nicht der Mann, den Roxa­ne durch den Betrug der bei­den in ihm sieht.

Chris­ti­an stirbt als jun­ger Kadett im Krei­se der übri­gen Sol­da­ten und Haupt­mann Car­bon (Nico­la Hach­m­öl­ler) auf dem Feld in Cyra­nos Obhut – Cyra­no ent­hüllt die Wahr­heit nicht. Roxa­ne geht dar­auf­hin in ein Klos­ter – Cyra­no ent­hüllt die Wahr­heit über Jah­re nicht, um Roxa­ne der Illu­si­on einer per­fek­ten Lie­be nicht zu berau­ben. Dass er sie dadurch unemp­fäng­lich für jed­we­des neue Lie­bes­ge­fühl und damit erst rich­tig lei­dend macht, muss erst durch einen Zufall auf­ge­deckt wer­den – doch da ist es zu spät, denn Cyra­no, gram­zer­fres­sen, und mit nichts außer sei­nen lite­ra­ri­schen Fähig­kei­ten aus­ge­stat­tet, stirbt thea­tra­lisch im Moment der beid­sei­ti­gen Erkennt­nis. So muss die Aus­spra­che der bei­den nach dem Tod im Engels­ge­wand, aber den­noch auf der Büh­ne vor Publi­kum erfolgen.

Die schwie­ri­ge und dich­te Spra­che des Stü­ckes ist durch­ge­hend gereimt und durch­zo­gen von Sprach­witz. Das immens hohe Spiel- und damit auch Sprech­tem­po stell­te die Zuschau­er vor nicht immer leich­te Auf­ga­ben – stets sorg­te der Witz der Spra­che jedoch für ein Schmun­zeln oder gar einen Lacher. Ein gereim­tes Rezept des Kochs Rague­neau (Jan Schul­te) bot hier­bei einen der Höhe­punk­te, wenn­gleich sei­ne Frau Lise (Lui­se Bus­se) sich davon unbe­ein­druckt zeig­te und lie­ber mit einem Mus­ke­tier (Lin­da Amme­rich) anban­del­te. Unfass­bar schien mir hin und wie­der die erfor­der­li­che Leis­tung der Schü­le­rin­nen und Schü­ler im Hin­blick auf die Text­si­cher­heit – das Stück besitzt wahr­lich nicht wenig Text.

Beein­dru­ckend zu sehen war wei­ter­hin, wie das gesam­te Ensem­ble die Büh­ne auch in den ver­meint­li­chen Neben­rol­len stets mit hin­ter­grün­di­gem Leben füll­te. Ein Taschen­dieb (Con­stan­ze Arnold), zwei Kin­der (Fidan Mut­lu, Lin­da-Maria Meh­nert), Roxa­nes Beglei­te­rin Duen­na (Frie­de­ri­ke Arnold), ein Mönch (Jonas Strick­ling) und eine Büfett­da­me (Ste­fa­nie Nie­haus) reiz­ten mit ihrem Spiel stets dazu, auch ein­mal an den Haupt­cha­rak­te­ren vor­bei­zu­schau­en und Sei­ten an mei­nen Schü­lern zu ent­de­cken, die mir als Leh­rer bis­her nicht auf­ge­fal­len sind. Vie­le aus dem Ensem­ble spiel­ten zusätz­lich wei­te­re Nebenrollen.

Musi­ka­lisch beglei­tet und authen­tisch atmo­sphä­risch unter­stützt wur­de die Auf­füh­rung durch die Musik-AG, nament­lich durch Hen­rie­ke Wem­pe (Quer­flö­te, Kla­vier, Nasen­flö­te), Johan­nes Rol­fes (Gitar­re, gro­ße Trom­mel), Ana­sta­sia Tro­fimt­schuk (Vio­li­ne, gro­ße Trom­mel) und Ant­je Marx (Vio­la, Sopran­block­flö­te, Bon­gos, Marsch­be­cken, Trom­mel u.a.).

„Wir sind irgend­wann an den Punkt gekom­men, an dem wir fest­stell­ten, dass wir das Stück nicht spie­len kön­nen, wenn wir es nicht voll­stän­dig verstehen“, berich­te­te Hubert Gel­haus (gemein­sa­me Regie­füh­rung mit Chris­tia­ne Johan­nes) mir in einem Gespräch auf dem Weg ins Leh­rer­zim­mer. Gesprä­che mit wei­te­ren Mit­wir­ken­den über das Stück lie­ßen auf noch viel mehr Kri­sen­mo­men­te wäh­rend der Gene­se die­ser Auf­füh­rung schlie­ßen. Immer wie­der ging es in die­sen Gesprä­chen um die Suche nach der eigent­li­chen The­ma­tik die­ses Stü­ckes, die offen­bar eng mit der Suche nach geeig­ne­ten Wegen zum Ein­stu­die­ren des Wer­kes ver­bun­den war. Für manch einen scheint die Beschäf­ti­gung mit dem Stück sogar zum Initia­tor für grund­le­gen­de per­sön­li­che Ver­än­de­rungs­pro­zes­se gewor­den zu sein. Dabei ist Cyra­no de Ber­ge­rac doch nur ein Buch, ein Stück ver­gilb­tes Reclam­pa­pier, Lite­ra­tur, die auch in einem Ober­stu­fen­kurs Deutsch durch­aus ihren dort viel­leicht lang­wei­li­gen Raum haben könnte.

Wenn ein Ober­stu­di­en­di­rek­tor sich auf einer Abitur­fei­er absicht­lich ver­spricht und Anne Wig­bers als „Cyrano“ auf­ruft, so ver­wech­selt er in die­sem Moment die Begrif­fe Per­son und Figur. Denn wäh­rend der Auf­füh­rung stan­den dort auf der Büh­ne kei­ne Cyra­nos, weil das Licht eines jeden aus dem Ensem­ble strahl­te. Mehr noch: Der Ori­gi­nal­text schließt mit Cyra­nos Tod – die „Engelszene“, die wir Zuschau­er als Schluss des Stü­ckes erle­ben durf­ten, ist Ergeb­nis eines lan­gen Rin­gens der Thea­ter-AG um eine Deu­tung und gleich­zei­tig ihre Bot­schaft an das Publi­kum. Im fes­ten Glau­ben an ihre Fähig­kei­ten trau­ten sie sich, dem Publi­kums trotz bestimmt vor­han­de­ner indi­vi­du­el­ler Makel und Zwei­fel ihre Inter­pre­ta­ti­on des Stü­ckes darzubieten. 

Cyra­no konn­te genau das nicht. Sei­ne ent­stell­te Nase ver­hin­der­te nach­hal­tig das Ver­trau­en in sich selbst. Damit geht ihm die Fähig­keit ab, die Grund­vor­aus­set­zung für die Lie­be ist: Die Annah­me sei­ner selbst. Wie glück­lich hät­te er sei­ne Roxa­ne machen kön­nen, die ihn schon früh durch sei­ne Spra­che geliebt hat. Fähig­kei­ten müs­sen an das Licht, damit sie ande­ren leuch­ten kön­nen. Ver­bor­gen unter einem Schef­fel brin­gen sie Cyra­no und Roxa­ne um ihr Lebensglück.

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