Von Teergruben und Schuttbergen

Ein­mal mehr hat mich Phil­ip­pe Wampf­ler an einen alten Arti­kel von mir erin­nert: Es geht im Kern um die Fra­ge, dass mit Ver­hin­de­rungs­dis­kur­sen Inno­va­ti­on ver­hin­dert wird und Schein­de­bat­ten geführt wür­den, die inno­va­ti­ve Akteu­re „zer­mür­ben“ (sol­len).

Phil­ip­pe ver­wen­det das Bild der (rhe­to­ri­schen) Teer­gru­be. Der Begriff beschreibt in der Infor­ma­tik ein Kon­zept, uner­wünsch­te Ver­bin­dun­gen zwi­schen Rech­ner zu ver­lang­sa­men, wenn anzu­neh­men ist, dass von einer Ver­bin­dung ein Scha­dens­po­ten­ti­al aus­geht – so muss man z.B. bei der häus­li­chen Fritz­box nach jeder fal­schen Pass­wort­ein­ga­be etwas län­ger war­ten, bevor man einen neu­en Ver­such star­ten kann. Die Ver­bin­dung wird „kleb­rig“.

Wit­zi­ger­wei­se ist das Kon­zept der Teer­gru­be für den inten­dier­ten Zweck in Netz­wer­ken völ­lig untaug­lich. Gewitz­te Angrei­fer ver­fü­gen über Tech­ni­ken, um die­se „Siche­rung“ zu umge­hen – z.B. durch Ver­bin­dungs­ver­su­che von sehr vie­len unter­schied­li­chen Rech­nern gleich­zei­tig – eine ver­netz­te Angriffs­stra­te­gie. „Bestraft“ wer­den durch Teer­gru­ben eher legi­ti­me Ver­bin­dun­gen, z.B. Nut­zer, die wirk­lich nur ihr Pass­wort ver­ges­sen haben, es durch eini­ge Ver­su­che mehr viel­leicht aber her­aus­be­kom­men könnten.

Für mich spricht aus Phil­ip­pes Arti­kel zumin­dest Ent­täu­schung dar­über, dass es so ist. Es ist für mich ein Alarm­si­gnal, wenn ein inno­va­ti­ver Kopf wie Phil­ip­pe das so für sich fest­stellt. Wie muss es erst Per­so­nen gehen, die Pro­zes­se vor Ort auf höhe­ren Ebe­nen län­ger­fris­tig begleiten?

Key­note­spea­k­er und Bera­ter z.B. (das gilt nicht für Phil­ip­pe, der ist auf vie­len Ebe­nen unter­wegs) haben in der Regel einen aus mei­ner Sicht rela­tiv leich­ten Job. Eine Key­note ist schnell gehal­ten, ein Medi­en­ent­wick­lungs­plan durch eine Agen­tur meist in sechs bis zwölf Mona­ten ent­wi­ckelt – der Pro­zess der Ent­wick­lung mag nicht leicht sein, aber die eigent­li­che Arbeit fängt in der Umset­zung vor Ort an, nach der Key­note, nach dem Medi­en­ent­wick­lungs­plan. Mei­ne Kri­tik an rei­nen klas­si­schen Theo­re­ti­kern mit einem aus mei­ner Sicht indus­tri­el­len Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis (Man for­dert z.B. umfas­sen­de Refor­men an Schu­len und ver­netz­tes Arbei­ten, arbei­tet und publi­ziert aber z.B. selbst immer noch in aka­de­mi­schen Bla­sen) ist auch schon alt. Es ist viel gedacht, beschrie­ben und visio­niert wor­den und alles kommt nun nicht an oder ver­graut in zer­mür­ben­den Verhinderungsdiskursen.

Ehr­lich: Ich kann das ver­ste­hen. Denn all die Den­ker, Theo­re­ti­ker und Visio­nä­re haben tol­le Ideen, aber kei­ne Lösung, ja oft nicht ein­mal Ansät­ze für kon­kre­te Umset­zun­gen. Damit mei­ne ich kei­ne Unter­richts­bei­spie­le oder neu­en Inhal­te. Ich mei­ne damit sys­te­mi­sche Trans­for­ma­ti­ons­for­schung oder eben: „Wie machen wir das in Bezug auf die dazu not­wen­di­gen Hal­tungs­än­de­run­gen bei sehr vie­len Akteu­ren im Sys­tem Schu­le?“ – da scheint mir Wis­sen­schaft dann spä­tes­tens am Ende mit ihrem Latein. Der­weil hat Schu­le ver­meint­lich wirk­lich ande­re, drän­gen­de­re Sorgen.

Die Ver­hin­de­rung hat eine sys­te­mi­sche Funk­ti­on – natür­lich aber auch eine Wir­kung. Sie ist in mei­nen Augen kein „bewuss­ter“ Akt, son­dern Aus­druck des­sen, dass viel­leicht schlicht noch ein Weg zu gehen ist, der durch­aus auch Sta­tio­nen hat, die den heu­ti­gen „Inno­va­to­ren“ Sor­gen­fal­ten auf die Stirn treiben.

Mir per­sön­lich hel­fen per­sön­li­che Gesprä­che viel. Wer sich im Den­ken iso­liert fühlt, braucht eine sozi­al sta­bi­le Umge­bung, Men­schen, die ich anru­fen oder besu­chen kann – in mei­ner unmit­tel­ba­ren Umgebung.

 

Fußangeln bei schulischen (Medien-)konzepten

Ich habe „Fuß­an­geln“ geschrie­ben, um nicht „Pro­ble­me“ schrei­ben zu müs­sen – die zie­hen ja immer nach unten :o).

(Medien-)konzepte – ers­te klei­ne Übung

Man schaue sich die­se klei­ne Video mit Klaus Dopp­ler an und erset­ze das Wort „Unternehmen/Firma“ durch „Schu­le“ und das Wort „Leit­li­nie“ durch „(Medien-)Konzept“.

Nun gibt es zwei Antworten:

  1. Öhm – äh ja, irgend­wie ist das bei uns genau so/ähnlich.
  2. Nö. Das haben wir schon erkannt und gehen damit um.

 
 Mei­ne Erfahrung

… sagt, dass Kon­zep­te, also auch Medi­en­kon­zep­te, ger­ne geschrie­ben (5%) wer­den, beson­ders ger­ne im Kon­text von Schul­in­spek­tio­nen – sel­ten sind die­se Kon­zep­te aber kon­kret mit Leben gefüllt (95%). Natür­lich ist das in mei­nem direk­ten Umfeld nicht anders, was bei mir zu bestimm­ten Reak­tio­nen führt, bzw. geführt hat:

  1. Manch­mal den­ke ich: „Es liegt bestimmt, dar­an, dass die Gerä­te noch nicht so weit sind. Wir brau­chen also bes­se­re, d.h. zuver­läs­si­ge­re Gerä­te nebst pas­sen­der Netz­werk­tech­nik. Dann kommt vie­les von selbst.“
  2. Wenn ich etwas Neu­es ein­ge­führt habe, war ich schon ent­täuscht, wenn die begeis­ter­te Auf­nah­me und die anschlie­ßen­de Benut­zung aus­blie­ben. Mei­ne Stan­dard­aus­re­de ging dann in die Rich­tung: „Jaja, wir leben eben in einer Zeit der Über­gan­ges, da sind Rück­schlä­ge völ­lig nor­mal“ – dar­auf­hin habe ich dann wei­ter­ge­macht mit ande­ren Neu­ig­kei­ten und mir Trost in der „Netz­wohl­fühl­b­la­se“ gesucht.

Es geht ja nicht um Gerä­te. Es geht ja nicht um Inno­va­ti­ons­im­ple­men­tie­rung. Es geht ja eigent­lich bei jedem Kon­zept nur dar­um, eine Ver­än­de­rung zu initi­ie­ren. Dazu gibt es sys­te­mi­sche Ansät­ze – also eine Theo­rie, die bei vie­len Din­gen hilft – nicht nur bei der Betrach­tung von schu­li­schen Pro­zes­sen. Sie hilft mir als Theo­rie­an­satz des­we­gen, weil sie im bestehen­den Sys­tem umsetz­bar ist und nicht eine Uto­pie zur Vor­aus­set­zung macht.

All­ge­mei­nes zu Veränderungsprozessen

Eine bedeut­sa­me Ver­än­de­rung im Leben von Men­schen ist meist eine Tren­nung. Sie soll hier als Bei­spiel für einen gra­vie­ren­den Ver­än­de­rungs­pro­zess die­nen. Um die­se Ver­än­de­rung nicht durch­le­ben zu müs­sen, gibt es ja auch schon eine Rei­he inno­va­ti­ver Lebens­an­sät­ze, die sich eben nicht auf einen „unsi­che­ren“ Part­ner fokus­sie­ren. Was geschieht dabei eigent­lich nach einem sys­te­mi­schen Ansatz, vor­aus­ge­setzt die­se Tren­nung ist irreversibel?

Phasen von Veränderungsprozessen

Pha­se 1 – Der Schock:

Die Tren­nung kün­digt sich an. Das ist oft ein schlei­chen­der Pro­zess, mach­mal aber auch eine „muti­ge“ SMS – so hört man zumin­dest. Auf jeden Fall löst die­se Nach­richt bzw. das Bewusst­sein dar­um zunächst einen Schock mit hoher emo­tio­na­ler Betei­li­gung aus. Es kommt oft zu irra­tio­na­len Verhaltensmustern.

Pha­se 2 – Die Leugnung:

Oft genug will der Ver­las­se­ne die End­gül­tig­keit der Tren­nung nicht wahr­ha­ben. Daher wird er Stra­te­gien anwen­den, die ihm die Auf­recht­erhal­tung sei­nes bis­he­ri­gen Ver­hal­tens – zumin­dest vor­der­grün­dig – ermög­licht. Dabei geht es auch um ein Sicher­heits­ge­fühl und das „In-den-Griff-Bekom­men“ der Scho­ck­emo­tio­na­li­tät – also letzt­lich um das Bedürf­nis, die Kon­trol­le (über sich) wie­der­zu­er­lan­gen. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung nimmt ab.

Pha­se 3 – Der Kampf

Man besinnt sich in die­ser Pha­se wie­der auf die eige­nen Kom­pe­ten­zen und den eige­nen Wert. Das kann sich in erneu­ten Bemü­hen um den Part­ner äußern, indem man z.B. Ritua­le aus den Zeit der ers­ten Begeg­nun­gen wie­der reak­tua­li­siert.  Es kann sich aber auch in offe­ner Aggres­si­on gegen­über dem Part­ner äußern – z.B. durch Denun­zia­tio­nen, Mob­bing, im Extrem­fall Stal­king usw.. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung steigt in die­ser Pha­se. Ein Kampf kann jedoch nie erfolg­reich sein, wenn die Tren­nung tat­säch­lich irrever­si­bel ist.

Pha­se 4 – Resignation

Resi­gna­ti­on bedeu­tet hier erst ein­mal nur, dass die „Kampf­hand­lun­gen“ ein­ge­stellt sind. Von Außen­ste­hen­den wird die­se Pha­se ger­ne ein­mal mit „Akzep­tanz der Ände­rung“ ver­wech­selt. Tat­säch­lich hat die­se aber noch gar nicht statt­ge­fun­den, son­dern ledig­lich die Ein­sicht, dass das eige­ne Bemü­hen sinn­los ist, bestimmt den Ver­las­se­nen. Oft zieht er sich in sich selbst zurück und „nor­ma­li­siert“ sei­nen All­tag. Die emo­tio­na­le Bete­li­gung sinkt.

Pha­se 5 – Akzeptanz

Hier rücken erst­mals die Chan­cen der Ände­rung in den Vor­der­grund. Der defi­zit­ori­en­tier­te Blick wei­tet sich auf neue Mög­lich­kei­ten. Gleich­zei­tig wird das Ver­gan­ge­ne ers­mals kri­tisch-distan­ziert betrach­tet. Die emo­tio­na­le Betei­li­gung steigt wieder.

Pha­se 6 – Umsetzung

Die Ände­rung ist im All­tag ange­kom­men und hat sich ver­ste­tigt. Im Vor­der­grund ste­hen die Mög­lich­kei­ten, die nun als posi­tiv im Kon­trast zum Zustand vor den Ände­run­gen erlebt wer­den. Unser exem­pla­ri­scher Ver­las­se­ner fragt sich nun z.B., war­um er die Tren­nung nicht selbst viel frü­her ein­ge­lei­tet hat.

Jedes Kon­zept ist für das Sys­tem ein Schock

… und zwar in der Defi­ni­ti­on der sys­te­mi­schen Theo­rie. Wenn ein Kon­zept kei­ne Emo­tio­nen, teil­wei­se auch Über­grif­fe aus­löst, ist kei­ne Ver­än­de­rung initi­iert. Das Schlimms­te ist Lethar­gie. Wider­stand, also Kampf ist bereits eine Form der Auseinandersetzung.

Wel­che Feh­ler kann man machen, wenn man den Ver­än­de­rungs­pro­zess gestal­ten möchte?

  1. Die Emo­tio­nen per­sön­lich neh­men. Das pas­siert sehr ger­ne, wenn es sich um das eige­ne Sys­tem han­delt, was man ver­än­dern möch­te. Es führt oft zu „Gegen­emo­tio­na­li­tät“ in Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den­je­ni­gen, die vor­geb­lich die „eige­ne“ Sache vor­sätz­lich torpedieren.
  2. Resi­gna­ti­on mit Annah­me ver­wech­seln. Die­se Pha­se ist eine sehr labi­le, in der das Sys­tem auch schnell in die Aus­gangs­la­ge zurück­kip­pen kann. Ein paar auf­mun­tern­de Emo­tio­nen oder Anru­fe von Bera­ter­sei­te tun da manch­mal Wunder.
  3. Den eige­nen Stand­punkt pro­je­zie­ren. Wenn ich an der Erstel­lung eines Kon­zep­tes betei­ligt war, bin ich in der Pha­sen­stu­fung u.U. schon viel wei­ter vor­ne als das Sys­tem, d.h. ich neh­me schon an, wäh­rend das Sys­tem aber noch kämpft und ich kann dann die­sen Kampf so gar nicht mehr ver­ste­hen. Wenn wei­te­re Instan­zen betei­ligt sind, z.B. eine Schul­lei­tung, wird es noch span­nen­der, weil die­se viel­leicht simul­tan noch in der Resi­gna­ti­ons­pha­se ver­harrt („Hach, wie sol­len wir das jetzt auch noch schaffen?“).

Was bedeu­tet das für mei­ne Erfah­run­gen (s.o.)?

  1. Wenn ich den­ke, dass es an den Gerä­ten liegt, habe ich schon ver­in­ner­licht, dass eine Ver­än­de­rung geschieht und die­se ange­nom­men – das Sys­tem viel­leicht aber noch lan­ge nicht. Es gibt dafür schon das Fach­wort des „digi­tal gap“. Stän­dig neue Gerä­te lösen die­ses struk­tu­rel­le Pro­blem nicht, son­dern über­for­dern viel­leicht mehr als sie nüt­zen. Es besteht eine gro­ße Gefahr, ein­fach das Gewohn­te auf digi­ta­le Gerä­te zu über­tra­gen, anstatt  etwas Neu­es mit gewohn­ten Gerä­ten zu machen. Ein halb­wegs moder­ner Brow­ser reicht heu­te in der Regel.
  2. Die „Über­gangs­aus­re­de“ ist für mich im Prin­zip etwas Resi­gna­ti­ves, also ein ver­kopf­ter Umgang zur Kon­trol­le mei­ner Emo­tio­nen. Dabei wäre viel­leicht kon­ti­nu­ier­li­che „Wei­ter­be­geis­te­rung“ hier wich­ti­ger.  Und zwar nicht mit Gerä­te­fo­kus, son­dern im Hin­blick auf Vor­le­ben ande­rer Struk­tu­ren, Unter­richts­an­sät­ze usw. – also kon­kre­ter Handlungen.

 

Von Visionären und Praktikern

Die­ser Bei­trag wur­de schon als Gast­bei­trag in Chris­ti­an Span­nagels Blog ver­öf­fent­licht. Ich assi­mi­lie­re ihn jetzt nur noch und füge ihn der Kul­tur die­ses Blogs hinzu. 

Der Prak­ti­ker

Weißt du Visio­när eigent­lich, woher ich dich als Prak­ti­ker ken­ne? Gar nicht. Aber ich ken­ne dei­ne Pro­duk­te, die z.B. Ein­gang in die amt­li­chen Vor­ga­ben für mei­nen Unter­richt gefun­den haben. Und ich ken­ne dei­ne Ant­wor­ten auf mei­ne Kri­tik an dir. Wer „du“ eigent­lich bist, das weiß ich nicht. Ernst neh­men kann ich kaum eines dei­ner Pro­duk­te der letz­ten Jah­re. Außer­dem kann ich nur ahnen, wie du in Kom­mis­sio­nen dei­ne Ideen durch­setzt. Aber ich den­ke mich dir so: Du Visio­när sitzt an irgend­ei­ner Fach­hoch­schu­le oder Uni­ver­si­tät. Wenn du gut bist, betreust du didak­ti­sche Semi­na­re von ange­hen­den Leh­re­rin­nen und Leh­rern. Wenn du bes­ser bist, hast du seit dei­ner eige­nen Schul­zeit auch hin und wie­der unter­rich­tet – aber das ist eher sel­ten. Als ganz schlimm erle­be ich oft Men­schen aus dei­nen Krei­sen, die selbst ein­mal Leh­rer gewe­sen sind und mei­nen, die Lage an den Schu­len daher zu ken­nen. Das tust du nicht. Das kon­stru­ierst du dir allen­falls aus dei­nen Kon­tak­ten in die Schul­welt. Aber auf jeden Fall weißt du aber, wor­an unse­re Schu­le heu­te krankt. Das bele­gen dir zahl­rei­che Sta­tis­ti­ken und Eva­lua­tio­nen. Des­we­gen ent­wi­ckelst du neue Metho­den und Ansät­ze. Die­se lässt du von wil­li­gen Lehr­kräf­ten oder Prak­ti­kan­ten unter dei­nen Stu­den­ten im Unter­richt erpro­ben. Mit ihren Rück­mel­dun­gen ver­fasst du ein Paper. Vie­le Visio­nä­re wie du tref­fen in Kom­mis­sio­nen der Kul­tus­mi­nis­te­ri­en zusam­men und erar­bei­ten auf Basis von vie­len Papie­ren und gemein­sam mit Lehr­kräf­ten das neue Cur­ri­cu­lum für den neu­en Unter­richt – ach was, für die neue Schule!

Die von dir mit erar­bei­te­ten Vor­ga­ben wer­den in einem Bun­des­land ver­bind­lich und es geschieht – nichts. Im Gegen­teil: Du musst mit anse­hen, wie das Sys­tem Schu­le dei­ne Ideen so in sei­nen All­tag ein­baut, dass sie mög­lichst wenig stö­ren. Das Sys­tem hat dar­in Übung. Es hat vie­le Visio­nä­re vor dir gese­hen. Du fin­dest das Sys­tem Schu­le dar­auf­hin doof. Du sagst, was es machen soll, aber kei­ner tut es. Du weißt, wie man guten Unter­richt erkennt, du kannst aber nicht erklä­ren, wie man ihn macht. Du willst doch nur hel­fen. Du hegst den Gedan­ken, dass es mit­tel­fris­tig ohne Zwang und Aus­tausch von Per­so­nal wohl nicht gehen wird.

Ich pran­ge­re dich an, du Visionär…

… weil du für dich das Recht bean­spruchst, es bes­ser zu wis­sen, aber oft nicht die Not­wen­dig­keit siehst, es sel­ber umzusetzen.

… weil du von Din­gen sprichst, die du misst oder mes­sen las­sen hast ohne zu rea­li­sie­ren, dass dei­ne Stich­pro­ben­grö­ßen sel­ten in den Bereich mathe­ma­tisch fun­dier­ter Aus­sa­ge­kraft kom­men. Das begrün­dest du übri­gens oft mit „feh­len­den Mit­teln“, „wenig Per­so­nal“, „flä­chen­de­ckend unmög­li­cher Durchführbarkeit“

… weil du im Erfolgs­fall die Lor­bee­ren für dich bean­spruchst und im Fal­le des Schei­terns das Sys­tem oder die man­geln­de Bereit­schaft der Prak­ti­ker ver­ant­wort­lich machst.

… weil man dich oft genug zufrie­den­stel­len kann mit irgend­wel­chem unge­leb­ten Kon­zept­ge­sei­er. Man neh­me dei­ne Buz­zwords, set­ze sich einen Nach­mit­tag hin und ver­fas­se mit dem Impe­tus eines Par­odis­ten für dich ein wenig Meta­ge­sei­er – und schon bist du des Lobes voll.

Der Visio­när

Weißt du Prak­ti­ker eigent­lich, woher ich dich als Visio­när ken­ne? Gar nicht. Aber ich ken­ne dei­ne Pro­duk­te, die sich z.B.  nie­der­schla­gen in deso­la­ten Erfolgs­zah­len von deut­schen Schu­len, die sich nie­der­schla­gen in wach­sen­der sozia­ler Unge­rech­tig­keit in unse­rem Land. Und das in Zei­ten, in denen sich eine Volks­wirt­schaft wie unse­re kein Kind leis­ten kann, was zurück­bleibt – schließ­lich lebt die­ses Land von Krea­ti­vi­tät und Ideen – Boden­schät­ze sind eher rar. Ich schütt­le den Kopf über
dich. Ich stel­le mich dir so vor:

Du Prak­ti­ker sitzt an irgend­ei­ner Schu­le in die­sem Land. Wenn du gut bist, schaust immer wie­der ein­mal über den eige­nen Tel­ler­rand hin­aus und nimmst aus Fort­bil­dun­gen von mir und Kol­le­gen Din­ge mit in dei­nen Unter­richt. Wenn du bes­ser bist, pro­bierst du neue Lern­ar­ran­ge­ments aus, auch auf die Gefahr hin, dass dich irgend­wer sank­tio­nie­ren könn­te – aber das ist eher sel­ten. Du begeg­nest mir mit Skep­sis, du glaubst in der Regel nicht, dass sich durch mei­ne Ideen im Schul­sys­tem etwas bewegt. Du begrün­dest das gebets­müh­len­ar­tig mit „schwie­ri­gen Umstän­den“, „schlech­ter Aus­stat­tung“, zuneh­men­der „emo­tio­na­ler Ver­wahr­lo­sung“ im Eltern­haus oder über­bor­den­der Büro­kra­tie – für die du mich auch noch ver­ant­wort­lich machst und dabei dei­ne eige­ne Ver­ant­wor­tung für das Sys­tem Schu­le ver­gisst. Du bist krea­tiv – krea­tiv im Umge­hen der von mir mit erar­bei­te­ten Vor­ga­ben für guten Unter­richt, ach nein, für eine gute Schu­le! Du struk­tu­rierst dich ein­fach so um, dass du das Neue mög­lichst lan­ge ver­mei­dest. Dabei gerätst du mehr und mehr ins Hin­ter­tref­fen, weil der Berg, den du irgend­wann auf­ho­len musst, immer grö­ßer wird. Eigent­lich tust du mir Leid, weil du dir letzt­end­lich selbst scha­dest, indem du dich der Freu­de und des Spa­ßes an dei­nem Beruf durch dei­ne Schutz­me­cha­nis­men beraubst. Und dann tust du mir nicht Leid, weil du schließ­lich neben dir selbst auch unse­re Kin­der beraubst.

Ich pran­ge­re dich an, du Prak­ti­ker â€¦

… weil du dir in dei­nem zur Schau getra­ge­nen Lei­den gefällst und es oft genug an die wei­ter­gibst, die nichts dafür kön­nen: unse­re Kinder!

… weil du nichts als Miss­trau­en für neue Ideen übrig hast, weil du grund­sätz­lich annimmst, dass etwas undurch­führ­bar sei, ohne es zumin­dest ver­sucht und erlebt zu haben.

… weil du in dei­ner Begrenzt­heit – Redest du auf Par­tys eigent­lich auch über ande­re Din­ge als Schu­le? – gar nicht mehr erken­nen kannst, dass dich vie­le Ideen ganz kon­kret in dei­nem Beruf unter­stüt­zen kön­nen, die du von vorn­her­ein ablehnst.

… weil dein Argu­ment, ich hät­te kei­ne Ahnung, weil ich nicht im Sys­tem Schu­le leb­te, kolos­sal nervt. Man kann Din­ge bes­ser wis­sen, ohne sie selbst zu machen.

Ich sage:

Die Visi­on ist kei­ne Arbeit im Ver­gleich zum Manage­ment des Chan­ge. Wenn wir unse­re Rol­len bei­de ernst neh­men, dann ver­wen­den wir 10% unse­rer Zeit auf die Visio­nen und 90% auf das Chan­ge-Manage­ment, weil das die Arbeit ist, bei der der Prak­ti­ker Hil­fe braucht und der Visio­när zei­gen kann, dass auch er Beton­sä­cke zu schlep­pen vermag.

Zersetzungsspannung

Alle Ele­men­te stre­ben den ener­gie­ärms­ten Zustand, d.h. eine mög­lichst sta­bi­le Elek­tro­nen­kon­fi­gu­ra­ti­on an. In der Regel ist die­ser erreicht, wenn in der äußers­ten Kugel­scha­le acht Elek­tro­nen vor­han­den sind. Für die Reak­tio­nen von Zink und Brom ergibt sich fol­gen­de Reaktionsgleichung:

Zn + Br2 → ZnBr2

Auf­ge­schlüs­selt nach Teil­glei­chun­gen für die Oxi­da­ti­on und Reduk­ti­on sieht man, dass dabei Elek­tro­nen vom Zink zum Brom fließen:

(1) Zn → Zn2+ + 2e- (Oxi­da­ti­on)

(2) Br2 + 2e- → 2Br- (Reduk­ti­on)

Die­se Rich­tung des Elek­tro­nen­flus­ses ist qua­si die natür­li­che: Auf die­se Wei­se errei­chen bei­de Ele­men­te unter Ener­gie­ab­ga­be den ener­gie­ärms­ten Zustand. Wenn die Elek­tro­nen in die ande­re Rich­tung flie­ßen sol­len, bedarf es der Zufuhr von Ener­gie, z.B. von elek­tri­schem Strom, den eine „Elek­tro­nen­pum­pe“ wie z.B. eine Bat­te­rie lie­fern kann. Der Pro­zess lässt sich etwa in einer Elek­tro­ly­se­zel­le umkeh­ren, die eine wäss­ri­ge Lösung von Zink­bro­mid ent­hält. Als Elek­tro­den­ma­te­ri­al dient Gra­phit – die Wahl die­ses Mate­ri­als ist nicht belie­big. Eine sol­che Zel­le könn­te fol­gen­der­ma­ßen auf­ge­baut sein:


Die nega­tiv gela­de­nen Bro­mi­d­io­nen wer­den vom Plus­pol (Anode) der Elek­tro­ly­se­zel­le ange­zo­gen und dort unter Abga­be eines Elek­trons ent­la­den. Der Pro­zess (2) läuft „rück­wärts“. Ana­log wer­den die Zin­kio­nen von dem Minus­pol (Katho­de) ange­zo­gen und dort unter Auf­nah­me von Elek­tro­nen ent­la­den. Der Pro­zess (1) läuft „rück­wärts“. Bei­de Pro­zes­se müs­sen durch eine exter­ne Span­nungs­quel­le erzwun­gen wer­den, sodass Elek­tro­nen an der Katho­de ein­tre­ten und an der Anode aus­tre­ten kön­nen (grü­ne Pfeile).

Wei­ter­le­sen

Der Philosophieprofessor

Es war ein lan­ger Tag an der Uni, zum Kochen hat­te ich kei­ne Lust, also ging ich in die nahe­ge­le­ge­ne Stu­den­ten­knei­pe, in der frü­her über der Bar noch eine Leh­mann-Eisen­bahn im Pen­del­be­trieb ver­kehr­te. Es gab kei­nen Tisch mehr. Nur noch ein Platz war frei. Dar­an saß ein Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor, bei dem ich ein Pro­se­mi­nar für das für Lehr­äm­ter obli­ga­to­ri­sche Phi­lo­so­phi­cum besuch­te. Ich weiß nicht, was mich gerit­ten hat, aber ich frag­te aus­ge­rech­net ihn, ob der Platz noch frei wäre. Die Geschich­te ende­te in einem sehr per­sön­li­chen Gespräch und mit einer begli­che­nen Rech­nung für mich: „Sie sind Stu­dent, ich bin Pro­fes­sor, Ihren Stolz kön­nen Sie weder essen, noch am Wochen­en­de in eine Bar tra­gen – ich erle­di­ge das für Sie“.

Das Gespräch wan­der­te von einem The­ma zum ande­ren – ein Satz beschäf­tigt mich bis heu­te: Er sag­te, dass es arro­gant von den Phi­lo­so­phen wäre zu glau­ben, dass allein ihre Tätig­keit des Den­kens sie in ihrer Exis­tenz recht­fer­ti­gen wür­de. Phi­lo­so­phen müss­ten sich sei­ner Mei­nung nach über­le­gen, wie sie unse­rer Gesell­schaft fern von Elfen­bein­tür­men die­nen könn­ten, in Wirt­schafts­be­trie­ben, in NGOs, wo auch immer. Die­se Gedan­ke ver­wirr­te mich eben­so wie ein neu­er phy­si­ka­li­scher Bewe­gungs­be­griff – fern ab von New­ton. Mit Dio­ge­nes exis­tiert inner­halb der Phi­lo­so­phie in roman­ti­scher Ver­klä­rung das Bild des Den­kens um des Den­kens Wil­len und in mei­ner dama­li­gen Uner­fah­ren­heit war eben­die­ses Bild so fest verankert.

Wei­ter­le­sen

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